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Hans Hillmann, der große Plakatgestalter und Illustrator, ist tot. Er starb 88-jährig bereits am 4. Mai in Frankfurt am Main. Wie traurig. Mit Hans Hillmann verbindet mich nicht nur die Liebe zur kraftvollen, reduzierten Grafik, sondern auch ein regelmässiger Kontakt, der seit unserem Revolver-Live-Abend 2007 nie abriss. Ich habe ihn als großzügigen und dabei ganz leisen Menschen kennengelernt, der sich (etwa bei einem Atelierbesuch) gerne in die Karten schauen liess und bis zuletzt voller Neugier für die Kunst der Anderen war. Für die Ausgabe 3/12 der Neuen Rundschau hatte ich zuletzt über Hillmanns grafische Hammett-Bearbeitung „Fliegenpapier” geschrieben (den Text kann man hier nachlesen), die womöglich bald in einer Neuauflage erscheint. Das nachfolgende Interview ist – als Verschriftlichung des Live-Abends – in Revolver Heft 19 (2008) erschienen.

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ABEND DER GAUKLER
(Regie: Ingmar Bergman, Schweden 1953)
Plakat: Hans Hillmann 1958
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Hillmann:
Deutschland war eine ziemliche Kinowüste damals, Anfang
der 50er Jahre, als die „Neue Filmkunst“ gegründet
wurde von Walter Kirchner und dem künstlerischen
Leiter Werner Schwier. Als Professor Hans Leistikow –
unter dem ich damals studierte – von Kirchner 1952 aufgefordert
wurde, Plakate zu machen, hat er daraus einen
Klassenwettbewerb der Studenten gemacht. Und so
habe ich die ersten dieser Filme gesehen und angefangen,
Filmplakate zu machen. Das ist ja ein zweifacher
Verdienst gewesen: Einmal haben Herr und Frau Kirchner
und Herr Schwier diese wichtigen Filme herausgebracht,
die man sonst nicht sehen konnte – von Frankfurt
oder Berlin aus war das nächste Filmmuseum die
Cinématique in Paris. Zum anderen aber waren sie der
Meinung, dass man Filmkunst auch künstlerisch vermitteln
müsse. Jedenfalls kamen so die ersten Wettbewerbe
zu Stande. Als ich mir diese frühen Arbeiten im
Vorfeld noch einmal angesehen habe, habe ich festgestellt,
dass sie fast alle den Titel visualisieren, auch
wenn der natürlich nicht unbedingt identisch ist mit
dem Thema eines Filmes. Das Plakat zu „Abend der 
Gaukler” ist im Grunde genommen eine Fortsetzung des
Titels, der aus Worten besteht, im Bild – also die Fortsetzung
dessen, was das Wort aussagt. Ähnlich verhält
es sich bei „Sturm über Asien” oder „Hafen im Nebel”.
Hochhäusler:
Sie haben jeweils einen ziemlich pauschalen Auftrag
bekommen. Wie ging das genau vor sich?
Hillmann:
Das ging so, dass ich einen Anruf bekam und dann wurde
vereinbart, wo ich den Film sehen konnte. Das war in
der Regel am Nachmittag, wenn das Kino leer war. Und
dann fuhr ich da hin, wo immer das war, in Frankfurt,
Kassel oder Göttingen. Ich habe mir den Film angesehen
und neben mir eine Kamera auf dem Stativ aufgestellt,
eine Rollei. Und während der Film lief, habe ich
dann Fotos gemacht. Wenn ich Glück hatte, kannte ich
bereits die Geschichte, wusste, worum es in dem Film
ging. Aber das war nicht immer der Fall, manchmal habe
ich auch Filme gesehen, von denen ich keine Ahnung
hatte. Dann habe ich einfach alles aufgenommen, was
mir an Bildern wichtig erschien. Diese Methode hat sich
sehr bewährt, weil diese Bilder eine andere Qualität haben.
Ich weiß nicht, wie das heute ist beim Filmemachen,
aber früher war es bei Spielfilmen so, dass die
Schauspieler zurück ans Set mussten, wenn eine Szene
abgedreht war, um für den Fotografen zu posieren. Dass
diese „Standbilder“ dann meistens schwächer waren,
lässt sich leicht denken. Auf der anderen Seite waren
diese Stills technisch natürlich viel perfekter als meine
im Kino geschossenen, weil sie mit einer großformatigen
Kamera aufgenommen wurden.
Hochhäusler:
Das hat etwas von einer geheimen Mission: Ein leeres
Kino am Nachmittag, ein Film, ein Auftrag. Und dann gab
es ja eine lange Zeit, oft Wochen, in der Sie reflektieren
durften, bevor es zur Abgabe kam. Was mich vor allem
interessiert ist die Frage, was in diesen Wochen passiert
ist. Ich finde auffällig, dass sich ihre Plakate ganz tief mit
den Filmen beschäftigen – mit den Geschichten, mit den
Themen. Es sind erzählerische Plakate.
Hillmann:
Man sieht ja hier an diesem Plakat „Abend der Gaukler“,
dass zwei Bilder ablesbar sind auf größere Entfernung.
Ich hatte die Vorstellung – in wieweit das dann klappt,
weiß man ja nie so genau – dass man beim Lesen von
„Abend“ den Mond sieht. Und wenn man beim Lesen von
„Gaukler“ die Figur anschaut, sieht man eine Arena.
Ich habe immer Skizzen gemacht von den Filmen und
habe dann nachvollzogen, was noch alles passierte. Ich
habe mir überlegt, was wichtig ist an einem Film und in
diesem Fall waren die Worte des Titels „Abend der
Gaukler“ sehr bestimmend für mich. Dann habe ich telefoniert
und fuhr mit meinen Skizzen zum künstlerischen
Leiter Werner Schwier, der zunehmend die Beurteilung
der Plakate übernahm. Wir waren befreundet
und haben uns gut verstanden. Zusammen haben wir
uns die Entwürfe angesehen, die ich in Postkartengröße
mitgebracht hatte. Es waren Zeichnungen in schwarzer,
dicker Farbe, ziemlich grob aufgetragen. Zum Druck hab
ich das Plakat in Linoleum geschnitten, auch die Schrift.
Nur die kleine Schrift und das Ding in der Mitte, das war
ein Klischee. Ich weiß nicht, wen das heute noch interessiert,
aber das wurde im Buchdruck gemacht.
Publikum: Wie hoch war die Auflage?
Hillmann:
Das weiß ich nicht mehr. Aber mit dem Buchdruck
konnte man problemlos 1000 Stück drucken. Ich habe
die Platte geschnitten, geliefert und Angaben für die
kleine Typographie gemacht, die noch hinein musste.
Dann hat die Druckerei das Klischee gemacht und mit
der Typographie kombiniert. In diesem Fall bin ich dann
in Göttingen noch mal zum Andruck gewesen und habe
alle Probleme besprochen.
Hochhäusler:
Sie haben erzählt, dass es immer eine Einschätzung
des Verleihs gab, wie „kommerziell“ ein Film sei – und
daran war die Entscheidung für Farbe oder Schwarz/
Weiß dann gebunden. Das heißt, es wurde Ihnen immer
ein Kostenrahmen genannt?
Hillmann:
Ja, das war wesentlich. Die Neue Filmkunst hatte nie
viel Geld. Atlas Film war etwas besser dran. Das waren
Kinobesitzer. Kirchner und Schwier dagegen haben bei
Null angefangen. Sie waren Filmclub-Enthusiasten, im
Unterschied zu mir übrigens. Mein Filminteresse ist
erst durch diese Beschäftigung seit 1952 entstanden.

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STURM ÜBER ASIEN
(Regie: Wsewolod Pudowkin, UdSSR 1928)
Plakat: Hans Hillmann 1961
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Hochhäusler:
Noch einmal zum Ablauf. Sie bekommen einen Auftrag:
„Machen Sie ein schönes Plakat. Wir sehen uns in vier
Wochen wieder.“ Sie sehen sich den Film an und dann …
Haben Sie über den Film gelesen?
Hillmann:
Wenn etwas da war. Bei Pudowkin zum Beispiel gab es
Texte. Es war interessant, über Filmmontage zu lesen.
Ich habe auch versucht, diese Ideen aufzugreifen, für
mich, in einer gewissen Umformung. Das Plakat zu
„Sturm über Asien“ war ein ungefährer Eindruck, den
ich nach dem Sehen des Filmes hatte. Ob ich zu diesem
Zeitpunkt schon Fotos von der Leinwand gemacht habe
und ob da irgendeine Andeutung schon enthalten war,
das kann ich heute nicht mehr sagen.
Hochhäusler:
Wie kam es zu der Entscheidung, eine Zeichnung zu
verwenden?
Hillmann:
Warum ich das im Einzelnen so gemacht habe, ist
schwer zu sagen. Ich habe schon als Kind immer Karl
May illustriert. Bei den frühen Plakaten habe ich meistens
gezeichnet.
Hochhäusler:
„Sturm über Asien“ ist ein Paradebeispiel für ein fernwirksames
Plakat. Wurde das plakatiert und im Stadtraum
gesehen?
Hillmann:
Ja, es wurde plakatiert, auch in Berlin. Da hatte Kirchner
eine Zeit lang zwei Kinos: die „Lupe“. Aber diese
Filme waren nie so enorm erfolgreich – wer will schon
einen Film von so hoher Qualität sehen, wie die von
Kurosawa, Buñuel oder Richardson und so weiter. Die
kamen mit den Besucherzahlen von eingängigeren Filmen
nicht mit.
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PANZERKREUZER POTEMKIN
(Regie: Sergej Eisenstein, UdSSR 1925)
Plakat: Hans Hillmann 1967
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Hochhäusler:
Das ist einer ihrer Plakat-Klassiker – wovon diverse
Hommagen anderer Grafiker zeugen. Es ist verblüffend,
wie man ein Plakat so einfach machen kann.
Hillmann:
Ja, „einfach“ ist ein Wort, für das ich sehr dankbar bin.
Oben das weiße Querformat, auf dem die Rohre stehen,
unten die Typographie, die als Block das Bildformat wiederholt.
Ich habe auch da wieder mehrere Möglichkeiten
ausprobiert … Ich komme übrigens nicht von der Schrift
oder Typographie her, wie das bei Grafikern oft so ist,
sondern ich komme vom Bild. Die Schrift war immer etwas,
was unbedingt abgestimmt werden musste auf das
Bild.
Hochhäusler:
Filmplakate heute sind in aller Regel angefüllt mit
Credits, Logos, Webseiten usw. Ihre Plakate dagegen
sagen: „Das ist der Film.“ Sehr selbstbewusst. Was mir
auch gefällt sind die kurzen Beschreibungen. Bei „Judex“
heißt es: „Geheimnisvolle Vorgänge aus der Zeit, als
gestern noch morgen war.“ Bei „Die Sieben Samurai“
steht ganz knapp: „Ein prächtiges Abenteuer“.
Hillmann:
Die Texte kamen von Werner Schwier, meistens, nachdem
der Entwurf schon fertig war. Eine andere Besonderheit
dieser Plakate war, dass in jedem Fall der Name
des Regisseurs das Wichtigste war. Der Regisseur wurde
jedenfalls immer als Erster aufgeführt, noch vor den
Schauspielern. Es gibt nur wenige Ausnahmen. Glauber
Rocha steht sogar vor dem Titel.
Hochhäusler:
Zwischen 1953 und 1974 haben Sie knapp 130 Plakate
gestaltet. Haben Sie alle Filme der Neuen Filmkunst gemacht?
Hillmann:
Nein, nicht alle. Ich durfte auch Aufträge weitergeben
und habe das auch getan, zum Beispiel an Jan Lenica,
einen bekannten Animationsfilmer. Er lebte damals
in Paris und hatte bereits in Polen einige Plakate für
interessante Filme entworfen, die die Neue Filmkunst
herausbringen wollte. Da habe ich Kirchner darauf aufmerksam
gemacht und er hat mit ihm Kontakt aufge-
nommen. Lenica hat dann auf seinem Original die deutsche
Schrift untergebracht. Dabei habe ich festgestellt,
dass er eine Gewohnheit hatte, die es bei uns schon
nicht mehr gab: Er trug die Schrift in einer fetten Antiqua
mit dem Pinsel auf. Hier bei uns wiederum sind die
meisten Schriften gesetzt, nur bei den ganz frühen ist
die Schrift geschnitten oder mit der Hand eingearbeitet
worden. Lenica war der eine Kontakt, der andere war
Wolfgang Schmidt, der mit mir studiert hatte und aus
Skandinavien zurückkam. Er hat auch eine ganze Reihe
Plakate übernommen, vor allem für Atlas Film. Bei
Kirchner hat er aber auch einiges gemacht, wie auch
Isolde Baumgart.
Hochhäusler:
Kam es vor, dass Sie einen Film gesehen haben und
keinen Zugang finden konnten? Hatten Sie freie Wahl,
für welche Filme Sie Plakate machten?
Hillmann:
Ja, das hatte ich. Aber es gab eigentlich immer eine
Einigung, wenn sich zum Beispiel jemand besonders
für einen Film interessierte. Aber sie wurden im Prinzip
mir angeboten.
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RASHOMON
(Regie: Akira Kurosawa, Japan 1950)
Plakat: Hans Hillmann 1959
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Hillmann:
In dem Film gibt es vier Beteiligte, wenn ich mich recht
erinnere. Ich habe das Plakat deshalb in vier Streifen
geteilt, aber nur eine Figuration gemacht, die so ein
bisschen durcheinander geht.
Hochhäusler:
Der Film dreht sich darum, wie verschieden man ein Ereignis
erleben, verstehen und erzählen kann.
Hillmann:
Ja, das wollte ich ausdrücken. Ich habe damals gehofft,
dass es jemand versteht, aber ich weiß es bis heute
nicht. Für die Leute, die den Film gesehen haben, wird
es sinnvoll sein.
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CRIME ET CHÂTIMENT
(Regie: Pierre Chenal, Frankreich 1935)
Plakat: Hans Hillmann 1962
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Hillmann:
Bei „Crime et Châtiment“ habe ich noch in Erinnerung,
wie ich diese Postkarte gemalt habe. Da hatte ich die
Vorstellung, dass ich die Schrift über das Gesicht setze.
Ich habe so etwas gedacht wie: Es ist ihm ins Gesicht
geschrieben, das Verbrechen.
Hochhäusler:
Ist die Vorlage dieses Plakates die Postkarte oder wurde
das dann noch größer ausgeführt?
Hillmann:
Das wollte ich noch zu den Postkartenentwürfen hinzufügen.
Nachdem die Entwürfe besprochen waren, habe
ich sie mit dem Projektor an eine Wand projiziert und in
der gewünschten Größe nachgezeichnet. In diesem Fall
war es ein Siebdruck, deshalb musste es nicht im Originalformat
DIN A1 sein. Dabei bin ich übrigens darauf
gekommen, dass Dinge verloren gehen, wenn ich sie
ganz penibel, naturalistisch glattrandig zeichne. Ich habe
deshalb immer versucht, etwas von der Grobheit zu
behalten, die die kleine Skizze hatte. Bei „Crime et
Châtiment“ sieht man es am Haar und am Hut stärker
bei anderen Plakaten, weil es in einem kleineren Format
ausgeführt wurde.
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DIE EINSAMKEIT DES LANGSTRECKENLÄUFERS
(Regie: Tony Richardson, England 1962)
Plakat: Hans Hillmann 1966
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Hillmann:
Bei „Die Einsamkeit des Langstreckenläufers“ sagten
Kirchner und Schwier: „Pass auf, dass das nicht aussieht
wie ein Sportplakat.“ Man kann sich vorstellen,
dass unser Filmkunstpublikum an Sportfilmen nicht interessiert
war. Daran hatte ich schon gedacht und habe
diesen signalroten Fuß des Sportlers ins Gesicht des
Schuldirektors gemalt. Dann habe ich das Bild noch
um neunzig Grad gedreht, denn es war ursprünglich
im Querformat und sah dadurch harmloser aus. Jetzt
kommt der Fuß aber von oben und wirkt viel aggressiver.
Hochhäusler:
Auch hier entstand der Entwurf zuerst in Postkartengröße
und wurde dann größer ausgeführt?
Hillmann: Ja.
Hochhäusler:
Im Grunde hat die Postkarte auf dem Schreibtisch ja
Plakatgröße. Also die Distanz zur Litfasssäule im Straßenverkehr
entspricht ungefähr dieser Größe.
Hillmann:
Das ist ein Hilfsmittel, weil ich dazu neige, viel zu ausführlich
zu werden – schon, wenn ich auf einem DIN A 4
Blatt zeichne. Deshalb bleibe ich so klein wie möglich,
weil ich die Erfahrung gemacht habe, dass es dann
grosszügiger wird. Das Lustige war einmal, dass ich so
eine Postkarte verschickt habe, sie war nicht präzise, in
keiner Hinsicht. Der Titel war erkennbar, aber das meiste
war ziemlich geschmiert. Und unten wo die Schauspieler
standen, habe ich nur ein paar Buchstaben hingemacht.
Da wollte ich mal sehen, ob sich der Schwier
die Entwürfe genau anschaut. Ich wusste, dass er eine
Abneigung gegen das Frankfurterische hatte und habe
unten dann irgendwo hingeschrieben: „Ei, Werna“. Und
natürlich hat er das gelesen und es hat ihm auch Spaß
gemacht.
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PICKPOCKET
(Regie: Robert Bresson, Frankreich 1959)
Plakat: Hans Hillmann 1966
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Hillmann:
Das ist eines meiner ersten Fotoplakate. Als ich an die
Hochschule in Kassel berufen wurde, habe ich als erstes
Fotogeräte angeschafft. Wir waren damals sehr
schlecht ausgestattet, aber zu dieser Zeit habe ich angefangen,
mit Fotos zu arbeiten.
Hochhäusler:
Ist das auch eines der Bilder, die Sie im Kinosaal geknipst
haben?
Hillmann:
Nein. Das ist ein Foto, das ich gemacht habe. Ich mit
meinem Mantel. Die Hand greift von innen nach außen.
Also der Pickpocket selbst wendet sich zuletzt an die
Öffentlichkeit mit seinem Tun.
Bei den frühen Plakaten habe ich in Sachen Fotografie
so kleine „Entdeckungen“ gemacht, die meine späteren
Arbeiten sehr geprägt haben. Ich weiß noch, wie ich
zum ersten Mal ein hart abgezogenes Foto sah, das fast
nur noch aus schwarz und weiß bestand. Das ist heute
eine Selbstverständlichkeit, aber damals war es selten
und hat mich in seiner Nähe zur Pinsel-Zeichnung sehr
angesprochen. Viele meiner Plakate und Illustrationen
spielen mit den Mitteln fotografischer Abstraktion. Damals
wurde das zum Teil kritisch gesehen, diese Vermischung.
Man hat natürlich unter Leuten, die Filmplakate
machten, diskutiert, wie man sie machen muss. Ich habe
mir immer gesagt: mach alles Mögliche – und habe
es mir auch deshalb zum Arbeitsprinzip gemacht, immer
mehrere Ideen gleichzeitig zu entwickeln, so dass
man sich selbst Konkurrenz machen kann. Sonst passiert
es, dass man sich hineinsieht in eine Idee oder eine
bestimmte Technik, die man mag und erst später
merkt, dass sie gar nicht so gut war.
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DAS IRRLICHT
(Regie: Louis Malle, Frankreich 1963)
Plakat: Hans Hillmann 1966
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Hillmann:
Dem Plakat lag eine ziemlich einfache Idee zu Grunde.
Der Mann im Film bringt sich um und es sollte ein Bild
von Vergänglichkeit entstehen. Da lag es ziemlich nahe,
das Portrait zu nehmen und Laub darauf zu streuen.
Hochhäusler:
Sie haben ja auch zu jedem Film Programmhefte gemacht,
die im Kino käuflich zu erwerben waren, so wie
heute in der Oper oder im Theater. Auf denen wurde das
Motiv des Plakates jeweils variiert. Das interessante
an so einer grafischen Erzählung ist ja auch, dass sich
das gefundene Motiv oder die Metapher nicht in einem
Moment erschöpft. Hier im Programmheft von „Das
Irrlicht“ zum Beispiel ist das Motiv nicht identisch mit
dem Plakatmotiv. Das Laub ist anders. Und im Weiteren
finden auch noch andere Ideenskizzen Verwendung;
etwa die Uhr, die schmilzt. Und dazu gibt es Filmbilder
und Texte.

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Programmheft DAS IRRLICHT
Hans Hillmann 1966
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Publikum:
Es gab ja von Walter Kirchner eine Art Corporate Identity,
so würde man heute sagen. Auch die Kinos waren gestaltet.
Es war schon von Außen zu sehen, dass das besondere
Kinos waren. Und es gab das Logo mit der
Filmrolle, die zum Auge wird, auch als Trailer vor jedem
Film. Ging die gesamte Gestaltung auch auf Sie zurück?
Hillmann:
Diese Filmrolle stammt von einem ganz frühen Plakat
von mir, das ich als Student gemacht habe für einen
französischen Film mit dem Titel „La vie commence demain“
– Das Leben beginnt morgen (Nicole Védrès,
1949). Erst Jahre später ist man auf die Idee gekommen,
daraus ein Logo zu machen für die Neue Filmkunst. Ich
habe aber auf jeden Fall an der Gestaltung mitgewirkt.
Ich wurde ja vorhin gefragt, ob die Plakate viel im Stadtraum
zu sehen waren. Wegen der immer wieder miesen
Situation der Neuen Filmkunst konnte nicht so viel
plakatiert werden. Aber mindestens in den Kinos sollten
die Plakate präsent sein.
Hochhäusler:
So kam ich überhaupt in Berührung mit Ihrer Arbeit. Ich
kannte ihre Plakate aus den Münchner Kinos „Theatiner“
und „Lupe 2“. Schade war nur, dass da hauptsächlich
für Filme geworben wurde, die man gar nicht mehr
sehen konnte. Eigentlich traurig, dass Filme heute sofort
wieder verschwinden und die Plakate nicht mehr
Gedächtnis spielen.
Hillmann:
Die Foyergestaltung ist ja auch immer ein Problem in
den Kinos, sie ist oft sehr hilflos. Wir haben uns über
die Plakate geeinigt, die wir für die Raumgestaltung gut
fanden und natürlich auch vor den Kinos plakatiert.
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ANTONIO DAS MORTES
(Regie: Glauber Rocha, Brasilien 1968)
Plakat: Hans Hillmann 1970
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Hans Hillmann:
Das war das einzige Mal, dass ich eine Serie von drei
Plakaten machen sollte. Da habe ich eine Methode benutzt,
die damals beim Animationsfilm verwendet wurde.
Ich habe in einem kleinen Format diese gelbe Gesichtsform
und den Umriss des Gesichts / das Grau auf
eine Folie gezeichnet. Dann konnte ich die Farbfotos aus
dem Film darunter herum schieben, so dass in ganz
kurzer Zeit enorm viele Varianten zustande kamen. Und
davon habe ich drei ausgewählt.
Hochhäusler:
Das faszinierende an diesem Plakat ist, dass es unglaublich
wirksam ist, obwohl man es nicht unbedingt versteht.
Hillmann:
Ja, das sieht verwirrend aus, weil er tot im Gras liegt,
und dann sind da auch noch Blumen. Das ist die eine
Tatsache, aus dem das Plakat besteht. Die zweite Ebene
ist die gelbe und graue Fläche und die Schrift. An der
Fotografie ist nichts montiert. Das sieht man natürlich
nur, wenn man es weiß.
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LIEBELEI
(Regie: Max Ophüls, Deutschland 1932)
Plakat: Hans Hillmann 1967
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Hillmann:
Das ist nicht aus einer Serie im strengen Sinne, bei
„Liebelei“ handelt es sich auch eher noch um ein Muster,
aber bei den Plakaten aus dieser Zeit habe ich mich
mehr und mehr für das Prinzip des Rasters interessiert.
Bei „Liebelei“ ging es einerseits ums Militärische, andererseits
auch um ganz private Wünsche und Vorstellungen.
Deshalb habe ich diese Formen gewählt, die so explosiv
wirken …
Hochhäusler:
… ein bisschen wie Blumen, die die Form auflösen. Die
Liebe gefährdet die soldatische Ordnung.
Hillmann:
Genau. Und bei „Der Pakt mit dem Teufel“ aus dieser
Zeit brennt dann eben das Raster, nicht der Kopf. Es
sind die Punkte, die „brennen“. Dieses Spiel mit dem
Raster war etwas, was mir Anfang der 60er sehr gefallen
hat.
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DAS VERBRECHERISCHE LEBEN
DES ARCHIBALDO DE LA CRUZ
(Regie: Luis Buñuel, Mexiko 1955)
Plakat: Hans Hillmann 1961
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Hans Hillmann:
Man kann sich ja vorstellen, wie das entstanden ist. Mit
meiner Hand habe ich durchs Papier gefasst, die Kamera
aufgestellt auf einem Stativ und habe das dann fotografiert.
Der Mord, der auf dem Papier geschieht.
Hochhäusler:
Für mich eines der genialsten Plakate überhaupt. Es
geht um einen Mann, der sich für böse hält oder glaubt,
dass er auf die Welt eine fatale Wirkung hat. Er verwechselt
eigentlich Ursache und Wirkung.
Hillmann:
Der Originaltitel im Spanischen lautet ja auch: „Der Versuch
eines Verbrechens“.
Hochhäusler:
Zu diesem Motiv gibt es eine ganze Reihe von Variationen
im Beiheft.

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Programmheft DAS VERBRECHERISCHE LEBEN …

Hans Hillmann 1961

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Hillmann:

An sich war es selten, dass wir Zeichnungen in die Hefte
aufgenommen haben, weil es von Filmkritikern heftig
angegriffen wurde. Wir haben das auch bis zu einem
gewissen Grad eingesehen, aber in diesem Fall konnte
ich nicht widerstehen.
Hochhäusler:
Als ich Sie in Ihrem Atelier besucht habe, haben Sie mir
die Fächer gezeigt, in denen sich allerlei kleinformatige
Skizzen befinden, die thematisch organisiert sind. Man
muss sich vorstellen, dass dieser Prozess des Zeichnens
etwas ist, das permanent vor sich geht. Es gibt ja
auch ein Buch von Ihnen, das dieses Nebenbei der Ideen
zum Thema macht: „Ich habe mir in der Besprechung
davon ein Bild gemacht“ heißt es. Dieser Titel ist Programm;
das Zeichnen ist eine Art ständige Konkretisierung.
Hillmann:
Das waren Konferenzzeichnungen, die ich der Hochschule
gezeichnet habe. Es gibt so etwas wie geteilte
Aufmerksamkeit. Man kann gerade genug hören, um
mitzukriegen, was einen überhaupt interessiert und
was das wichtigste ist, aber man kann immer noch dabei
zeichnen. Nur wenn es um ein Thema ging, bei dem
man sich melden musste, dann habe ich mir Notizen
zwischen die Zeichnungen geschrieben. In dem Buch
sieht man auch, wie sie völlig unvermittelt zwischen den
Zeichnungen stehen. So konnte ich das Gespräch dann
wieder aufgreifen und mich zu Wort melden. Anschließend
habe ich dann wieder weitergezeichnet. Aus einigen
dieser Ideenskizzen sind dann später Plakate entstanden.
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BELLE DE JOUR
(Regie: Luis Buñuel, Frankreich 1966)
Plakat: Hans Hillmann 1974
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Hillmann:
Wenn man drei nebeneinander hängt, dann ergibt das
lauter Gesichter und geht immer weiter.
Hochhäusler:
Die zwei Leben einer Frau und das eine Auge. Einfacher
kann man es nicht erzählen und gleichzeitig hat es eben
diesen Witz. Buñuel scheint Ihnen besonders nahe zu
sein. Es gibt bei Ihren Buñuelplakaten immer diese unglaublichen
Kombinationen.
Publikum:
Haben die Regisseure eigentlich auf ihre Plakate reagiert?
Hillmann:
Ja. Edgar Reitz hat mich angesprochen und ich habe
dann das Plakat für einen seiner Filme gemacht, „Cardillac“.
Alain Resnais hat auch eines haben wollen. Für
ihn habe ich „Muriel“ gemacht.
Hochhäusler:
Auch Godard muss ein Fan gewesen sein. In dem Film
„Zwei oder drei Dinge, die ich von ihr weiß“ kommen
mehrere ihrer Plakate vor, unter anderem „Das verbrecherische
Leben …“ und „Muriel“.


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Standbilder aus Godards 2 OU 3 CHOSES QUE JE SAIS D’ELLE. 
Oben: Hans Hillmanns Plakat für Alain Resnais‘ MURIEL. 
Mitte: Hans Hillmanns Plakat für Buster Keatons DER GENERAL (steht Kopf). 
Unten: eine farblich veränderte Variante von Hans Hillmanns Plakat für Luis Buñuels DAS VERBRECHERISCHE LEBEN DES ARCHIBALDO DE LA CRUZ.
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DER PROZESS
(Regie: Orson Welles,
Deutschland / Frankreich / Italien 1962)
Plakat: Hans Hillmann 1966
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Hillmann:
Der Entwurf ist sehr schnell gegangen. Ich habe über
Bürokratie nachgedacht. Was für Objekte gibt es da?
Unter anderem die Schublade. Dann habe ich ein Foto
von einer Schublade gemacht, zerschnitten und sozusagen
falsch wieder zusammengesetzt. So war der Entstehungsprozess.
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EINE FRAU IST EINE FRAU
(Regie: Jean-Luc Godard, 1960)
Plakat: Hans Hillmann 1970
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Hillmann:
Hier ist es wieder so, dass das Bild den Titel fortsetzt.
Wenn Sie diese schräge Form, die sich da windet in der
Mitte, wegnehmen, dann ist es eine rechteckige plastische
Form, die durch Dreiecke abgeschnitten ist. Aber
auch diese Form ist unmöglich, analog zur Schublade.
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DIE FRÖHLICHE WISSENSCHAFT
(Regie: Jean-Luc Godard, Frankreich 1968)
Plakat: Hans Hillmann 1969
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Hillmann:
Ich habe das immer ein vorgefertigtes Plakat genannt,
weil es aus verschiedenen Elementen besteht. Einmal
das Prinzip der DIN-Formate, die man ineinander setzen
kann und bei denen immer zwei das nächst größere
ergeben. Hier hat sich auch die Möglichkeit angeboten,
Stills zu verwenden und diese entsprechend zu verkleinern
oder zu vergrößern, so dass sie in das System
reinpassten. Und die sind deshalb wichtig, weil Godard
sie so bemalt hat mit Freud und Marx. Das ist der zweite
Teil. Und der Dritte Teil kommt von einem anderen Film
von Jean-Luc Godard, bei dem man einen riesigen
Schriftzug auf der Leinwand sieht und das Wort „Ange“
liest. Dann aber fährt die Kamera zurück und man sieht,
dass es sich um ein Verkehrsschild handelt: „Danger“.
Also zusammen gesehen: Der Engel in Gefahr. Diese
Idee von Godard habe ich mir erlaubt für einen seiner
Filme zu verwenden, indem ich die Übersetzung der
Fröhlichkeit, also „Le Gai Savoir“ so geteilt habe, wie
man es heute nach der Rechtschreibreform ohne weiteres
machen kann. Ich habe vor kurzem beim Fahren mit
dem Bus das Wort „Restaurant“ gesehen. Da stecken
vier andere deutsche Worte drin. Es ist ein Spiel, wie
viele Worte in einem anderen Wort drinstehen.
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WEEKEND
(Regie: Jean-Luc Godard, Frankreich 1967)
Plakat: Hans Hillmann 1969
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Hillmann:
Das ist das letzte Plakat, das ich zeigen wollte. Hier ist
die Entstehungsgeschichte leicht zu beschreiben. Ich
konnte kein typisches Foto finden, das für den Film
hätte stehen können. Das war unmöglich. Irgendwann
habe ich den Einfall gehabt: Wenn du diesen Titel so
spannst, dass er zerreißt wie ein Band, wenn man das
Wort also wie einen Gegenstand behandelt, dann könnte
das ein Filmplakat ergeben. Ich habe das jetzt ans Ende
gestellt, weil es noch einmal das anführt, was unter
Grafikern diskutiert wird. Also, ob man ein Filmplakat
mit Fotografien machen muss. Ich habe immer gesagt:
Man muss es nicht. Beim Zeichnen gibt es ja den Begriff
des Weglassens. Hier habe ich mich gefragt, was kann
man beim Filmplakat weglassen? Und ich habe festgestellt:
Man kann sogar das Bild weglassen in diesem Fall.
Das Gespräch führte Christoph Hochhäusler im Rahmen
der Veranstaltung REVOLVER LIVE! am 13.11.2007 in der
Berliner Volksbühne. Transkription: Sophie Narr/Verlag
der Autoren. Gekürzt und bearbeitet von Christoph
Hochhäusler. Unser besonderer Dank gilt Jens Müller,
der uns freundlicherweise die Scans der Plakate zur
Verfügung gestellt hat. Er ist einer der Initiatoren des
Projekts „FilmKunstGrafik“, das sich der umfassenden
Dokumentation und Veröffentlichung der neuen deutschen
Filmgrafik zwischen 1954 und 1974 widmet. Wir
empfehlen herzlich den gleichnamigen Katalog. Siehe
auch: www.filmkunstgrafik.de
Hans Hillmann
Geb. 1925 in Nieder-Mois (Schlesien), 
gest. 2014 in Frankfurt (Main). 
Studium: Grafik an der staatl. Schule für Handwerk und
Kunst, Kassel sowie an der Staatlichen Werkakademie,
Kassel bei Prof. Hans Leistikow und Prof. Kay H. Nebel.
Seit 1953 freiberuflicher Grafiker. Seit 1961 Mitglied der
Alliance Graphique Internationale. 1961–89 Professur
für Grafik an der Hochschule für Bildende Künste/Universität
Kassel. 

Filmplakate (Auswahl): 
„Rashomon“ (1959), „Das verbrecherische Leben des 
Archibaldo de la Cruz“ (1960), „Sturm über Asien“ (1961), 
„Die sieben Samurai“ (1962), „Das Irrlicht“ (1966), „Der 
Hausmeister“ (1966), „Die Einsamkeit des 
Langstreckenläufers“ (1966), „Der Prozeß“ (1966), 
„Panzerkreuzer Potemkin“ (1967), „Shadows“ (1968), 
„Wilde Erdbeeren“ (1969), „Eine Frau ist eine Frau“ (1970), 
„Antonio das Mortes“ (1970), „Pierre und Paul“ (1972), 
„Weekend“ (1972), „Die Straße, die zum Himmel führt“ 
(1972), „Der Malteser Falke” (1972), „Shanghai Gesture“ 
(1973), „Belle de Jour“ (1974), „Der Tod in diesem Garten“ 
(1974), u.v.a. 


Bücher als Autor (Auswahl): 
„Ich hab geträumt, ich wär ein Hund, der
träumt“ (1970), „Ich hab mir in der Besprechung ein Bild
gemacht“ (1976), „Fliegenpapier“ (1982), „Ein Jogger
träumt von der heiligen Monika“ (1989).