Überspringen zu Hauptinhalt

Hans Werner Henze ist tot. Sein Werk hat einen wichtigen Platz in der Geschichte der neuen Musik. Weniger bekannt ist, dass er für eine Reihe von großartigen Filmmusiken verantwortlich war, für Filme von Alain Resnais und Volker Schlöndorff vor allem; Filmmusiken, die nicht den neu-symphonischen Hirtenhund des Publikums spielen, sondern „aus freien Stücken” dem Bild entgegengehen.

Über die Zusammenarbeit mit Henze bei DIE VERLORENE EHRE DER KATHARINA BLUM schreibt Schlöndorff:

„Anders als sonst üblich, begann Henze (…) mit der Komposition schon vor Drehbeginn. Er schrieb ein kleines Thema für Katharina, für den Polizeieinsatz und die Hetzjagd der Presse entwarf er eine wahrhaft gewalttätige Musik. Als der flüchtige Götten im Prolog den Rhein überquert, zitierte er – unter dem Titel DER VERGIFTETE FLUSS – Wagners RHEINGOLD. Beim Verknüpfen dieser Elemente entdeckte Henze einen Fehler im Drehbuch. Er rief mich an und sagte, es fehle eine Szene. Ich verstand nicht, was er meinte. Er sagte, eine Szene, in der die beiden Liebenden, Katharina und Götten, sich noch einmal begegnen. Ich antwortete, eine solche Szene gäbe es bei Böll nicht, sei auch ganz unwahrscheinlich, da beide ja streng isoliert in getrennten Gefängnissen säßen. Das mag schon sein, insistierte Henze, „aber von der Komposition her brauche ich gegen Ende ein Rondo, eine Szene, in der Katharina, der verhaftete Götten und die Staatsmacht – das sind die drei musikalischen Themen – noch einmal aufeinandertreffen“.

Das wäre auch dramaturgisch reizvoll, denn schließlich beginnt die Geschichte mit der Begegnung von Katharina und Götten, es wäre also schön, die beiden am Ende noch einmal zusammen zu sehen. Aber wo und wie sollten die Liebenden sich treffen? Aus der Arbeit bei der Roten Hilfe fiel mir ein Zwischenfall ein: Zwei Gefangene waren – der eine auf dem Weg zum Prozess, die andere beim Abtransport – zufällig aufeinandergestoßen. Den Augenblick der Verblüffung nutzend, hatten sie sich von ihren Wachen losgerissen und sich kurz, aber heftig umarmt.

So verdanken wir Hans Werner Henze nicht nur eine starke Musik, sondern auch einen szenischen Höhepunkt, denn als Schauplatz dieser Umarmung kam natürlich nur die atomsichere Tiefgarage des im Bau befindlichen Bonner Polizeipräsidiums in Frage. Die Aufnahmen in den streng geheimen Kellern fanden glücklicherweise gegen Ende der Dreharbeiten statt, denn durch das große Komparsenaufgebot, das wir dafür benötigten, war die Bonner Polizei auf uns aufmerksam geworden. Wir mussten die Flucht antreten und der Architekt für seine liberale Genehmigung büßen.”

(Eingestellt von Christoph)