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X Filme: Ein Portrait

Gespräche führten: Benjamin Heisenberg und Christoph Hochhäusler mit Wolfgang Becker und Tom Tykwer (München 04.08.98, Bearbeitung: Jens Börner), und Sebastian Kutzli mit Hendrik Handloegten (Berlin 07.08.98), Sebastian Schipper (Hamburg 05.11.98), Dani Levy und Stefan Arndt (Berlin 10./11.11.98)

START

Wolfgang Becker: Zur Gründung von X-Filme kam es 1994, das war ja auch der eigentliche, absolute Tiefpunkt des deutschen Films, sowohl was den Marktanteil als auch die Inhaltlichkeit betraf. Da haben sich etliche Berliner Regisseure und Regisseusen getroffen und haben eigentlich so einen festen monatlichen Zirkel gemacht, wo einfach über diese ganze Problematik geredet wurde. Das war teilweise konstruktiv, teilweise war es natürlich auch eine Jammerbude, wo einfach jeder sich irgendwie ausgeheult hat. In der Runde habe ich Dani Levy getroffen und auch Michael Klier, der ja anfänglich auch bei X-Filme dabei war. Tom habe ich zufällig getroffen, bei meinem Weltvertriebsmenschen.

Tom Tykwer: Wir hatten damals schon die Vorstellung, daß man mehr in so eine Pool-Richtung arbeiten müßte, daß diese ganzen Regisseure nicht mehr alle nur so dasitzen, und jeder versucht so seinen Film durchzuboxen, arbeitet sich drei Jahre lang die Füße dran wund und findet dann mühsam einen Produzenten und kann dann endlich nach fünf Jahren was machen, aber dann ist eigentlich schon die ganze Luft raus. Wir waren mit unseren Visionen sehr nahe zusammen, mit dem Ansatz, wirklich auf großes Kino zu gehen, im Sinne von wirklich große Leinwand und wirklich das Kino 1 im Cinedom, oder Zoopalast, oder in irgendeinem Kino zu füllen, und gleichzeitig eben überhaupt keinen Kompromiß auf der inhaltlichen Schiene zu machen.

Dani Levy: Ich glaube, daß das kollegialkritische Potential dieser Firma ein riesen Angebot ist, an Büchern besser zu arbeiten, kritischer damit umzugehen, und auch im Notfall direkt eben in der Firma Leute zu haben, die sich z.B. mit dir an den Schneidetisch setzen, mit dir ans Buch gehen, und zwar von der Perspektive der Macher her, und nicht von der Produzentenseite. Ich hab auch bei “Lola” bestimmt drei Schnitte gesehen. Aber wir arbeiten schon jeder sehr für sich, und ich glaube, der Austausch kann noch besser werden… Aber ich weiß: Wenn ich ihn brauche, dann ist er da.

Revolver: Wer entscheidet denn, was überhaupt produziert wird? Gibt es Projekte, die ihr ablehnt?

Dani Levy: Von uns selber war die Bedingung, das wir kein Projekt von uns Gesellschaftern blockieren können. Also selbst wenn ich ein Projekt machen möchte, das Tom, Wolfgang und Stefan nicht gefällt – ich meine, ich finde es wichtig, auch zu hören, warum es ihnen nicht gefällt, und vielleicht überzeugen sie mich auch davon – aber wenn ich es trotzdem machen möchte, und es ist wirtschaftlich tragbar für die Firma, dann muß ich das Recht haben, dieses Projekt zu machen. Wichtig ist uns auch, die Produktionsbedingungen mitbestimmen zu können und dadurch mehr das Klima zu kreieren, das wir für ein bestimmtes Projekt brauchen.

Ein bißchen weiter in die Zukunft hinein gesprochen, gibt es natürlich die Sehnsucht von uns allen, eine “Familie” um uns zu gruppieren, also eigentlich so eine Art Heimat zu schaffen für Filmschaffende: Techniker, Cutter, Kameraleute, Schauspieler, daß es halt so eine Synergie gibt, von Leuten, die immer wieder mit uns arbeiten, mit denen wir gemeinsam wachsen können. Da gibt es sehr viele Spielmöglichkeiten. Bisher haben wir uns sehr bescheiden gehalten, und das find ich auch richtig. Wir wachsen sehr langsam, und wir sind schüchtern, und wir sind immer noch eine Firma mit extrem kleinen Overheadkosten, und ich glaube, daß das auch gut ist, daß wir nicht irgendwie diesen Größenwahn haben, innerhalb von drei Jahren auf 50 Leute hochgewachsen zu sein, um dann auf biegen und brechen Fernsehen produzieren zu müssen, damit überhaupt erstmal die ganzen laufenden Monatskosten reinkommen.

Stefan Arndt: Es ist natürlich belastend, wenn du gleich drei produzierst und nicht nur einen. Da bist du auch Freund, da geht es auch immer darum, ob die Wohnung gerade renoviert wird oder das Auto abgeschleppt wurde, und du bist natürlich schon so ein Gesamtpapa. Wie z.B. “gerade kein Geld auf’m Konto”, wo ein normaler Produzent sagt, tja Pech gehabt. Das ist bei uns halt irgendwie anders. Das ist für mich aber auch richtig. Dafür kriege ich ja auch totale Unterstützung, wenn ich mal irgendwo Schiß habe, oder nicht genau weiß, wie man mit was umgeht. Daß ich auch sagen kann, jetzt kommst du hier mal mit, ich fühle mich in dieser Verhandlung total unsicher. Und der traut sich garantiert nicht, mich so hart anzugehen, wenn das Talent dabei ist etc…

Ihr produziert ja jetzt zwei Erstlingsfilme: “Absolute Giganten” von Sebastian Schipper und “Cranberry Sauce” von Hendrik Handloegten. Habt ihr trotzdem vor, das Viererteam zu bleiben?

Tom Tykwer: Ja, ja, die Firma bleiben wir vier. Das ist schon kompliziert genug. Du darfst das nicht unterschätzen, das sind drei egozentrische, egomanische Typen, Regisseure müssen das ja sein, so aus einer bestimmten Perspektive heraus, die auch sehr hysterisch auf ihre Projekte orientiert sind, und ein Produzent, der diese drei irgendwie zusammenhalten muß. Ich glaube, da will ich nicht noch jemanden mit drin haben, es ist einfach genug Arbeit so zu viert.

Diese jungen Leute, die wir uns jetzt ranholen, sind ja wirklich Leute, die wir teilweise schon lange kennen und mit denen wir halt auch schon länger über Projekte reden. Mit Schipper habe ich auch schon zwei Filme gemacht, der ist ja Schauspieler gewesen vorher und hatte so kleine Rollen bei mir. Er ist ein super Typ, und ich betreue das Projekt jetzt eigentlich von Anfang an, das ist so mein Baby in der Firma, ich bin da sozusagen Creative Producer oder wie sich das dann nennt, werde auch viel am Set sein, komme grade wieder daher, werde auch die Second Unit machen und so’nen Kram.

Wolfgang Becker: Bestimmte Kriterien haben wir nicht, aber es ist natürlich immer so eine Grenze da, wenn ein gewisses Budget aufkommt. Wir unterschreiben ja für die Kollegen Bankbürgschaften in nicht unerheblicher Höhe und da muß dann natürlich irgendwann die Frage geklärt werden, ob der Film überhaupt eine kommerzielle Chance hat. Und ich glaube, das könnte sicher mal zu einem Punkt führen, wo jemand sagt, die Verantwortung trage ich nicht mit, ich glaube nicht so sehr an dieses Projekt.

Dani Levy: Ich bin der Meinung, eine Firma ist dann spannender, wenn vieles möglich ist. Wenn jetzt zum Beispiel Tom sagt, ich habe diesen oder jenen Regisseur getroffen, und das finde ich ein klasse Projekt, aber mir gefällt es nicht, und es kann aber trotzdem gemacht werden. Das gefällt mir besser. Und da gibt’s natürlich schon Projekte, wo wir uns heftig streiten. Aber es ist bisher meistens so gewesen, daß es entweder alle nicht mochten oder fast alle mochten. Bisher gab es, glaub ich, nur ein Projekt, wo wir ganz verschiedener Meinung waren. Und das wurde jetzt auch erstmal auf Eis gelegt. Wir haben einen super simplen Gesellschaftervertrag. Wir haben kein worst-case-szenario gemacht, aber wir waren da auch noch nie dran. Also ich finde, wir halten uns total gut! Bisher – selbst mit dem Erfolg von “Lola” – ist es noch nie so gewesen, daß einer völlig abbüchst, und irgendwie völlig in eine andere Richtung rennt. Wir sind alle wirklich erdige Typen, wir wissen, wieviel Arbeit es ist, wie schwierig es ist, wie zufällig ein Erfolg ist und wie unberechenbar das auf und ab einer Firma ist. Wir sind keine Träumer, und auch keine größenwahnsinnigen Idioten… Wir haben uns ja auch bei unserer Gründung lange mit den Leuten vom Filmverlag der Autoren unterhalten, vor allem mit Wim, auch mit Kluge, auch mit Straub, bei denen war es so, daß bestimmte Regisseure wie Fassbinder einfach ein Ding nach dem anderen gedreht haben, und sehr viel Geld in die Firma gebracht haben, während andere Leute Jahre lang nichts gedreht haben. Da gab es natürlich Konflikte. Aber wir hatten das bisher noch nicht. Klar, Tom ist wirklich der schnellste von uns, er dreht ja eigentlich jährlich einen Film, wird er auch weiter tun, aber trotzdem ist es überhaupt noch nicht auseinandergeklafft.

Stefan Arndt: Wir haben ja auch zweimal ganz gemein in die Kacke gelangt. Bei “Baustelle” und “Winterschläfer” haben wir einfach irrsinnig überzogen, und hatten dann eine schwere Zeit, das wieder hinzukriegen. Da haben wir schon gelernt, daß uns das nicht noch einmal passiert.

Dani Levy: Ich finde, den richtigen Hit haben wir noch nicht gemacht. Das mein ich gar nicht kommerziell, sondern für mich selber. Weder ich, noch die anderen. Ich hab das Gefühl, wir können echt noch wachsen. Und wir können noch bessere Filme drehen. Da bin ich ganz sicher.

MARIA

Ein Punkt, nach dem ich dich gerne mal fragen würde: Nach der Zusammenarbeit zwischen dir und Maria Schrader. Sie schreibt ja seit “Robby Kalle Paul” mit, und hat nur bei “Ohne mich” nicht mitgeschrieben… Ist sie jetzt mehr die Schauspielerin, die sozusagen ihr schauspielerisches Gedanken- und Gefühlsgut mit in den Topf schmeisst oder ist sie tatsächlich eine Co-Autorin?

Dani Levy: Sie ist eine richtige Co-Autorin, sie ist mehr, sie ist eine richtige Co-Macherin. Das ist natürlich gewachsen. Also bei “Robby Kalle Paul” haben wir uns ja grade im Laufe der ersten Drehbucharbeit verliebt. 1986. Bis wir den Film dann gedreht haben war 88, da waren wir dann zusammen. Wir haben das Drehbuch zu viert geschrieben, Maria und ich, meine Exfreundin Anja, mit der ich “Du mich auch” gemacht habe, und Anjas Vater. Maria hat dort die ersten Erfahrungen überhaupt mit Film gemacht. Sie kommt vom Theater, sie war in Wien an der Schauspielschule, und hatte außer einer kurzen Fernsehproduktion bis dahin nichts mit Film zu tun gehabt. Und nach “Robby Kalle Paul” haben wir angefangen, unser eigenes großes Projekt zu schreiben, und haben eigentlich über die Jahre, in denen wir an “Meschugge” gearbeitet haben, autodidaktisch so eine gemeinsame Drehbuchschule durchgemacht. Wir haben bestimmt sieben Fassungen geschrieben, und Maria war von der ersten Idee bis zum fertigen Buch eben nicht nur Co-Autorin, die du dann zu ner Session triffst, sondern auch Co-Kreatorin, also sie ist genau so gefühlsmäßig und von ganz innen heraus mitgestaltend gewesen. “Meschugge” war halt einfach ständig, zu gleichen Teilen unser… unser Kind. Also ein Film von uns beiden. Dieser Credit hätte eigentlich schon früher passieren sollen. Und ist auf Grund meiner Schlampigkeit oder Egomanie nicht passiert. Klar hab’ ich de facto die Rolle des Regisseurs immer mehr innegehabt als Maria, weil ich natürlich den ganzen filmischen Bereich, auch bei “Meschugge”, alleine gemacht habe. Auflösung, große Teile des Castings, Schnitt, wobei Maria schon dabei gesessen und immer wieder gekuckt hat. Diese Zusammenarbeit war viel enger, als die Arbeit mit Tom oder Wolfgang.

Worüber ich mich persönlich immer sehr wundere: Wo bleiben in der Filmbranche die Frauen?

Ja… also ich will jetzt auch nicht zu gesellschaftsphilosophisch werden, ich weiß nicht, womit es wirklich im Ursprung zusammenhängt, ich glaube zum Beispiel   daß Maria auf jeden Fall früher oder später eigene Filme machen wird. Ich glaube, das ist einfach eine Frage der Zeit… Ich hab das Gefühl, daß die Dominanz, die du brauchst, um dich durchzusetzen – also das ist eine reine Vermutung, das könnte auch wirklich bescheuert sein – daß Frauen einfach davor zurückschrecken, ihre Selbstzweifel und ihren natürlichen Verstand so weit zurückzustecken und etwas auf biegen und brechen behaupten zu müssen, damit das überhaupt stattfinden kann. Ich glaube, daß ich oft die Tendenz hatte, mehr promotional für Projekte zu reden, als Maria. Maria hat sich immer wohler damit gefühlt, bescheidener und durchlässiger aufzutreten und auch zu sagen, daß etwas nicht so gut ist und vielleicht nicht funktionieren wird. Während ich sozusagen die Mission der Überzeugung stärker gespielt habe, um das zu erreichen, was wir in der Sitzung erreichen wollten. Ich meine, das hat Maria natürlich auch gemacht, aber sie hat sich dabei unwohler gefühlt als ich.

DADADA

Stichwort Produzieren in Deutschland – siehst du da noch Mängel?

Dani Levy: Nee, ich finde, die Mittel sind eigentlich da. Es gibt gute Leute, die Stunts machen, gute Leute, die Specialeffects machen, es gibt einige doch ziemlich gute Ausstatter, es gibt sehr gute Kameraleute, die wirklich so gut sind wie die Kameraleute aus den USA, es gibt das gesamte Equipment, was man dafür braucht, das ist nicht das Problem. Das Problem ist das Innere. Ich finde, wir sind noch zu verschämt und zu verhärmt und verhärtet, um wirklich ehrlich etwas Wirkliches zu erzählen. Etwas echtes.

Tom Tykwer: Das größte Bein stellt man sich nur selbst. Sozusagen den Zugang zu den Stoffen zu finden, zu denen man wirklich etwas zu sagen hat, ist der viel größere Schritt, als dann nachher irgend eine Förderung zu bekommen. Das Problem ist halt: Es gibt kaum starke Stoffe, kaum starke Scripts, nicht, weil es keine Ideen gibt, sondern, weil sich keiner traut, sie wirklich zu Ende zu denken oder zu Ende zu entwickeln. Natürlich lieferst du dich mehr aus, wenn du an deine Substanz gehst, und bist nachher auch angreifbarer. Und wenn der Film schiefgeht, ist es natürlich viel verheerender. Wenn aber der Film gelingt, ist es eben genau das, was wir brauchen, ein Film, der bleibt und durch den du garantiert die nächsten drei Filme machen kannst. Das ist immer das Risiko, und wenige wählen das Risiko, das ist eigentlich unser einziges Problem. Also ich würde mal sagen, neunzig Prozent dessen, was man überhaupt noch als Problem bezeichnen kann.

Stefan Arndt: Es gibt schon ein paar Sachen, über die ich mir Sorgen mache. Aber grundsätzlich mußt du dir deine eigene Wirklichkeit immer selber schaffen. Dafür bewegen wir zuviel Geld und dafür mußt du dich davon abkapseln, was so an trauriger Realität um dich herum ist. Deshalb kuckst du, daß du die besten Leute kriegst und daß du die besten Bedingungen für deinen Regisseur schaffst. Das gelingt einem oft genug nicht. Aber da würde ich dann immer sagen, daß das erstmal unsere eigene Schuld ist, es nicht irgendwie hingekriegt zu haben.

Ein Problem ist, daß dieses Förderungssystem gerade so kaputt geredet wird, daß Leute sagen, sie brauchen überhaupt keine Förderung mehr, sie machen jetzt alles über Fonds. Ich finde, das ist total kurz gedacht. Die Produzentenlandschaft ist ja schon viel besser, als sie vor fünf oder zehn Jahren war. Da hat sich total viel getan. Aber sie könnte besser sein. Es macht keinen Sinn, im Moment, wo es einen kleinen Boom gibt, der noch nicht auf so festen Beinen steht – es ist ja auch eine Menge schief gegangen in letzter Zeit – daß man da sagt, jetzt stoßen wir sie aus der vollkommenen Subvention in die vollkommene Marktwirtschaft. Das wird nicht funktionieren. Da kommen vielleicht ein paar Otto-Filme raus oder “Werner, das muß kesseln”.

 

MODERN TALKING

Es gibt ja immer diese zwei Horizonte: Auf der einen Seite wie Hitchcock Filme zu “bauen”, so daß der Film nur funktioniert, wenn ich exekutiere, was ich mir ausgedacht habe. Oder eben die Methode, sich wie Mike Leigh drei Wochen oder drei Monate mit Schauspielern einsperren. Du fühlst dich eher zu dem Hitchcock-Horizont gezogen?

Tom Tykwer: Nee, ich versuche eigentlich beides zu verheiraten, das ist mein Ansatz. Was ich machen will, ist wirklich beide Ebenen maximal herauszufordern und zu bedienen, also auf beiden Ebenen ein Maximum zu erreichen, einen maximal ästhetischen, risikofreudigen, experimentierfreudigen und innovativen Film zu machen, der trotzdem nicht ein Prozent der Autentizität der Menschen wegnimmt und der wirklich etwas über Menschen herausfindet, das substantiell ist. Ein Film, der sich dafür auch die Zeit nimmt und deswegen nie zugunsten irgend einer formalen Idee bestimmte emotionale Möglichkeiten vernachlässigt. Deswegen ist auch Lars von Trier so großartig, weil er wirklich beides macht. Eigentlich ist “Breaking the Waves” bisher der einzige Film, bei dem das wirklich perfekt zusammenging, weil er trotzdem auch den epischen Ansatz wagt. Es ist wie David Lean und John Cassavettes in einem Film, wo du denkst, das geht doch gar nicht, aber es geht halt doch. Die Idee vom Autoren eines Films ist für mich so begründet, daß ich sozusagen den Urheber erkenne und daß ich in den Film gehe, als würde ich einer Person begegnen. So sind die besten Filme ja die, die du gerne deshalb immer wieder siehst, weil es so ist, als würdest du einen alten Freund treffen, mit dem es immer wieder schön ist, sich zu unterhalten.

Ich bin wirklich über reine Lust und reine Sehnsucht zum Filmekucken und auch zum Filmemachen gekommen und will natürlich gleichzeitig die Chance nutzen, dabei etwas zu entdecken, etwas herauszufinden und herauszufiltern. Was mich primär dabei interessiert, ist etwas über Menschen zu erzählen, worüber ich mir selbst nicht sicher bin. “Winterschläfer” ist da ja ein deutlicher Ausdruck davon, daß ich ganz viele Fragen stelle, aber nur ganz wenige davon beantworten kann. Ich möchte Filme machen, die ein Angebot sind, die aber eben weitergehen, nachdem man das Kino verläßt.

KINOLÜGE

Tom Tykwer wurde neulich in der SZ mit dem Satz zitiert, jetzt sei der Zeitpunkt gekommen, zu dem “die neue Generation ein Spektrum an Filmen präsentieren kann, die wieder eine universelle Filmsprache sprechen.”

Hendrik Handloegten: Ich denke, seit ein paar Jahren gibt es einfach diese Verkrampfung nicht mehr, diese totale Verkrampfung, man müsse jetzt die Wahrheit sagen.

Also ich glaube, mit der Kinolüge – die ja eine ganz wunderbare Lüge ist, eine ganz unschuldige Lüge – mit dieser Lüge umzugehen, ist heutzutage wirklich einfacher. Es hat auch viel mit politischer Auseinandersetzung zu tun. Bei einem Film wie, sagen wir mal … “Armageddon” ist es völlig undenkbar, daß da nicht eine amerikanische Flagge rumhängt. Wenn du das in einem deutschen Film machst, da bist du gleich irgendwie ganz schnell rechts, Nazi. Und diese ganzen nationalen Symbole, die für einige Genres sehr wichtig sind, grade für so große Helden-Epen, Actionfilme halt… das ist immer noch das letzte Tabu.

Wie wärs denn mit einer europäischen Flagge…

Ist doch eine gute Idee! Willst du mal Actionfilme machen?

Klar Mann.

Dann hast du ja was zu tun, so Uniformen entwerfen, europäische Uniformen, so für die Eurocops, die viel geiler aussehen als die Amis.

Europa hat auch spitzenmäßige Ölarbeiter.

Ja. – In Norwegen.

Die Norweger retten den Planeten.

Da hast du nur das Problem mit der Europaflagge – kannst du überhaupt nicht benutzen.

Glaubst du, daß es so etwas gibt oder geben wird, wie einen europäischen Film?

Nee, nicht einen. Nicht den. Ich meine, das Spannende ist ja wirklich immer wieder, daß es weiterhin vollkommen vielfältig ist, und ich denke halt, bei aller Universalität der Filmsprache, über die wir vorhin gesprochen haben, bin ich absolut der Meinung, daß europäische Filme, je lokaler sie sind, desto überzeugender können sie sein.

Vielfalt als Qualitätsmerkmal.

Genau.

 

NICHT WISSEN

Sebastian Schipper: Eine Sache, die mir sehr wichtig ist, ist das Nichtwissen um Dinge. Keine Ahnung haben von etwas, ist für mich ein Moment, den man auch beim Regieführen, wo es ja dauernd darum geht, Ahnung zu haben – vom Stoff, was sollen die Schauspieler machen, wie soll das aussehen – daß man nicht vergessen sollte, daß das ein unglaublicher Quell von Kraft und Vision ist, auch um Dinge nicht zu wissen. Nur so entsteht doch Neugier. Ich merke immer mehr, wie wichtig die Momente sind, in denen du nach was suchst, nach dem kleinen Teilchen, das fehlt, und du weißt wahrscheinlich nicht mal, wie es überhaupt aussieht, wieviel kreative Energie darin steckt. Wenn man sich eingesteht, daß man ein Problem hat. Auch beim Drehen. Plötzlich entdeckst du was oder es entsteht etwas, worauf du vorher nie gekommen wärst. Was sich aus diesem Moment und der Zusammenarbeit mit dem Team ergibt.

Ich gehe auf diese Art immer ein bißchen mit der Filmgeschichte um. Ich finde diesen Zwang, sich auskennen zu müssen, sehr anstrengend. Die Frage nach der filmgeschichtlichen Bedeutung eines Filmes ist natürlich wichtig und interessant, aber ich habe da immer Angst, daß mir das den Kopf zukittet.

Ich finde dieses Wasserdichte so doof. Wenn ich jetzt wirklich… also voller Inbrunnst kann ich dir sagen, daß einer der wichtigsten Filme, die ich je gesehen habe, “Vorstadtkrokodile” ist. Kennst du den? (lacht) Der hat mich total umgehauen, als ich meinetwegen elf war.

Zum deutschen Film hast du vorher noch gefragt, was der ist, hey, keine Ahnung. Was ist Liebe, was ist der deutsche Film… Mich interessiert die Frage viel mehr, was er sein müßte. Immer wieder erstaunlich die Bezeichnung “der deutsche Film nach 45”… Klar gibt’s nur einen: es gibt nur Fassbinder. So ganz emotional und unreflektiert, aber dafür vielleicht auch ziemlich präzise: weil er der Einzige ist, der deutsche Filme gemacht hat. Und zwar viele, und vehement und unerbittlich das, was er gesehen hat. Die ganzen andern waren ja irgendwann ganz schnell Internationalisten geworden. Herzog, Wenders, klar, “Himmel über Berlin”, aber da spielt dann halt Columbo mit… Also Fassbinder ist jedenfalls der einzige, den ich als so ein Phänomen empfinde… Nicht, daß ich alle seine Filme toll finde, im Gegenteil, das ist so ein klassisches Beispiel, wo du drin sitzt und denkst, oh Mann, Alter, was ist das denn für ein Film, Mann ist das anstrengend, und trotzdem, den Film vergißt du nie.

Aber das wird so schnell politisch und ganz großartig. Naja … es gibt ja noch andere deutsche Werte außer fleißig sein, pünktlich sein und ‘ne gute Grätsche beim Fußball zustande zu bringen … Ich würde mich zum Beispiel wahnsinnig danach sehnen, nach Phänomenen wie Sturm und Drang, und Romantik, und all das, wofür eben nicht nur Goethe und Schiller standen, sondern auch Büchner und Heine, und dieser total durchgeknallte Hölderlin, das ist urdeutsch! Für mich sind die Jungs absolute Giganten, das sind total Durchgedrehte, das ist alles und volle Pulle, und voller Schweiß und Illusionen, und Utopien, voller Sehnsucht nach dem größten Leben, das es überhaupt auf dieser Welt geben kann. Das alles steckt in den Werken von denen. Und die Faschos haben das eben mißbraucht, für das Furchtbarste, was Menschen Menschen vielleicht jemals angetan haben. Aber ich glaube, es führt kein Weg darum herum. Es geht auch nicht immer nur darum, lieb und ungefährlich zu sein oder irrsinnig intellektuell. Es geht einfach auch mal darum, volle Pulle aus der Hose zu kommen. Und ich glaube, daß davor eine irrsinnige Angst herrscht. Und das ist für mich auch ein Erbe der 68er. Einen Standpunkt darfst du nur vertreten, wenn du ihn wirklich aber sowas von wasserdicht hinterfüttern kannst mit Geschichte, und mit reflektiven, messerscharfen Argumenten… Und was du vorhin auch gesagt hast, es ist teilweise sehr hemmend, daß man einen bestimmten Rahmen nicht verlassen kann. So nach der Devise, laßt uns nirgendwo hingehen, wo nicht immer ganz genau unser Kopf auch auf uns aufpassen kann. Das ist bestimmt auch ein deutscher Wesenszug, aber es ist eben auch ein deutscher Wesenszug, gerade da hin zu gehen, wo der Kopf irgendwie explodiert oder nur noch Sachen raushaut, die ungeheuerlich sind. Und eines von denen war vielleicht auch der Faschismus.

Als ich noch die Young-Angry-Man-Phase hatte und was zu meinem Film schreiben sollte, da habe ich auch ganz viel über Film in Deutschland und so geschrieben, und dann hat mir Stefan irgendwann gesagt, sei mal lieber vorsichtig, und da hat er auch recht. Aber da hab ich mal gesagt, einen guten Witz kann man nur unerbittlich erzählen, ohne Rücksicht darauf, ob nachher jemand lacht. Und ich glaube, daß der deutsche Film mehr von solchen Witzen vertragen könnte.

 

MEHR ODER WENIGER

Hendrik Handloegten: Die Zukunft des deutschen Films wäre für mich Glaubwürdigkeit. Und auch einfach nicht eine so verzärtelte Art und Weise, an die Dinge ran zu gehen. Blöße! Wann gibt sich denn irgend jemand mal Blöße im deutschen Film, wo du merkst, ja, was der Schauspieler da macht, das kommt von irgendwoher, und das hat schon mal jemand genau so erlebt. Wo so ein Gefühl von Wahrhaftigkeit entsteht. Ich muß immer wieder dran denken, obwohl das jetzt schon Jahre her ist. Diese Szene in “Bad Lieutenant”, wo Harvey Keitel vor dem Altar rumkriecht, was völlig überhöht ist, und er dann irgendwie hochkuckt, Jesus sieht, der schlußendlich dann eine schwarze Frau ist, da hatte ich so das Gefühl, da gibt sich jemand eine Blöße, der öffnet sich total.

Wer in diesem Fall: Der Schauspieler oder der Regisseur?

Ich würde sagen, erstmal Ferrara, und dann Keitel.

Stefan Arndt: Für Deutschland geht es einfach darum, so einen Begriff von Filmkunst wiederzufinden, der ja eine ganze Weile ziemlich verwaist war . Also gerade ihr mit euren Münchener Tendenzen.

Was würdest du als “Münchener Tendenzen” beschreiben?

Na ja, halt einfach eine formale Stärke, mit einer… (zögert) – das wird ja zitiert werden (lacht) – na ja ich wundere mich schon, wie man so viel Arbeit in Filme stecken kann, und dann so wenig Inhalt hat.

Ich merke halt dadurch, daß ich ziemlich viel an der DFFB und auch in Ludwigsburg bin, daß mir einfach die Filme besser gefallen, die vielleicht handwerklich nicht so perfekt gemacht sind, weil es zum Beispiel eben noch Schülerfilme sind, die einen dafür dann aber emotional einfach so umhauen. Also dieser “Plus Minus Null” zum Beispiel, von Eoin Moore, der liegt auf der X-Filme Latte ganz schön hoch. Da kannst du die Millionenbudgets wegwerfen, der hat für 60 000 Mark einen Film gemacht, der einfach Spitze ist.

Dani Levy: Wenders, Kluge, Schlöndorff, Herzog … Ich finde die haben tolle Filme gemacht, muß ich echt sagen. Da müssen wir erstmal wieder hinkommen, wo die waren. Es stimmt schon, das Publikum ist dann etwas ausgedünnt, aber auch nicht nur, der Wenders hat ein paar saftige Erfolge gehabt, das hat noch niemand geschafft von uns, niemand! “Himmel über Berlin” ist weltweit gelaufen, “Paris, Texas”, Erfolge, wie wir sie uns gar nicht vorstellen können. Da ist “Lola” nichts gegen. Ich bin da überhaupt nicht mit allen Filmen einverstanden, aber die haben sich wirklich um viele Sachen sehr intensiv gekümmert, und die sind auch heute noch gute Kollegen. So jemand wie Schlöndorff, der sich mit einer ganzen Crew aus Babelsberg “Meschugge” ankuckt und mir dann echt einen Brief schreibt, wie toll er den Film fand. Die haben noch so einen Austausch … das vermisse ich oft unter den jungen Kollegen. Früher ging das irgendwie automatisch, daß Regisseure als Kollegen Kontakt hatten. Ich zähle mich schon auch zu den jungen Regisseuren, aber so richtig distanzieren, so von wegen was wir besser machen müssen … Ich finde, wir müssen es erstmal wieder schaffen, wirklich eigene, persönliche, kompromißlose Filme zu machen, ohne automatisch immer gleich drei Millionen Zuschauer machen zu müssen. Und wenn es natürlich zusammen kommt, wie bei “Lola”, daß der Film wirklich eigenwillig ist und trotzdem so kommerziell, das ist echt ein seltenes Beispiel. Aber Filme, die einfach auf ein Massenpublikum zugeschnitten sind und entsprechend auch nichts wirklich erzählen, und dadurch riesig erfolgreich werden, imponieren mir weniger, als die Filme der Alten.

Also wenn ich frage, was würdest du besser machen als die Alten, dann würdest du sagen, es gibt gar nicht unbedingt dieses Problem, diese Notwendigkeit.

Ich bin der Meinung, die Kritik verschont die totale Banalität, und tut so, als wäre es nicht so wichtig, wie wirklich so die absolut abgeschmackten Remakegeschichten wie “Eisbär” und “Knocking” und was weiß ich, die ich wirklich echt nicht gelungen finde, die werden super verschont, da zählt einfach Star und Erfolg. Und da, wo ein echter inhaltlicher kreativer Druck da ist, da wird drauf gehauen bis zum abwinken. Viele Kritiker haben nichts kapiert hier, find ich wirklich. Ich meine, es gab schon Leute, die haben Wenders auch verteidigt, muß man echt sagen. Aber vor allem die Kritik ist noch mehr verflacht als die Filme.

GEGENÜBER

Was findest du, könnte, sollte Filmkritik leisten? Das ist so eine Frage, die ich neulich einigen Filmkritikern gestellt habe und alle haben keine große Vision mehr gehabt.

Tom Tykwer: Das nervt mich unglaublich übrigens, also das finde ich total frustrierend. Ihr seid auch eigentlich Macher oder werdende Macher. Das ist ganz interessant, daß wirklich die vitalste und interessanteste Filmzeitschrift ausgerechnet aus der Macherecke kommt. Das finde ich total bezeichnend. Ich meine, es gibt immer noch Leute, an die ich wirklich glaube und die auch wirklich gut schreiben, aber ich merke auch, wie die auf so einem einsamen Bötchen sitzen und irgendwie so sehen, wo überall schon Löcher in dem Boot drin sind und wie das langsam am untergehen ist, weil da so ein idiotischer Graben entstanden ist zwischen uns und denen.

Wir sitzen im selben Boot, nur meinetwegen auf zwei verschiedenen Seiten, aber wir müssen unbedingt wieder in die Kommunikation einsteigen. Wir müssen intellektuell wieder zu Standpunkten geraten und uns überhaupt intellektuell wieder herausgefordert fühlen, auch von einem Gegenüber, also wir Filmemacher ganz konkret, aber auch die Theoretiker und die Kritiker, als das, was sie sind, nämlich als diejenigen, die unsere Filme möglicherweise für viele Menschen erst erfahrbar machen. Daß jemanden an einen Film heranzuführen fast genauso notwendig ist, wie den Film überhaupt zu machen. Das Problem ist, wenn man diese Wertigkeit nicht anerkennt, schreibt man Texte, die das auch nicht mehr leisten, weil man dann überhaupt nicht mehr das Feuer dafür hat. Und wenn dieser Zynismus in die Kritiken reinkommt, dann laufe ich Amok. Leute, die ihre Texte mit einer Haltung schreiben, die sagt: ist doch sowieso egal, was ich schreibe, denen kann ich nur sagen: geht sofort und macht bitte einen anderen Job, denn ihr zerstört das, was wir machen. Man arbeitet sich zwei, drei Jahre an irgendwas wirklich die Finger wund, gibt alles, und es kann ja Scheiße sein, aber du brauchst den Respekt, daß du es versucht hast, und das muß in dem Text drinstecken. Ich akzeptiere jeden Verriß, der anerkennt, was mein Versuch war und der meinetwegen sagt, es ist alles mies und alles mißlungen oder so und das meinetwegen irgendwie begründet, aber ich will gesehen werden, ich will niemanden haben, der sagt, es ist sowieso egal, was ich schreibe, auch egal, was ich sehe, und dann in diesen Subjektivismus übergeht, zu sagen, ach das hat mich jetzt gelangweilt. Welchen Idioten auf der Welt interessiert, ob sich Herr Meier aus sonstwo gelangweilt hat im Kino. Was interessiert ist: Warum! Natürlich kann ein Film langweilig sein, aber ich will erfahren, warum. Ich lese so oft Kritiken über Filme, die einfach nur dazu da sind, den Leuten zu sagen, geht da rein oder geht da nicht rein, anstatt überhaupt erstmal die Augen zu öffnen, was ist der Kosmos des Filmes und was ist möglich in Filmen und was kann Film eigentlich sein, und irgendwie dem Leser die Wahl zu lassen, sich mit einem Text wie mit einer Möglichkeit auseinanderzusetzen und nicht wie mit einem Urteil.

Was ich herausfordere, ist, daß der Diskurs wieder angeheizt wird, daß wir uns mehr streiten, daß wir darüber reden, und das eben nicht nur weil ich gerade einen neuen Film gemacht habe, das ist auch immer blöd, weil man seinen Film verkaufen muß. Es muß auf unabhängigen Foren passieren, so wie wir jetzt halt auch nicht so viel über “Lola” reden, sondern über Film, und Gedanken über Filme austauschen. Du siehst es einfach in Frankreich, auch in Italien noch, da sitzen die noch viel, viel mehr an einem Tisch und streiten sich unheimlich viel, und es ist ja überhaupt nicht so, daß die französischen Filmkritiker jetzt irgendwie ständig ihre Filmemacher loben oder so. Die sind auch sehr hart miteinander, aber immer eben auf einem bestimmten Niveau, daß den Respekt bewahrt und man herausgefordert bleibt, den anderen zu überzeugen oder eben auch mal was zuzulassen an Kritik. Das fällt einem hier natürlich viel schwerer, weil man ständig das Gefühl hat, es gibt nur irgendwelche verhaltensgestörte, zurückgezogene, verklemmte, eigentlich vollkommen diskursunfähige Miesepeter, die einem nur Giftpfeile rüberschmeißen.

Oder auf der anderen Seite eben die Serviceleute, die nur sagen, dieser Film handelt von … und eine Inhaltsangabe drucken.

Ja oder die sich dranhängen an irgendwelche PR-Kampagnen. Die meisten Kritiker, die bei mir anfangen rumzuheulen, sagen nur, daß es doch eh egal ist, weil doch der Verleih inzwischen bestimmt, wieviel Platz die Artikel in den Zeitungen bekommen und so. Das ist eine derartige Verkennung der Situation. Es ist nur die Frage, wie stark man sich für bestimmte Sachen macht und wie sehr man dafür kämpft, daß man diesen Platz auch bekommt. Daß es eine Informationspflicht über solche Filme wie “Armageddon” und “Godzilla” gibt, das möchte ich gerne mal irgendwo schriftlich sehen. Es gibt sie nicht, es ist eine freie Entscheidung. Natürlich kommen Chefredaktionen und verurteilen irgendwelche Redakteure oder Schreiber dazu, dann über so einen Quatsch noch was zu schreiben, weil der Film jetzt ein Event ist… Dann schlägt man eine Filmzeitschrift auf und sieht, daß der Film “Godzilla” auf zehn Seiten besprochen wird und irgendein französischer Autorenfilm in einer Spalte. Und trotzdem finden sie “Godzilla” Scheiße, auf zehn Seiten wird gesagt, der Film ist Scheiße, und der französische Film ist super, aber das Verhältnis wird nicht umgekehrt. Das ist ein Kampf, den man führen muß , denn daß über “Godzilla” und “Armageddon”, darüber braucht man sich keine Sorgen zu machen. Aber wie soll ich meine Arbeit relativieren, wenn sich mir niemand gegenüber setzt und sagt, laß uns mal generell über Filme und das Filmemachen diskutieren. Darüber, wie die Zukunft des Kinos aussehen kann.

KOPF UND KRAGEN

Hendrik Handloegten: Was ich bei “Plus Minus Null” total spannend finde, ist die Art und Weise, wie Eoin da vorgegangen ist mit dem Buch. Also im Grunde genommen hatte er nur eine Skizze und hat dann gesagt: Mit diesen Leuten will ich das machen. Um nochmal auf Wahrhaftigkeit und Glaubwürdigkeit zurückzukommen: Das ist natürlich eine Arbeitsweise, mit der man einen ganz anderen Grad an Glaubwürdigkeit erreichen kann, als wenn man mit einem fertigen Buch den Leuten sagt, so muß es sein. Ich finde diese Herangehensweise wirklich spannend.

Ich gehe da gerade vollkommen anders vor, seit anderthalb Jahren bin ich mit dem Drehbuchschreiben beschäftigt. Ich habe zwei Kurzfilme geschrieben und jetzt eben “Cranberry Sauce” und als nächstes kommt “Kirnbacher Kreuz”. Ich war also die ganze Zeit nur am Schreiben und habe gemerkt, wieviel man da lernen kann. Und gerade bin ich ein totaler Fan davon, ein Drehbuch ganz altmodisch zu schreiben, es immer wieder umzuschreiben und daran zu feilen. Das ist etwas, was man nicht lernt, wenn man Kurzfilme macht.

Stefan Arndt: Wenn ich ins Kino gehe oder auf ein Festival, möchte ich wirklich kompromißlose Geschichten sehen. Ich möchte genau sehen, was die Leute wirklich interessiert. Also grade wenn man eben dann sagt, vielleicht arbeitet man zusammen. Klar, das läßt sich leicht so sagen, “eine kompromißlose Geschichte über echte Menschen”… Aber grade wenn du jetzt schon sagst, wir seien fett im Geschäft – ich komme mir gar nicht so fett im Geschäft vor, aber OK – dann möchte ich von jemandem, der nicht so fett drin ist, etwas über das nicht so fette Leben sehen! Ich war gestern bei C&A und hab mir einen Smoking gekauft für die scheiß Europäische Filmpreisverleihung, aber ich kauf mir einen Smoking für 250.- DM und geh zu C&A, und kauf mir nicht den für Zwounhalbtausend. Weil ich mir den nicht leisten kann. Und es ist schon irre, wenn du dann da auf einmal bei C&A stehst, das ist eine Welt, in die ich zur Zeit wenig komme… und da denk ich mir, oh, ich will eigentlich Geschichten über diese Leute, die da einkaufen, sehen. Ich versteh es irgendwie nicht, warum ich mir immer Geschichten aus schönen Wohnungen, aus schönen Häusern, schönen Umgebungen ankucken muß, und doch genau weiß, derjenige, der den Film gemacht hat, der jobbt bei McDonalds oder arbeitet als Lichtfahrer bei irgendeiner Produktion oder sowas. Das müssen doch andere Geschichten sein!

Auf der anderen Seite weiß ich auch, daß solche Geschichten nicht so einfach zu entwickeln sind, und deswegen denken wir darüber nach, über so ein Assoziationsmodell. Das wäre, glaube ich, die einzige Möglichkeit, wo man sich eine inhaltliche Unabhängigkeit und wirtschaftliche Vernunft retten kann. Man sagt, OK, da ist jemand, der will seinen ersten Film machen, der hat sich wiederum jemanden gesucht, der Produktion machen will, die beiden sind ein Team, also dieser Produzent steht eben auch für die Inhalte und daß sie möglichst gut umgesetzt werden, und der Regisseur steht dafür, daß er das eben so gut wie möglich über die Bühne kriegt, die könnten zum Beispiel assoziiert zu uns arbeiten. Ich könnte viel mehr Projekte finanzieren als ich tue, weil mehr als zwei drei Filme pro Jahr, die dann wirklich gedreht werden, kann ich überhaupt nicht betreuen. Wenn ich bei “Baustelle” wirklich Wochen und Monate lang immer noch nachts zu Wolfgang in den Schneideraum gehe, weil wir keinen Cutterassistenten und keinen Cutter mehr bezahlen können, und ich dann irgendwie mit ihm zusammen irgendwelche Röllchen suche, weil der Schnitt noch nicht fertig war, aber einfach kein Geld mehr da ist, das kann ich bei zwei Filmen pro Jahr machen, aber nicht bei 50. Vor allem werden die dann nicht gut. Und so könnte ich mir schon vorstellen, daß sich da was entwickelt. Aber das ist natürlich auch so… da muß man sich durchbeißen. Nicht halt so schnell sagen, ich bin Regisseur, und ich will jetzt hier irgendwie entdeckt werden… ich weiß nicht, wie oft Dani verhaftet wurde beim Plakatieren für seine Filme, die er auch noch selber geschrieben und produziert hat usw. Das haben die sich alles schon hart erkämpft.

MUND ZU

Was ich dich schon immer mal fragen wollte: Wieso spielst du in deinen Filmen mit?

Dani Levy: Offensichtlich macht es Spaß. Ich gehe da nach dem Lustprinzip vor. Es ist ein Traum, eine Sehnsucht, das zu tun und ich glaube, ich bin, trotz aller Rückschläge – und ich bin nun wirklich jemand, der genug auf den Deckel kriegt, gerade dafür – so erfüllt von dem, was ich mache, weil mache, wonach ich mich sehne. Selbst wenn es falsch sein sollte.

Es ist ja auch wahr, daß man seine Energie spaltet und daß man als Regisseur weniger verfügbar ist, wenn man selber spielt. Und da hilft auch eine Videoausspiegelung nur sehr begrenzt, weil man sich natürlich nicht jeden einzelnen Take noch mal ankucken kann. Tatsache ist, daß auch den Schauspielern, die mit dir spielen, eine Kontrollinstanz fehlt. Da ist plötzlich der Papa nicht da. Der Stuhl vor dem Monitor ist leer. Es gibt zwar einen Kameramann, aber keinen Regisseur. Das ist ungewohnt.

Was ist für dich ein guter Schauspieler? Gibt es da überhaupt Maßstäbe?

Da gibt es einerseits das Kriterium Echtheit und Ehrlichkeit. Aber es gibt in Deutschland ein anderes Schauspielverständnis als das Schauspielverständnis, das ich habe. Wenn die Leute das Gefühl haben, daß der Schauspieler sich selber spielt, glauben sie, er spielt nicht richtig. Oder anders gesagt, Götz George ist die Leitfigur, weil man immer sieht, wie er spielt. Er ist ein Techniker, er ist ein virtuoser Techniker. Handwerker. Ein sehr, sehr versierter Pianist. Er hat viel geübt, hat viel auf dem Kasten, er ist ein echter Arbeiter, er ist leidenschaftlich, aber er spielt. Er organisiert alles, er ist ein Controllfreak, über sich selber auch. Das mögen viele Leute, grade hier in Deutschland. Das ist eine Art von Spiel, das hier sehr angesagt ist. Sehr theatralisch letztlich. Ich dagegen stehe auf Schauspieler, die fehlerhaft sind, die dafür persönlich und echt sind. Deswegen stehe ich auch auf Laien. Ich stehe auf den unmittelbaren Ausdruck, der vielleicht gar nicht so gekonnt ist, wie das Götz George machen würde, der aber dafür eine Menschlichkeit hat, und eine Wiedersprüchlichkeit, in der jeweiligen Situation, die oft nur Leute haben, die gar nicht so “gut” sein können, auf eine Art. Natürlich bin ich ein riesen Fan von Leuten, die Rollen spielen können, die nicht sie selber sind, man aber das Gefühl hat, sie sind es. Also da bin ich auf der amerikanischen Schauspiellinie, von Lee Strasberg beeinflußt – du bist die Rolle, du spielst sie nicht, du wirst sie. Deswegen hab ich auch so ein großes Problem mit deutschen Komödien, weil ich immer die Distanz zwischen dem Schauspieler und der Figur spüre. Ich habe immer das Gefühl, grade wenn die Komödien noch son bißchen doof sind, daß die Schauspieler mir in jeder Szene, oder sehr oft, auch bei ihrem Spiel, noch klar machen, daß sie es ja gar nicht so toll finden, was sie grade machen. Sie spielen immer noch eine Interpretation zur Figur. Und das mag ich nicht. Selbst in doofen Filmen aus Amerika hab ich oft das Gefühl, die spielen das so, als würde ihr Leben davon abhängen. Das finde ich toll. Das hat natürlich manchmal etwas extrem Größenwahnsinniges, aber eigentlich ist das die Richtung, die mich interessiert. Abgesehen davon gibt es gute Schauspieler, die ich einfach nicht … mag. Weil ich sie nicht mag.

Wo bist du denn da in diesem Spektrum, bist du der Profi oder eher der Laie?

Ich bin eindeutig eher der Laie, klar. Wenn ich ein anderes Bild hätte von Schauspielerei, würde ich selber nicht spielen.

Sebastian Schipper: Vom Schauspieler aus gesehen ist ein guter Regisseur jemand, der kapiert, daß es darum geht, etwas Wesentliches zu erarbeiten. Der eben nicht drauf glotzt, daß endlich das gemacht wird, was er sich vorher ausgedacht hat. Am Schreibtisch. Oder in anderen Filmen gesehen hat, noch viel schlimmer… Sondern der in der Lage ist zu sehen, was im Moment passiert. Möglichst frei. Und das ist ganz schwer. Wirklich zu kucken, was passiert grade. Und in dem ganzen abstürzenden Flugzeug, was die Drehsituation irgendwie immer ist… naja, auf allen Ebenen die Menschenliebe, und das Verständnis nicht zu verlieren. Und ich glaube, daß man die erst hat, wenn man mal für sich in irgendeiner Form verstanden hat, was für ein ungeheuerlicher, monströser Job es ist, Schauspieler zu sein. Wie unglaublich nackt, hilflos und ängstlich man ist. Und daß man sich nicht toll vorkommt. Schauspieler kommen sich nicht toll vor, wenn sie gut sind. Ich glaube, es gibt keinen Schauspieler, der nicht Angst hat vor der Kamera. Und daß man dieses Fiasko, was es immer wieder heißt, Schauspieler zu sein, daß man das respektiert. Einen Satz zu sagen kann manchmal das Schlimmste auf der Welt sein. Also ich vergleiche Schauspielen immer mit Elfmeterschießen: Das ist das Leichteste, was es gibt. Alle stehen herum und sagen, jetzt er soll einfach nur diesen Elfmeter reinschießen. Und es gibt nichts Schwierigeres, als einen Elfmeter zu schießen. Stell dir vor, es gäbe im Fußball immer einen, der immer nur reinkommt, um Elfmeter zu schießen. Den würden alle hassen, oder sie hätten zumindest ein wahnsinnig schwieriges Verhältnis zu ihm. Weil er immer nur kommt, um abzusahnen. Er schießt das Ding rein und dann jubelt er auch noch wie ein Schwein. Und alle Elf stehen daneben und denken, die alte Pottsau. So ähnlich ist die Situation für einen Schauspieler: Der kommt immer erst, wenn alles fertig ist, sagt einen Satz, und kriegt die dicke Sahne. Aber wie einsam es ist, in ein Team zu kommen, in dem dir eigentlich alle irgendwie merkwürdig gegenüberstehen… Ich glaube, ihr Jungregisseure müßt einfach alle mal spielen, und dieses Fiasko erleben. Ihr müßt einfach mal ein paar Elfer schießen.

Bei unserem letzten Dreh gab es eine Szene, in der die Darstellerin durch eine Tür kommen und sich umschauen sollte. Sie hat das dann mit geöffnetem Mund gespielt, nicht übertrieben, durchaus realistisch. Und dieser offene Mund, dieser Zentimeter, eigentlich nur eine Entspannung der Muskeln, wurde dem Regisseur plötzlich viel zu stark, vielleicht weil er mit der Kamera so nah dran war. Und er hat dann gesagt: Mund zu. Und die Schauspielerin ist fast an die Decke gegangen. Was das für eine Regieanweisung sei: Mund zu. Ich konnte sie da hundertprozentig verstehen, aber ihn auch.

Da verstehe ich auch beide gut, aber ich verstehe sie besser. Der Punkt ist, es geht nicht um den offenen Mund. Es geht um die Haltung. Es geht dem Regisseur darum, wofür der offene Mund steht. Vielleicht irgendwie für ein zu starkes Erstaunen. Oder einen zu starken Überdruß. Sie hätte vielleicht eine andere Motivation gebraucht. Es geht immer darum, den Schauspielern etwas Positives zu geben. Die Grundansage “Hör mal damit auf” ist irrsinnig schwierig für sie. Weil zum Aufhören sind sie nicht da. Sie sind da, um etwas von sich zu zeigen. Und Ansagen wie “Hör mal auf damit”, “Sei mal nicht so witzig”, oder “Hampel mal nicht so viel rum” – alle diese Dinge sind irrsinnig … spielverderberisch.

Sie ist eine Schauspielerin. Sie soll spielen. Du mußt sie also in Bewegung halten. Du kannst natürlich sagen, Mann, ist das alles immer anstrengend, warum muß ich mir immer was ausdenken, wieso kann ich nicht einfach sagen, wie es ist, zum Beispiel “mach den Mund zu.” Aber so ist es eben. Du mußt ihr einen Gedanken, irgendetwas geben, womit sie etwas anfangen kann. “Laß dir ganz viel Zeit” vielleicht, anstatt “Hampel nicht so viel rum”. Es ist eben was anderes, als “Mach mal heller”. Der Beleuchter macht die Lampe heller, aber die Schauspielerin arbeitet mit sich selber. “Mund zu” ist etwas anderes, als “Mach mal die Autotür zu, die stört das Bild”. Das ist nicht nur ein Wirbel im Hirn, sondern das, was uns im Film später fasziniert: Das Echte, Lebendige. Und wenn die Phantasie der Schauspielerin in dem Moment nicht lebt, weil sie das technisch löst, dann kommt sie in die Szene und hat vor allem den Mund zu. Und der Regisseur hat genauso wenig wie vorher.

Wolfgang Becker: Ricky Thomlinson spielt in “Baustelle” nur mit, weil ich in Deutschland niemanden gefunden habe, der in so einem Alter wirklich einen proletarischen Charakter so überzeugend repräsentieren kann. Das ist ein ganz anderes Problem, weil proletarische Menschen, Menschen proletarischer Herkunft, die auch sehr spät in den Schauspielerberuf einsteigen, die haben es ja hier sehr schwer. Die Schauspielschulen gehen alle auf Theater und da ist ja unsere Gesellschaft umgekehrt proportional vertreten. Während in der Gesellschaft nur jeder Zehnte großbürgerlich ist, sind auf den Schauspielschulen Neun von Zehn aus großbürgerlichen Verhältnissen. In England gibt es sowas wie die Arbeitertheater, die Arbeiterscetchtheater – da kommt er auch her. Jürgen Vogel und Richie Müller sind in Deutschland so (proletarische) Ausnahmen, eben weil die als sehr junge Leute entdeckt worden sind. Das sind die seltenen Fälle, die wir hier haben.

Sebastian Schipper: Schauspieler hören irgendwann auf, Sachen zu lernen. Also grade deutsche Filmschauspieler find ich. Die bewegen sich in der Welt der Taxis und der gemachten Betten und irgendwann fangen sie auch an, so zu spielen. Und dann kann man keine Geschichten mehr mit denen erzählen. Alle jammern, es gäbe keine guten Figuren. Ja, es muß mehr gute Figuren geben, aber verdammt und zugenäht, es muß auch mehr Schauspieler mit dem Willen geben, solche Figuren zu erarbeiten! So eine große Figur, die spielst du nicht mal eben so, weil du am Tag vorher mit einer Freundin gesprochen hast, die den Dialekt irgendwie kann. “Ja, wie sagt man das eigentlich bei euch? – Ah ja, alles klar”. Wo gibt es die, die wirklich ran gehen? Die sich wirklich fordern und sich selbst in Frage stellen?

Die Meisten haben ein bißchen was Gutes gemacht und sind “Stars” und dann werden sie schon wieder faul. Wo fangen die an, sich selber zu fordern? Das ist für mich die absolute Quintessenz, worüber man beim Filmemachen in Deutschland reden sollte: Weiterbildung von Schauspielern, die sich dafür entschieden haben, nur noch Filme zu machen.

Also ich wollte auch mit meinen Jungs ganz viel proben, wir haben auch viel geprobt, aber ich weiß, daß ich für meinen nächsten Film noch viel mehr mit denen arbeiten will, viel mehr von denen fordern will.

Kann man Schauspiel messen, gibt es da Maßstäbe?

Die Frage ist immer, schafft es ein Schauspieler, mich für seine Rolle zu interessieren. Und manche “Typen” sind so, daß man sich irrsinnig für sie interessiert, und man denkt, das würden sie dann im Film automatisch auch machen. Ich finde das immer so blöd: Wenn man sagt, der und der Typ war aber ätzend, den mochte ich nicht, dann sagen irgendwelche Leute, ja aber der sollte doch ätzend sein! Dann denk ich mir, das ist total unwichtig, ob er das sein sollte, solange er mich nicht interessiert. Oder: ”Das war irgendwie soein cooler Typ” – “Der sollte doch cool sein”. Aber cool und cool ist eben nicht das Gleiche. Cool im Leben und cool im Film sind manchmal zwei total gegensätzliche Dinge. Und die muß man total auseinanderhalten. Im Leben sind Sachen nur sie selbst. Und im Film fangen sie an zu bedeuten!

Method und andere Techniken basieren auf akribischer Vorarbeit… Gibt es da nicht möglicherweise das Problem, daß du zu viel im Kopf hast? Und wäre nicht die Alternative so ein “Brainwashing”…

Also leer wird man nur durch Arbeit, und nicht durch Nichtstun. Aber welche Wege man da wählt, ob man dann drei Monate Taxi fahren muß, das bleibt dahingestellt, aber man muß irgendwas tun. Man muß zusammen proben oder sich irgendwas anderes überlegen. Man braucht auch so viel Substanz, wenn man einen ganzen Film hindurch Sachen anbieten können will. Es ist gut, mal eine Sache getan zu haben, bevor man sie spielt! Absolut! Wenn deine Figur im Burger-Restaurant arbeitet, ja, geh hin und arbeite da, kucks dir an! Ich sage dir, Sachen, die du kannst, helfen dir als Schauspieler ungemein. Und wenn du gut Fritten braten kannst, das hilft dir für die Szene. Du brauchst nicht ne irrsinnige Poesie aufmachen, sondern die Poesie liegt darin, daß du das kannst. Wenn du reiten kannst, dann ist das gut, wenn du singen kannst, wenn du den Song kannst, wenn du den gottverdammten Text kannst, dann ist das gut! (lacht) Und wenn du in dem Film dies und jenes machen mußt, dann lern es vorher!

STARTER

Wie kam es zu der Zusammenarbeit mit X-Filme?

Hendrik Handloegten: Diese Produktion (“Cranberry Sauce”) entsteht im Auftrag des ZDF, also die Drehbuchförderung ging übers ZDF. Erstmal. Dann war da so die große Frage, zu welchem Produzenten gehe ich …. Also eines der großen Mankos der DFFB-Ausbildung der Regisseure ist, daß man von Produktion irgendwie sehr wenig mitkriegt. Und die einzigen Produzenten, die ich kannte, waren X-Filme, einfach deswegen, weil das so die besten Filme waren, die ich in der letzten Zeit gesehen hatte, und Stefan Arndt hat ja früher das Sputnik Kino gemacht, und Tom Tykwer das Kino Moviemento.. Und ich hab in meiner Zeit vor der DFFB das Eiszeit Kino gemacht, als Programm und Pressemensch. Das heißt, ich kannte die von früher, aus einem ganz anderen Zusammenhang, als wir noch Kino gemacht haben.

Ist ja auch interessant, daß die Leute, die früher Kino gemacht haben, sich jetzt da wieder finden, und jetzt die Filme selber machen.

“Cranberry Sauce” spielt 1980 in einer deutschen Kleinstadt. Es geht um jugendliche Wahrnehmung, um das Ende der Jugend anhand von zwei Brüdern, der 16jährige hat seine erste Freundin, und das geht daneben, und der 12jährige beschäftigt sich extrem mit den Beatles, und kommt dann da auf eine Spur, und entdeckt eine ziemlich große Verschwörung, die schlußendlich auch genau so ist, wie er es sich zusammendenkt. Also es ist eine Detektivgeschichte und eine Liebesgeschichte in einem. Es ist eine Wunschautobiographie. Wenn ich damals hätte entscheiden können, was als nächstes passiert, dann hätte ich das unheimlich gerne erlebt. Das heißt, ich gebe jetzt meinen damaligen Wünschen die Realität.

Hast du irgendwelche Genrevorlieben?

Ich hab früher Gangsterfilme geliebt, war irgendwie vollkommen gewaltversessen, und hab mich sozusagen bei meinen Kurzfilmen freigeschoßen. Die Gewalt kommt jetzt langsam wieder, find ich auch äußerst wichtig, gibt es selten, daß Gewalt so dargestellt wird, wie ich sie mir vorstelle, aus dem Nichts, einfach so, zack ist sie da, ist sie weg, ohne Erklärung…

Wieso findest du das wichtig?

Weil das auch fehlt. Seh’ ich selten.

Du denkst dabei an Unterhaltung.

Naja, ich meine, überleg mal: Wovor haben die Leute Angst. Früher war es vielleicht so “Das Böse”. Davor hatten sie Angst, und haben durch Religion halt versucht, das irgendwie rauszuhalten, aus ihrem Leben. Das verschwindet immer mehr, und ich glaube, daß heute, wenn man so von Angst spricht, was ja fürs Filmemachen unheimlich wichtig ist: Wovor hat das Publikum Angst, wie mach ich denen Angst. Ich glaube, das hat sehr viel mit Gewalt zu tun. Mit wirklich so einer rein physischen, so aus dem Nichts… Vorgestern explodierte hier dieses Haus, in Steglitz, so mit eine der mittelständigsten Gegenden überhaupt in Berlin. So! Ohne Erklärung.

“Cranberry Sauce” ist dein Abschlußfilm, was passiert, wenn der fertig ist?

Dann mach ich den nächsten. Wir wollen beiderseits die Zusammenarbeit fortsetzen, X-Filme und ich. Ich habe schon ein Exposé geschrieben, das haben sie schon gelesen, und finden das auch wieder gut und wollen das machen. Die Geschichte heißt “Kirnbacher Kreuz”, spielt heutzutage auf dem Dorf, und ist eine große, tragische Liebesgeschichte mit… Also es spielt bei Jugendlichen heute, es geht um große Liebe, es geht um die große Katastrophe, Gewalt, und all solche Sachen. Schicksal.

Sebastian Schipper: Ich habe ja Tom kennengelernt, weil ich Schauspieler bin, und bei Winterschläfer mitgespielt habe, da habe ich den Wirt gespielt… diesen Wirt, der dann so ein Theaterstück inszenieren will, das dann total in die Hose geht. In der Kneipe, wo die immer sind. Die grüne Frau, Marie-Lou Sellem ist dafür verantwortlich, daß wir heute hier sitzen! Mit der grünen Frau habe ich mich während des Drehs angefreundet, und hab ihr dann so erzählt, ja, ich will auch Filme machen, und plane meinen nächsten Kurzfilm… “Sag Tykwer das doch!” hat sie gesagt, und ich “ja komm, ich hab hier fünf Drehtage, da geh ich doch nicht zu Tykwer und sag (mimt die Dumpfbacke): Ich mach übrigens auch Filme…” (lacht) Und dann hat sie aber – typisch, muß natürlich ne Frau kommen… Dann ist sie zu Tom gegangen und hat gesagt, ey, Tom, Schipper will auch Filme machen. Aber er traut sich nicht, dich zu fragen. Und dann hat Tom mich angerufen und gesagt: ey, ich bin nächste Woche in München, laß uns treffen, und dann haben wir uns getroffen, das war ziemlich genau der 28. Oktober vor zwei Jahren, Zwei Jahre! Und dann hab ich ihm ganz ganz ausführlich meinen nächsten Kurzfilm erzählt, und er hat gesagt, ja, mach den (lacht), und dann wollte ich ihm diese lange Geschichte erzählen, “Absolute Giganten”, da hat er gesagt: Ich kann nicht mehr… (lacht) Schreib die auf. – Weil Tom halt echt irgendwie der größte Rocker ist – hat er gesagt: schreib das Drehbuch, ich will das am ersten Januar haben. Und: X-Filme wird das auf keinen Fall machen, wir haben im Moment genug damit zu tun, unsere eigenen Filme zu machen, aber schreib das auf. Und dann hat er den entscheidenden Satz gesagt: Wenn du ein gutes Buch schreibst, dann wird der Film auch gemacht. Es gibt keine guten Bücher, die nicht gemacht werden. Also wir werden das nicht machen, aber du wirst jemanden finden. Und mit einmal fiel dieses ganze “ich muß die richtigen Leute treffen” und “ich krieg nicht den Fuß in die Tür” und “keiner versteht mich” und “keiner kapiert wirklich, was für tolle Filme man eigentlich machen könnte” fiel so ab, und es war mit einmal nur noch: “Wenn das Buch gut wird, wird es auch gemacht.” Und das war irgendwie irrsinnig geil. Und dann hab ich das Buch wirklich in 10 Tagen geschrieben. Ich kannte die Geschichte seit vier Jahren, das hat sich da wirklich so rausergoßen. Ich habe sogar tagsüber noch gedreht, so eine Fernsehsache, und hab mich während des Drehs immer total drauf gefreut, abends wieder zu schreiben. Also auch diese vermeintliche Behinderung, du hast gar nicht genug Zeit, aber freust dich total drauf, wie auf deine Legokiste, die du neu hast, nach Hause zu kommen, und sofort weiter zu machen. Naja, und dann hab ich ihm das zugeschickt, und dann hat er mich Silvester angerufen, viel zu spät der alte Sack, weil ich hab ihm das irgendwie drei Wochen später zugeschickt… Er hat sich gemeldet, und dann noch mal zwei Wochen später hat Stefan Arndt sich gemeldet, wo ich erst gar nicht wußte, wer das ist, der da so anrief: “Ja, ich hab dein Buch gelesen, und bin bis nachts um eins wach geblieben um es zu Ende zu lesen, das passiert mir sonst nie…” Und ich hab gedacht, ach, wie nett, klang auch so jung, ist bestimmt irgend ein Praktikant. (lacht) Dann hab ich mir dieses ganze Lob so irgendwie angehört, und irgendwann gefragt, was machst denn du bei X-Filme… Ja, ich bin der Produzent… Da hatte ich so das Gefühl, boah.

Die Gespräche führten: Benjamin Heisenberg und Christoph Hochhäusler mit Wolfgang Becker und Tom Tykwer (München 04.08.98, Bearbeitung: Jens Börner), und Sebastian Kutzli mit Hendrik Handloegten (Berlin 07.08.98), Sebastian Schipper (Hamburg 05.11.98), Dani Levy und Stefan Arndt (Berlin 10./11.11.98).

Montage: Sebastian Kutzli

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