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Wortwechsel in der Kneipe

Hanna, Raab und seine Frau sitzen am Tisch.

Hanna: Ich geh da nicht mehr hin zu diesen Einladungen.
Frau Raab: Warum nicht?
Hanna: Weils mir stinkt. Da sitzen sie dann alle, die reifen Frauen, und dann gibts Fotos von den Kindern. Damit man sieht, daß sie auch was haben und …
Frau Raab: Wann warst denn zuletzt da?
Hanna: Vorige Weihnachten.
Raab: Und was haben Sie so dagegen, Hanna?
Hanna: Nichts. Es langweilt mich ein bißchen.
Frau Raab: Du meinst, wir sind jetzt auch so … (sie lacht verlegen).
Hanna: Nein, das glaub ich nicht.
Frau Raab: Tja, ich mein, bei uns ist zwar alles geregelt und so. Aber ich glaub, spießig – (sie wendet sich an ihren Mann) – sind wir nicht, oder?
Raab: Nee, aber auch nicht … Ich weiß nicht, wie das Gegenteil ist, ja.
Hanna: Etwas merkwürdiges Gespräch, finde ich.
Frau Raab: (lacht) Findest Du?
Raab: (ernsthaft) Ja, schauen Sie mal: Sie sind natürlich frei, ja? Sie können sich auch frei äußern. Sie können sich kleiden, wie Sie wollen. Ich mein, die Frisur find ich sehr schön, die Sie haben, aber …
Hanna: (unterbricht ihn) Ach wirklich?
Raab: Ja.
Hanna: Ein bißchen … zu viel vielleicht?
Raab: Ja, Hanna, sehen Sie mal, bei uns ist das so. Meine Frau zum Beispiel könnte nicht so rumlaufen, nicht? Ja, wir haben gewisse Verpflichtungen, wir haben engen Kontakt mit meinem Chef und so. Vielleicht verstehen Sie das nicht so ganz und wollen das vielleicht auch gar nicht verstehen …
Hanna: Ich verstehe Sie vollkommen, nur … (sie lacht)
Frau Raab: Also, ich find die Haare, ich find die jedenfalls dufte. Ich mein, die Frage ist zum Beispiel noch gar nicht aufgetaucht, weil …
Raab: Das ginge natürlich nicht, daß Du so rumlaufen würdest.
Frau Raab: Was heißt hier “so rumlaufen?” Ich finde …
Raab: Ich mein, ich finds ja auch gut, aber Hanna ist eine freie Person, sie ist unabhängig wahrscheinlich …
Frau Raab: Das ist doch vollkommen uninteressant, über uns zu reden. (zu Hanna) Ich möcht gern wissen, was Du machst.
Hanna: Na, auf des hab ich gewartet.
Frau Raab: Ja, genau. Das interessiert mich natürlich.
Hanna: Ja, was mach ich?
Frau Raab: Was machst Du?
Hanna: Eigentlich gar nichts.
Frau Raab: Das ist schon mal gut. Und dann?
Hanna: Und dann mach ich, was mir Spaß macht.
Frau Raab: Das ist noch besser.
Hanna: Und dann – weiß ich noch gar nicht, was ich mach.
Raab: Ja, wenn Sie sichs leisten können.
Hanna: Ja, sicher, sonst …
Raab: Sicher sind Sie da ein bißchen weiter vielleicht als wir, bißchen unabhängiger.
Hanna: (spöttisch) Ach, jetzt wird er aggressiv.
Frau Raab: (im gl. Tonfall) Ich kenn ihn gar nicht mehr.
Raab: (ernsthaft) Ich kann mir nur gar nicht vorstellen, daß …
Hanna: (unterbricht ihn) Sie haben einen Fleck auf Ihrem Revers.
Raab: (irritiert) Bitte? Wo?
Hanna: Links.
Raab: Hier?
Hanna: Ja.
Raab: Ich seh nichts, ist auch nicht schlimm … Ich kann mir jedenfalls nicht vorstellen, Hanna, daß man sagen kann: Ich weiß noch nicht, was ich mach. Irgendwo, irgendwie muß man doch leben können …
Hanna: Da hört der Spaß auf, was?
Frau Raab: Warum bist Du eigentlich so aggressiv?
Raab: Wieso? Ich bin doch nicht aggressiv.
Frau Raab: Nee?
Raab: Ich mein, ich geh darauf ein, was ich höre.

Aus: “Warum Läuft Herr R. Amok?”, ein Film von Michael Fengler und Rainer Werner Faßbinder. “Faßbinders Filme”, Band 2, hrsg. von Michael Töteberg ersch. 1990 im Verlag der Autoren. Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Verlags der Autoren.

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