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Interview: Dominik und Benjamin Reding

Revolver: Ich habe euch das erste Mal in Hamburg auf der Balduintreppe im Hafen gesehen, mit diesen 15 Zentimeter Irokesen und einer Arri SR auf dem Arm. Die Balduintreppe ging da so hoch direkt in den St. Pauli-Himmel, und oben die zwei Punks mit der Kamera.

Dominik: Ich werd’ verrückt … Das war der allererste Kurzfilm. Das ist ja ewig her!

Benjamin: Jetzt ziehen wir um nach Berlin. Irgendwann ist mal ein Wechsel fällig. Ausserdem war’s in Hamburg mit „Oi-Warning“ sehr schwer, und da haben wir uns dann schon gedacht, warum sollen wir in einer Stadt bleiben, in der den Film nur ein einziges Kino gezeigt hat. In Berlin ist er in 10 oder 11 Kinos gelaufen. In Hamburg? Im UFA-Palast, am Gänsemarkt. Wir hatten mit anderen Kinos gerechnet, Zeise, Abaton, 3001, die wollten nicht. Die Chefin vom Zeise meinte, das Thema Skinheads wäre doch durch, im September 2000, wo das gerade auf jeder Titelseite stand … Damals hätte man noch sagen können, der Film kriegt vielleicht keine Zuschauer. Aber jetzt sind wir bei 100.000, und sie zeigen ihn immer noch nicht. Ich glaube, dass die den Film persönlich nicht p.c. finden. Der Film ist ja nichts so für Alt-Achtundsechziger. Weiss Gott nicht. Und so für didaktische Filmerzieher ist er garantiert gar nichts.

100.000 Zuschauer seien „bei so einem kontroversen Thema erstaunlich“ habe ich sagen hören … Was war denn bei „Oi-Warning“ eigentlich kontrovers?

B: Das Kontroverse wird ja mehr in den Film hinein gesehen, wir wollten ja nur einen ehrlichen Film machen. Aber vielleicht ist in Deutschland ein ehrlicher Film automatisch ein kontroverser Film. Denn der Film wird durchaus kontrovers diskutiert, und auch heftigst abgelehnt. Die Amis fanden es gut, dass sich da zwei Jungfilmer auf den Weg machen, um so ein gesellschaftliches Phänomen, oder Problem, je nachdem wie man’s sieht, anzupacken. Das fanden die „courageous“. Hier hat das eher so ’was Nestbeschmutzendes. Die Deutschen kommen schlecht weg. Erwachsene werden bei uns zu Karikaturen, stand in den Kritiken. Das wäre ja furchtbar, das dürfe man nicht.

D: (grinst breit) Herr Gregor vom Jungen Forum meinte, der Film wäre eine Zumutung. Die Filmbewertungsstelle hat dem Film kein Prädikat verliehen und in der Begründung stand, der Film ginge zu weit.

Ihr habt einen Softporno gemacht.

B: Ja, aber da ging es um die Erwachsenendarstellung. Die Mutter, der Lehrer, die Eltern.

D: Die Darstellung der Erwachsenen in dem Film wäre „infam“. Uns ist gesagt worden, dass das die härteste Ablehnung war, die die FBW jemals geschrieben hat.

Eure Skins sind ja was ganz anderes als „unsere“ deutschen Sorgenkinder. Wo steht denn euer Film in dieser ganzen politischen Diskussion?

D: Der Film ist nicht als politisches Statement gedacht und aus gutem Grund ist Koma nicht rechtsradikal. Politisch ist der Film aus sich selbst heraus. Wenn du Realitäten zeigst, hast du eben automatisch ’ne politische Ebene, ’ne gesellschaftspolitische Ebene. Alle haben sich gewünscht, dass Koma rechtsradikal ist, das ZDF hat uns bekniet, die sind aus dem Grund nicht in den Film mit eingestiegen. Wenn Koma rechtsradikal gewesen wäre, wäre es für die meisten Redakteure und vielleicht auch für viele Zuschauer einfacher gewesen, den Film zu rezipieren, weil dann ist ja alles klar: Ein Rechtsradikaler ist ein Arschloch, und deswegen verhaut er Leute. Diese Gleichung ist aber lächerlich einfach. Uns interessiert viel mehr die Psyche dieser Leute, wie sie dahin kommen, dass sie rechtsradikal werden.

B: Wir wollten einen intensiven Film machen, und ein intensiver Film löst dann später auf vielen Ebenen eine Diskussion aus. Der Film sollte sich unterscheiden von anderen deutschen Produktionen. Das haben wir geschafft und darüber freue ich mich. Ohne so einen vordergründigen Protest, so: Jetzt zeige ich euch allen mal, was ’ne Harke ist, so’n Skandalfilm. Ehrlichkeit war uns wichtig. Realität zeigen. Und natürlich auch: Stilistisches Können. Wie ist der Film gemacht. Jedes Bild ist durchkomponiert. Jede Handlung hat ihren Bezug, ihre innere Notwendigkeit. Solche Sachen gehen leider in dieser ganzen Politdiskussion unter. Dass ein Film nicht wirkt, auch nicht politisch wirkt, wenn er schlecht gemacht ist, darauf geht niemand ein. Ein Film nämlich, der schlaff ist und lahm, der wird niemals politisch diskutiert, auch wenn’s darin vielleicht um ganz heisse Statements geht, weil niemand sich so ’was ansehen will.

D: Ich möchte die Leute eigentlich zum Denken anregen. Weil ich manchmal das Gefühl hab, die Leute denken über sich zu wenig nach. Sie kritisieren andere Menschen, sie kritisieren Lebenssituationen, gesellschaftliche Zwänge, was auch immer, aber sie denken zu wenig darüber nach, warum bin ich so wie ich bin, warum verhalte ich mich so, denn viele verhalten sich doch so, dass sie es anderen mit ihrem Verhalten sehr schwer machen. Das ist vielleicht ein kindischer Ansatz, aber ich mag den.

Wenn jemand aus dem Film ’raus geht mit ein paar Fragen im Kopf, dann ist mir das lieber, als dass er das Gefühl hat, er hätte jetzt Erklärungen erhalten. Das ist das, was ich beim Filmemachen spannend finde: Fragen stellen. Das hat natürlich auch immer ’was Quälendes, auch für die Zuschauer. Aber ich glaube, mit zwei, drei Fragen darf man die Leute gehen lassen. Es gibt ja genug Filme, die gar keine Frage stellen, also hast du ja auch einen Ausgleich.

Ihr würdet also auch sagen, dass Geschichten eine zivilisationsbildende Funktion haben.

D: Es geht ja nicht darum, dass wir jetzt alle irgendwie Filme machen, die gesellschaftlich Gott was für Probleme wälzen. Es gibt ja auch noch so’n Spieltrieb hier im Menschen, und der hat auch ganz viel mit Filmekucken und mit Filmemachen zu tun. Spiel. Also Welterklärung ist das eine, das Entkommen vor der Langeweile ist das zweite grosse Moment. Beides zusammen führt zu Erfahrungen. Ob du ’ne Reise machst nach Bali, oder ’nen Spielfilm in Deutschland drehst, hat fast die selbe Erfahrungsqualität. Du machst enorm viele, teilweise entsetzliche, teilweise wunderschöne Erfahrungen. Und ein bisschen ist es so auch, wenn du im Kino sitzt. Du machst die Erfahrung zwar gefiltert, weil du weisst, du kommst aus diesem Raum wahrscheinlich lebend wieder heraus, aber du kannst auch Erfahrungen machen, die du vielleicht so noch gar nicht gemacht hast. Du nennst das kulturbildend, die Zivilisation erweitern. Den Rahmen der Menschheit erweitern. Ja. Aber auch Sehnsucht nach Spiel, Freude, Lebensfreude. Kino hat auch viel mit Lebensfreude zu tun. Es muss im Kino eben eine Bandbreite geben, von der seichtesten Komödie bis zum heftigsten Experimentalfilm, vom sexuell Perversen bis zur Soap … Das muss gewährleistet sein, das gehört zu einer Demokratie dazu. Aber mach’ das, was du machen möchtest, so konsequent wie’s nur eben geht. Mir fehlt das genaue Hinsehen, auch die längere Vorbereitung der Filme. Länger, genauer über das Drehbuch nachdenken. Wenn das Geld dann da ist, wird immer sofort gedreht! Was nützt Dir die schönste Idee, das schönste Konzept, wenn es filmisch nicht gut gemacht ist. Die Zuschauer werden Dir nicht folgen! Wenn Du ein Ziel hast, dann mach es so, dass sie Dir folgen, es überhaupt können! Sonst bist Du alleine im Kino.

Warst du denn in der Beziehung mit deinem Tatort zufrieden?

D: Ich hatte für den Tatort bereits Ja gesagt, als ich das Drehbuch noch nicht kannte, (grinst) was ein grosser Fehler war. Weil … das Drehbuch war schlecht. Die Drehorte und die Darsteller waren schon ausgesucht, und wir hatten nur noch wenig Zeit. Wir haben uns aber trotzdem hingesetzt, und haben das Drehbuch noch mal komplett neu geschrieben. Gestern hatten wir die Abnahme, und da meinte eine der Redakteurinnen, dieser Tatort wäre kein Tatort. Ich fand das das schönste Kompliment. Ich wollte einen Tatort machen, der eine eigene Sprache spricht. Auch wieder diese Sprache, die letztlich verstört. Selbst Lena Odenthal ist da nicht ganz so glatt und lösungsgebunden wie sonst, sie darf auch noch ihr privates und gebrochenes Leben haben. Und es gibt eine Schlussszene, in der einer erschossen wird. Da gab es grossen Protest, weil das aussehe wie eine Hinrichtung. Leider haben sie’s erkannt (grinst). Ich wollte es genau so haben. Das darf aber wieder nicht sein, die deutsche Polizei richtet nicht hin, die sind ja die Guten.

Das schafft nur Hong Kong.

D: Ja, schade. Schade! Warum nur Hong Kong! Die Zensur ist immer schon vorher da! Das muss aufhören! Dann werden die Drehbücher besser! Hört auf mit der vorauseilenden Zensur! Lasst den Zuschauer zensieren, an der Kinokasse! Da werdet ihr Überraschungen erleben. Meinst du Tarantino hätte seine Filme in Deutschland machen können? Das hätten die nie gefördert bekommen! In tausend Jahren nicht!

Also ihr linken Socken tretet für den totalen Markt ein.

(Pause)

B: (grinst schliesslich) Was willst du denn da sagen. Wenn du jetzt Ja sagst, bricht ja die Welt zusammen. Sagst du Nein, stimmt’s auch nicht ganz …

Ihr habt so ’ne Art sportlichen Ehrgeiz entwickelt, was das betrifft.

B: Aber dazu gehören eben Produzenten, die den Mut auch mittragen, und es gehören vor allen Dingen Filmförderungen dazu, die diesen Mut mittragen. Und aus langer leidvoller Erfahrung kann ich sagen, die tun es absolut nicht. Da sind amerikanische Majors heute viel eher bereit, experimentelle Sachen zu machen. In Deutschland ist die Situation halt so, dass es da einfach durch die Struktur kaum noch filmischen Nachwuchs gibt, der auch mal wieder andere Wege versucht. Du möchtest vielleicht andere Wege gehen, aber du wirst daran gehindert. Wenn du z.B. als junger Drehbuchautor ein spannendes kritisches Drehbuch hast, und das bietest du einer Produktionsgesellschaft an, sagen die, damit kriege ich niemals eine Verleihgarantie. Du brauchst aber mittlerweile schon ab dem Drehbuch eine Verleihgarantie. Wie soll da dieser junge Mensch noch mutig sein kritisches Drehbuch schreiben. Nein, er wird natürlich genau die Sachen, die spannend sind an dem Drehbuch, ’rausstreichen, damit er sich seine scheiss Verleihgarantie einstecken kann. Beziehungsweise sein Produzent.

Was werdet ihr in Zukunft machen?

B: Wir hatten natürlich schon gedacht, nach diesem Erfolg mit „Oi-Warning“, dass man da ein bisschen mehr Feedback bekommt. Bisschen mehr ist gut. Überhaupt Feedback bekommt. Also bisher hat sich kein deutscher Produzent – keiner! – bei uns gemeldet. Immerhin haben es da zwei Leute geschafft, mit einem Betrag von 887.000 Mark einen Film zu machen, der 100.000 Zuschauer hat. Jeder Produzent müsste da vor Glück schreien und sagen, die Jungs will ich haben. Mit so wenig Geld so’n Erfolg. In Amiland sagen sie, oh, die Redings, 100.000 Zuschauer mit so ’nem Film in Deutschland, wo der Kinomarkt schwierig ist, respect! Die Einladung nach Sundance hat da natürlich vieles möglich gemacht. Auf die Berlinale haben wir keine Einladung gekriegt. Wir hatten damals auf das Panorama und das Forum des jungen Filmes gehofft … Die Director’s Guild of America, die Vereinigung aller amerikanischer Spielfilmregisseure – da sitzen sie halt alle drinnen, die bekannten Namen – die Director’s Guild hat den Film ausgezeichnet. Und wie mir später gesagt wurde, ist das der erste deutsche Film, der jemals von der Director’s Guild ausgezeichnet wurde. Die Amis geben einen der angesehensten Preise nach dem Oscar, und in Deutschland wirst du nicht ernst genommen. Weil der Inhalt irgendwie gleichgesetzt wird mit den Machern. Das ist zwar ein Stück weit auch korrekt, aber da wird nicht wahrgenommen, dass man filmisch auch ’was kann. Das schmerzt halt. Denn darum geht’s doch. Ob du filmisch was mitteilen kannst.

D: Also ich möchte den nächsten Film in England machen, mit englischen Darstellern, in englischer Sprache. So ist das eben: Wer kam extra nach Hamburg, nur um uns kennen zu lernen? Frau Cassarotto, das ist DIE englische Regieagentin, die hat so „unbekannte“ Leute wie Terry Gilliam, Steven Frears, Neal Gordon, Ken Loach, und sie flog extra nach Hamburg, um mit uns ’ne halbe Stunde Kaffee zu trinken! Weil sie uns unbedingt haben wollte, nachdem sie „Oi-Warning“ gesehen hatte. Hier hat nicht mal ein Kleinproduzent angerufen! Dann sind wir nach London geflogen und haben uns da mit englischen Produzenten getroffen, unter anderem mit den Produzenten von Bernardo Bertolucci, nur mal als Beispiel, welche Ebene das hatte. Dann sitzt du mit denen da an einem Tisch, und es wird sehr ernsthaft über den Film geredet, den du gemacht hast, und über den Film, den du als nächstes machen willst. Ernsthaft, und nicht von oben herab, gar nicht. Sie hat mich dann gefragt, wie teuer soll der nächste Film werden, und ich hatte Schiss und hab gesagt: 5 Millionen Mark. Und das werde ich nie vergessen, die Frau war total enttäuscht, sie hatte natürlich wenigstens mit Pfund gerechnet, so nach dem Motto: Wie klein schraubt der sich denn! So eine Wertschätzung habe ich hier in der Branche nie erlebt. Dass jemand, der einen Erfolg hatte in ein anderes Land gehen muss, um überhaupt wieder einen Film machen zu können, das ist doch trist. Ich meine, wir leben ja hier nicht in einer Diktatur! Ich muss ja nicht vor Adolf Hitler flüchten! Ich muss Dir ehrlich sagen, wenn man so mit Talenten, wie auch immer die geartet sind und ob man das jetzt mag oder nicht, wenn man so damit umgeht, dann wird der deutsche Film sterben. Egal, wie viel produziert wird. Der amerikanische Film wird auch die letzte Lücke schliessen. Und vielleicht ist es sogar gut so. Weil wenn du nichts wirklich mitzuteilen hast, dann halt den Mund.

Das Gespräch führte Sebastian Kutzli am 01.04.2001 in Berlin. Bearbeitung: Sebastian Kutzli.

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