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Portrait: Coop 99

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Revolver: Was verbindet euch, die Coop 99, miteinander?

Svoboda: Ein Wille.

Ein Wille?

Svoboda: Ja. Es ist ein Wille, weil es kein Rezept gibt. Es gibt auch nicht den Moment (schnippt mit dem Finger). Es ist einfach Tag für Tag sich durchschleusen und drüberwerfen, über die Hindernisse. Ich weiss nicht – es sind auch viele intuitive Entscheidungen. Die ganze Coop 99 ist eine intuitive Entscheidung und es kommt uns erst langsam zu Bewusstsein, was sie ist und was sie bedeutet.

Ein Selbstfindungsprozess?

Svoboda: Das ist keine Selbstfindung. Es ist einfach eine Arbeit an der Sache und ein tägliches Positionieren. Du nimmst an irgendeiner Art von Wettbewerb, einer Art von Kampf teil und stehst auf einem Schlachtfeld und richtest dich aus, in welche Richtung du losstürmst.

Das klingt nach Krieg.

Svoboda: Ja. (lacht)

Wie ist die Coop entstanden, wie habt Ihr zusammengefunden?

Hausner: Wir waren alle an der Wiener Filmakademie und haben schon da zusammen gearbeitet. Und im Lauf der Zeit haben wir immer mehr mitbekommen, wie die Branche funktioniert, und dass der Apparat, so wie er in Österreich vorhanden ist, sehr viele Zugeständnisse verlangt. Aber wir wollten frei bleiben.

Es ist auch irgendwie Zufall gewesen. Antonin (Svoboda), Barbara (Albert) und ich waren Regiestudenten im selben Jahrgang, Martin (Gschlacht) war ein Jahr drüber. Wir haben sicher ein Jahr lang über die Firma diskutiert, uns gefragt, was das finanziell bedeutet, was für eine Form in Frage kommt und ob wir das überhaupt wollen… Diese Viererkonstellation funktioniert ganz gut, weniger dadurch, dass wir uns gut organisieren, als durch die ganz persönlichen Veranlagungen. Wir sind zufällig vier Menschen, die gut miteinander können, und zwar in einem sehr pragmatischen Arbeitssinn. Und das ist ein grosses Glück.

Albert: Ich hatte nach der Filmakademie ganz stark das Bedürfnis, in einer Gemeinschaft weiter zu arbeiten. Also wirklich eine Art Familie, aus der heraus nachher Dinge passieren können. Ich habe während dieser Zeit gerade „Nordrand“ gemacht, also ausserhalb Erfahrungen gesammelt, und da habe ich gemerkt, dass ich mir gewisse Kämpfe mit Produzenten einfach nicht antun will. Ständig erklären zu müssen, warum du etwas willst und brauchst – das war mir irgendwann unverständlich. Ich habe diese Art zu arbeiten als kontraproduktiv empfunden. Ich habe nicht das Gefühl gehabt, dass man gemeinsam versucht, etwas zu finden. Sondern es war so ein Kampf: Du streichst (bestimmte Szenen), oder du streichst nicht. Es ging immer darum, wer sich besser durchsetzen kann. Die Filmbranche, gerade in Österreich, ist noch ganz stark von männlichen Machtstrukturen geprägt. Es geht immer nur darum: Wer nimmt? Wer lässt sich was nehmen? Und so eine Art zu arbeiten möchte ich nie wieder haben. Allerdings haben wir nicht gesagt, wir haben alle so schlechte Erfahrungen mit anderen Firmen, jetzt müssen wir eine eigene gründen. Es war eindeutig mehr der Aspekt, dass wir etwas gemeinsam machen wollten. Wegen unserer ähnlichen Haltung zum Filmemachen. Wir sind eigentlich alle irrsinnig unterschiedlich, und das finde ich auch sehr angenehm. Ich glaube, deswegen funktioniert es auch. Und nicht, weil wir so gute Freunde sind. Wir verstehen uns zwar irrsinnig gut, wir können uns teilweise aber auch fetzen.

Wie funktioniert das denn praktisch, wie organisiert Ihr euren Austausch?

Albert: Na ja, wir versuchen im Moment einmal die Woche einen Jour Fixe zu machen. In manchen Phasen der Arbeit ist nicht mal das wirklich möglich, aber eine Regelmässigkeit ist trotzdem gegeben, weil wir uns auch sehr viel ausserhalb der Coop sehen, zum Teil täglich. Also es gibt Zeiten, in denen sich das Private mit dem Beruflichen extrem vermischt, und oft sind es dann die Nächte, in denen man dann Sachen bespricht und arbeitet. Wir fahren auch immer wieder auf Klausur, das ist uns ziemlich wichtig. Einfach drei Tage irgendwo hinfahren und dann wirklich ganz gezielt alles besprechen: Jahrespläne, was hat man vor, was für Projekte will man machen und welche nicht und warum usw. All diese Dinge. Dazu müssen wir uns meistens verbarrikadieren, das kann man eben nicht nebenbei machen.

Gibt es irgendwelche Notlösungen, wenn Ihr euch einmal nicht einig seid?

Albert: Es gibt natürlich einen Gesellschaftervertrag. Das heisst, es gibt so Formeln wie 3 zu 1 bei einer Abstimmung da, bei einer anderen Sache 4 zu 0, das ist schon alles geregelt. Bei Drehbüchern ist es, glaube ich, 3 zu 1, aber ich bin mir jetzt gar nicht sicher.

Hausner: Es ist noch nie dazu gekommen, dass wir nicht alle einer Meinung waren. Wir lesen das Buch, dann reden wir eine Stunde oder zwei darüber, und dann ist es irgendwie klar, was wir davon halten.

Albert: Eine Sache ist auch noch wichtig: Wir haben es so geregelt, dass immer zwei Leute für ein Projekt zuständig sind. Also nicht alle vier, weil wir gemerkt haben, dass das irrsinnig schwerfällig ist und für die Regisseure frustrierend, wenn ständig vier Leute überall mitmischen. Wenn du irgendeine Drehbuchfassung nicht lesen kannst, weil einfach keine Zeit da ist … Und da haben dann diese beiden, die das Projekt übernommen haben, eigentlich die totale Freiheit.

Ihr habt viele Projekte in Entwicklung?

Hausner: Ja, aber von diesen Projekten sind schon noch einige in weiter Ferne. Und was die Betreuung betrifft, da hat jeder eine unterschiedliche Kapazität. Ich zum Beispiel kann mich immer nur auf eine, maximal auf zwei Sachen konzentrieren. Die Projekte, die jetzt aktuell werden, sind „Kaltfront“ von Valentin Hitz – da bin ich zum Beispiel mit Casten beschäftigt und Martin und Antonin sind auf der Produktionsseite – „Böse Zellen“ mit Barbara und Martin, und Antonin zum Teil, und dann „Bastard“, der Film vom Antonin, da bin ich mit ihm auf der Produktionsseite.

Aber solange du an diesen Projekten arbeitest, liegen Deine eigenen Sachen auf Eis?

Hausner: Man kann schon immer wieder zwischendurch was machen. Ich werde zum Beispiel das Casting bald jemand anderem übertragen, und die Arbeit an „Bastard“ verlangt auch noch nicht eine durchgehende Anwesenheit im Büro, weil der Film erst Ende des Jahres gedreht werden soll. Und so kann ich parallel noch mein Drehbuch entwickeln. Das heisst natürlich für jeden Einzelnen, dass man sich die Zeit genau einteilen muss. Vor allem auch, um kreativ zu bleiben. Wir haben uns deshalb die Möglichkeit einer Auszeit ausgeschnapst, wenn jemand merkt, dass es ihn zu sehr zerreisst, am Vormittag Sekretärin und am Nachmittag Künstlerin zu sein. Sonst hätten wir irgendwann zwar den Kassa-Abschluss, aber keine Drehbücher mehr.

überleben

Ihr müsst trotzdem noch nebenher arbeiten?

Albert: Wir können uns kein Gehalt zahlen, wir können im Moment nicht mal die Handyrechnungen zahlen von der Firma aus. Es ist ganz klar, dass wir am Anfang jetzt erst mal reinhackeln. Wenn wir etwas verdienen im Moment, dann dadurch, dass wir uns Gagen auszahlen. Bei „Lovely Rita“ war es zum Beispiel so: Jessica hat Regie gemacht, Martin die Kamera und Antonin die erste Aufnahmeleitung. Ich war so etwas wie die Produktionssekretärin, zusammen mit einer anderen Frau allerdings, weil ich damals oft mit „Nordrand“ auf Festivals war. Aber ich habe trotzdem mitgearbeitet und dann auch ein bisschen Gage dafür bekommen.

Gschlacht: Mein Gott, wir haben auf der Akademie quasi immer selbst produziert, und die ganze Akademie hat nur so funktioniert, dass man sich gegenseitig geholfen und miteinander gearbeitet hat. Sobald du versuchst, dein eigenes Süppchen zu kochen, wirst du selber auch auf der Strecke bleiben. Und die Coop ist eigentlich ein bisschen die Fortführung davon – unter professionelleren Bedingungen. Mein Leben verdiene ich als Kameramann, auch ausserhalb der Coop. In den letzten zwei Jahren musste jeder irgendwie schauen, dass er sein Geld auch anderswo verdient.

Hausner: Die konventionelle Arbeitsteilung hat natürlich auch ihre Vorteile. Was wir jetzt gemacht haben bedeutet nämlich auch, wahnsinnig viel Energie und Zeit an diese Produktionsarbeit zu verlieren. Ich glaube aber, dass sich das später auszahlt.

Antonin, wie würdest du deine Situation jetzt beschreiben?

Svoboda: Selbstausbeuterisch.

Das klingt nicht unbedingt zufrieden.

Svoboda: Deswegen gibt es ja die neuen Pläne (einen zusätzlichen Produzenten mit ins Boot zu holen). Wir sind unsere eigenen Auftraggeber, wir müssen mit der gegebenen Situation klarkommen, wir müssen Ideen dafür entwickeln. Wem willst du die Schuld geben? Wem willst du einen Vorwurf machen? Du kannst nur gemeinsam eine Lösung suchen. Für mich persönlich glaube ich, dass es sehr wichtig war, die zwei Jahre hauptsächlich Produktion zu machen. Es hat viel mit Verantwortung zu tun. Das ist etwas, was in deine Gene übergeht, weil du einfach lernst, wie hart welche Entscheidung ist. Was bedeutet es, ob du einen Kommerz- oder einen Kunstfilm machst? Wo liegt der Unterschied? Wo geht die Arbeit hin, wo geht die Tür auf und zu? Einfach sich bewusst zu machen, mit welchen Problemen man zu tun hat, wenn man bestimmte Entscheidungen trifft. Wenn ich einen sperrigen, provokanten, anstrengenden Film gemacht habe, muss ich mich im Nachhinein nicht wundern, dass er nicht zu dem Wahnsinnserfolg wird und dieses oder jenes Ergebnis einbringt. Für mich ist eigentlich die Einsicht in diesen ganzen Markt sehr wichtig gewesen.

Lebst du von der Arbeit hier?

Svoboda: Schlecht.

Schlecht heisst, Du brauchst noch Jobs zusätzlich?

Svoboda: Theoretisch ja. Praktisch arbeite ich aber selbstausbeuterisch, ohne das definieren zu wollen. Das wird sich einrenken oder nicht. Schauen wir mal.

Du hast nicht die Zeit, nebenher noch Geld zu verdienen?

Svoboda: Nein. Wie auch? Wodurch auch? In Österreich hast du diese Möglichkeiten nicht. Ich kann nicht gleichzeitig Werbefilme drehen, weil die Werbefilmwirtschaft so klein ist, so haifischmässig elitär. Ich habe mit einem Freund zusammen für Doro (eine grosse Musikvideoproduktion) ein paar Sachen gemacht, aber ich kann mich nicht so leicht aufsplitten, und es interessiert mich auch nicht wirklich. Es macht keinen Sinn. Ich kann nicht hier an Visionen bauen und gleichzeitig arbeiten gehen. Weil ich dann definitiv nicht mehr dazu komme.

Vor einem Jahr hat mich Barbara mal angerufen und erzählt, dass ihr auf der Suche nach einem Produzenten seid.

Gschlacht: Leute, also ich hoffe, dass das Problem gelöst ist, wenn der Revolver erscheint. Wir haben jetzt gerade wieder zwei Optionen, die sehr spannend sind. Tatsache ist, dass wir eine Person brauchen, die sich ausschliesslich um Produktion und Produktionsbelange kümmert. Das war keine grosse Überraschung für uns, aber man merkt es eben erst so richtig, wenn man es ausprobiert hat. Jetzt haben wir dieses System, von dem ihr gehört habt, dass zwei Leute jeweils ein Projekt betreuen und die Produzentenrolle dafür übernehmen. Aber wir brauchen jemanden, bei dem die Fäden zusammenlaufen. Es gab im letzten Jahr mal das Gefühl, das könnte der Antonin oder das könnte ich sein. Aber wer auch immer es von uns beiden übernommen hätte, er hätte das, was er wirklich vom Herzen her machen will, hintanstellen müssen. Der Antonin das Schreiben und die Regie und ich die Kamera. Und dieses Opfer wäre vielleicht zu gross. Zu sagen, ich mache jetzt doch nicht Kamera, obwohl ich das mein Leben lang machen wollte. Seit ich ein Kind bin, seit ich mit meiner 8-mm-Kamera herumgelaufen bin, habe ich gewusst, ich will mal Kamera machen. Das schaffe ich nicht, das kann ich nicht. Und genauso geht es Antonin. Als wir die Coop gegründet haben, haben wir schon überlegt, wer könnte der Richtige für die Produzentenrolle sein? Wir haben uns damals mit Leuten aus unserem Umfeld unterhalten, und da war nicht unbedingt der Richtige dabei. Und da haben wir uns gedacht, na ja, den finden wir schon.

und bitte

Entwickelt ihr eigentlich auch Stoffe, als Coop?

Albert: Nein, bisher nicht. Wir haben das versucht, aber es hat nicht so gut funktioniert. Uns werden viele Bücher geschickt, die wir lesen, und natürlich kennen wir Leute, deren Sachen wir spannend finden und die fragen wir, was sie als nächstes machen. Aber noch kommen die Stoffe von den RegisseurInnen.

Es gibt ja oft den Fall, dass Produktionsfirmen ihre explodierenden Fixkosten decken, indem sie plötzlich „fremde Projekte“ machen … Habt ihr schon solche Schwierigkeiten? Wie schnell wächst die Firma?

Svoboda: Wir haben definitiv kein Problem, andere Filme zu machen, weil die Coop immer als Plattform gedacht war … Aber wir haben im Moment sicherlich kein Expansionsbestreben. Wenn es sich ergeben sollte, einen eigenen Verleih zu machen, dann wäre das spannend und wer weiss, vielleicht wird sich unser Interesse dahin entwickeln. Es wäre auch aufregend, ein eigenes Kino zu führen, einfach um bestimmte Filme von Compañeros und gleichgesinnten Produktionsfirmen laufen zu lassen. Filme sollten gesehen werden und nicht irgendwo herumliegen. Aber wir wollen eigentlich nicht expandieren, weil so ein Apparat einfach kostet und expandieren eben immer auch heisst: mehr aus der Hand geben. Wir sind im Augenblick sehr glücklich mit der Situation, eine überschaubare Menge an Projekten zu haben. Man hat uns zu Anfang die Tür mit Projekten eingerannt, aber das nimmt auch schon wieder ab. Jeder hat geglaubt, weil sich die Coop anders und freier definiert, kann er mit ihr arbeiten … Es sind Leute gekommen, die haben gesagt: (haut einen Stapel Papiere auf den Tisch), „Machen wir das doch, ich habe schon meinen Produktionsleiter dabei und Ausstattung habe ich auch schon …“ – und wir hatten noch nicht einmal das Buch gelesen. Das war der Extremfall. Dabei müssen wir natürlich ökonomische Risiken genauso abwägen wie etablierte Firmen – eher noch vorsichtiger. Eine junge Firma, die nur Debütfilme produziert – viel schwerer kann man es sich nicht machen.

Wie sieht ein ganz gewöhnlicher Tag bei euch aus?

Svoboda: Der Unterschied zum Leben vor der Coop ist, dass du kein Angestellter bist, sondern selbständig. Das ist der einzige Unterschied, und der trifft dich wirklich mit Wucht. Der eigene Auftraggeber zu sein, verantwortlich dafür, ob etwas ins Haus kommt, ob irgend etwas vorangeht oder nicht … Nicht in irgendeiner Art von abhängiger Beschäftigung zu stehen, in der man den anderen dann beweisen muss, dass man eine Lohnerhöhung verdient. Du bist von vornherein der Bauer, der deklariert: „Hier ist mein Feld.“ Was du damit machst, ist völlig dir überlassen. Das ist manchmal ein unheimliches Gefühl.

Und wie sieht Dein Tag konkret aus?

Svoboda: Ich bringe meine Tochter in den Kindergarten und sitze dann hier, zwei Stunden, bevor in jeder anderen Filmproduktion der Bürobetrieb beginnt. Ich lese E-Mails und überlege, was gemacht werden muss. Es ist immer Arbeit da, die fällig ist. Gleichzeitig geht es auch darum, Neues zu entwickeln. Also meine Aufmerksamkeit wechselt ständig zwischen Arbeitsroutine und Entwickeln … Dann heisst „Produzent sein“ einfach auch, viele Drehbücher zu lesen. Ein und dasselbe Buch immer wieder, oder in verschiedenen Fassungen zu lesen und darauf zu kommen, was man eigentlich zu diesem Buch sagen kann, auch als Firma. Die Frage ist ja, wie gehst du mit Autoren und Regisseuren um, wenn du derjenige bist, der gewissermassen Hoffnung macht oder nicht macht? Wie macht man Hoffnung, sagt seine Meinung und versucht gleichzeitig eine Person, ein Talent, ein Potential einzuschätzen? Natürlich ist man selbst nicht perfekt und arbeitet selbst daran … Du schätzt dein Gegen über ein und bist gleichzeitig in der Geberposition. Das ist gar nicht so leicht.

Christoph hat mal einen Tag bei euch in der Produktion verbracht und erzählt, dass hier Castings und viele andere Aktivitäten auch in den Räumen stattfinden, neben der normalen Büroarbeit. Ist das ungefähr so?

Svoboda: Ja, es ist ungefähr so, aber du musst es unendlich in die Breite ziehen, über Monate. Dazwischen sitzt du alleine im Büro, erschrickst wenn das Telefon läutet und bist mundtot, wenn dich irgend jemand auf Englisch oder Französisch anspricht. Du kommst dir vor wie deine eigene Sekretärin, dein eigener Sekretär und versuchst dich herauszureden, dass der Produzent jetzt gerade nicht da ist, weil du gerade Nudelsuppe kochst. (Lachen) Man muss überhaupt Ziehharmonikanerven haben. Manchmal zieht sich alles, manchmal kommt alles sehr komprimiert, aber man darf das überhaupt nicht romantisieren. Es ist eine knallhartes Sache. Man hat mit unheimlich vielen Menschen zu tun, die sich überhaupt nicht über Inhalte unterhalten wollen, mit denen du aber trotzdem diplomatisch sein musst – das ist eigentlich das Schwierige. Als Filmemacher will man nicht diplomatisch sein. Der Produzent will aber nicht als Aktionist in die Geschichte eingehen; er muss sich auch arrangieren können und das Spiel spielen.

spieler

Beeinflusst das dein Arbeiten, an deinen eigenen Projekten?

Svoboda: Ich bin risikofreudiger geworden. Ich habe mich vielleicht eher weg von diesem Geschichtenerzählen entwickelt, hin zu dem, was wirklich relevant ist. Also worüber man einen Film macht und ob das überhaupt noch eine Berechtigung hat, ins Kino zu kommen … Von daher sind die Ansprüche grösser geworden.

Was bedeutet das konkret?

Svoboda: Ich will schon lange einen Film über einen Spieler machen („Bastard“). Das ist ein Stoff, der einem einen guten Zugang zu dem Wahnsinn und dem Chaos unserer Gesellschaft verschafft … Es geht um diesen Moment, in dem du dich ganz ausklammerst und dein eigenes Spiel spielst. Und es gab die Möglichkeit, das als eine „sozialrealistische“ Geschichte zu erzählen, oder sozusagen „high fire“ zu spielen, wofür ich mich dann entschieden habe. Ich habe immer wieder am Automaten gestanden, wie der Spieler aus meiner Geschichte, und da heisst es eben „double“, oder „take the money“. Und für mich war klar, ich muss mehr riskieren. Ich wollte voll ins Risiko gehen und habe eine zweite Ebene eingeführt, in der der Charakter mit seinem eigenen Leben zu spielen beginnt, indem er diesen Würfel entdeckt, mit dem er seine Entscheidungen trifft. So wird das Ganze zu einem völlig manischen, egomanischen Psychotrip, in dem er sich mehr oder weniger aus Verantwortung und Gewissen herauskatapultiert. Es kommen Dinge ins Spiel, die für mich sehr spannend sind: Was ist Zufall? Wie relevant sind Entscheidungen? Wie „sicher“ ist unsere Welt und warum ist es, trotz allem, so schwer, an Ausbrüche zu glauben? Das heisst, ich versuche, einen Teil dieses Risikos, um das es in der Geschichte geht, auch in dem Film selbst, in seiner Form zu realisieren. Das Spiel setzt sich fort, auch für die Zuschauer. Ich glaube, es ist unheimlich spannend, neunzig Minuten lang so einen Trip mitzumachen, weil dabei auch innerlich etwas passiert. Ich habe das Buch einigen Leuten zu lesen gegeben, mit der Reaktion, dass es ein Erlebnis war, das die Leute anregt, inspiriert und verwirrt. Und diese Entwicklung meines Projektes hat, sage ich mal, auch mit der Arbeit in dieser Firma zu tun.

schwarz auf weiss

Wie geht es euch mit dem Schreiben?

Albert: Ich schreibe extrem gerne. Schreiben ist für mich sehr stark die Suche nach einer Struktur. Bei „Nordrand“ habe ich mit Karteikarten gearbeitet, das war so ein richtiges Puzzle. Ein paar Bilder habe ich gehabt, von denen ich wusste, dass ich sie erzählen will, und alles weitere habe ich dann rundherum aufgebaut. Ich schreibe sonst eigentlich ohne Karteikarten, und liste nur alle Szenen nacheinander auf.

Dann gibt es natürlich den Prozess des Aussortierens, was mir immer schwer fällt, was aber auch irrsinnig spannend ist. Ich habe jetzt zum Beispiel „Böse Zellen“ ganz stark kürzen müssen, damit wir es irgendwie schaffen, den Film zu drehen. Bei „Böse Zellen“ habe ich ungefähr neun Monate einfach nur gesammelt, was mich interessiert, in welche Richtung ich will, Szenen, die mir untergekommen sind. Ich habe erstaunlich viel erfunden. „Nordrand“ dagegen hat viele autobiographische Elemente, abgewandelt natürlich, zusammen mit Beobachtungen und Dialogen, die ich irgendwo gehört habe. Ich sammle jedenfalls immer erst lange und habe als Anhaltspunkt nur meine Themen und Figuren. Ich lese auch in alten Unterlagen nach, was mich bisher so interessiert hat, und dieses Mal habe ich gemerkt, dass vieles schon abgehakt ist, dass ich neu anfangen muss, was auch sehr schön war. Zu sehen, ich bin frei, ich muss nichts Altes mehr machen. Ich habe dann das Treatment in drei Wochen geschrieben, drei Wochen nur Schreiben, und dann nach einem halben Jahr noch mal das Drehbuch in drei Wochen. Dazwischen brauche ich eine totale Pause. Bei „Nordrand“ habe ich fast ständig immer wieder so ein bisschen geschrieben, bei „Böse Zellen“ wollte ich dagegen das Treatment erst mal überhaupt nicht mehr durchlesen.

Svoboda: Ich habe das Drehbuch (zu „Bastard“) sehr intuitiv geschrieben, aber das kommt auch von der Anlage. Wenn erst mal ein Würfel im Spiel ist und es immer sechs mögliche Entwicklungen in der Geschichte gibt, dann entwickelt sich das Buch eh mehr oder weniger von selbst. (Lachen) Es geht darum, dass die Figur nicht nur eine Entscheidung hat, sondern sich fünf weitere dazu nimmt. Ich habe virtuell gewürfelt. Ich habe es nicht wirklich drauf ankommen lassen, weil es meiner Meinung nach nicht darum ging, aber es gibt diese Elemente. Das dramaturgische Verdichten und Verflechten, das Pointieren kommt jetzt im Nachhinein, aber das Schreiben habe ich ganz intuitiv laufen lassen.

Hausner: Also meine Lebenserfahrung deckt sich nicht mit der klassischen Dramaturgie. Wir haben an der Schule natürlich konventionellen Drehbuchunterricht gehabt, aber da habe ich echt Frustgefühle bekommen. Es kann sich nicht ganz im Ernst ein Lehrer da hinstellen und mir erzählen, dass es Regeln für Drehbücher gibt. Das ist mir vom Prinzip her so widerwärtig, ich glaube das auch überhaupt nicht, und das hat nichts mit dem zu tun, was mich interessiert. Und da sind wir alle dann fast durchgefallen. Da musste dann jeder irgendwie so eine Übung schreiben, ein ganz kurzes Drehbuch, und wir hatten da lauter „Nicht genügend“. Und ich glaube, eine der grössten Hürden war, dass wir mehr oder weniger alle ein offenes Ende geschrieben haben.

Gschlacht: Ich bin definitiv nicht der Mensch, der schreibt. Aber ich bin jemand, der sehr gerne früh bei Geschichten dabei ist, weil ich glaube, dass ich ganz gut spüre, wo etwas fehlt in den Geschichten, wo ich mir mehr wünsche. Je früher ich einsteige, desto mehr habe ich das Gefühl, ich kann etwas beitragen. Und ich bekomme da nicht ein fertiges Ding hingeknallt und gesagt: Umsetzen! Also das bin ich nicht. Darum hab ich auch aufgehört mit Werbung. Ich habe drei Jahre Werbung gedreht. Das war gut zum Geld verdienen, aber es interessiert mich nicht, am Abend vor dem Drehen in einer Bar den Regisseur zu treffen: „Das ist es, mach es technisch möglichst geil und gut und schön und schnell. Und mach, dass es teuer ausschaut.“

Albert: Ich finde das Schreiben super, aber beim Drehen habe ich Depressionen. Beim Drehen denke ich jeden Tag: Scheisse, das ist nicht die Realität, ich komm nicht rein, ich komm nicht rein. Das ist furchtbar. Ich habe mich am Anfang immer gewundert, warum das Drehen so schrecklich ist, aber es ist ganz klar: Dein Drehbuch wird für dich zerstört. Ich habe früher immer noch gedacht, es könnte … Es gibt aber natürlich kein ideales Drehbuch, und es gibt auch nicht den idealen Dreh. Es ist keine Szene so realisierbar, wie du sie dir beim Schreiben vorstellst. Deine Vorstellungskraft geht ja weit über das hinaus, was physikalisch möglich ist. Du machst im Kopf deine individuelle Auflösung, immer wieder eine andere. Dadurch ist das Drehbuchlesen oder -schreiben immer ein Idealzustand, der „zerstört“ werden muss, wenn du drehst. Ich bin eine, die ihre Drehbücher oft besser findet, als andere Leute sie finden im Vergleich zu den Filmen. Die Leute sagen dann oft: „Mensch, super der Film, das hätte ich bei dem Drehbuch nicht gedacht.“ Das verstehe ich dann gar nicht, weil ich das Ganze ja sehe.

Worum geht es in deinem neuen Film „Böse Zellen“?

Albert: Es geht um Menschen in einer österreichischen Kleinstadt, die aufgrund von Vergangenem oder Dingen, mit denen sie gerade zu tun haben, zusammen- oder auch auseinanderkommen. Also wieder viele Geschichten, ein bisschen wie bei „Nordrand“. Der Zusammenhang hat zu tun mit Schuld, mit Angst vor dem Tod, mit Sexualität und Abhängigkeit. Es ist ein sehr schwarzer Film – aber „böse“ … vielleicht ist der Titel auch irreführend … Also ich mag nicht behaupten, dass das jetzt ein „böser“ Film von mir ist. Ich bin eher harmlos, habe ich so das Gefühl.

Gschlacht: Als ich „Böse Zellen“ zum ersten Mal gelesen habe, da hab ich gedacht: „Bist du deppert?“ Das ist ein Film … da war ich echt baff. Das ist etwas, was mich echt berührt (hörbarer Ausatmer) – wirklich ein Ding, was ich sehr, sehr schön finde. Sehr ungewöhnlich, sicher sehr schwer zu finanzieren … Noch viel „baffer“ bin ich von den Reaktionen mancher Förderungsgremien, die teilweise einfach sagen, na ja, das schaut sich eh keiner an. Und dafür, dass es sich keiner anschaut, ist es zu teuer.

lovely

Hausner: Sehr unelegant finde ich, wenn Dialog in Filmen dazu benutzt wird, Inhalt zu transportieren. Aber diese Meinung teilt wahrscheinlich jeder. Aber ich mag gerne, wenn Leute halt irgend etwas reden, das hat oft eine Beiläufigkeit oder Normalität, die ich ganz lustig finde. Wenn ich ein Drehbuch geschrieben habe, fange ich an, Bilder zu machen, also ich mache ein klassisches Storyboard. Da geht es sehr viel auch um Gesichtsausdrücke, also ich male das richtig als kleines Comic, in dem man dann sieht, ah, der da schaut traurig oder lustig oder trallala, und auf einmal erzählt sich die Geschichte über die Bilder. Und da fallen dann oft fünfzig Prozent des Dialogs weg, weil ich da merke, was soll das, warum sollen die da jetzt noch viel Quatschen.

Du machst das für jede Einstellung, das ganze Buch?

Hausner: Ja. Das ist für mich der wesentlichste Schritt. Eben festzustellen, wer ist wann wie im Bild.

Gschlacht: Mit Jessica ist es so, dass wir gemeinsam sehr präzise ein Storyboard erarbeiten, und am Set kann es dann passieren, dass um jeden Zentimeter gefeilscht wird. Ich richte ein Bild ein und sie sagt: Aber im Storyboard steht’s so, im Storyboard schaut die Nase noch vor. Über diese Nasenspitze kann es dann eine Stunde Diskussion geben, und das ist dann auch sehr wichtig für den Film. Also die geht mit einer sehr konkreten Vorstellung rein, und deshalb ist die Auseinandersetzung auch so fruchtbar.

Von der Bildaufteilung her, der Kadrage, bei „Lovely Rita“ – wie habt Ihr euch da abgesprochen?

Gschlacht: Das war der Vorteil, auf Video zu drehen. „What you see is what you get“. Jessica hatte den Film wirklich auf dem Monitor. Wir haben nicht umsonst 8 Wochen gedreht für den Film. Da haben wir uns wirklich die Zeit genommen zu suchen und teilweise auch bitter gekämpft. Es gab immer wieder den Punkt, wo es zwar „richtig “ war im Sinne einer klassischen Komposition, wo wir aber gesagt haben: So ist es falsch, für diesen Film. Auch diese Zooms zum Beispiel, die ja „technisch“ schlecht ausgeführt sind, die sind nicht so, wie man normalerweise zoomen würde, sondern die haben immer irgendwie einen Ruckler drin, so einen Nachausgleicher. Sie sind nicht durchgängig, immer ein bisschen zu schnell … Das sind halt Dinge, mit denen wir vor Ort gearbeitet haben und die wir gesucht haben.

Bewusst?

Gschlacht: Bewusst, ja. Also in diesem Film ist nicht ein Ding unbewusst oder weil es einfach gerade so passiert ist.

Ich weiss noch, bei unserer ersten Übung in der Filmakademie sind wir mit einer Bolex mit Federwerk in den Park geschickt worden. Und unser inzwischen leider verstorbener Kameraprofessor hat damals zu mir gesagt: „Du musst Luft lassen – Du kannst doch nicht den Kopf abschneiden.“ Ich habe das lustig gefunden. Irgendwie, fand ich, hat das so gestimmt, und ich habe gesagt, der ist ja nicht abgeschnitten, der ist angeschnitten. Und zehn Jahre später hast du die gleichen Diskussionen wieder. Aber ich würde nie irgendwelche Maxime daraus ableiten.

Habt ihr vor den Dreharbeiten bestimmte Gestaltungsprinzipien festgelegt?

Gschlacht: Haben wir in dem Fall nicht gemacht. Wir haben sicher bei jedem Bild genau diese Diskussion geführt, aber nicht nach einem Schema, weil der Film jetzt nicht unbedingt danach schreit, nach einem Raster zu funktionieren. Sondern der soll auch diese Zufälligkeiten haben. Aber die Zufälligkeit muss man auch finden.

Das klingt paradox.

Gschlacht: Ja. Den Zufall findet man nur schwer.

Woher kommt der Realismus in „Lovely Rita“?

Gschlacht: Sehr viel kam einfach durch die Laiendarsteller. Und durch die Ausstattung. Auch wenn wir immer wieder darauf angesprochen worden sind, warum wir von Realismus reden, wenn alles aussieht, wie in den siebziger und achtziger Jahren. Geführt haben wir diese Diskussion übrigens in einem Kino aus den sechziger Jahren. Und ich habe dann gesagt: Schauen Sie sich einmal um. Wenn wir hier jetzt drehen, sagen Sie dann auch, das spielt in den sechziger Jahren? Die Leute leben einfach teilweise so, wie sie vor zwanzig Jahren ihr Haus eingerichtet haben …

… Video bringt von Haus aus einen gewissen Realismus. Gegenüber einem Filmbild kommt Video dem Auge viel näher, einfach durch die Schärfentiefe. Weil das Auge eben nicht unscharf/scharf sieht, sondern man hat eigentlich immer den Eindruck, dass alles in Deiner Umgebung scharf ist. Wenn ich Dich mit 35 mm filme, ist der Hintergrund total unscharf. Das gibt es für das Auge nicht.

Also es sind einfach so Kleinigkeiten, die aber ihren Teil zum Realismus beitragen, glaube ich. Um den dann wiederum zu brechen, war bei „Lovely Rita“ fast kein Scheinwerfer unfoliert. Bei einem rosa Lampenschirm im Wohnzimmer wird dann schon ein bisschen draufgesetzt und in diese Richtung gearbeitet. Vom Augenschein her hätte man nicht unbedingt sagen können, in dem Raum ist rosa Licht. Ich habe sehr viel die Augen offen gehalten … Was bietet mir dieser Raum? Was bietet mir die Strassensituation? Dort ist eine Neonreklame, da ist dies, da ist jenes und darüber habe ich dann relativ stilisiert gearbeitet. Ich war positiv überrascht, auf der Leinwand, dass diese Stilisierung dann so tough geworden ist. Ich rede jetzt von der Farbdramaturgie in dem Film. Durch die Ausleuchtung einerseits, und die Nachbearbeitung/FAZ (ein Verfahren, Videomaterial auf Film auszubelichten) – die das noch mal kontrastreicher gemacht hat – und das spezielle Printmaterial, das wir genommen haben, kommt das jetzt wirklich zum Leuchten. Das war ein noch schönerer, stärkerer Effekt, als ich ihn mir ursprünglich vorgestellt habe.

r.i.p.

Hausner: Der Realismus in meinen Geschichten hat für mich den Zweck, in seiner Summe das, was ich beschreibe, zu überhöhen. Die Ermordung der Eltern in „Lovely Rita“ zum Beispiel hat für mich weniger damit zu tun, dass ich glaube, weil die Menschen in Österreich nicht miteinander sprechen, muss das gesellschaftlich zu einem (lacht) Blutbad führen. Es geht vielmehr um die Überschreitung bestimmter Grenzen. Und wenn vorher die Grenzen so streng oder so eng sind, dann entsteht ein um so grösserer Zwang, sie zu überschreiten. Das ist eher die Ebene, die ich interessant finde. Horrorfilme zu schauen zum Beispiel hat auch irrsinnig viel damit zu tun, glaubt Ihr das auch? Das ist doch eines der grössten Tabus überhaupt, über das man ja nie spricht: das Sterben selbst. Wo doch niemand was dafür kann, dass er irgendwann sterben wird. Was eigentlich ganz spannend ist, diese Angst vor dem Tod. Bei mir ist es auch so: Auch wenn ich nicht wirklich dran denke, ahne ich manchmal so im Hinterkopf, dass es seltsam ist, wenn ich da beim Billa stehe und mir ein Hendl fürs Abendessen kaufe und mich darauf freue und das geniessen werde – aber sterben muss ich sowieso. Und das ist irgendwie so ein dunkelgrauer Untergrund, das ist wie wenn man auf Eis geht, und darunter ist etwas, das man nicht kennt. Und ich glaube, mir wäre es wirklich angenehmer, in einer Gesellschaft zu leben, in der man zum Beispiel einmal täglich darüber reden würde, oder in der es irgendwelche Rituale gäbe …

Die Kirche … ?

Hausner: Ja wahrscheinlich. Das ist auch ein Pech, dass ich da irgendwie ausgestiegen bin.

„Lovely Rita“ ist ja auch ein Horrorfilm.

Hausner: Es ist ein Horrorfilm. Der Schnitt hat sehr viel dazu beigetragen. Weil der auch noch mal versucht hat, das Messer hineinzuschieben …

Woher nimmst Du die Energie, so, ich sag jetzt mal, komplett spassfreie Geschichten zu erzählen?

Hausner: Die ist nicht spassfrei! Der Geburtstag zum Beispiel … ich meine, ich weiss nicht genau … Es kann natürlich nicht jeder darüber lachen, aber darin liegt natürlich ein sehr schwarzer Humor. Diese ganze Familie da beim Essen, ich meine … also ich persönlich lache mich krumm, wenn ich das sehe! Sein Geburtstag in dem Büro, und da kommen diese wahnsinnigen Kollegen, und die schenkt ihm das Feuerzeug, und er sagt: Jö, Gertrud, danke!

Was ich meine, ist auch nicht mal, dass die Leute lachen sollen. Sondern dass sie … vielleicht den Anflug eines Traumes mitkriegen, einen Anflug von Hoffnung.

Hausner: Also an Hoffnung glaube ich überhaupt nicht. Jetzt wirklich! Ich glaube, das Einzige, was mich befreien könnte im Leben, wäre, wenn ich es endlich schaffen könnte, bestimmten Dingen ins Auge zu schauen. Dazu gehört, wie schon gesagt, dass ich sterben werde. Und auch, dass ich zum Beispiel nicht daran glaube, dass Liebe etwas ist, was für einen längeren Zeitraum existiert. Das ist etwas, was ich noch lange nicht akzeptiert habe. Wenn ich der Tatsache ins Auge schauen könnte, dass ich wie ein Blatt bin, das vom Baum fällt, dann müsste ich mir nicht mehr Hoffnungen machen, dass irgend etwas anders oder toll ist oder so. Irgendwer hat gesagt, dass das letzte oder grösste Übel, das die Menschheit bekommen hat – von den Schrekklichkeiten in Pandoras Box – die Hoffnung ist. Und diese Geschichte verstehe ich irgendwie. Also ich bin nicht selbstmordgefährdet oder so, weil ich irrationalerweise einen grossen Haufen dieser Hoffnung abgekriegt habe. Aber es ist absurd. Die äusserste Hoffnung wird sich eben nicht erfüllen. Es können sich kleine Momente von Glück verwirklichen, das glaube ich auch, das kann man hoffen. Ich kann hoffen, dass ich irgendwie ein bisschen mehr Geld verdiene, dass ich jemanden kennenlerne, mit dem ich eine Zeit lang glücklich bin, dass ich ein Kind habe, das nicht vollkommen deppert oder lästig ist … Ich kann schon ein paar Sachen hoffen, klar. Aber da bin ich schon sehr nah an einem buddhistischen Gleichmut angelangt, wenn ich mich damit zufrieden gebe. Ich selber würde zum Beispiel ganz gerne ewig leben.

Okay, dann gibt es natürlich keine Hoffnung.

Hausner: Ja! Das meine ich. Ich glaube, dass von dem Ende aus, von dem Ende unser aller Leben aus gesehen, das Leben eine andere Wertigkeit bekommt. Und das alleine zum Beispiel ist der Grund, warum dieser Film so endet, wie er endet. Also ich weiss, dass der Schlusspunkt dort unten sein wird, und zwischendurch werde ich ein paar Höhen erleben.

Ich dachte, als ich „Lovely Rita“ geschrieben habe, super, jetzt merke ich, was die lustigen Seiten am Leben sind. Jetzt gibt es irrsinnig lustige Szenen, jetzt gibt es die Szene mit dem Fexi, jetzt hat sie irrsinnig viel Spass, und dann lernt sie den Busfahrer kennen, yeah, die gehen tanzen in die Disco … Ich war fest davon überzeugt, dass in dem Film wirklich euphorische und hoffnungsvolle Glücksszenen sind. Und dann ist es so, dass ich, wenn ich die Orte zusammensuche oder die Menschen, nicht anders kann … Ich will diesen Schritt über das, was entsteht, nicht hinaus. Also die Kinder tanzen miteinander, wie sie eben tanzen, und sie greift ihm an den Schwanz, wie sie es gemacht hat, und in der Disco ist gerade eine Scheiss-Musik, wie heisst das noch mal? „Life is live!“. Das sind Fundstücke, die ich nicht künstlich fröhlich machen kann und will.

Ich war also wie jemand, der einer Fährte folgt, und das war dann das Maximum an Glück, das ich erzeugen konnte. Und ich bin eigentlich auch überrascht davon, wie wenig es ist.

Aber … Gerade wenn du sagst, du möchtest ewig leben – das ist doch eine der Sachen, die das Kino erzählen kann.

Hausner: Ja, aber da muss ich wirklich sagen, die grösste Spannung, und die grösstmögliche Explosion ist ja das: Ich möchte ewig leben, aber ich werde nicht ewig leben. Und was habe ich von einem Film, der irgendeine Hoffnung behauptet, von der ich weiss, dass sie falsch ist! Ich möchte mich doch nicht für dumm verkaufen lassen.

Ich setze mich durchaus auch damit auseinander, ich weiss, dass dieses Thema da ist, aber ich nehme es jetzt auch nicht so irrsinnig schwer. Es ist ja nicht so, dass das Leben durch diesen Endpunkt komplett tragisch wäre.

Hausner: Dass es durch diesen Endpunkt nicht tragischer wird, sondern beiläufiger, diese Meinung teile ich auch. Mir gefällt auch, dass diese Rita so eine amoralische Figur ist, dass sie nach (dem Elternmord) eben diese Leberkässemmel isst. Ich meine, da könnte sie jetzt auch zusammenbrechen und einer Psychose anheimfallen oder so, aber sie ist eigentlich ein ganz robustes Wesen, oder? (lacht)

Könntest du dir vorstellen, eine Komödie zu drehen?

Hausner: Genres kann ich mir nicht so recht vorstellen … Humor liebe ich total, aber vor allem den Humor, der sich tatsächlich abspielen kann, wenn man irgendwo versehentlich in der Bank Austria steht, und jemanden beobachtet. Aber nicht so in gebauten Pointen, oder Wortwitz, das interessiert mich alles nicht so. Aber sagen wir mal, einen Film, der einen positiv entlässt, der nicht in irgendeine Tragik mündet … Hausner: Also das alleine ist ja schon eine Wertung. Was heisst schon positiv? Positiv ist für mich, wenn mich etwas berührt hat. Das hat viel mit Erkenntnis zu tun, oder auch sehr viel damit, wie ich mich als Mensch in diesem Leben empfinde.

das wesentliche

Albert: Wir sind in einem Zwiespalt mit dem, was wir tun. Genau das ist der Wattezustand, diese Betäubung der Leute. Das ist das Drama: betäuben und letztlich auch – wie der Kapitalismus ja funktioniert – unterhalten, damit man abgelenkt wird. Im Grunde gehört ja Film auch zur Unterhaltungsbranche, das ist der Zwiespalt, in dem wir stecken. Dass wir etwas machen, das Teil eines Systems ist, das das Betäuben und die Ablenkung von Fragen zum Ziel hat.

Svoboda: Ich habe das grosse Bedürfnis, eine direkte Linie zum Publikum zu finden. Weil ich nicht glauben will, dass es ein Publikum gibt, das sich nicht interessiert, das keine Fragen stellt. Und zum anderen glaube ich, dass es sinnvoller ist, rechtzeitig Dinge in Worten und Bildern zu thematisieren, bevor sich etwas materialisiert, bevor es eben in Form von Katastrophen, in Form von Zuständen, die dann viel schlimmere Dimensionen und Auswirkungen haben, erscheint. Und im Prinzip ist es ein sehr ambivalentes Gefühl, wenn man vom Film spricht. Man hat Lust, Geschichten zu erzählen, aber gleichzeitig hat man ständig das Gefühl, kämpfen zu müssen.

Albert: Ich finde, das Betäubtwerden passiert auf mehreren Ebenen. Über die Ablenkung, aber auch durch Arbeit. Ich meine, was machen wir? Wir sind doch auch abgelenkt und bürden uns dann halt tausende Arbeiten auf und machen uns zu mit so vielen, ach, so wichtigen Dingen und sehen dann das Wesentliche nicht mehr. Das ist auch letztlich eine Gefahr in unserem Beruf.

Svoboda: Was ist das Wesentliche?

Albert: Das Wesentliche ist: Was für Inhalte möchte ich übermitteln und was für Gefühle möchte ich übermitteln? Also Inhalte und Gefühle und Stimmungen und Perspektiven eigentlich. Wenn es notwendig ist, muss man die Situation, die da ist, zuerst mal analysieren. Man kommt oft nicht zu den Perspektiven durch. Ich merke es bei mir selbst. Wir sind darin so ungeübt, es gibt so wenige Utopien. Viele Utopien sind zerstört worden, das ist das Dilemma. Ich glaube, dass es jetzt die Chance gäbe, neue zu finden. Das hat jetzt begonnen mit Widerstand, in Österreich, aber vor allem auch mit der Antiglobalisierungsbewegung. Das ist ein Widerstand, bei dem es darum gehen muss, Perspektiven zu finden, und das ist eine schwierige Aufgabe. Da hat niemand einfache Lösungen. Um wieder aufs Filmemachen zu kommen: Ich finde, Filme hätten absolut die Kraft, Perspektiven zu schaffen, oder zumindest Fragen zu stellen, um auf diese Perspektiven zu kommen. Wobei das auch immer gefährlich ist. Die „andere“ Seite, die konservative Seite, hat ja auch immer ihre Perspektiven mit Hilfe von Filmen ausgedrückt. Es gibt so viele Filme, ich meine damit hauptsächlich Hollywoodfilme, in denen – und das passt sehr gut zum Thema – die Darstellung von gut und böse und die Zerstörung des Bösen (wer ist der Gute?) benutzt, simplifiziert, vereinfacht wurde. Und die ganze Zeit dieses heroische … Der amerikanische Patriotismus wird ständig im Film benutzt. Warum nicht eine andere Perspektive? Wahrscheinlich, weil eine andere Perspektive komplexer und schwieriger darzustellen ist. Aber es muss da auch Möglichkeiten geben für die Darstellung komplexerer Zusammenhänge und Realitäten, ohne zu abgehoben zu werden, da bin ich sicher. So was ist aber vor allem möglich durch eine Vielzahl von Filmen. Und da sind wir auch schon beim nächsten Problem.

Svoboda: Machen wir das Richtige? Um wirklich zu dem zu kommen, was man ausdrücken will im Film, braucht man unendlich viel Kraft und Intensität. Es ist so leicht, sich irgendwo hinzustellen und den Menschen nach dem Mund zu reden, den Wind ein bisschen aufzuschnappen … Aber wie schwer tun wir uns, den Nährboden, sprich unsere Kulturpolitik, und damit die Filmfinanzierung zu überzeugen, dass gewisse gesellschaftliche Auseinandersetzungen sehr wohl im Film stattfinden können.

Albert: Das stimmt schon. Wir brauchen sehr viel Energie, um überhaupt zum Inhaltlichen durchzukommen oder uns mal zu überlegen, was will ich eigentlich erzählen? Das stimmt schon. Aber weil du gefragt hast, ob wir das Richtige machen: Ich denke, wir haben alle das Bedürfnis, etwas filmisch darzustellen, umzusetzen oder rauszulassen und müssen es deshalb auch machen. Wir wollen schreiben, wir wollen Bilder machen, und deshalb versuchen wir es eben auf dieser Ebene. Ich mache mir oft Vorwürfe, dass ich nicht genügend auf einer anderen Ebene, auf einem anderen Gebiet kämpfe. Ich finde, den Mund aufmachen, das haben wir in Österreich nie so richtig gelernt. Mut zu haben. Das müssen wir uns ständig selbst beibringen. Wenn ich mich mit Inhalten beschäftige, merke ich einfach, dass ich auf dem Weg des Filmemachens Energie übermitteln kann. Ich bin halt nicht die, die politisch die grossen Worte findet, und deshalb kann es diese Ebene für mich nicht sein. Dennoch: ein Film kann immer nur ein Beitrag, ein Teil, sein. Darum ist es auch so wichtig, dass hier in Österreich eine Vielfalt von Filmen entsteht und eine Gruppe von Menschen Filme macht, die alle einen Teil beitragen, und das ist im Moment nicht leicht, weil es zu wenig Geld dafür gibt.

tarzan

Du hast vorhin von „männlichen Machtstrukturen“ gesprochen. Was meinst du damit?

Albert: In Österreich hat es vor der Coop genau eine Spielfilmproduzentin gegeben. Und bei den Produktionsleitern ist es auch so, dass alle wissen, es gibt wahnsinnig fähige Produktionsleiterinnen, aber arbeiten können vielleicht eine oder zwei. Die werden zum Teil einfach nicht hoch gelassen. Viele Frauen sind emigriert, zum Beispiel Elfi Mikesch oder Johanna Heer … Christine Maier war glaube ich die erste Kinospielfilm- Kamerafrau seit langem, die in Österreich gedreht hat, oder überhaupt, das müsste man mal recherchieren. Der haben sie es wirklich nicht leicht gemacht … Also das meine ich. Bei der Christine hast du wirklich gemerkt, dass die Männer innerhalb dieser Struktur ein Problem damit haben, wenn da zwei Frauen irgendwie so mächtig sein wollen, Kamera und Regie zu machen. Und da fangen sie an, dich gegeneinander auszuspielen.

War Eure Zusammenarbeit bei „Nordrand“ Konzept?

Albert: Überhaupt kein Konzept, und ich bin überhaupt die Letzte, die irgendwie männerfeindlich war oder ist. Aber als ich auf die Akademie gekommen bin, hab ich das erste Mal gedacht: Aha, wir leben in einer Männerwelt. Ich habe das vorher nicht gesehen.

Gibt es so etwas wie einen „Frauenfilm“?

Albert: Solche Schubladen interessieren mich überhaupt nicht. Und „Frauenfilm“ … Na ja, ich sag auch manchmal, das ist ein Bubenfilm oder so. Ich wehre mich nur ganz arg, wenn ich zum Beispiel in Rotterdam auf einer Podiumsdiskussion sitzen muss unter dem Titel „Girlpower“. So in etwa: „Auch Frauen machen Filme“. Und dann sitzt irgend ein männlicher Moderator mit fünf Regisseurinnen da und verarscht die eigentlich nur. Das finde ich peinlich. Ich würde niemals über eine Männerdiskussion „Boypower“ schreiben. Ich weiss, da haben zum Teil jüngere Frauen überhaupt kein Problem damit, also Freundinnen von mir, die sind so 22 und fühlen sich angesprochen, wenn es heisst „Girlpower“ und so. Das finde ich aber ganz furchtbar. Ich will eben kein Girlie sein und bin es auch nicht, sondern ich möchte als Frau ernst genommen werden. Ich finde auch, Frauen tendieren dazu, immer wieder dieses Mädchenhafte raushängen zu lassen, und das finde ich falsch. Das finde ich auch beim Arbeiten unerträglich. Wenn Frauen, die einen Film gemacht haben, nachher auf die Bühne kommen: „Ja, ich weiss, tut mir eh leid, dass ich diesen Film gemacht habe, und ich weiss, er ist nicht gut, aber ich hoffe, irgendwie hat er euch doch gefallen.“ Wirklich! Genau dieses Kleinermachen, brav sein und lieb, damit die Leute einen mögen! Ich meine, dieses Gemochtwerdenwollen, das kenne ich aus eigener Erfahrung, das habe ich auch gehabt. Aber wenn ich Filme gemacht habe, habe ich nie gedacht: Bin ich jetzt eine Frau oder ein Mann? Ich mache halt den Film, ich bin einfach die Regisseurin.

Aber wenn man sich vorstellt, dass fünfzig Prozent der Menschheit bisher nicht viel zu sagen gehabt hat … wäre es doch möglich, dass da plötzlich Sachen passieren, die bisher nie passiert sind.

Albert: Ich bin oft gefragt worden: „Was ist der weibliche Blick? Was ist der Unterschied?“ Das kann ich nicht sagen, ich analysiere meine Filme nicht. Es gibt bei einer Jane Campion in den ersten Filmen Details, die ich selten in Filmen gesehen habe, die Männer gemacht haben. Details, was weiss ich, Requisiten, kleine Dinge … Für mich beginnt es da unheimlich zu leben, und das habe ich davor wenig gesehen. Ich muss auch sagen, bei „Reservoir Dogs“ schlafe ich ein. Ich weiss nur, dass da Männer super begeistert sind. Ich habe zum Beispiel auch mit Scorsese lange Probleme gehabt. Mafia interessiert mich null – und irgendwelche Buben, die herumknallen, so in der Art. Die Qualität seiner Filme habe ich schon gesehen, aber mich haben einfach die Themen wenig interessiert. Ich meine, es gibt niemanden, den ich jetzt hinstelle und von dem ich sage: Das ist jetzt mein Lieblingsregisseur oder meine Lieblingsregisseurin. Ich bin von manchen Filmen sehr begeistert, und ein anderer Film vom selben Regisseur gefällt mir trotzdem nicht, ohne dass mich das stört.

europa

Die Coop hat es wahrscheinlich im Haider-Österreich nicht leicht, förderpolitisch. Aber ihr habt die bewusste Entscheidung getroffen, gerade jetzt in Wien zu bleiben?

Svoboda: Das betrifft, glaube ich, in erster Linie eine Entscheidung, die das Filmemachen eines jeden einzelnen angeht. Das heisst: Wo findet er seine Geschichten? Was erzählt er? Wo glaubt er etwas Relevantes erzählen zu können? Es hat einfach damit zu tun, dass sich keiner von uns als Genreregisseur oder -regisseurin empfindet. Was uns vereint ist die Suche, die Lust am Fragenstellen. Wir empfinden das Kino, glaube ich, als Zweifelanstalt. Vielleicht kann man den Konsens darin sehen. Und diese Identitäts- und Sinnsuche hat viel mit den eigenen Wurzeln zu tun. Dann gründet man eine Firma, weil man das betreiben will und auch gemeinsam die grössten Chance sieht. Wir sind nun mal hier, irgendwo in Europa. Und ich glaube, es ist in keinem anderen Land so viel besser oder schlechter. Es gibt Vor- und Nachteile. Unser Nachteil ist, dass wir Menschen an der „Front“ haben, die an einer Filmkultur kein Interesse und von Filmproduktion keine Ahnung haben. Da ist ein frustrierter Schauspieler (gemeint ist Franz Morak, österreichischer Kunststaatssekretär), der nie eine richtige Hauptrolle gehabt hat und jetzt seine ganze Enttäuschung und Wut gegenüber der Filmwirtschaft auslebt. Vielleicht ist er auch nur eine Marionette. Ich
habe gerade im Internet durchgelesen, was dieser Mensch im Europarat zum Besten gegeben hat. Also da ist einfach jede Stellungnahme inhalts- und sinnlos. Das widerspricht jeder Realität, jeder Vision, das ist nur irgendein Schaum, Schlagworte, vorwiegend um zu zerstören. Irgendwann wird die Politik einfach ein unangenehmes, kafkaeskes Gebilde und du hast das Gefühl: Warum kann der das so ungehindert sagen?

Was ist die Konsequenz für euch?

Svoboda: Wir müssen viele, viele, viele Antennen ausfahren und wirklich das Produzieren in Europa ernst nehmen. Und gleichzeitig das Selbstverständnis behalten, dass man hier und jetzt auch österreichischen Film machen kann. Ich habe auch überhaupt keine Lust, mich von solchen Menschen vertreiben oder verdrängen zu lassen. Da kommt bei mir die Kampflust auf. Es ergibt für mich keinen Sinn, die Zelte abzubrechen, weil man anderswo besser Geld oder Filme machen könnte – abgesehen davon, dass ich daran auch nicht glaube. Ausserdem beruhigt mich die Gewissheit, dass die Halbwertszeit von Politikern kürzer ist als die von Filmen.

Es ist ja eigentlich eine gute Zeit für österreichische Filmemacher: „Die Klavierspielerin“, „Hundstage“, „Nordrand“, „Lovely Rita“, „Mein Stern“ usw. Woher kommt diese Konzentration von guten Leuten und Filmen?

Svoboda: Das ist eine steinige Entwicklung über 10, 15 Jahre hinweg. Seidl hat über 15 Jahre hinweg seine Filme gemacht und nicht unbedingt Publikumserfolge damit erzielt. Haneke genauso. Es ist schön, dass das kulminiert. Es ist schön, das es auf Festivals heisst: Vor drei Jahren gab es Dänemark, jetzt gibt es Österreich. Was ist da passiert, dass dieses kleines Land plötzlich relevante, spannende Sachen macht? Ich weiss es nicht. Was vielleicht eine Rolle spielt, ist dieses Gefühl, das
Aussen könnte einen nicht berühren. Ich will das jetzt nicht überstrapazieren, aber es ist schon so, dass jeder im Moment seinen Egoismus im besten Sinne zur Geltung bringt. Es ist eine innere Befindlichkeit …

Was fehlt?

Svoboda: Es fehlt, meiner Meinung nach, das Verständnis, dass das Kino eine sehr wichtige und weitreichende Kunstform ist, die sehr viel transportieren kann, was im Hier und Jetzt gesellschaftlich und politisch relevant ist. Film muss generell einen anderen Stellenwert bekommen. Man muss in die Schulen gehen und sich im Deutschunterricht nicht nur mit Literatur auseinander setzen, sondern auch mit Film. Es fehlt die absolute Anteilnahme vom Schuster bis zum Politiker, die Liebe zum Film, die vielleicht einmal da war – ich habe es nicht erlebt.

Also Leidenschaft … ?

Svoboda: Ja, es ist leidenschaftslos, lustlos. Mir fehlt das Niveau, aber mir fehlt gleichzeitig auch der Sex.

Die (Einzel-) Gespräche führten Jens Börner, Benjamin Heisenberg und Sebastian Kutzli am 12. Dezember 2001 in Wien. Der Block „Das Wesentliche“ entstand als „Coop-Selbstgespräch“ am 14. September 2001. Montage: Benjamin Heisenberg. Mitarbeit: Christoph Hochhäusler.

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