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Interview: Oliver Voss

Revolver: Du hast gerade an der Gründung einer deutschen Werbeschule mitgewirkt – der Miami Ad School Hamburg. Ist das ein Weg in die Respektabilität?

Oliver Voss: Kann gut sein. Die Werbung wird dadurch auf jeden Fall professioneller – wie in den USA, wo es solche Schulen schon lange gibt. Die Werbung hat sich ja in den letzten Jahren immer weiter in die Öffentlichkeit gedrängt und ist Teil der Kultur geworden. Das wird bestimmt noch weiter zunehmen, weil die Werbung nach immer neuen Wegen sucht, Aufmerksamkeit zu generieren, ohne sofort als Werbung begriffen zu werden.

Die Werbung beschäftigt sich also damit, unsichtbar zu werden. Warum?

Weil der grösste Teil der Werbung einfach wahnsinnig schlecht ist. Das war immer so und wird immer so sein. Das liegt an den „Big Spenders“, die es sich leisten, unkreativ zu sein. Die drücken ihre Botschaften mit viel Geld durch, gehirnwäscheartig. Und diese Art der Werbung nimmt den grössten Platz ein.

Das nimmt also auch der Werber als Terror wahr …

Wenn Werbung kommt, zappe ich sofort weiter. Diejenigen, die originelle Werbung machen, müssen also erst mal gegen dieses Ressentiment antreten: „Oh Gott, da kommt schon wieder Werbung.“ Deshalb das Bemühen, die Leute auf anderen Kanälen zu erreichen, oder in einer anderen Sprache, die zunächst nicht als Werbung erkennbar ist.

Die Frage ist, ob eine Ästhetik, die sich nur an der Wirkung orientiert, nicht in den geistigen Bankrott führen muss. Ich beschreibe einfach mal, wie es mir oft mit Werbung geht: Ich sehe da Talent und grossartige Ideen, die verschwendet werden; die sich selbst verbrauchen, die sich selbst ihre Glaubwürdigkeit nehmen, weil man ja weiss, das Glück steckt nicht im Pullover …

Ich meine, dass es Verschwendung ist, kann man schon sagen, wenn man den Wert einer Idee danach bemisst, was sie erreichen will. Dadurch, dass unsere Ideen immer mit einem Logo „gebrandet“ sind, sind sie im künstlerischen Sinne bestimmt weniger wertvoll als der Film, den der Regisseur alleine unterschreibt. Trotzdem macht Lynch Werbung für Playstation, Scorsese für Armani und Spike Lee für Nike: Sie alle haben Werbung gemacht und fanden nach eigener Aussage die Arbeit an diesem für sie neuen Format inspirierend.

Aber ist es möglich, dabei im altmodischen Sinne anständig zu bleiben?

Ich glaube schon. Die Integrität hängt aber – wie überall – vom Charakter desjenigen ab, der die Werbung macht. Es gibt drei Pole, zwischen denen sich Werbung bewegt. Der eine ist, was unser Kunde erreichen will – er will eben seine Klamotten verkaufen. Dann gibt es seinen Kunden – das ist der, der den Pullover kaufen soll. Und dann gibt es da noch uns, die Werber, die sich überlegen, wie man attraktiv von dem Produkt erzählen kann. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Werbung auch für die beiden anderen Beteiligten interessanter und effizienter ist, wenn derjenige, der sich die Werbung ausdenkt, etwas Persönliches in den Film hineinlegt. Zuerst würde man ja das Gegenteil denken. Aber das ist genau das, was ich den jungen Leuten an der Ad School sage: „Nehmt irgendeine Idee, für die das Produkt nur das Vehikel ist, um sie endlich mal zu machen.“ In der Regel sind das auch die Ideen, die am Besten funktionieren.

Da werden Dinge eingeschmuggelt?

So wie Coppola das von Hollywood gesagt hat: Das System von innen heraus verändern. Ich gehe in das System hinein, und dann mache ich eigentlich doch, was ich will.

Wobei das natürlich auch eine perfide Täuschungsstrategie des Systems sein könnte: das Versprechen einer persönlichen Autorenschaft als die sublimste Art der Prostitution.

Das kann natürlich eine Selbsttäuschung sein, klar.

Der Werber überprüft alles daraufhin, ob es wirkt, ob es emotionalisiert, und alles, was diese Kriterien nicht erfüllt, hat keinen Platz in diesem Format, für den Zweck. Nun kann man sagen, das allein ist noch kein so grosser Unterschied zu der Ästhetik Hollywoods. Aber was für mich den Unterschied macht, ist, dass dahinter notwendigerweise eine Täuschung steht. Also unter Umständen erzählt ein begabter Werbefilmer mit unglaublicher Beherrschung seiner Mittel eine Geschichte und gibt dir ein gutes Gefühl, aber dahinter steht eben das andere: Das Gefühl soll sich verbinden mit dem Produkt. Diese Schere ist das, was mir Bauchschmerzen macht.

Bei kulturell angeseheneren Filmemachern … Ist das wirklich so ein grosser Unterschied? Wenn man sich ansieht, wie Lars von Trier zum Beispiel einen Film plant.

Die Frage ist, macht er seine Filme, um Wirkung zu haben, oder ist die Wirkung Ausdruck seines erzählerischen Anliegens?

In der Kunst gilt: „Wenn du eine Botschaft hast, schreib eine Postkarte.“ Jede Geschichte will verführen …

Ich empfinde die Werbung als eine Maschine, die visuelle Muster frisst …

… und wieder ausspuckt.

Ich habe das Gefühl – und das passt natürlich prima zum Kapitalismus –, dass es eine Entwertungsmaschine ist. Einerseits wird alles zur Ware, andererseits verliert alles an Wert.

Ich glaube, das täuscht. Ich glaube, dass sich diese grossen Formen – Werbefilm, Musikvideo und Spielfilm – gegenseitig inspirieren. Und dass in jedem Medium mal der Startschuss gegeben wird für irgendeine Idee.

Es gibt sicher viele ästhetische Neuerungen, die aus der Werbung gekommen sind. Aber das meine ich nicht. Ich hole noch mal etwas weiter aus. Ich bin vorher an einer Demo vorbei gekommen, gegen den Irakkrieg. Alle waren bestückt mit Symbolen, aber zwischen den Leuten und ihren Fahnen war gewissermassen noch viel Platz. Die Demonstranten haben mit ihren Zeichen kokettiert, und ich glaube, dass dieses spielerische Verhältnis zur Wirklichkeit, selbst dem Krieg gegenüber, viel mit Werbung zu tun hat. Die Möglichkeit, mit Bekenntnissen zu kokettieren, die einem nicht zu 100 Prozent gehören, scheint sich in den letzten Jahrzehnten vervielfacht zu haben. Es ist heute kein Problem mehr, ein Peace-Zeichen oder sonst ein Emblem zu tragen, obwohl man sich nicht damit identifiziert. Also die Werbung macht in diesem Sinne Bilder verfügbar und beweglich. Man kann Codes ganz plötzlich wechseln, ohne als Wendehals zu gelten.

Da ist sicher was dran. Zum Beispiel unser Slogan „Geiz ist geil“ für Saturn … Ich hab gestern ein Plakat gesehen „Frieden ist geil“, und kürzlich sah man Studenten in Berlin mit Postern „Geist ist geil“.

Die Werbung lebt gewissermassen von der Restwärme leer gemachter Begriffe. Wie bewusst passiert so etwas? Ist die Werbung eine belesene Branche?

Leider gar nicht. Viele, die in der Branche arbeiten, kennen sich wenig aus und verachten, was sie nicht kennen. Sie sind nicht literarisch oder an bildener Kunst, Musik, Film oder Politik interessiert und entsprechen dem Klischee des Bluffers oder Hedonisten. Eigentlich kennen in der Branche ganz viele wenig.

Warum ist das so?

Ich glaube, man kann in der Werbung gut mit einem Halbwissen zu Rande kommen. Du musst ja immer nur an der Oberfläche bleiben. Die Vermittlung von Information beschränkt sich immer nur auf 30 oder 60 Sekunden. Du musst von allem so ein bisschen Ahnung haben und von nichts richtig. Es gibt begnadete Werber – das sind überraschenderweise nicht die Schlechtesten – die Rimbaud mit Rambo verwechseln. Aber es gibt natürlich auch sehr gescheite Köpfe, mit denen Du Dich tagelang über Dostojewski, Beuys oder Peckinpah austauschen kannst. Meistens kommst Du dann nur nicht mehr zum Arbeiten. (lacht)

Es gibt ja das berühmte, na ja, Vorbild Leni Riefenstahl, die über „Triumph des Willens“ gesagt hat, sie hätte auch Birnen oder Äpfel fotografieren können … Fest steht, dass ihre Filme vor allem ästhetisch interessant sind, sehr wirksam waren und ganz ähnlich, wie das Werbung heute macht, ein System ästhetisiert und emotionalisiert haben. Ihr arbeitet sicherlich auch mit Firmen zusammen, die Verbrechen begehen – unter anderem –, also die holzen zum Beispiel im Namen irgendwelcher Shareholder Values Urwälder ab … Und dann wird da also ein toller Werbefilm gemacht von Leuten, die offenbar keine Ahnung haben. Die Werber sind ja oft sehr jung, werden gut abgefunden und sind, wie du gerade gesagt hast, nicht umfassend gesellschaftlich orientiert. Die kann man gut missbrauchen.

Klar, das ist bestimmt so in der Branche. Ich meine, wir machen es hoffentlich anders.

Aber gibt es diese Diskussion?

Ja, es gibt sie schon. Aber es gibt ja auch die andere Seite. Ich habe jetzt mehr über die Branche als über die Agentur oder die Gruppe gesprochen, in der ich arbeite. Da gibt es schon Diskussionen. Also Jung von Matt hat zum Beispiel irgendwann beschlossen, keine politische Werbung zu machen, wir unterstützen keine politische Partei. Das ist sicher das Resultat der Diskussion darüber, was man eigentlich alles machen soll und was nicht. Es gab auch immer wieder Kunden in der Agentur, bei denen Leute gesagt haben: „Für die will ich nicht arbeiten.“ Und dann haben wir gesagt: „Okay, dann mach’s halt nicht. Möchte sonst vielleicht jemand?“ (Lacht)

Aber wenn man sagt: Na gut, dann macht es eben jemand anderes (jemand, der vorankommen will) – das kostet nicht viel.

Das stimmt. Das ist auch ein Gewissenskonflikt, von dem ich wusste, dass ich ihm begegnen würde, als ich in die Werbung ging. Das ist sicher nicht ideal, aber inzwischen habe ich hingenommen, dass das so ist.

Die meisten Verbrechen unserer Zeit werden gut versteckt, das macht es ja so verzwickt. Die Konglomerate sind so gross … Gibt es in der Branche Respekt für Zurückhaltung in Grenzfällen? Dass auch nach aussen klar ist: Ich mach das nicht.

Es gibt nie ein Statement wie: Wir werden für euch keine Werbung machen. Das würde auch nicht funktionieren. Da würden die Unternehmen auch sagen: „Wieso, wir haben euch doch auch gar nicht gefragt.“ Oder: „Ihr erfüllt ja auch nicht die Qualifikation.“ Das würde auch niemanden interessieren, glaube ich.

Ich glaube, dass es sehr interessant wäre, das zu kommunizieren. Wenn die Werbeagenturen sagen würden: Wir haben eine Meinung.

Da muss ich Dich enttäuschen. Immerhin gibt es Kündigungen, die wir aussprechen. Es ist einige Male passiert, dass wir erklärt haben, das machen wir nicht mehr mit. Das ist uns zu platt und dumm, das entspricht nicht unserem Verständnis von guter Werbung, obwohl ihr uns Geld und Prestige bringt.

Aber da geht es mehr um die „Marke“ Jung von Matt, also um eine Elitepositionierung und nicht um eine ethische Entscheidung.

Ja, sicherlich. Es ist aber auch einfach so, die Marke wird getragen von Personen, und irgendwann geht es halt nicht mehr, wenn ein Kunde einem ewig reinquasselt. Aber das Ethische … Ich glaube nicht, dass sich das finden lässt in der Werbung.

Wie viel Geld fliesst eigentlich in die Werbung?

Man rechnet so fünf bis zehn Prozent von dem, was Unternehmen verdienen.

Das heisst, die nehmen das verdammt ernst …

Deshalb beschäftigen sie auch Werbeagenturen, weil wir es nicht so ernst nehmen. In meinem Tagesablauf ist es so, dass ich von morgens bis mittags versuche, Telefonate zu führen und organisatorische Sachen zu erledigen, und nachmittags setze ich mich mit einer anderen Person in ein Café – so wie wir jetzt hier sitzen –, mit ein bisschen Papier und einer Aufgabe, die sich auf einen Satz reduzieren lässt. „Die Bildzeitung populärer machen“ zum Beispiel. Und dann überlegen wir einfach, was für Geschichten uns dazu einfallen.

Und du persönlich hast kein Problem damit, die Bildzeitung populärer zu machen? Gibt es da irgendwo Grenzen?

Ja, es gibt Grenzen. Aber die ziehe ich nicht nach einer politischen Definition oder Vorgabe. Ich würde keine Imagekampagne für die Bundeswehr zum Beispiel machen. Das muss man bei jedem Produkt neu entscheiden, wo die Grenzen sind.

Die Bildzeitung ist keine Grenze?

(Lachen)

Heute nicht mehr. Aber es gibt bestimmte Situationen, in denen wir unseren Kunden raten, Dinge nicht zu bewerben, Dinge nicht so darzustellen, wie sie es wollen. Weil wir es für kontraproduktiv halten – für die Marke, aber auch für Sachen, die darüber hinausgehen. Ein ganz banales Beispiel: Bei der Mini-Kampagne haben wir gesagt, die Darsteller sollen nicht nur aus Deutschland, sondern aus der ganzen Welt kommen. Das fand ich wichtig für die Marke, aber das fand ich auch wichtig, um zu zeigen, da sind viele Kulturen unterwegs. Und es ist natürlich schön, wenn es einem gelingt, so etwas einfliessen zu lassen.

Würdest du sagen: Darauf bist du stolz?

Doch. Ich glaube an die Macht von Werbung. Ich glaube, dass uns Bilder erziehen in irgendeiner Form, und wenn die Bilder, für die ich verantwortlich bin, unterschwellig oder auch direkt eine Message haben, die ich richtig und gut finde, dann bin ich damit schon zufrieden. Und manchmal passiert es, ohne dass wir da gross darüber sprechen müssen, und manchmal ist es auch das Ergebnis einer Auseinandersetzung mit den Auftraggebern.

Wie läuft so eine Argumentation?

Es gibt ja auch im Film heute unheimlich viel Marktforschung, verschiedene Enden werden gegeneinander getestet usw. Wir versuchen uns von dieser pseudowissenschaftlichen Art, Ideen zu beurteilen, fern zu halten. Wir raten auch unseren Kunden, lieber die Frau oder Freundin zu fragen, anstatt sich auf das Urteil von einer Testgruppe zu verlassen, die ja bestellt ist, um Defätismen zu äussern. Ich sträube mich auch dagegen, ein Briefing genau zu lesen. Also wenn man ein Produkt bewerben muss, landet meistens so ein dicker Leitz-Ordner auf einem Tisch, in dem alles über das Produkt drinsteht. Das lese ich nie.

Diese Testfanatiker haben ja gute Argumente. Sie sagen, man verkauft eindeutig mehr Waschmittel …

Das ist der eine Weg. Man kann das sicher so machen, aber da braucht man sehr viel Geld. Nicht nur, um diese Tests zu bezahlen, sondern auch, um in diese ziemlich weichgespülten Botschaften dann noch irgendetwas einsickern zu lassen. Dafür braucht es dann reine Mediapower. Und es gibt keine Überraschungserfolge. Es gibt zwar keine Fehler, aber es gibt auch nicht so etwas wie ein Blair-Witch-Project der Waschmittelwerbung. Das haben wir oft genug hingekriegt, dass wir einen Film nur dreimal gezeigt haben, und plötzlich hat das ganze Land darüber geredet. Wenn man kein Geld hat, muss man mutig sein und etwas Aussergewöhnliches machen.

Diese Diskussion gibt es ja auch im Film … Unsere Chance müsste es sein, radikale Filme zu machen, weil wir mit Hollywood-Budgets nicht konkurrieren können.

Absolut.

So dass zweierlei übrig bleibt: Das kalkulierte teure, wo die Handwerker auch gut sind, und das Spitzige, Persönliche. Das müssen die Strukturen natürlich auch zulassen.

Wenn du einen Inhaber einer Firma hast, der eine klare Meinung hat – wie Erich Sixt zum Beispiel –, dann gelingt es, Aufsehen erregende Sachen zu machen. Aber sobald es ein Gremium gibt … Je weniger Entscheider, desto einfacher ist es, eine Spitze zu setzen.

Wahrscheinlich ist das aber trotzdem auch für euch die Regel, so ein Gremium …

Ja. Deshalb braucht es auch sehr viel Zeit und Energie, Ideen zu verkaufen. Die Idee an sich ist vielleicht 10 Prozent, und der Rest ist wirklich Mit-dem-Kopf-durch-die-Wand und alles daran setzen, die Geldgeber zu überzeugen.

Ich höre immer öfter von Leuten, die einen Werbefilm drehen und dann daraus einen „Director’s Cut“ schneiden. Das kann doch eigentlich nur ein Witz sein.

Ja, das ist auch ein Witz. Das dient dann nur noch der Selbstdarstellung. Also wenn man einen Regisseur für einen Film sucht, schaut man sich dessen Rollen an. Da sind dann 6 oder 12 Werbefilme drauf. Und nur da wird der „Director’s Cut“ dann gesehen. Oder auf Festivals. Aber ich bin kein Freund davon. Ich glaube, man muss eben den Film für das Publikum machen, das man hat. Es nutzt nichts, im stillen Kämmerlein zu sagen, „Der Kunde hat uns aber gezwungen, die Szene nur so kurz zu machen und in Farbe … Ich wollte das aber länger und in schwarz-weiss haben.“ Ich finde, der Prozess des Verkaufens, der Überzeugung, der gehört einfach mit dazu … Was nützt das Modell des Eiffelturms, solange man den Turm nicht wirklich baut. Das Tolle war eben, den Kopf zu haben, das durchzusetzen. Der feste Rahmen ist ja auch für viele Kreative ein Katalysator gewesen. Wie die Reimform, die einen Dichter zwar wahnsinnig knebelt, aber eben auch inspirieren kann. So ähnlich ist es auch in der Werbung.

Das Genre als Herausforderung?

Genau.

Was für mich als Filmemacher immer eine Rolle spielt, ist die Verhältnismässigkeit … Ich meine, es geht um riesige Summen. Klar, dass ich mich da nicht persönlich für jeden Euro verantwortlich fühlen kann, das ist einfach zu abstrakt, aber ich finde, dass es ein Verhältnis geben muss von Aufwand und Ergebnis. Das ist in der Werbung ja manchmal sehr pervertiert.

Du meinst: Es wird sehr viel Geld ausgegeben?

Wahnsinnig viel Geld. Gibt es für euch so ein Gefühl von Verhältnismässigkeit?

Wir denken da überhaupt nicht so. Wir geben viel aus, aber bringen auch genauso viel rein. Werbung funktioniert. Und dann denke ich als Geschichtenerzähler: Je mehr Geld, desto besser. Sowohl für die Produktion, als auch vor allen Dingen für die Mediaschaltung. Lieber 100 Millionen als 10 Millionen. Der Reiz an der Werbung ist ja: Man denkt sich einen kleinen Witz aus oder eine Geschichte, der mit einem Produkt zusammen hängt, und dann kann man das dem ganzen Land oder ganz Europa oder der ganzen Welt zeigen. Und das ist natürlich toll. Man kann den Witz einer breiten Masse erzählen. Je mehr Geld, desto mehr Leute erreicht man. Diese Extrovertiertheit ist, glaube ich, jedem Geschichtenerzähler gemein; dass er sagt: ich mag meine Geschichte, schön, wenn möglichst viele Leute sie sehen.

Einige Kampagnen finden ja auch Echo in den Medien selbst, also im redaktionellen Teil, zum Beispiel eure Kampagne für Sixt, die kam im Spiegel vor, in Tageszeitungen etc. Ist das wichtig für euch?

Für mich ist die Erwähnung in einer Zeitung zehnmal wertvoller als eine Goldmedaille beim Art Director’s Club oder in Cannes. Weil ich finde, in dem Moment, in dem man im Spiegel erwähnt oder bei Harald Schmidt zitiert wird, hat man es geschafft, etwas zu berühren, was die Leute wirklich interessiert. Und das ist etwas ganz anderes, als diese Preise, die sich Werber gegenseitig verleihen. Das ist ja nur Selbstbefriedigung von einer Clique von Insidern.

Also man will wirken?

Ich ja.

Und Zahlen, Verkäufe, also ob die Werbung wirkt im Sinne der Auftraggeber?

Das läuft ziemlich marktrational ab … Wenn ein bestimmter Werbefilm nicht funkt, wird sich der Kunde überlegen, eine andere Agentur zu beschäftigen.

Es gibt in den letzten Jahren unglaublich viel Werbung für „die richtige Seite“, für das Gute im Menschen, mehr Zeit für Kinder, weniger Hass, gegen Rechtsradikale etc. Mir fällt auf, dass das eigentlich immer total langweilig ist. Es scheint so, als könnte man für „das Gute“ keine Werbung machen.

Neunzig Prozent ist salbungsvoller Schrott. Das dient der Gewissensberuhigung. Das trieft entweder vor Moral, was immer nervt. Oder es ist nicht richtig spitz, weil die Macher Lockerheit mit Unseriosität verwechseln und glauben, ein ernsthafter Gedanke vertrage keinen Spass. Viele sind dann auch enttäuscht, weil sie mit einem Auge auch auf Wettbewerbe zielen und dann leer ausgehen.

Gerade diese Werbung gegen Rechts finde ich gerade dadurch ekelhaft, dass ihr ihre eigene Wirkungslosigkeit egal zu sein scheint. Vielleicht fehlt da auch die kreative Beschränkung, von der wir vorhin gesprochen haben.

Ja. Oder der Kunde, der Druck macht.

Auch der Werbekünstler muss leiden.

So ist es.

Das Gespräch führte Christoph Hochhäusler am 24.03.2003 in Hamburg. Bearbeitung: Christoph Hochhäusler.

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