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Michael Althen: Beruf: Filmkritiker

Warum kommen solche Umfragen immer dann, wenn man gerade am wenigsten weiss, wozu, warum, wohin?

Ich weiss noch, wie beeindruckend ich es fand, als ich in meine allererste Pressevorführung ging, „Hammett“ von Wenders im Münchner Eldorado, und einer mir zuraunte, dort sitze Peter Buchka von der SZ. Der hatte allen Ernstes einen eigenen Standaschenbecher neben sich stehen. Arg viel besser konnte man es im Leben ja wohl kaum treffen. Obwohl ich mir aus Raucherkinos nie sonderlich viel gemacht habe und eigentlich ganz froh bin, dass mir wenigstens im Kino das Rauchen untersagt ist.

Dass Buchka uns Schnösel später in der SZ hat schreiben lassen, finde ich rückblickend noch erstaunlicher als damals. Wieviel er zugelassen und sich selbst zugemutet hat. Es ging gar nicht so sehr um Positionen, sondern um eine Neugier auf bestimmte Sachen, die von der herrschenden Filmkritik links liegen gelassen oder verächtlich gemacht wurden. Gar nicht mal nur der Trash, sondern eher der Mainstream. Denn dort, wo das Kino mehrheitsfähig ist, zeichnen sich bestimmte Sachen deutlicher ab als dort, wo das Kunstwollen im Vordergrund steht. Über Godard konnte jeder klug daherschreiben, über den letzten Käse aus Hollywood nicht. Obwohl es natürlich einen Text von Hartmut Bitomsky über „Vergewaltigt hinter Gittern“ gibt, der alles in den Schatten stellt, was nach ihm kam. Es ging also darum, den Mainstream so ernst zu nehmen wie Godard, aber über Godard so anschaulich zu schreiben wie über Hollywood.

Ob das schon eine Position ist, darf bezweifelt werden. Man traf sich über bestimmte Vorlieben, man hatte ein gemeinsames Interesse. Und das hiess: Kalif anstelle des Kalifen zu werden. Filmkritik ist schliesslich auch eine Karriere. Wenn man Glück hat. Ein Broterwerb, ein Beruf – und der heisst Journalismus. Es gibt keinen Grund, so zu tun, als gälten für die Filmkritik andere Regeln als für andere journalistische Ressorts. Es geht um Aktualität, um Anschaulichkeit und darum, den anderen eine Nasenlänge voraus zu sein. Kurz: Es geht darum, jeden Tag eine neue Sau durchs Dorf zu treiben. In den Feuilletons wurde lange so getan, als könne man das ignorieren, aber die Besseren haben das immer schon gewusst und auch so geschrieben. Das ist ein Spiel, in dem man mitspielt, und man muss zusehen, dass einen die Routine nicht einholt. Tut sie aber natürlich. Nicht immer, aber immer öfter.

Das sind natürlich alles so Einsichten, von denen auf der Revolver Live! -Veranstaltung im Prater nicht die Rede war und mangels einschlägiger Erfahrungen oder entsprechender Ambitionen vielleicht gar nicht sein konnte. Ich weiss noch, wie sehr ich den Abend zum Kotzen fand. Die gespielte Naivität und den gezielten Hochmut, was Filmkritik angeht. Das Verschanzen hinterm Kunstkontext, wo so lange mit Begriffen um sich gehauen wird, bis auch der letzte Rest von Anschauung erschlagen ist. Wovon man nicht reden kann, davon muss man faseln. Andererseits: Patalas war dabei, in dessen Filmmuseum wir in die Schule gegangen sind und dem ewige Dankbarkeit sicher ist. Und Diedrichsen, der mindestens einen Sommer lang Gott war. Und wahrscheinlich hat auch Hermes gescheite Sachen gesagt, die man jetzt nachlesen kann. Das ändert aber nichts daran, dass ich an dem Abend dachte: Na gut, dann bin ich halt Lohnschreiber. Man muss es ja nicht allen recht machen. Es reicht vielleicht, wenn einen die eigene Mutter versteht. Ich schreibe Filmkritiken, weil ich mir nur so klar werden kann über das, was Filme mit mir anstellen. Weil ich irre vergesslich bin und schreibend zu rekonstruieren versuche, warum welche Gefühle zurückgeblieben sind. Weil ich mich auf die Weise mit Dingen auseinandersetzen kann, die mir eigentlich wesensfremd sind. Weil ich mich hinter den Filmen verstecken kann. Weil ich mich vor die Filme drängen kann. Weil ich ein Ich erfinden kann, das ich nicht bin. Weil ich erzählen möchte von den unglaublichen Dingen, die ich im Kino gesehen habe. Weil ich hoffe, das so tun zu können, dass es die Leute auch interessiert. Und weil man immer wieder Filmkritiken liest, denen das auch gelingt, und sich denkt, das möchte man auch können.

Das kann Frieda Grafe sein oder Pauline Kael. Stephanie Zacherek auf salon.com oder Michael Baute in filmkritik.blogspot.com. Harun Farocki oder Hartmut Bitomsky. David Thomson oder Gunter Groll. Rainer Knepperges oder Wim Wenders. Oder ein paar Kollegen, die zwar meine Position nicht immer teilen, aber sich um mich als Leser bemühen. Weil es vor allem um eins geht: Einer hat was erlebt, jetzt will er davon erzählen.

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