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Interview: Lene Borglum

Revolver: Im internationalen Kino gibt es eine Entwicklung gewisse Undergroundtendenzen in den Mainstream zu integrieren – wie z.B. Splatter. Und es gibt mehr und mehr große Hollywood-produktionen, die sich in Richtung Sex orientieren. Sehen sie eine Entwicklung hin zu einer Mainstream-Pornographie und kämpfen sie für soetwas?

Borglum: Sie müssen wissen, vor sechs oder zehn Jahren liefen Filme, die sich vor allem mit Sex und Gewalt beschäftigten, Trashfilme, in der ganzen Welt auf Festivals – und alle waren zufrieden. Aber diese Filme hatten keine Chance auf eine normale Auswertung. Wenn es jemals eine Tendenz gab, Filme dieser Art in den Mainstream zu integrieren, dann heute. Ich sage nicht, daß ich Mainstream oder “normale” Filme machen möchte – aber ich würde mich sehr freuen, wenn es gelänge, Spielfilm mit Charakteren, Emotionen und dergleichen mit Pornographie zu vermischen. Das ist eines der Projekte, die ich gerne verwirklichen würde.

Und sie erwarten heute ein größeres Publikum?

Ja. Je mehr ich über das Thema spreche, je mehr Leute ich treffe, umso mehr denke ich, daß die Zeit reif ist für etwas völlig Neues. Ich glaube, wir müssen andere Vertriebswege finden und die fiktionalen Elemente betonen. Es muß anders werden als Pornographie heute. Pornos – das sind heute Billigproduktionen ohne jede Handlung und Geschichte, Leute, die Sex machen, nichts weiter – wir wollen etwas ganz anderes.

Gehen die japanischen Pinkmovies mehr in ihre Richtung?

Ja – aber natürlich ist das etwas ganz anderes. Ich habe ein Pinkmovie aus Japan gesehen. Es war wahnsinnig grausam, aber die Leute behielten immer ihre Unterwäsche an! Mir wurde fast schlecht von der Gewalt. Wir werden wohl mehr einen europäischen oder skandinavischen Weg einschlagen.

Aber der japanische Ansatz ist nicht uninteressant: die Filme haben ein gewisses Budget, die Anzahl erotischer Szenen ist vorgegeben – aber der Rest liegt in den Händen und der Phantasie des Regisseurs. Ist das ein Konzept, mit dem sie etwas anfangen können?

Ja, durchaus. Wir entwickeln die Geschichten mit Autoren, die vorher entsprechende Prosa geschrieben haben. Das Thema muß mit Sex und Erotik zu tun haben, aber sonst haben sie freie Hand. Wir konzentrieren uns allerdings auf Geschichten, die auch Frauen ansprechen. Wir glauben, daß Paare Porno- oder Erotikfilme gerne gemeinsam sehen. Zwar gibt es gewisse Unterschiede zwischen dem, was Männer gerne sehen, und den Vorlieben der Frauen – aber wir wollen etwas machen, was von beiden gesehen werden kann.

Werden diese Filme zu normaler Zeit im Fernsehen gesendet werden können?

Das glaube ich nicht – nur auf Pay-TV. Und wahrscheinlich nicht tagsüber.

Und im Kino?

Ich will die Möglichkeit nicht ausschließen, aber es gibt in Dänemark keine Tradition mehr für erotische Filme im Kino.

Haben sie Lieblingspornos?

Mein Problem ist, daß ich diese Filme nicht besonders interessant finde.

Es gibt pornographische Filme, die lustig sind, weil sie so schlecht sind. Gibt es vielleicht solche Filme, die sie mögen, alte Filme?

Natürlich gibt es Filme, mit denen wir uns beschäftigt haben, z.B. die Sternzeichenserie, eine populäre dänische Sexfilmserie, die einige der Zutaten hatte, die uns interessieren, aber natürlich sieht man diesen Filmen an, daß sie vor zwanzig Jahren gemacht wurden. Die Sexualität der Leute, die öffentliche Meinung damals war komplett anders. Diese Filme waren lustig, aber ich glaube nicht, daß “lustig” zeitgemäß ist, man braucht diese Distanz nicht mehr. Lustig würde heute nicht mehr funktionieren. Also werden wir etwas machen, was ernstgenommen wird. Die Filme, die mich am meisten inspirierten, sind gut gemachte, alte Filme, die nicht unbedingt mit Sex zu tun hatten, in denen aber über Sachen gesprochen wurde, die zu hart für normales Fernsehen waren.

Welche Art von pornographischen Filmen wollen Sie machen: Softporno, Sexfilm oder Hardcore?

Wir werden eine Geschichte, einen Plot, Charaktere und Emotionen haben – und Hardcoreszenen.

Aber sie streben Filme an, die in ihren Geschichten und ihrer Machart für ein Massenpublikum attraktiv sind?

Es ist sehr schwierig, Geld für erotische Filme aufzutreiben, weil überhaupt keine Tradition von Vorverkäufen oder anderen “klassischen” Finanzierungsmethoden vorhanden ist. In diesem Markt sind andere Produkte üblich: drei Leute verschwinden für ein Wochenende mit einer kleinen Videokamera in ein Ferienhaus und kommen mit einem Film zurück. Das haben wir nicht vor. Unsere Budgets werden ungefähr zehnmal so hoch sein als für Pornofilme üblich. Natürlich können wir keine 30 Millionen Kronen Filme mit allen möglichen Effekten machen – wir könnten das Geld nie auftreiben. Aber wir werden mit Budgets um die 2 Millionen Kronen arbeiten.

Worum geht es in ihrem ersten konkreten Projekt?

Alle Geschichten gehen um dänische oder auch skandinavische Menschen von heute, um Leute, die in unserer Gesellschaft leben. Über die Geschichte unseres ersten Projekts will ich noch nichts sagen, nur so viel: es geht um ganz alltägliche Menschen.

Haben Sie “normale” Schauspieler?

Ich glaube, wir würden keine “seriösen” dänischen Schauspieler dazu bringen können, pornographische Sachen zu machen. Deshalb casten wir Leute, die ein bißchen exhibitionistisch veranlagt sind – und denen die Idee gefällt.

Ich habe von der Schwierigkeit gelesen, eine gute Besetzung für “Breaking the Waves” zu finden, wegen der „schlüpfrigen“ Sexszenen. Glauben sie, daß seitdem etwas in Bewegung geraten ist? Wären heute mehr Schauspieler bereit, soetwas zu spielen?

Es ist wahr, daß wir große Schwierigkeiten hatten, eine geeignete Schauspielerin für die Rolle der Bess in “Breaking the Waves” zu finden, aber das lag vielleicht auch daran, daß wir eine bekannte Schauspielerin suchten.

Wollen Sie bei dem Etikett “Pornographischer Film” bleiben? Die Japaner haben ja der alten Sache einen neuen Namen gegeben.

Wir werden ein Label kreieren und einen neuen Namen finden, damit die Leute wissen, worum es sich handelt. Wie ich vorhin sagte, bin ich mehr und mehr von dem Gedanken fasziniert, etwas völlig Neues zu machen, dem Ganzen ein völlig neues Image zu geben, es stilvoll zu machen – gegen jede Tradition.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Gespräch führten Benjamin Heisenberg,Christoph Hochhäusler, Peer Klehmet, am 16.03.98

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