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Am Sonntag den 2.10. ist Peter Przygodda gestorben. Wir trauern nicht nur um einen grossartigen Filmemacher und Schnittmeister, sondern um einen Freund und einen der letzten Rocker im deutschen Film. 

Peter Przygodda hat in den letzten Jahrzehnten seines Lebens oft an Filmhochschulen gelehrt und vielen angehenden Filmemachern im Schneideraum unter die Arme gegriffen. So habe auch ich ihn kennengelernt. Er hatte sich bereit erklärt Schnittbetreuung für unsere Kameraübungen an der Filmhochschule zu leisten. Damals noch rauchend und immer Cola trinkend setzte er sich vor die Steenbeck-Schneidetische auf denen wir schnitten und kommentierte in entspanntem Berlinerisch was wir für unsere ersten Kurzfilme an der Hochschule auf Schwarz-Weiss-Material gedreht hatten. Peter hatte dabei eine vollkommen offene und dennoch handwerklich geprägte Sicht der Dinge. Er liebte Experimente und offene künstlerische Formen und hatte trotzdem erzählerisch sehr klare Vorstellungen. So erdachte er neben seiner Arbeit als Schnittmeister, die fiktiven Regisseure Candido Coelho und Ernesto Peixoto, um Texte und Videos  zu veröffentlichen, die seinem Leben zwischen Brasilien und Deutschland entsprangen. In diesen Videos und Kollagen war er radikal experimentell, aber auch romantisch und poetisch. 

Als wir Revolver gründeten, war Peter sofort interessiert und veröffentlichte gleich im zweiten Heft einen Artikel. Auch mit diesem Interesse unterstützte er uns, wenngleich er sich nicht mit Kritik zurückhielt, sondern sehr gerade und klar sagte, wenn ihm etwas missfiel. 

Bei meinem zweiten Film dem Peter als Schnittbetreuer zu Seite stand, schnitt ein Kommilitone den Film und erarbeitete mit ihm eine Version. Als ich dann noch nicht ganz zufrieden war, riet Peter  nachdrücklich sich nicht von mir verunsichern zu lassen. Der Schnitt sei so richtig und dem Material entsprechend und wenn ich das nicht glauben wolle, solle ich selbst die Erfahrung machen und weiter schneiden. Das tat ich dann auch, aber diese Entschiedenheit, die Peter in einigen Projekten an den Tag legte, liess eben auch gut erkennen, wie klar er die Form eines Films vor sich sah und wie seltsam es ihm deshalb manchmal erschien daran noch herumdoktern zu wollen.

Gleichzeitig war es für uns ein Geschenk so eng mit einem „Großmeister” des deutschen Films arbeiten zu können.  Die Art, wie entspannt er über seine Erfahrungen mit Wenders und anderen Berühmtheiten sprach und sie genauso ernst oder auch unernst nahm wie uns, wirkte beflügelnd und befreiend. Die Abende mit ihm am Schneidetisch, wo wir über einzelne Schnitte stundenlang und weitschweifend diskutierten, haben mir das Filmemachen nochmal auf ganz neue Weise erschlossen und vorallem dafür bin ich Peter sehr dankbar. 

Obwohl wir uns in den letzten Jahren nicht mehr gesehen haben, ist die Freundschaft zu Peter sehr lebendig geblieben. Er wird mir und sicher vielen Freunden und Kollegen sehr, sehr fehlen.

Benjamin Heisenberg

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. Ich muss immer an zwei Dinge denken, wenn ich an Przygodda denke:
    1
    Filmschnitt ist ein musikalischer Vorgang.
    und
    2
    Man kann nur mit dem arbeiten, was da ist.

    Das ist auch der Grund, warum Przygodda es stets ablehnte, Drehbücher zu lesen, sondern sich das Material geben ließ und dann quasi im Alleingang daraus eine Geschichte machte. Dieses Vorgehen ist für mich bis heute sehr einleuchtend, denn es bringt ja gar nichts, etwas wiederherzustellen, was nie im Material war, sondern nur im Drehbuch. Und wenn man schon gedreht hat, um das Drehbuch loszuwerden, dann will man es ja keinesfalls im Schnitt wiedersehen. Diese Art des Schnitts braucht natürlich sehr viel Kraft ähnlich wie das Drehbuchschreiben. Ob ein Cutter oder eine Cutterin diese Kraft im Alleingang aufbringt oder besser im Kollektiv mit einem Regisseur, einer Regisseurin oder einem Kollegen, ist mir egal. Aber ich würde mir mehr von dem Bewusstsein über das, was da ist, im deutschen Film wünschen, denn vielen Filmen sieht man einfach an, dass im Schnitt versucht wurde, etwas wiederherzustellen, was im Dreh längst verloren gegangen war. Und dass dann, anstatt aus dem Verlust etwas neues zu schaffen, defensiv aus Angst ein biederer, belehrender Film geschnitten wurde, in dem man die Drehbuchseiten beim Umblättern förmlich rascheln hört.
    Da wünsche ich mir oft mehr Przygodda. Schade, dass er nicht mehr lebt, aber seine Haltung wird bei mir da weiterleben. Es ist ja auch weniger eine Haltung zum Film als eine zum Leben.
    Franz

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