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Nachdem der Revolver-Abend am Montag für’s Archiv verloren schien, ohne Tonaufnahme, hat mir die Filmemacherin Katrin Eißing (AUF DEM SELBEN PLANETEN) netterweise ein – sehr subjektives – Gedächtnisprotokoll geschickt. Inzwischen ist glücklicherweise der Mitschnitt eines Besuchers aufgetaucht, aber Katrins Polemik will ich euch trotzdem nicht vorenthalten.

Christoph

Katrin Eißing: An der Croisette 2010. Warten auf die Stars.

ERINNERUNG AN DAS REVOLVERGESPRÄCH ‚ANGRIFF DER GEGENWART‘

Von Katin Eißing.

Die Anfangsfrage: Was bedeutet
Tradition für euch? Und zwar im Bezug auf die Kürze der Filmgeschichte und ihre
gleichzeitigen starken Setzungen, Normen, Härte Abweichlern gegenüber, fällt
beim Tiroler Bergfilmer ins Leere bzw. er nimmt das ganz formal. Und also:
Tradition kennt er nicht. Trotzdem kann Hannes sich seine Bilder nur und
ausschließlich im Kino vorstellen. Er sagt wörtlich: „Nein etwas anderes ist
für mich undenkbar. .. völlig ausgeschlossen.“

Max geht darauf ein. Sein
„Oberhausener Gefühl“ ist für den zerrupften Rahmen Internet, zwischen Facebook
gucken, Unaufmerksamkeit etc. gerade eben hergestellt. Christoph meint: Eines
der Stücke sei so dunkel, dass er selbst sich immer, also seinen Kopf mit
Kopfhörern auf den Ohren, angeglotzt hätte. Nun, dass sei sicher nicht der
Zweck der Sache gewesen gackert Max.
Für Jessica von „Totem“ gibt es
schon das Wort überhaupt nicht. Tradition bedeutet also: Nichts für Jessica.
Auf C.s Nachfrage und vorsichtiger Anmerkung, dass das Filmemachen dann ja eine
ziemlich religiöse Sache wäre… fühlt sie, dass sie es jeweils so und nicht
anders haben/machen will. Sie sei auch keine Cineastin. Ein von „Totem“
beeindruckter  Zuschauer fragt in
Christophs Richtung, was es bringen soll, nach ähnlichen Bildern zu suchen,
außer, sein eigenes cineastisches Wissen darzustellen. Merkt an, dass diese
vier jungen Filmemacher auf der Theaterbühne sich der Tradition nicht bewusst
sein dürften um sich nicht in ihr zu verheddern. Er fragt Jessica wo „das“ also
der Inhalt oder die Form von Totem denn „herkomme.“ Ja… es kommt eben alles
einfach aus ihr selbst heraus. Das dies eine beliebte Tradition, eben eine
religiöse und schon öfters ironisierte ist („Fremde Wesen befahlen: rechte Ecke
unten links Schwarz” oder auch: „Der Künstler als Kartoffel die Welt aus sich
selbst heraus erschaffend” Sigmar Polke), scheint sie nicht zu stören.
Vielleicht weiß sie es auch nicht. Mich wundert das, aber siehe oben.

Nächste erinnerte Frage: Was
sollen oder können Filme eurer Meinung nach? Das von C. ausgesprochene Zitat
von Adorno: Wenn Filme etwas können, dann Bewusstsein verändern – fällt an den
Rändern der Kartoffel runter und scheint plötzlich eine Schutzbehauptung. Dabei
ist es doch das Gegenteil? Oder könnte es jedenfalls sein. Hannes der Regisseur
von „Peak“, einem Porträt der Alpen in der heutigen Zeit anscheinend (Trailer), voller Schnee-Schiebmaschinen, geht in seinen Film: rein wie raus. Das Drehen
ist für ihn schon nur: fertige Bilder finden müssen und „ein zäher Prozess“.
Jessica findet das verwirrend. Zwar hat auch sie nicht den Plan, fremdes
Bewusstsein zu verändern, aber wenn sie schon etwas begeistern soll, dann ihr
persönlicher Lernprozess. Fast empörter Ausruf: „Was soll das denn bloß: ewig
danach zu fragen ob Film notwendig ist? Das fragt sich beim Theater doch auch
niemand.” …erntet Seufzen der Theaterarbeiter und anderen armen Künstler im
Raum.
„Konzentrat von Erfahrung” /
Budget- zusammengebettelt
Der Moderator, Christoph: „…also
blumig gesprochen: wenn der kreative Prozess flüssiger Stein ist, wo härtet
er  aus?“ Oder Wie kann man im
Zwang frei sein? Konzentrat sei die richtige  Beschreibung für einen Dreh… Der Ausdruck fällt schwer auf
die, die noch nicht wissen, mit wem sie tanzen. Für Timo (Morscholz) Klappfilmbox
ist das einfach: „Wir hatten nie Geld und waren ganz frei.“ Christoph meinte es wohl
genau anders herum, dass das wenige Geld einen beim Filmemachen beschränkt.
Das ist ein Erfahrungsvorsprung von ihm, aber ein übliches Missverständnis der
im Wohlstand Aufgewachsenen untereinander. Christoph versteht Film als
Familie, alle voneinander lernend, und im positive Sinne abhängig. Die
Klappfilmboxen waren zwar zum Zeitpunkt ihrer Drehs an der Filmhochschule und
hatten also Bafög oder ähnliches Auskommen, Freunde und Kameras sowie
Postproduktionsmittel, aber rechnen eben das erst auf Nachfrage in die
Kalkulation ein. (Mehr hat ein „finanzierter“ erster Film aber auch nicht.) Es
gibt ja auch den Zwang frei zu sein. Christoph geht es wohl grad eigentlich bloß
darum, dass Produktionsbedingungen sich auf die Form und Ästhetik der Filme
selbst niederschlagen.
(Wer
nicht weiß, dass er Freiheit hat – zum Beispiel: die Freiheit, keinen Preis zu
gewinnen, Bewusstsein zu verändern, Scheiße zu bauen oder aus Scheiße Glück – kann sie auch nicht nutzen. Die Freiheit ist nicht einfach da, man muss sie
sich nehmen. Auch so was wie Religion..okay.
Weil die Freiheit
unbewusst keine ist. Ein Kind oder Idiot
zu sein zum Beispiel ist keine Freiheit. Also eine unbewusste Kartoffel, die
aus sich selbst heraus gottgleich Werke erschafft, die unkonventionell sind,
setzt mit der internen Spekulation auf einen Sportwagen an der Côte d’Azur eben
auch Anderes frei. Mitunter nichts. Einschub Ende.)
 
„Wir werden sehen, ob es (das
Drehen) mit dem Geld anders wird.“ Ist doch irgendwie irre, wie systemimmanent
die Revolte daherkommt. Ich erkenn sie nicht wieder.
Sehnsucht der Kartoffel nach
Côte d’Azur- oder Sehnsucht nach Kartoffeln an der Côte d’Azur. Jeder Film, meint Max, müsse
sich seine eigenen Bedingungen, seine eigene Disposition schaffen und tue es
auch, materiell und anders. Anfänger dürfen in diesem Fördersystem eine
„individuelle Handschrift“ finden. Und dieser Begriff „individuelle
Handschrift“ sei per se nur eine Zurichtung, die jeder über sich ergehen lassen
müsse und die man schon in der Schule zu lernen habe. Man könne sich dann noch
entscheiden groß oder klein zu schreiben. Jeder Produktionsmodus produziert
bestimmte Filme. Und eben auch das Zutatenkino nach Alexander Kluge.
Freiheit wovon also? Von viel
oder wenig Geld? Sie macht für sich allein jedenfalls nicht „kreativer“.
Christoph sagt noch, dass independant/unabhängig zu sein nur bedeute, von MEHR
Leuten abhängig zu sein. Und Hannes der Tiroler erschafft schon wieder ein
Gleichnis: Weit und eng sei relativ: Wenn er in seiner kleinen Hütte auf dem
Berg sitzt mit einem Ausblick von mehreren Tausend Kilometern, nichts als Weite
um sich her, hat er manchmal Besuch aus der Stadt. Der jammert dann wie eng
alles ist. Während in seiner viel größeren Wohnung in Köln er es wiederum
furchtbar eng findet, weil man aus dem Fenster nur die andere Seite der Strasse
zu sehen kann.
Saskia (Walker) fragt, wieso sie, die
jungen Filmemacher sich bzw. ihre Filme nicht im Fernsehen sehen?
– Weil es nicht geht…weil das
Fernsehen es nicht zulässt…
– Was lässt das Fernsehen nicht
zu?
(Die Dunkelheit, um sich mit
Kopfhörern selbst an zu gucken?)
Christoph: „Wenn ich alte Filme
von mir sehe, leide ich, denke: ach das ist doch hier zu lang, da noch etwas
dran, und dass sie besser sprechen müssten. Ich will Kommunikation mit dem
Zuschauer. irgendwie… ohne Stacheln.“ Timo sagt : „Ich will die Stacheln, weil
sie stoßen.” „Stechen” flüstert meine Nachbarin leise. „Stacheln stechen und
stoßen nicht.“ 
Christoph: „Es gibt schon Werke, die genug Transparenz haben, um eine Kommunikation mit einem großen Teil der
Zuschauer herzustellen“… (sagt er nicht erzwingen?) Jemand ruft fast: „Gibt
es transparente Filme, sag ein Beispiel!“ Wie aus der Pistole geschossen
Revolver: „Rio Bravo!“
Wie das Fernsehen keine Stacheln
zulässt.
„Das Oberhausener Gefühl“, dass
Max gedreht und produziert hat, bezeichnet er als ein Nachdenken über die 50er Jahre, die Bedingungen, aus denen das Oberhausener Manifest heraus
entstand. Wir sahen am Anfang der Veranstaltung auch
einen Ausschnitt daraus, in dem simple aber nie öffentlich ausgesprochene
Fakten über nahtlos in die BRD rüber gerutschte Nazis in einem Gespräch über
Rechtskunde Platz haben. Toll.
Ein Mädchen erzählt, wie auf
einer Retro von Hong Sang-Soo in München ganze zwölf Leute waren. Kurze
Diskussion, darüber Film als Kunst zurück in Schulen, als Gegenstand
praktischer, ästhetischer, politischer Erfahrung in die Erziehung einzubringen.
„Hier in Berlin gibt es drei bis acht Leute, Kulturarbeiter, die genauso prekär
wie wir wie blöd daran arbeiten.“ Max. „Vielleicht müssen auch die Orte
andere sein. Wir sitzen hier ja auch im Theater.“ Baffes Gucken auf dem Podium.
Dann schlängelt oder schlägt
sich Max elegant durch alle Kartoffelpositionen mit dem wundervollen Ausspruch :
„Nein enttäuscht bin ich weniger, wie wenig Leute sich tolle, wichtige Filme
angucken, als wie hier jeder sein Handeln in das persönliche Glück
zurückverlegt.“
Gegen die Konvention sein um
dann doch eventuell im Cabrio an der Côte d’Azur rum zu fahren? Klage und Ratlosigkeit über
miserable Zuschauerzahlen. Max sagt: „Aber das sind Bedingungen und
Verhältnisse, daran sind wir nicht „Schuld“. Es gibt Leute die wollen und
machen das genau so und denen ist dieser Zustand: Die miesen Zuschauerzahlen
und wir in der Selbstoptimierungsfalle ein Fest. Ein  immerwährendes Fest!!! Wenn man das weiß, ist man nicht
wirklich zufriedener, aber auch nicht mehr so verzweifelt.“
Grüsse Katrin


Dieser Beitrag hat 7 Kommentare

  1. Sehr geehrte/r Anonym, Angriffe nach dem Motto "Machs's doch selber erstmal besser, wenn Du alles besser weißt" in Richtung der Gastgeber, die durch ihre Veranstaltungen immer wieder zur sonst völlig verkommenden Reflexion über aktuelle Zustände des deutschen Films anregen, sind kindisch und ich danke im Voraus für den zukünftigen Verzicht solch kleingeistiger Vorschul-Kommentare aus der beleidigten Ecke.

    Als Ergänzung zur Forderung nach dem vorbereitendem Absprechen der Fragen würde ich noch vorschlagen, diese doch gleich im Ankündigungs-Newsletter zu veröffentlichen, damit wir alle wissen, was uns erwartet und nicht etwa umsonst unser sauer verdientes Geld dem übersubventionierten Kunstbetrieb in den nimmersatten Rachen werfen.

    Frau Krummachers Aussagen ("Ich bin einzigartig", "Filme sollen für mich einfach erfrischen") rangen auch mir nicht nur einmal heftiges Kopfschütteln ab – vor allem im Kontext einer auf Erkenntnisgewinn abzielenden Veranstaltung wie dieser. Unberührt davon bleibt die Tatsache, dass ihr Film ein wichtiger aktueller Beitrag zum deutschen Film ist. Festzuhalten bleibt aber auch, dass auch sie – natürlich – auf Vorbilder zurückgreift und sich – natürlich – zu einer Tradition vom Kino positioniert; das ist nicht verwerflich, sondern ein äußerst interessanter und alle Filmemacher betreffender Aspekt, dessen konstruktive Diskussion (und nicht dessen kollektive Aufhebung) mich sehr gefreut hätte.

  2. Nur um das klarzustellen: ich glaube, dass gute Kunst IMMER klüger ist als seine Autoren. Das war kein Seitenhieb auf Jessica, deren Film ich sehr schätze. Was das Absprechen von Fragen betrifft: davon halte ich nicht viel, an Pädagogik oder Werbung bin ich nicht interessiert. Dass ich als Moderator gescheitert sein könnte ist andererseits möglich. Ich habe das Gespräch gerade auch in seinen Widersprüchen als anregend erlebt. C

  3. "Wichtig wäre auch anzumerken, dass die Filme klüger sind als ihre Autoren. C.H." ??? Das zeugt von Dummheit, Herr Hochhäusler. Ihrer Gesprächsführung an dem Abend konnte man entnehmen, dass sie schon mit diesem Urteil und einer absoluten Fehleinschätzung ihrer selbst (und ihrer Filme) ins Gespräch gegangen sind. Ging es Ihnen doch gar nicht um die Autoren, sonst hätten Sie die Fragen auch vorher abgesprochen, Fragen gestellt, die nicht sie als "Filmtheoretiker" sondern das sehr kluge Filmemachen der Spielfilmautoren Krummacher, Müller betrifft. LANGWEILIG! Zu Frau Eissings Kommentar – die sich selbst als Filmemacherin schreibt (gesehen haben wir noch nichts von Ihr): die Kenntnis von Adorno-Zitaten allein reicht nicht aus, mehr als Hochhäuslers unendlicher Drang der Selbstdarstellung, langweilt es!!!

  4. Hallo, ich bin auch ab und zu eine Götter Kartoffel und fand die Diskussion einfach sehr lehrreich. Dies: Beurteilen wer klug und dumm ist halte ich für überflüssig, aber fand/finde wirklich wir sollten uns öfter mal spiegeln, in der Dunkelheit des Oberhausener Gefühls oder wo auch immer. Insofern war der Abend total gelungen. Totem ist sowieso toll und sehenswert, funktioniert auch ohne Vergleich. Die anderen guck ich mir jetzt sofort an. Filme verändern Bewusstsein ohne Diskussion, deshalb sollte man es eben "machen". Also Filme machen, nachdenken, diskutieren und so weiter… See you nach dem Kino

  5. Hallo Anonym — wer ist mit „Jacobs” gemeint?

    Ich verstehe die Einwände, gebe aber zu Bedenken, dass sie zum Teil aus dem Kontrast resultieren zwischen meiner vollmundiger Ankündigung und der individuellen Realität der Gäste. Wichtig wäre auch anzumerken, dass die Filme klüger sind als ihre Autoren. C.H.

  6. Danke für den Beitrag.
    Ich muss schon sagen, dass ich sehr enttäuscht von der Hälfte der anwesenden Podiumsteilnehmern war und das Gespräch gut wiedergegeben finde an dieser Stelle.
    So wenig Haltung im Generellen, ganz offen unreflektiert und unangenehm aggressiv weil überfordert.
    Der Höhepunkt gleich zu Anfang: Krummacher will mit "Tradition" nichts zu tun haben, nein, besser noch: Krummacher HAT mit Tradition nichts zu tun. Im Grunde nicht ernstzunehmen, so eine Aussage.
    Linz und Jacobs möchte ich hier ausdrücklich in Schutz nehmen.
    Hochhäusler hat einen souveränen Job gemacht, danke dafür, manchmal tat er mir ziemlich leid da oben. Alte Schule fragt in ein schwarzes Loch.

    1. Würde man das Wort Tradition weiterdenken als nur im kleinen, beschränkten Kosmos Film, würden Sie vielleicht auch verstehen, was Krummacher damit gemeint haben könnte. Krummacher hat mit Tradition nicht zu tun, ist eine SEHR ernstzunehmende und wichtige Aussage und wie ich Sie kennengelernt habe, auch genau so gemeint!

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