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Und noch ein Mal Retro Achtung Berlin! Gestern habe ich im Lichtblick Tagediebe gesehen. So langsam frage ich mich, ob es Zufall ist, dass dieser kluge, fein gespielte und auch sehr, sehr fein inszenierte Film wieder einer der Filme ist, die damals wie heute entstehen, ohne dass die Filmemacherinnen auf eine Förderzusage warten. Das was in anderen „normal“ finanzierten Filmen das Thema eines ganzen Films wäre, das dann in endlosen Gesprächen mit Redakteuren von vorn bis hinten durchgekaut werden kann, ist hier das Motiv für einen Nebenstrang, das was eine Nebenfigur mitbringt und für eine Weile zum Thema macht und das einen deshalb umso mehr berührt. Ein Dilemma, das so unsauber ist, dass man nur noch staunen kann, und sofort weiß, dass das in dieser Form durch keine heutige Redaktionsstube (another day in the office) durchgehen würde. Weil die handelnden Personen im Film auf einmal widersprüchlich werden, übergrifflich sind, Dinge tun, die man nicht von ihnen erwartet hätte, die aber total einleuchtend sind. Weil wir ja so sind: Widersprüchlich. Ich kann nur allen Menschen, die heute ab und zu Filme abseits der klassischen Finanzierungswege machen, raten – und das rate ich auch mir selbst, sich diese älteren Filme anzusehen, die unabhängig produziert wurden. Denn beim unabhängigen Produzieren geht es nicht darum, mit weniger Geld Sundance Filme zu produzieren, sondern Raum für unabhängige Gedanken und widersprüchliche Gefühle zu schaffen. Das muss man sich immer wieder vergegenwärtigen, dass man ja genau dann diese Freiheit hat. Und das ist Marcel Gisler, Rudolf Nadler, Dina Leipzig und Lutz Deisinger in Tagediebe mehr als gelungen. Und es ist unterhaltsam von der ersten bis zur letzten Minute.

Die zweite Frage, die ich mir angesichts der schönen Retro gestellt habe, kann ich eigentlich auch direkt beantworten: Offenbar wurden auch schon in den 80er Jahren die spannendsten Filme hierzulande von Frauen, schwulen Männern und Menschen gemacht, die nicht auf Filmhochschulen gegangen sind.

Franz