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Fast Forward: Kino muss gefährlich sein

Diese Lektion ist gelernt: Filmemachen ist wie Bombenwerfen – es kommt darauf an, wieviel Blocks man sprengt. Wenn Amerikaner Film sagen, denken sie Luftkrieg, und der Erfolg gibt ihnen recht. Und doch ist die Idee Blockbuster nicht halb so gut wie ihr Ruf.

Filmemacher befinden sich heute in einer absurden Situation: Nie war es einfacher und billiger, einen Film zu machen. „Ich habe die große Hoffnung“, sagte Francis Ford Coppola 1991, „daß eines Tages ein kleines dickes Mädchen aus Ohio der neue Mozart sein wird und mit der kleinen Kamera ihres Vaters einen wunderschönen Film dreht. Dann wäre endlich der sogenannte Professionalismus für immer zerstört und der Film eine wirkliche Kunstform.“ Fast scheint diese Hoffnung eingelöst. Endlich muß man weder reich noch überdurchschnittlich größenwahnsinnig sein, um in Bildern zu denken. Endlich ist es möglich, mit der Kamera aus dem Supermarkt einen Spielfilm zu drehen. Fast haben wir die lang ersehnte Demokratisierung des Mediums. Aber irgendetwas stimmt nicht. Die Explosion der Kreativität bleibt unsichtbar.

Die Gründe sind banal. Nichts und niemand in dieser Branche ist so langsam, unflexibel und konservativ wie die Leinwandseite, also Kinos und Verleih. Eine Reichsgaragenordnung von 1936 regelt noch heute Parkplatzgarantien, die Kinobetreiber geben müssen – von Gewerbefreiheit kann keine Rede sein. Krampfhaft hält man an einer ständischen Ordnung fest, zementiert mit Geldbergen im Multiplex-High-End Verleihzentralismus und will alles, nur nicht die Kontrolle verlieren. Aber genau das muß sein.

Was wir brauchen, ist eine zweite Liga des Kinos. Eine dezentrale Alternative zum heutigen Kinobetrieb, schneller und flexibler, billiger und einfacher. Statt des Eventfilms das Event „Regionalliga“, das kompromisslos wie Techno ins Herz einer neuen Generation trifft. Moderne Technik könnte DJ-Culture und Kino verschmelzen und neue Formen der Präsentation und Wahrnehmung von Film entstehen lassen. Vom Stummfilm, der live „vertont“ wird, bis hin zum Multiscreen-Ereignis (Stereo sehen: Schuß und Gegenschuß) ist vieles denkbar. Endlich könnte man Low und No Budget-Filme aus dem Festivalghetto holen. Endlich könnten alle Arten von Experimentierern echtes Geld verdienen im harten Wettbewerb regional unabhängiger „Filmcharts“ – Aufstiegschancen inklusive.

Die Komplimentärfunktion der alten B-Movies, die die Themen und Figuren des Starkinos trivialisierten und dabei alle Arten von Konventionen erfolgreich unterliefen, hätte endlich wieder im Kino selbst Platz. Auch abseits der Metropolen könnten sich Trauma und Troma, Splatter und Hardcore auf der großen Leinwand treffen und das unseelige Zeitalter geheimer Videosüchte beenden. Es gäbe amüsante Trittbrettfahrer großer Moden. Während im Multiplex DiCaprio in einen schwülen Tod geht, könnte er in der 2. Liga unsinkbar schwul sein. Und der perverse Produktionsspagat von Kurzfilmen, die sehr teuer für’s Kino produziert ohne Chance auf ein Publikum bleiben, hätte ein Ende.

Natürlich sind Kinobetreiber in ihrer großen Mehrheit konservativ. Enormen Fixkosten stehen unzuverlässige Einnahmen gegenüber. Aber es kann nicht sein, daß „kommerziell“ heißt, einen Film mit 600 Kopien zu starten. Nur das Leistungsgewicht ist kommerziell ausschlaggebend. Also muß man – für riskantere Filme – die Fixkosten drücken. Ein Fall für die 2. Liga und Unternehmer der neuen Art. Wenn dann ein Film, der 10 000 Mark gekostet hat, 3000 zahlende Zuschauer mobilisiert, hat er seine Kosten eingespielt – so einfach ist das.

Der amerikanische Verband der Kinobetreiber (der ironischerweise NATO heißt) schätzt, daß die Umstellung auf digitale Projektionstechniken in „spätestens 10 Jahren abgeschlossen“ sein wird. Das bedeutet nicht nur den Abschied vom alten Standard 35 mm, sondern auch eine weitere Ausweitung der Macht der (großen) Verleiher, die ihre Ware dann noch rücksichtsloser werden verkaufen können (Man geht heute davon aus, daß man Kinofilme in Zukunft über Satellit oder Kabel in die Filmtheater senden wird – entsprechend total ist die Kontrolle).

Die Dynamik dieses Wandels sollten wir nützen, um die hierarchielose Vielfalt des Internets ins Kino zu holen. Das Chaos des Umbruchs könnte unsere Chance sein, einer Filmkultur zum Durchbruch zu verhelfen, in der auch das Kontroverse und Abseitige Platz hat. Erst dann scheint eine wirkliche Demokratisierung und Erneuerung des Mediums in realistische Nähe gerückt.

Christoph Hochhäusler

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