Gut abgefeimt
Gestern, am Abend: Filmtheater Friedrichshain, frisch renoviert und umgebaut (aus einem großen Saal wurden gleich 5). Vorführung „Lola rennt“ von Tom Tykwer. Kalkuliertes „in AUSSER ATEM“ kommen. Drei mal so ungefähr die gleiche Geschichte mit jeweils unterschiedlichem
Ausgang. Gelungenes Spiel in Form – alles paßt. Wie der Titel – der Film rennt. Trotzdem: nach der ersten Version wurde mir etwas langweilig, den Anderen nicht. Viel Wind. Mit Recht – passiert ja sonst nix. Die Geschichte
läßt mich kalt, bewegte wenig, keine Emotion – Hinternrutschen. Der Film: zu klein für die Leinwand … halt! Aber … doch: wie sich Story, Erscheinungsbild und Einsatz der Mittel, stilistisch wie ökonomisch, gegenseitig bedingen – Einheit von kreativem Anspruch und finanzieller
Realität – das ist sehr klug kalkuliert. Hut ab! Tonebene germanisch und aufgedonnert – passend. Die letzte Version mit Happy End, weil sie den Schluß des Films bildet; man kann die beiden Satzteile auch umdrehen: weil am Schluß, hat die letzte Version ein Happy
End – ohne Lohn des Sieges käme man auf dumme Gedanken: Unrecht gut gedeihet nicht oder so. Also Form und Norm erfüllt – BRAVO. Die wenigen mit Emotion bedachten Szenen sind Teile des Formenspiels: Gehört
eben dazu …
Sich an den Strohhalm klammernd, wird der Film von der Kritik unverhältnismäßig hochgejubelt, in den Himmel gehoben, sogar Resnais muß als Bezug herhalten (SZ). Für mich ist der Film auf seine Weise gut und wichtig, wenigstens eine Farbe mehr in der sonst sotrostlosen Landschaft, aber daraus gleich ein epochales Meisterwerk machen wollen … Nee!
Schnellschnitt – Clip Art – Nutzung vermaledeiter Sehgewohnheiten: Proportionen stimmen. Zauber und Magie des Bildes: kein Anspruch – digitale Oberfläche linearer Abläufe – Sehverhinderung – jedenfalls für mich. Wusch und vorbei – ich kann nicht drauf ab, ich sehe nix mehr – mein Problem, das isses … doch: Die Züge fahren in verschiedene Richtungen, der eine klappert, fährt langsam und kommt gelassen an – der andere, schnell und besoffen, mit Jugend und sogenanntem Zeitgefühl protzend, kommt auch an – AUSSER ATEM, den Blick nach vorn auf das Gleis, den glänzenden Schienen zum Erfolg. Irgendwann treffen sich die Gleise auch bei unterschiedlicher Streckenführung …
Peter Przygodda, 19.8.1998