Dorothea Braemer: Termite TV
Ich wurde gefragt, einen Artikel über Termite TV zu schreiben. Und nun sitze ich vor meinem Computer und schaue vor mich hin. Doch dann sage ich mir: „Fang einfach an, irgendwas wird dabei schon herauskommen. Einfach anfangen …“, und ich schreibe und schreibe, und da fällt mir ein, während ich schreibe, dass dies gewissermassen die Grundphilosophie von Termite TV ist: Einfach anfangen, denn es ist besser, selber etwas zu machen, als darauf zu warten, dass andere etwas machen; es ist besser, selber Fernsehen zu produzieren, als Fernsehen passiv zu kritisieren; es ist besser, als Filmemacher seine eigenen Programme zu gestalten, als sich von einem der sieben derzeit amtierenden Medienkonglomerate verschlingen zu lassen. Es ist besser, mit anderen zusammenzuarbeiten, anstatt sich gegenseitig im Wettstreit zu bekämpfen, denn das Leben ist schwer genug, wenn man kreativ tätig ist.
anfänge
Termite TV gibt es schon seit 1992. Drei Filmstudenten der Filmhochschule Temple University in Philadelphia, USA – Mike Kuetemeyer, Meryl Pearlson und Jim Ospenson – wollten Fernsehen machen – radikales, lustiges, provokatives, ungeschliffenes, ehrliches Fernsehen. Ein progressiver Kabelsender in Philadelphia, DUTV, erklärte sich bereit, die noch nicht existierenden Sendungen von Termite TV mit ins Wochenprogramm aufzunehmen. Plötzlich hatten die drei Studenten ein ganz unübliches Problem für Studenten: Sie mussten in grosser Geschwindigkeit ganz viel Fernsehen produzieren. Das erste Programm – „Rizzo’s Brain“ – befasste sich mit Philadelphias berühmt-legendärem, korruptem Bürgermeister Frank Rizzo. Die Sendung begann mit dem Bild einer Axt, welche einen Fernsehbildschirm zertrümmert. So war Termite TV geboren.
„this is only a test“
1994 wurde ich Mitglied von Termite TV. Inzwischen wurde „This Is Only a Test“, Termites erste Fernsehserie, auf über 60 verschiedenen Fernsehstationen in den Vereinigten Staaten gesendet. Jede Sendung hatte ein weitgefächertes Thema, zu dem Termite-Mitglieder und andere Filmemacher einen kurzen Beitrag beisteuerten. Wichtig dabei war, dass jeder innerhalb seines kurzen Beitrages absolute, kreative Autonomie behielt. Anstatt kollektiv gefällter künstlerischer und inhaltlicher Kompromisse war unser Ziel die absolute, kreative Freiheit innerhalb einer zeitlichen und thematischen Begrenzung. Es entstanden moderatorlose, magazinartige Sendungen, die experimentelle, dokumentarische und Spielfilmformate vermischten und ein Thema mit ganz unterschiedlichen stilistischen und inhaltlichen Ansätzen behandelten – ohne „objektiv“ oder „ausgewogen“ sein zu wollen.
labor
Um unsere Programme rechtzeitig fertigzustellen, machten wir ganze Nächte durch, uns gegenseitig anspornend. Ich versuchte Sachen, die ich mich alleine wohl nie getraut hätte. (Ich erinnere mich an die Ekstase, als ich einmal – für eine Sendung mit dem Thema „Dreieck“ – um fünf Uhr morgens ein Interview über die Unzulänglichkeit des Amerikanischen Zweiparteiensystems und die Schönheit des Dreiecks von Pythagoras schnitt, und mir plötzlich die Idee kam, den interviewten Freund, einen Physiker, in kleinen Vierecken und Dreiecken verschmelzen und explodieren zu lassen.) Termite TV wurde mein Skizzenbuch, mein Tagebuch, mein Labor.
philosophie
Der Name Termite TV kommt von dem Manifest „White Elephant Art vs. Termite Art“ des Künstlers und Kritikers Manny Farber. „White Elephant Art“ beschreibt eine Vorstellung von Kunst als „perfektes“ Meisterwerk, wo das Oeuvre eines Künstlers für seine Kontinuität und Einheitlichkeit geschätzt wird. Im Gegensatz dazu stellt „Termite Art“ den Prozess, nicht das Produkt des Schaffens in den Vordergrund. „Termite art moves always forward eating its own boundaries and likely as not leaves nothing in its place but the signs of eager, industrious unkempt activity.“ („Termiten-Kunst bewegt sich immer nach vorne, ihre eigenen Grenzen fressend und nichts weiter als die Spuren eifriger geschäftiger und chaotischer Aktivität hinterlassend.“)
living documentary journey
1999 beschloss Termite TV – inzwischen aus 4 Mitgliedern bestehend (ausser mir Anula Shetty, Carl Lee, Mike Kuetemeyer) – eine Living Documentary-Video-Reise durch Nordamerika zu machen. Wir wollten endlich mal ungestört reisen und filmen, ohne ständig durch unsere anderen Projekte und Jobs abgelenkt zu werden – eine subjektive Bestandsaufnahme der Vereinigten Staaten am Ende des Millenniums. Sechs Monate fuhren wir in einem alten Schulbus durch Amerika, von Philadelphia bis Seattle, dann nach Alaska und durch den Südwesten wieder zurück. Unterwegs zeigten wir unsere Arbeiten in Medienzentren und Universitäten, unterrichteten Workshops, kollaborierten mit anderen Filmemachern und produzierten vier Sendungen: „Money“, „Life Stories from Sitka, Alaska“, „Violent“ und „Life Stories from the Borderlands“. Erstaunlich war, wie begeistert wir vielerorts aufgenommen wurden. Wir wurden zu nomadischen Videotroubadouren, erzählten von Ort zu Ort, was wir gehört und gesehen hatten; unsere Videokameras wurden organische Bestandteile unserer Selbst, die viele Ereignisse nicht nur aufzeichneten, sondern hervorriefen. Marshall McLuhan’s Maxime – „the Medium is the Message“ – wurde auf dieser Reise konkret.
life stories
Eine Initiative unserer „Living Documentary Journey“ bestand darin, Leute, die wir unterwegs trafen, zu fragen, ihre Lebensgeschichte in fünf Minuten zu erzählen – fünf Minuten, ohne von Fragen geleitet oder unterbrochen zu werden. In Sitka, Alaska, filmten wir in der öffentlichen Bibliothek, in Arizona im Schulhof des Ford Appache Indianerreservats, in Cody, Wyoming, auf der Farm eines Cowboys. Natürlich ist es unmöglich, seine Lebensgeschichte in fünf Minuten zu erzählen, aber gerade diese Unmöglichkeit machte es zu einem interessanten Projekt. Ein Indianermädchen erzählte von ihrer Leidenschaft zum Skateboarding, eine 17-Jährige aus Sitka, Alaska, erzählte von dem Traum, den sie letzte Nacht hatte. Andere erzählten von ihren Vorfahren und Verwandten, konzentrierten sich auf Erfolgserlebnisse und Karrierehöhepunkte oder überlegten sich, was überhaupt der Sinn des Lebens ist. Die Pausen, der Blick in die Kamera, die Seufzer – oh Gott, noch zwei Minuten! – machen diese Geschichten zu kleinen Theaterstücken, geschauspielerten Selbstdarstellungen, während sie doch auch gleichzeitig ganz Dokument sind, pur und unmanipuliert.
zukunft
Termite TV lebt inzwischen verstreut auf zwei Kontinenten mit derzeit fünf Mitgliedern: Anula Shetty und Mike Kuetemeyer sind in Philadelphia, PA, Meg Knowles in Buffalo, NY, und ich, Dorothea Braemer und Carl Lee in Berlin. Unsere ersten „deutschen“ Lebensgeschichten sammelten wir in Sachsen-Anhalt (mit der Unterstützung der Werkleitz Gesellschaft e.V.), weitere Aufnahmetermine sind in Berlin geplant. Und natürlich machen wir auch unsere regulären Programme, basteln an unserer sehr umfangreichen Webpage (www.termite.org), machen Videoinstallationen – denn „Termite Art“ bewegt sich immer nach vorne, die eigenen Grenzen fressend, eifrige, geschäftige, chaotische Aktivität – als Waffe gegen Medienkonformismus und Einzelkämpferei – und weil Fernsehmachen einfach Spass macht.
Dorothea Braemer
Termite TV Website: www.termite.org. E-mail: info@termite. org oder dorothea@termite.org. Termite TV wird in den Vereinigten Staaten im öffentlich-rechtlichen Fernsehen und auf Kabelstationen gezeigt, auf Festivals und in Museen, unter anderem dem „Museum of Modern Art“ und dem „Museum of Radio and Broadcasting“ in New York.
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