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Interview Harun Farocki

Revolver: In Ihrem Film “Nicht löschbares Feuer” gibt es eine Szene, in der Sie sich eine Zigarette auf dem Handrücken ausdrücken, um die Wirkung von Napalm zu demonstrieren …

Farocki: Um zu demonstrieren, dass man nicht zeigen kann, wie Napalm wirkt, was Napalm bedeutet!

In dieser Geste steckt eine ästhetische Strategie, die man Authentifizierung nennen könnte, der Körper des Autors wird zum Beweismittel. Wie stehen Sie heute zu dieser Szene?

Das war eine Reaktion auf die von uns empfundene Krise der Repräsentation. An der Filmakademie diskutierten wir darüber, inwieweit das Darstellen nicht eine merkwürdige Reklameagenturtätigkeit ist. Man kann doch nicht Bilder aus Vietnam, von den Opfern der Napalmverbrennungen, nehmen und die für das herhalten lassen, was wir ausdrücken wollen. Eine Frau oder ein Kind, wie das die Reklame macht – das wäre doch bestenfalls Gegen-Reklame. Das wäre wie die Bettler in der “Dreigroschenoper”, die wissen, wie sie Mitleid erregen können und ihre Verstümmelungen herrichten. Und die Überlegung, dass es doch absurd ist, die Zuschauer moralisch unter Druck zu setzen, das war doch eine Pädagogik, die wir uns selbst auch nicht gefallen liessen. Diese Szene war so eine Volte, zu sagen, dass tun wir nicht, um die Zuschauer aber gleichzeitig damit noch mehr zu erschrecken. Als Rezept gefällt mir das immer noch ganz gut.

Die Szene hatte natürlich auch ganz stark mit einer Happening-Ästhetik zu tun, ohne dass mir das damals bewusst war. Das ist auch eine Revitalisierung, Re-Schamanisierung der Kultur, da hat Beuys auch eine Rolle gespielt. Ich hab ja immer wieder mein Gesicht  hingehalten, auch in einem Selbstportrait vor noch nicht so langer Zeit, in “Schnittstelle”. Heute nehme ich das nicht mehr so wörtlich mit dem “den Kopf hinhalten”. Damit eine Sache persönlich ist, muss man da die Ich-Form benutzen? Wahrscheinlich nicht. Man kann sein Gesicht zeigen und sich verstecken, und man kann das Ich vermeiden, ohne ins Allgemeine auszuweichen. 

Haben Sie das Gefühl, dass “Nicht löschbares Feuer” im Sinne der – im Film explizit formulierten – Wirkungsabsicht erfolgreich war?

Woher soll ich das wissen? Es gibt die ungebrochene Annahme oder Abweisung doch kaum je. Meistens mischt sich beides, die Abwehr ist in die Zustimmung mit eingebaut. “Nicht löschbares Feuer” bekam viel Zustimmung, Fernsehausstrahlungen, einen Preis. Da war ich für einen Augenblick der akzeptable Teil der Politfilmbewegung. Das sah neuartig aus und war trotzdem verständlich. Das war ja so etwas wie ein Punk-Film, schmutzig und direkt.

Es gibt heute mehr und mehr das Gefühl, aus dem Systemzusammenhang nicht mehr herauszukommen. Aber damals gab es noch die Überzeugung, man könnte “Guerillafilm” machen?

Ja, weil wir so naiv waren. Weil wir dachten, dass dieser Schritt, sich selbst zu organisieren, etwas gänzlich Neues schafft. (Aber das ist natürlich eine Illusion.) Sicher hatte es auch einen bestimmten Nachdruck. Manchmal muss man die Schule verlassen und das Lernen selbst in die Hand nehmen. Uns ging es darum, etwas in Bewegung zu setzen. Vor 10, 12 Jahren, als ich “Leben BRD” machte, da gab es immerhin noch so 30, 40 Städte, in denen so ein Film gezeigt werden konnte, vielleicht auch nur vor 10 Zuschauern, aber es gab trotzdem noch so ein gewisses Angebot. Bei “Videogramme” 3 Jahre später war das schon irgendwie lächerlich, da gab es nur noch 5 oder 6 Orte in Deutschland, und heute geht das, glaube ich, gar nicht mehr. Es hat aber auch eine Verschiebung stattgefunden, hin zu anderen Orten. Zum Beispiel in Berlin die “Kunst-Werke”: Das sind Orte, wo Bildende Kunst, Architektur, andere Theorien zusammenkommen. An solchen Orten werden heute wieder Filme gezeigt. Und dort findet man ein ganz anderes, interessiertes Publikum. Aber diese Struktur ist nicht durch Verleihe abzudecken. Wir verschicken also Videos und DVD’s auf so einer richtigen Bastelebene, wie so ein Erotikbuchversand der 50er Jahre (lacht).

Aber besteht so nicht ein bisschen die Gefahr, sich von einem Ghetto ins nächste zu begeben?

Kann passieren, ja. Aber ich bin lieber im Ghetto als in der Reihenhaussiedlung! Ich habe neulich in “Trafic” darüber geschrieben, dass wenn man einen Film im Kunstbereich zeigt, man mehr zu hören kriegt als sonst, aber dass man es schwerer bewerten kann, was die Leute sagen (lacht), was sie eigentlich meinen damit. Im Kunstbereich ist es so, dass der Code nicht festliegt. In Kino und Fernsehen liegt er gänzlich fest zur Zeit, auch beim Dokumentarfilm. Auch ein offener Dokumentarfilmbetrachter erwartet, dass ein Film so und so aussieht und ist entsetzt, wenn er ein bisschen abweicht davon. Das ist eine etablierte fiktive Feudalgesellschaft, in der alle über einen Film urteilen und sagen: “So muss es sein” – fast wie im höfischen Leben früher oder in der Oper, wo jeder über die Darbietung mit so einer Scheinkompetenz urteilen konnte. In Wien zum Beispiel sind die Offiziere abends alle besoffen in die Oper gegangen (lacht), die Frauen haben die Noten mitgelesen, und dann wurde darüber gesprochen: “Das habe ich aber in Paris besser gesehen” und so. Und diese Form von Räsonnement, die gibt’s heute auch, wo jeder ein Billy-Regal voller Bücher hat à la “Wie schreibe ich ein Drehbuch?”. So wird heute über den Hollywoodfilm geredet, und nicht viel anders ist es mit dem Dokumentarfilm. Da wird sehr viel über den Code und seine Erfüllung gesprochen.

Den Code zu brechen wird sanktioniert.

Das war der grosse Konflikt, den Leute wie Straub/Huillet oder Godard damals mit der Linken hatten. Die Linke sagte: “Euer verspielter Kram mit alten Römern oder mit jungen Mädchen, die die Unmöglichkeit der Darstellung verhandeln (lacht), das hat doch gar keine Bedeutung und keine Wichtigkeit. Wichtig ist doch etwas ganz anderes!” Das war die Forderung nach einer strikt inhaltlichen Herangehensweise. Aber es gibt ja auch eine stilistische Radikalität und die Forderung, den normalen Erzählfilm, der sehr unsauber mit seinen Mitteln umgeht, stilistisch zu überwinden. Da gab es schon ein Schisma: Formale Avantgarde, inhaltliche Avantgarde. Es gibt in der Filmgeschichte ganz wenige, die wie Bresson versucht haben, einen ganzen Roman wie ein Gedicht zu schreiben – also alles in eine stilistische Einheit zu bringen –, sich daran tot arbeiteten und trotzdem den Film nicht erstickten. Das ist etwas wirklich Kostbares. Irgendwann habe ich begriffen, dass auch so ein unsauberer Filmemacher wie Chabrol originelle Sachen sagen und Dinge zum Ausdruck bringen kann, die sonst in Filmen gar nicht vorkommen.

Das ist eben diese Dialektik: einerseits für ein höheres filmisches Sprachbewusstsein einzutreten und gleichzeitig festzustellen, dass es manche gibt, die das überhaupt nicht nötig haben. Fassbinder ist das grossartige Beispiel. Fassbinder habe ich, solange er lebte, immer verkannt. Ich habe überhaupt nicht begriffen, dass er auf magische Weise mit seiner Intention und seinen melodramatischen Mitteln – es war ja nicht so übertrieben wie bei Schroeter, wo man es sofort versteht –, dass er mit diesen Konventionalismen und Unsauberkeiten trotzdem etwas Grossartiges trifft und ein radikaler Autor ist. Das habe ich völlig verkannt, weil ich immer glaubte, wenn man ein bestimmtes Sprachbewusstsein hat und mit der Geschichte der Avantgarde verbunden ist (lacht), dann wird das schon klappen. Und dass Leute damit brechen konnten und trotzdem etwas erreichen, das habe ich nicht im Auge gehabt. Das macht es mir heute schwer, für stilistische Radikalität einzutreten. Gleichzeitig leide ich unter 1000 Sachen von Leuten, die gar nicht sehen, woher das Bild kommt, das sie benutzen, die es auch nicht bewusst ausgewählt haben und kein persönliches Verhältnis dazu einnehmen.

Welche Rolle hat die Frage nach der Form im Politfilm gespielt?

Meist filmte man Demonstrationen und wollte dann noch die Macht der Arbeiter zeigen. Aber die Arbeiter hatten keine Lust, und wenn, dann sah das elend aus. Da standen 3 Arbeiter im Bild, die man dazu überredet hatte, dass sie da rumstehen. Das war’s aber nicht. Man fragte sich, wie kann das, was man sagen will, Film werden? Wo erscheint das eigentlich? Da operiert man mit den tollsten Abstraktionen, aber wo finden die ihre Entsprechung? Eine Antwort waren diese Storyfilme wie Ziewers “Mutter, mir geht es gut”. Das war der sogenannte Arbeiterfilm in den frühen 70er Jahren. Kratisch und Lüdcke machten solche Filme an der DFFB und haben das dann im WDR fortgesetzt. Das war auch ziemlich gelungen – in gewisser Weise ähnlich dem, was vielleicht heute der “Tatort” macht. Im Stern steht eine bestimmte Geschichte – Flüchtlinge, die in Lastwagen ersticken –, und 6 Monate später kommen die im “Tatort” vor. Damals war ich so verbohrt, dass ich das nicht gut finden konnte (lacht). Ich dachte, man kann doch diese alte Form der Verbindung von Handlung und Individuum nicht fortsetzen, wo alle wie in einem Stück von Hauptmann ihr Problemchen auf dem Buckel tragen und es dann vor der Kamera auspacken. Natürlich mit ein paar netten Bildern, damit man Sympathie empfindet. (lacht) Das fand ich unmöglich damals.

Ich habe heute das Gefühl, dass es immer schwerer wird, eine Gegenposition aufzubauen zum herrschenden Diskurs, weil die Dinge so wenig greifbar sind. War das damals anders?

Nicht wirklich. Selbst um ’68 hatten wir Mühe, unsere Gegenposition zu bestimmen. Etwas Aufregendes, vage Erhofftes, aber doch Unerwartetes geschah, und wir konnten dem nicht Ausdruck verleihen. Das galt wohl in jedem Sinn. Was da passierte, hatte viel Unmittelbarkeit und war besser als die Plakate, Lieder oder Filme. Auch die Reden waren ja besser als das, was sich davon fixieren lässt, was auf dem Papier stehen kann oder auf einem Tonband ist. 1968, da kamen auch die “Cine-Tracts” nach Berlin, die Filme von Godard und anderen vom Pariser Mai. Ich kann mich erinnern, wie enttäuscht ich davon war. Ich spreche jetzt von den Jahren ’66 bis etwa ’70. Dann galt es, oder schien zu gelten, dass man etwas aufbauen müsste. Und da zeigte sich, dass fast alle den Traditionsbruch nicht verkraftet haben und sich in das Alte flüchteten. Es gibt einen Satz von Lenin, da sagt er, der Bolschewismus sei eine schwache Kultur, es könne sein, dass ungewollt die alte zaristische Kultur wieder durchwüchse – so ist das in der Sowjetunion geschehen und im winzigen Masstab bei uns:  Wir leben ja in der Zeit der Miniaturisierung. Ich glaube, was Bitomsky und ich um 1970 drehten, Filme zur Unterrichtung der Politischen Ökonomie, da waren wir auch so etwas wie eine K-Gruppe, da hatten wir uns mit der Rebellion übernommen und mussten nun einen ganz unangemessen ernsten Ton anschlagen. In diesen Arbeiten wird klar, dass wir nur Abstraktionen im Kopf hatten – wenn wir wenigstens die verfilmt hätten! Es ist dann so gekommen, dass ich etwas lernen musste, da begann mein Zweiter Bildungsweg. Ich ging wohl stark von den Vorstellungen einer Avantgarde aus wie in der Sowjetunion, einer künstlerischen Avantgarde parallel zur politischen. Da fehlte mir gänzlich der Gegenstand für, vom Vermögen mal zu schweigen. Wer nicht so dachte, der hatte es leichter und hatte auch eine Wirkung, wie eben diese “Arbeiterfilme”, aber auch Helke Sander und Helma Sanders-Brahms. Die griffen auf, was man jetzt am Leben ändern konnte. Oder Rosa von Praunheim: Das hat alles Wirkung gehabt. Aber was ich damals nicht verstand: Was ist, wenn die Polizei nicht prügelt? Was ist, wenn die Macht nicht lokalisierbar ist, wie sie es gerade wieder zu sein scheint, wegen dieser Bush-Clique?

Wie kam es zu dem Wandel von Ihren eher agitatorischen Arbeiten zu den beschreibenderen Formen? Aufgrund welcher Einsichten, aufgrund welcher wirtschaftlichen Zwänge?

Sicher waren das auch wirtschaftliche Zwänge. Diese eher beobachtenden Filme waren Filme, die ich beim Fernsehen durchbringen konnte. Da war ich nicht auf Kunstförderung oder diese Minderheitenschiene angewiesen. So ein Film wie “Die Schulung” war damals fernsehkompatibel. Oder man konnte einen Film beim Kinderfernsehen durchbringen, zum Beispiel “Eine Schallplatte wird gemacht”. Das waren Möglichkeiten. Heute schafft es ein Film ohne Kommentar nur noch ins Dritte Programm, wenn überhaupt.

Aber neben der wirtschaftlichen Notwendigkeit, weil das andere nicht geschluckt wurde, gab es da nicht auch eine Desillusionierung: Da stehen nun die drei Arbeiter, und dann erreichen wir die gar nicht, obwohl wir es wollen?

Ja, klar! Also Desillusionierung in einem guten Sinne: ent-täuschen, also Täuschung weg. So, wollen wir doch mal lieber die Welt anschauen, in der wir leben. In den 80er Jahren fing ich mit “Direct Cinema”-Filmen an. Ich suchte Situationen, bei denen eine starke Struktur schon vorgegeben ist, etwa: Bei Playboy wird ein Mädchen 4 Tage lang fotografiert, oder Manager werden über 5 Tage von einem Trainer bearbeitet. Bei den Recherchen dazu sah ich mir viele solcher Seminare an. Ich war erstaunt, dass es zunehmend Leute gab, die von ihrem Yoga-Kurs sprachen und davon, dass ihr spiritueller Gewinn auch der Firma zugute käme. Das sagten sie nicht ihren Chefs, so sprachen sie unter sich. Bis dahin hatte ich immer gehört, dass die Leute ihr “eigenes Ding” gegen die Firmen-Ausbeutung setzten. Yoga ist ja wohl ursprünglich eine Entsagungs-Technik, hier entsagte man zugunsten der Firma. Solche Änderungen bekam ich mit, schon dafür lohnen sich Dokumentarfilme.

Wie treten Sie an solche Kreise heran? Gehen Sie da hin und sagen: “Guten Tag, ich mache einen Film über Ausbeutung”, oder wie aufrichtig sind Sie dann?

Früher war meine Maxime: Ich sage einer Firma, der Film sei Reklame für das, was sie machen und sage dem Fernsehen, der Film sei Kritik an dieser Praktik. Und versuche, weder das eine noch das andere zu machen. Heute komme ich mit einer solch einfachen Maxime nicht mehr aus. Sicher rede ich manchmal etwas schön, aber im Grunde erzähle ich, was wir machen wollen. Ich kann mich nur nicht immer verständlich machen, das heisst die Leute wissen nicht, was ein Dokumentarfilm ist und denken, wir wollen an einem x-beliebigen Tag vorbeikommen und etwas herumschwenken. Sie können sich sehr selten vorstellen, was es bedeutet, wenn man etwas durch Montage zusammensetzt. Das zu erklären habe ich aufgegeben. Bei “Leben BRD” habe ich daher gesagt, ich mache einen Film, in dem unter anderem vorkommen soll, wie Mütter in der Selbsthilfegruppe lernen, wie man ein Baby wickelt.

Gibt es dann keine Probleme, wenn Sie den Leuten mehr oder weniger reinen Wein einschenken und nicht mehr sagen, Sie machen einen Werbefilm?

Das war nicht leicht, oft hatte ich die Trainer und Teilnehmer schon gewonnen, aber die Firmenleitung verbot das Drehen. Dann fand ich aber einen Trainer, der unbedingt gefilmt werden wollte und die Kurs-Teilnehmer richtiggehend presste: Ihr wollt Manager sein und fürchtet euch vor einer Kamera! Heute ist das alles einfacher, heute gehört es zur sozialen Kompetenz, das Gefilmt-Werden. Man muss Yoga machen und sich filmen lassen. Das hat auch damit zu tun, dass die Rollendistanz viel grösser ist heute – bei allen Menschen. Sogar in der Rüstungsindustrie kann man heute mit Leuten über Waffen diskutieren, was früher nicht möglich war. Früher konnte man, wenn man Glück hatte, mit so einem verlogenen Standpunkt gerade so durchkommen. Heute kann man offen sagen, was man denkt.

Diese Distanz, von der Sie sprechen, erlaubt diesen Leuten natürlich auch, zynischer zu werden gegenüber der eigenen Arbeit.

Sicher, diese Distanz ist nicht nur positiv, klar. Da fehlt dann im entscheidenden Augenblick vielleicht die Verantwortlichkeit. Aber interessanterweise ist es doch so, dass wenn Leute etwas tun – das geht uns doch allen so – dann werden sie von der Sache unheimlich mitgerissen. Trotz allem Zynismus und aller Distanz. Wenn wir etwas tun, dann glauben wir auch gerne daran. (lacht) Bei allen Zweifeln.

Zahlenmässig erreichen Sie nicht die grosse Masse mit Ihren Filmen. Wenn man aber das Anliegen hat, politisch zu wirken, vertrauen Sie dann darauf, dass es die richtigen Leute erreicht?

Selbst wenn ich im Fernsehen nur 1% der Zuschauer erreiche, sind das viele Menschen. Es bleibt aber gänzlich abstrakt, es ist so, als würfe ich eine Flaschenpost ins Meer. Da ist es interessanter,  auf einem Kongress einen Vortrag zu halten und etwas zu zeigen. Da gibt es viel mehr Austausch. Mir kommt es darauf an, mit meiner Filmarbeit an Diskussionen teilzunehmen, da spreche ich mit weniger Leuten, dafür aber intensiver.

Wie sieht bei der Arbeit fürs Fernsehen die Kommunikation mit den Redakteuren aus? Mein Eindruck ist, dass der Druck, “allgemeinverständliche” Filme zu machen, weiter zugenommen hat. Oder begegnet Ihnen das nicht?

Aber sicher! Die Einschaltquote zu meiner Produktion “Die Schöpfer der Einkaufswelten” war zu niedrig. Es sieht nicht so aus, als könnte ich noch einmal etwas im Ersten Programm machen. Ich glaube übrigens, dass ich durchaus allgemeinverständliche Filme mache. Auch die Filme von Wildenhahn oder Nestler sind verständlich, dennoch finden sie im Programm kaum einen Platz. Bei mir sind bloss ein paar Momente im Vordergrund, die sonst im Hintergrund bleiben, die Proportion ist anders. Ich lasse bloss ein paar Füllworte und Füllbilder weg.

Neben der Arbeit an Ihren Dokumentarfilmen schreiben Sie ja seit einigen Jahren auch Drehbücher …

Ja, mit Christian Petzold schreibe ich an den Drehbüchern mit. Der hat sich auch so eine glückliche Ecke erobert, wo er nicht ganz genau ins Schema passen muss, sondern ein bisschen als “Auteur” durchgeht. Also so einer, den man zusammenfassen kann zu Dreier-Reihen. Und da hat man natürlich ein bisschen mehr Freiheit.

Diese Zusammenarbeit lag ja nicht unbedingt nahe. Sie haben mal gesagt, dass Storyfilme “tiefstes 19.Jahrhundert” seien – und jetzt schreiben Sie selbst daran mit.

(lacht) Ja, ja, das ist richtig. Das haben ja die Surrealisten auch gemacht. Erst haben sie gesagt, ich kann keinen Satz schreiben wie: “Die Marquise trank um fünf Uhr Tee …”, dann haben sie doch Romane geschrieben.

Und sind die Storyfilme immer noch 19.Jahrhundert, oder könnten die auch mal 20. werden? Und was bräuchte es dazu?

Helmut Färber hat mal gesagt, manche hätten ausserhalb der Filmindustrie gute Sachen gemacht, wie Huillet/Straub, und andere in ihr, wie John Ford. Und so ist es wohl auch mit der Story. Natürlich kann man vieles nicht mit ihr erzählen, worauf es ankommt. Aber was soll man tun – die Form strapazieren oder sie aufgeben? “Im System arbeiten” oder ausserhalb davon? Thomas Mann gab sich riesige Mühe, die diskursiven Texte, die ihn interessierten seinen Romanfiguren zuzuordnen. Levi-Strauss oder Foucault haben etwas Romanähnliches geschrieben, nur eben die Erzählkonstruktion weggelassen. Eigentlich kann ich mich zwischen dem einen und dem anderen nicht entscheiden. Gerade weil es so deutlich ist, dass wir die Fiktion seriell erzeugen und dann so tun, als hätten wir es mit einer göttlichen Fügung zu tun, bleibt sie interessant für mich. Übrigens waren die Romane ja wohl nie so standardisiert, wie die Erzählfilme es sind. Aber eigentlich darf man auf solche grundsätzlichen Fragen gar nicht antworten. Fiktion oder nicht! Das ist ja wie “Aufklärung pro und contra”, wie im Zauberberg, da muss man gleich 900 Seiten vollschreiben.

Aber die Repräsentation, das stört sie nicht, wenn Julia Hummer in der “Inneren Sicherheit” jetzt doch so eine Art Identifikationsmodell ist?

Es ja nicht so, dass man schon Krawatten mit der verkauft, so schlimm ist es nicht! Aber ich könnte das nicht machen. Darum bin ich ja auch froh, dass ich da mit jemandem an etwas beteiligt bin, der das kann. Ich kann meine ganze Lust an Konstruktionen und an anderen Sachen, die mich interessieren, da einbringen.

Das sind die verbotenen Früchte, die man sich selbst verbietet?

Ja, vielleicht.

Das Gespräch führten Nicolai Albrecht, Jens Börner und Markus Nechleba am 2.1.2003 in Berlin. Bearbeitung: Christoph Hochhäusler, Jens Börner und Harun Farocki. Danke: Harun Farocki!

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