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Wilde Erdbeeren: Veit Bastian

Crystal Voyager

Eine Welle rollt in Zeitlupe von rechts ins Bild. Ein Berg aus leuchtendem Blau. Seine Spitze fliegt langsam in einem Bogen nach unten: Ein Tunnel entsteht. Glitzernd dreht er sich um einen winzigen Horizont. Dann bricht der Tunnel zusammen. Ein gleissender Fleck taucht auf, um den Türkis und Weiss strömen. Das Bild wird dunkel. EXIT. Hinter einem Autofenster gleitet das Schild einer Highwayausfahrt vorbei. Wüstenhafte Hügelkuppen changieren im Abendlicht. Ein junger Mann spricht davon, wie es ist, sich in der “Tube” zu befinden. Warum er noch lange später an nichts anderes denken kann. Er redet im Off, schnell und tonlos, beinahe schwer zu verstehen. A zone of its own. Wir sehen George Greenough, einen der berühmtesten Surfer der 70er Jahre.

So beginnt „Crystal Voyager“ mit 2 verschiedenen Darstellern, einer Welle und George Greenough. Und es sieht lange so aus, als sei „Crystal Voyager“ ein Dokumentarfilm über Greenough und seine surfenden Freunde. Am Ende sieht man: Eine Täuschung. Kein Film über Surfer. Ein Film über Wellen. Über Das Andere.

Bevor uns Greenough in die von ihm selber gedrehte und geschnittene Wellensequenz ECHOES führt, könnte „Crystal Voyager“ die Vorlage zu einer Inszenierung des kalifornischen Easy Living der 70er Jahre sein: Barfuss Limousinen fahren, in Shorts das Board flexen, sich vom Salz die Haare bleichen lassen… All das kommt mit einer Ruhe daher, die man verblüfft als Original zur Kenntnis nimmt. Dazu eine sirenenhafte Musik, ohne Zögern und effektiv. Nach den ersten 5 Einstellungen: Kein Widerstand mehr. Eine Verführung: Surfen. Das ist es.

Für eine knappe Stunde wird „Crystal Voyager“ dann zu einem Freund, der Freunde begleitet. Wir fahren mit George im Auto, wir gehen mit seinen Freunden zum Strand, seine unsichtbare Stimme führt uns zu seinem Boot oder erklärt uns, warum er sich beim Schleifen einer Finne an der Flossenform von Hochseefischen orientiert. Immer wieder werden die Episoden von Bilder einer archaischen Wildnis durchbrochen: Ein Strand, dessen dürre Vegetation vor blauem Himmel wie ein Science Fiction Setting aussieht. Ein masslos rot leuchtender Sonnenuntergang. Eine dicke, kleine Flamme, die Metall verflüssigt. Autoleichen am Schrottplatz. Der rätselhafte Blick einer schwarzen Katze. Und immer wieder, in allen Nuancen und Winkeln: Spiegelndes Wasser.

Bald entstehen jedoch Risse an „Crystal Voyagers“ romantischer Oberfläche: Die zunehmende Last der Musik, die beginnt, die unglaubliche Geschwindigkeit der Wellenritte abzubremsen. Oder das Filmset einer Hollywoodproduktion, die die Surfer als Production Value entdeckt und unter Vertrag genommen hat. Das Lächeln einer jungen Frau… Dreharbeiten am Strand… good money: Kleine Einschlüsse einer marktwirtschaftlichen Realität werden sichtbar. Und abgestreift. Denn ab jetzt wird der Film das Bekannte verlassen. Er blendet ab:

Wir sind knapp unter dem Meeresspiegel. Schwarzweisse Tümmler gleiten an uns vorbei. Man hört ein Echolot. Pink Floyds Stück ECHOES setzt ein. Die Tümmler, die an der Elementgrenze gespiegelten Surfer, reissen den Luftraum mit ihren Finnen auf. Dann ein Blick hoch zur Sonne: Schwefelige Wolken und perlende Teppiche drehen sich in einer seltsam beleuchteten Flüssigkeit. Dann etwas heller: Wellen dicht unter der Wasseroberfläche, transparent und chaotisch, wie flüssiger Kristall. Wieder Wellen, die als trübe Zylinder aus zerstäubender Atmosphäre durchs Meer wirbeln. Dann Wellen von hinten, als Augen, die in die Sonne blicken. Wolken, die ihrerseits aussehen wie Wellen, nur weiter oben und noch gefroren. Am Ende Wände aus Wasser, mit bronzefarbenen Schweifen, die zur Sonne fliessen. Schliesslich eine steil gebogene, blaue Rampe im Anschnitt, eine Krümmung, von der man denkt, sie würde den Horizont verbiegen. Und dann – nachdem man staunend sieht, dass dies alles mehr ist als Wasser – ist man wieder in der Tube. Und die Tube dreht sich glitzernd. Man hört Pink Floyds Echolot. Einmal. Zweimal… Was bist Du, Welle? Was?

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