Alexander Kluge: Solarkamera Jupiter
Die wichtigste Erfindung bestand in der Vorrichtung für die Blende. Auch räumlich war dies ein großes Objekt. Nach Öffnung dieser Blende war der Lichtfresser, die SOLARKAMERA JUPITER, so konstruiert, dass das Licht des Zentralgestirns wie eine lange Röhre auf ein System von Spiegeln traf, die es, gedämpft, der seitlich angebauten Lichtkamera zuwarfen. An wertvollem Material hatte die Firma Edison nicht gespart.
Wer ist der Mann links von dem Gerät?
Das ist der Ingeneur.
Und der Mann rechts, der sitzt?
Das ist der Operator.
Warum die Steinmauer im Hintergund?
Um nächtlichen Diebstahl abzuwehren. Einzelteile der Großkamera, Metall-Legierungen, waren von hohem Wert.
Und die Hütte ganz links im Bild?
Dort saß nachts der Wächter.
Das Hindernis aus Holz im rechten Bildteil?
Eine Zugangssperre, um Unfälle auf dem Podest zu verhindern, falls Laien sich nähern sollten.
Die Kamera, das ist der Anbau rechts?
Richtig.
Die Hebel in der Mitte?
Sind Einstellungen für Schärfe, sowie für die leichte Bewegung, welche die Kamera bei Verfolgung der Sonnenscheibe vornehmen konnte.
Die hatten die Konstruktion rechtzeitig für das Ereignis fertiggestellt. Nun mussten sie noch einige Stunden warten. Die Kamera, oder besser formuliert, die „Lichteinfangkanone“, sollte ihre legendäre Filmaufnahme zum Zeitpunkt der Sonnenfinsternis durchführen. Sie sollte die rasche Verdunkelung der Sonne, dann die neu erscheinende Sonnenscheibe auf dem bewegten Filmmaterial festhalten. Zeitraffung war notwendig, damit die Sonnenflecken in der Dokumentation eine leichte Bewegung zeigten. Das wiederum verlängerte die Belichtungszeit, d.h. es fiel immer zuviel Licht von der Sonne in das System der Kamera.
Warum bewegte Bilder?
Damit es Film wird.
Im Wesentlichen sieht man nichts außer einer weißen Scheibe.
Die Schwierigkeit lag darin, eine Überbelichtung zu vermeiden. Andernfalls wären die winzigen Sonnenflecken nicht zu sehen und die Scheibe zum Umfeld nicht angegrenzt gewesen.
Und was war das Interesse an dieser Aufnahme?
Das fragten wir uns auch, nachdem wir die Bilder gesehen hatten. Ein Streifen von zwei Minuten Länge.
Hätte man nicht besser das Material auf Weiß belichtet, die Sonnenflecken in das Zelluloid eingekratzt? Das hätte niemand bemerkt.
Das war unmöglich. Das Wesentliche an der kinematographischen Aufnahme ist deren Authentizität.
Aber man sah nichts Rechtes?
Die Kopierwerksarbeiter hatten versucht, die Sonnenflecken, die sie für Schmutz hielten, aus dem Negativ zu entfernen. Auch dem Publikum musste durch einen Sprecher erläutert werden, dass es auf diese sich geringfügig bewegenden Punkte achten solle: dass sie, die hier Eintrittsgeld gezahlt hätten, die ersten Lebewesen auf dem Planeten waren, welche die Sonne und ihre wandernden Punkte „wirklich“ sahen.
Kaum ein Erfolg?
Keiner.
Die Solarkamera Jupiter war in der Anfertigung besonders teuer. Das öffentliche Ereignis war später weniger der Film, dessen Vertrieb bald stockte, sondern die Nachricht von dieser gewaltigen Kamera. Die ingenieursmäßige Aufgabe dieser „Kanone“ war die Minimierung des Sonnenlichts. Die Sonne selbst, behauptete Edison, sei zu allgemein. Man könne, so rechtfertigte er den kommerziellen Misserfolg des Streifens, „Licht selber“ nicht aufnehmen, sondern immer nur Gegenstände oder Personen, die sich im Licht bewegen. Er selbst war von dieser „Entschuldigung“ nicht überzeugt und gab noch mehrere Varianten seines Sonnenteleskops in Auftrag. Nichts davon war mit Sonnenblenden und Filtern so ausgestattet, dass es „Spuren von Goldvorräten“ in der Sonnenkorona hätte identifizieren können. Man weiß heute, dass sich dort beachtliche Mengen von Gold, diffus verteilt, befinden. Edisons Plan war, dieses Gold sichtbar zu machen, „Sonnengold“, und so im Zuschauer eine populäre Vorstellung von „Wert“ hervorzurufen, so dass sich die Mühe lohnt, einen solchen Film in Länge von einer Minute anzusehen.
Edwin Porter filmte mit einer wesentlichen handlicheren Kamera als es die Solarkamera Jupiter ist, den Streifen „Die Sonne, gesehen aus dem Abstand jenseits des Neptun“. Mit dem Film erzielte er Besucherrekorde. Die Aufnahme hatte eine Länge von vier Minuten. Authentisch war sie nicht. Vielmehr hatte Porter eine Samtdecke gefilmt, die im Studio zwischen zwei Pfählen senkrecht aufgehängt war. Hinter der Samtdecke befanden sich Scheinwerfer. Es waren Löcher in den Samt gebohrt, das größte etwa fingernagelgroß. Auch Sicheln und Kugeln waren angedeutet, ähnlich den Monden und Planeten, die Fixsterne dagegen nur als Punkte. Sehr kunstvoll die Aura der „Ringe des Saturn“ am seitlichen Bildrand in langsamer Bewegung um die Sonne herum; das war später ins Negativ eingemalt, Einzelbild für Einzelbild.
Das Motiv wurde von den Zuschauern dankbar aufgenommen. Man konnte den Film mehrfach sehen, weil so viele Gedanken den Zuschauer berührten, wenn er sich vorstellte, in so weiter Ferne zu leben und doch das heimatliche Gestirn beobachten zu können. Die Erfolgsversion mit der Bezeichnung „unsere Mutter Sonne“ kostete einen Bruchteil der Solarkamera Jupiter.
Vorabdruck aus Alexander Kluges „Geschichten vom Kino“, das im Suhrkamp Verlag erscheint. Mit freundlicher Genehmigung des Autors.
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