Interview: Apichatpong Weerasethakul
Revolver: Was bedeutet dir die Natur, der Dschungel?
Weerasethakul: Ich präsentiere Natur in meinen Filmen so, dass ein Eindruck entsteht, wie sehr unsere Identitäten auf Kleidung und anderen Mitteln der Selbstdarstellung beruhen. Im Dschungel muss man sich um solche Dinge nicht kümmern; es ist ein Ort, an dem die Urinstinkte aus dem Käfig gelassen werden. Auch jeder Bezug zur Zeit ist aufgehoben.
Aber während „Blissfully Yours“ eine Hommage an die Sonne sein sollte, hat sich „Tropical Malady“ viel unbewusster entwickelt. Zu der Zeit von „Tropical Malady“ war ich emotional ohne Halt. Ich dachte viel über mein gescheitertes Liebesleben nach und über den Tod meines Vaters. Es war eine dunkle Zeit in meinem Leben, die ich nicht noch einmal durchmachen wollte. Während des Drehs versuchte ich, den Schmerz des Glücks einzufangen. Diese glücklichen Momente zu filmen, war sehr quälend und schmerzvoll für mich. Ich sah diese Figuren, wie sie sich anlächelten, als wären sie aus der Vergangenheit. Da Erinnerungen immer nur Fragmente sind, ist der erste Teil des Films unstrukuriert. Ich drehte einfach so, wie ich mich an jenen Tagen fühlte, einige als kurze Episoden, andere als lange. Die emotionale Struktur konnte ich dabei erst auf der Reise entdecken. „Blissfully Yours“ war viel konzentrierter. „Tropical Malady“ war für mich viel temperamentvoller. Erst als wir im Dschungel drehten, war ich mir wirklich bewusst, wohin der Film sich entwickeln würde. Der fertige Film spiegelt meine Gemütslage ziemlich gut wieder. Während des Schnitts versuchte ich, das Vorwärtstasten, die Art und Weise wie dieser Soldat sich durch verschiedene Landschaften bewegt, zu verstehen. Der Dschungel wuchs zu einer mächtigen Figur heran, die es uns im Schnitt nicht leicht machte. Viele Actionszenen haben wir letzlich rausgeschnitten, weil sie gegenüber diesem Wesen einfach respektlos wirkten. Auf diese Weise wird die Landschaft viel komplexer und mysteriöser, wie auch der Gemütszustand unserer Hauptfigur.
Die Dunkelheit vergrößert dieses Geheimnis noch …
Es war schwierig die Dunkelheit einzufangen, wenn der Mond als einzige Lichtquelle in einem Film vorhanden ist. Wir probierten viel aus, aber es sah alles gemacht und falsch aus. Also benutzten wir kleine Lampen, die den Produzenten sehr in Schrecken versetzten. Meine Grundidee war, viele Teile der zweiten Hälfte völlig schwarz zu belassen – was kommerziell gesehen natürlich unmöglich war. Also einigten wir uns mit dem Produzenten darauf, dass man wenigstens etwas sieht. Wir leuchteten die Nacht dann so, dass sie sehr schwer wurde – wie kann ich das ausdrücken –, dass sich eine schwere Masse von Schwarz auf die Schauspieler legt. Einige Szenen waren tatsächlich so dunkel, dass man sie nicht gebrauchen konnte.
Warum arbeitest du mit Laiendarstellern?
Weil Thailand von Soap Operas dominiert wird. Professionelle Schauspieler neigen immer dazu, so übertrieben zu spielen wie für Soap Operas. Ich habe es lieber realer, auch wenn ich nicht Realität dokumentieren will. Ich mag es, wenn man den Eindruck bekommt, dass dies Leute sind, die „versuchen“ zu schauspielern. Das Ergebnis ist ungelenk, und das ist wunderbar. Abgesehen davon widmen sie mir Monate ihrer Lebenszeit, wohingegen ein Star gelegentlich die Produktion verlassen müsste, um in Fernsehshows aufzutreten. Aber der Nachteil ist, dass in Thailand wie überall die Stars das Publikum anziehen. Also werde ich vielleicht versuchen, für den nächsten Film Leute zu finden, die bekannt sind, aber mit mir arbeiten wollen.
Die Figuren in deinen Filmen tragen oft dieselben Namen wie die Darsteller. Einige Nebendarsteller treten sogar in identischen Rollen in verschiedenen Filmen auf. Was beabsichtigst du mit solchen Beziehungen zwischen Darstellern und Rollen?
Ich nehme an, dass die Darsteller in meinen Filmen zur Hälfte einfach sie selbst sind und zur anderen Hälfte eine Rolle spielen. Die Persönlichkeiten der Schauspieler vermitteln sich größtenteils durch Gesten und Bewegungen. Mein Konzept ist, die Laiendarsteller Film als Teil, als weiteres Kapitel ihres Lebens betrachten zu lassen. „Es ist nichts allzu Fantastisches, es ist bloß das Leben, während eine Kamera Dich beobachtet. Entspann Dich.“ Ich will, dass die Darsteller sich nur ein bisschen der Kamera und Crew bewusst sind.
Und was die Kontinuität bestimmter Rollen betrifft: Es macht auf diese Weise mehr Spaß; wir werden gemeinsam alt. In „Blissfully Yours“ erwähnt das Mädchen zum Beispiel eine Figur, die später in „Tropical Malady“ auftauchen wird, wenn sie von einem Soldaten namens Keng spricht. Kleine Dinge wie diese erwecken den Eindruck einer zusammenhängenden Welt. Es ist wie im amerikanischen Film „Short Cuts“ – verschiedene Geschichten überlagern sich; nur dass meine „Short Cuts“ aus mehr als einem Spielfilm bestehen.
Du hast einmal von der Notwendigkeit gesprochen, Druck auf die Darsteller auszuüben …
Manchmal agieren sie zu natürlich. Film ist nicht real. Es ist eine Darstellung, die aus zwei gleich starken Teilen besteht: meiner Erinnerung und dem aktuell Gefilmten in der Jetztzeit. Also will ich, dass die Schauspieler dieses „Darstellen“ auch zeigen. Es gab viele Takes, in denen sie immer das gleiche machten, bis die Schauspieler endlich genau dazwischen angekomen waren: dem Natürlichen und dem Angespannten – vielleicht weil sie nicht mehr wussten, was ich wollte. Dieser Zustand aber war es, den ich suchte.
In „Tropical Malady“ gibt es einige sehr erotische und sinnliche Blickwechsel zwischen den Hauptfiguren und zwischen ihnen und der Kamera.
Der ganze Film handelt von Blicken und vom Sehen. Wenn Du Dich zu jemandem hingezogen fühlst, entspricht es Deinem animalischen Instinkt, diesem Menschen nachzustellen. So ist die menschliche Natur. Du wirst wie ein Tiger, der diese Person betrachtet, sie zu hypnotisieren versucht, ihn oder sie zu überwältigen versucht. Wenn der Soldat Sie zum ersten Mal anblickt, während die Titelsequenz beginnt: das ist meine „Willkommen in eine Welt“ Geste, und es ruft dem Publikum ins Bewusstsein: „Hey, das ist nicht real, das ist ein Film“. Dieser Blick initiiert den ganzen Film.
Was hast du dem Schauspieler gesagt – woran sollte er denken –, als du diese Einstellung vorbereitet hast?
Dass er mit der Kamera flirten soll. (lacht)
Habt ihr viele Takes gebraucht?
Oh ja, vielleicht zehn. Manchmal war es zu feminin, was er machte, denn einem Mann fällt Flirten ziemlich schwer. Wenn Du nur mit Deinen Augen flirtest, wird das femininer. Also habe ich ihn gefragt: „Kannst Du wie ein Tiger flirten?“ (lacht) Das ist nicht einfach!
Inwiefern reflektierst du deine eigene Homosexualität in „Tropical Malady“?
Nicht direkt. Der Film berührt eher Gefühle, die ich empfand, und die Erinnerungen daran. Er ist auch sehr persönlich im Hinblick auf die Settings und Dialoge. Aber in einem allgemeineren Sinne handelt er davon, wie man sich zu jemandem zugehörig fühlt und wie das schließlich sehr schmerzhaft werden kann, egal ob man dabei glücklich ist oder nicht. Also handelt der Film nicht im Besonderen von Homosexualität, ich nehme an, er könnte auch auf heterosexuelle Beziehungen übertragen werden.
Könntest du beschreiben, wie ihr alle zusammen arbeitet – und lebt – während du on location drehst? Wie groß ist deine Crew?
Normalerweise nicht groß. Falls wir Beleuchter haben, sind es insgesamt 30–40 Leute, einschließlich der Darsteller. Das ist wie eine Familie, wie eine Karawane. Ich arbeite von Anfang an mit derselben Crew, so dass die meisten Mitglieder meine Arbeitsweise gewöhnt sind. Manchmal sagt mir mein Assistent, dass eine bestimmte Einstellung von meiner eigenen Arbeitsweise abweiche. Also kratze ich mich am Kopf und versuche herauszufinden, was wirklich meine Arbeitsweise ist. Gibt es überhaupt eine? Wie dem auch sei, meine Crew macht viele unschätzbare Vorschläge.
Du arbeitest offenbar in der Regel nicht mit herkömmlichen Drehbüchern. Bis zu welchem Grad bereitest du schriftliche Skizzen vor? Und wie viel von dem, was wir auf der Leinwand sehen, ist improvisiert?
Für „Tropical Malady“ und „The Adventure of Iron Pussy“ hatten wir handfeste Drehbücher. Wir improvisierten soviel, wie der Zeitplan zuließ, und das war nicht viel. Manchmal habe ich die Schauspieler ermutigt, in jedem Take unterschiedliche Sachen zu probieren. Während der Montage wurde mehr experimentiert.
Dein Debütfilm „Mysterious Object at Noon“ war inspiriert von dem Spiel der Surrealisten, „Exquisite Corpse“. Während du durch Thailand gereist bist, hast du Leute, denen du auf der Reise begegnet bist, gebeten, Episoden zu einer Geschichte beizusteuern, die auf diese Weise kollektiv entstand. Für den Kurzfilm „Malee and the Boy“ hast du einen zehnjährigen Jungen mit einem Mikrophon herumwandern lassen. Warum regst du solche Kollaborationen an, deretwegen ihre Handlungen schließlich sowohl von anderen als auch vom Zufall bestimmt werden?
Ich habe ein großes Interesse daran, dass andere mir dabei helfen, eine Geschichte zu spinnen, denn ich bin kein guter Geschichtenerzähler. Und ich bin introvertiert. Daher bietet diese kollaborative Methode Filme zu drehen eine Gelegenheit, Menschen in mein Leben eintreten zu lassen. Abgesehen davon sind thailändische Filme wirklich ziemlich fantastisch, und man bekommt darin wenig Wirklichkeit zu sehen. Aber ich würde gerne Leben in thailändischen Filmen sehen. Das ist der Grund, warum ich „Mysterious Object at Noon“ in einem dokumentarischen Modus begann, aber dann hat sich das entwickelt, und der Film begann zu mutieren, als besäße er ein Eigenleben.
Die Straßenverkäuferin, die in „Mysterious Object at Noon“ den Anfang der Geschichte beisteuert, hatte zuvor gerade begonnen, der Kamera ihre traurige Lebensgeschichte zu erzählen. Als Kind war sie von ihren Eltern an einen Onkel verkauft worden. Als du sie unterbrichst und bittest, eine andere Geschichte zu erzählen, ist das eine schockierende und provokante Geste. War das als Zurückweisung eines traditionellen sozialdokumentarischen Modus intendiert?
Ihre Lebensgeschichte war so traurig, dass ich sie selbst nicht ertragen konnte. Aber ich wollte auch nicht, dass der Film rein dokumentarisch wird. Insofern war das eine Sache von Geben und Nehmen. Ich ließ die Frau ihre Geschichte erzählen, aber im Gegenzug wollte ich etwas von ihr; Ich wollte, dass sie eine andere Geschichte erfindet.
Würdest du zustimmen, dass deine Filme dennoch eine stark dokumentarische Note besitzen?
Ja, vielleicht im Sinne von „ein Film wird gedreht“ … Und ich habe mich oft bemüht, städtisches Leben einzufangen, habe die Schauspieler in der Umgebung aufgehen lassen und die Kamera versteckt. Oder ich habe Menschenmengen in meine Szenen eintreten lassen und die Schauspieler dann loslegen lassen.
Ein wiederkehrendes Motiv in deinen Filmen sind lange Einstellungen aus Fahrzeugen, in der Regel zurückblickend. Welche Bedeutung verbindest du mit solchen Einstellungen?
Zu träumen. Zu schweben. Ich mag freie Formen … Bilder, die vorbeiziehen, haben mehr Gewicht als eine zusammenhängende Handlung. Für mich ist das Kino wie ein Fahrzeug, das das Publikum in unbekannte Territorien und Strukturen transportiert. Manchmal ist es einfach schön, zu schauen, ohne zu denken – so wie, wenn man eine Reise durch ein fremdes Land macht. Manchmal lässt man seine Gedanken abschweifen, so dass Parallelhandlungen entstehen. So etwas interessiert mich sehr.
In „Tropical Malady“ fängt solch eine lange Einstellung von einem fahrenden Motorrad ein, wie ein Mann von anderen zusammengeschlagen wird. War das real oder inszeniert?
Ich glaube, dass sollte ein Geheimnis bleiben.
Für einige deiner kurzen Experimentalfilme hast du Handlungen aus anderen Medien übernommen. Welches Konzept steckt dahinter?
Falls eine Handlung bereits vorhanden ist, ist das wie ein Readymade. Bei meinem Kurzfilm „Like the Relentless Fury of the Pounding Waves“ habe ich eine Radioseifenoper für den Soundtrack übernommen und dann Leute gefilmt, die anscheinend ihr normales Leben führen: Als Ergebnis dieser Gegenüberstellung von Bildern und Ton wird diese Radioseifenoper irgendwie mehrdeutig und scheint sich mit dem Leben und den Fantasien meiner Figuren zu überlagern. Das ist ein Fall solcher Parallelhandlungen, die ich oben erwähnt habe.
Das in meinen Augen faszinierendste Beispiel für den Umgang mit einer bereits vorgegebenen Handlung in deinen Filmen ist das Projekt „Haunted Houses“, das von der Istanbul Biennale in Auftrag gegeben wurde. Könntest du das Projekt kurz beschreiben, um unseren Lesern einen Eindruck zu vermitteln?
Es begann mit einer Fernsehserie, die in Thailand sehr populär ist. Ich habe Dialoge von etwa einer Stunde Dauer in Drehbuchform übertragen; mein Assistent hat die Dialogzeilen und die Kamerawinkel notiert. Wir haben das Skript in Einzelteile im Umfang von etwa fünf Seiten aufgeteilt und haben damit Bewohner der Dörfer in der Nähe meiner Heimatstadt kontaktiert, mit der Bitte, die Rollen zu übernehmen. Wir ließen ihnen etwa zwei Tage Zeit, das Skript einzustudieren, und kehrten dann zum Drehen zurück, nur ich und der Tonmann. Aber der Punkt dabei ist: Wir haben die Produktion kontinuierlich von einem Haus zum nächsten verlagert, so dass es insgesamt, glaube ich, elf Häuser waren. Insofern ist die Handlung zusammenhängend, obwohl verschiedene Darsteller identische Rollen spielen und obwohl unterschiedliche Dorfhäuser dieselben Settings repräsentieren.
Was war dabei das generelle Konzept?
Wir sind normalerweise in der Empfängerposition gegenüber den Medien. Zuvor hatten die Dorfbewohner ihre Fantasien auf solche Rollen projiziert. Gleichzeitig hatten solche Rollen Fantasien angeregt, Bedürfnisse erzeugt und soziale Codes geprägt. Thailändische Seifenopern spielen eine wichtige Rolle beim Wandel unserer Landschaft. Beispielsweise werden die Armen dazu angeregt, ihren Häusern solche römischen Fassaden zu verpassen, die man im Fernsehen zu sehen bekommt, weil diese Reichtum signalisieren. Deshalb sieht man heutzutage in den Dörfern viele vorgefertigte griechische Säulen.
Meine Heimatstadt ist im Nordosten Thailands. Die Bewohner der Region werden im Fernsehen in der Regel als ungebildet und asozial dargestellt. Sie spielen oft die Rollen von Bediensteten, Spaßmachern oder Chauffeuren. Deshalb habe ich mit „Haunted Houses“ beabsichtigt, den Dörflern die Möglichkeit zu geben, ihre Fantasien auszuleben. Und wie würden sie mit dem Druck fertig werden selbst „Stars“ zu sein? Natürlich reflektiert diese Arbeit auch die Albernheit der Träume „Made in Bangkok“.
„Haunted Houses“ scheint sehr modernistisch zu sein. Wenn die Dorfbewohner zum Beispiel Sätze aus der Soap Opera wiederholen, die sich auf ein Auto beziehen, kriegen wir nur Motorräder und Tretroller zu sehen. Gab es für das Projekt ein zugrunde liegendes theoretisches Konzept für das Schauspiel oder die Inszenierung?
Einen Film im Dorf zu machen war eher eine Sache der Wirtschaftlichkeit. Wir hatten wenige Drehtage und wenig Geld. Das Skript hat ein Auto drin, also fragte ich: „Was haben Sie in ihrem Haus?“, wir haben uns umgesehen und gesagt: „Okay drehen wir das.“ Auf diese Weise ist es viel spontaner.
Du hast auch Video-Installationen für Museen und Galerien gemacht. Worin siehst du den Unterschied zur Arbeit an Spielfilmen?
Einen Spielfilm zu machen dauert etwa zwei Jahre. Dagegen lässt mir die Arbeit an visueller Kunst mehr finanzielle und ästhetische Freiheiten. Es bietet die Möglichkeit, mit Dingen zu experimentieren, die man schon immer einmal ausprobieren wollte, um ein Gefühl für bestimmte Sachen zu bekommen und vorläufige Skizzen für Spielfilme anzufertigen.
Einen Spielfilm nach dem anderen zu drehen, wird so langweilig. Ich kann nicht verstehen, wie Menschen auf diese Weise produktiv sein können. Installationen zu machen ist für mich ein Mittel, den Rhythmus zu wechseln.
Du hast Experimentalfilm in Chicago studiert, und deine ersten Kurzfilme waren vom amerikanischen strukturellen Film inspiriert. Glaubst du, dass diese Experimentalfilmtradition deine Arbeit immer noch beeinflusst?
„Tropical Malady“ ist meines Erachtens ein struktureller Film, aber in einem anderen Sinn. In Gedanken werde ich die klassischen Experimentalfilmer immer hochhalten, aber ich verliere wirklich den Kontakt zu neuen Entwicklungen in dem Bereich. Anfangs, nach meiner Rückkehr nach Thailand, habe ich versucht, den strukturellen Film in einen thailändischen Kontext zu integrieren. Aber ich glaube, das ist nun bis zu einem Punkt fortgeschritten, an dem ich eher nach einer eigenen Sprache suche, als etwas von diesen strukturellen Filmemachern zu übernehmen.
Du hast Architektur und Design studiert, bevor du nach Chicago gegangen bist. Siehst du Parallelen zwischen Film und Architektur?
Ein Gebäude zu gestalten, stellt für mich tatsächlich einen vergleichbaren Prozess dar. Man definiert einen Raum und stellt ihn einem Bewohner bereit, der die Konstruktion im Lauf der Zeit visuell erfahren wird: die Dunkelheit, das Licht, die Winkel … alles trägt dazu bei, wie der Bewohner sich letztendlich fühlt. Beim Filmemachen ist es genauso, nur ist es emotional direkter und man kann spielerischer sein – so wie eine riesige Skulptur, in die Leute hineingehen können. Wenn ich also über die Geschichte eines Films nachdenke, denke ich dreidimensional, wie wenn man einen Raum herstellt. Interessanterweise ist die Erfahrung dennoch sehr linear, wahrscheinlich, weil man – wenn man durch diesen Raum geht – ihn ja nicht vom höchsten Standpunkt aus sehen kann, so wie Gott. Ich bin mir nicht sicher, ob ich das jetzt gut erklärt habe. (lacht)
Warum hast du „The Adventure of Iron Pussy“ als Camp-Parodie bestimmter Aspekte thailändischer Filmgeschichte angelegt?
Thailands Filmgeschichte kennt ihre eigenen Meisterwerke wie jene, denen ich in der zweiten Hälfte von „Tropical Malady“ nachzueifern versuche. Das Resultat war ziemlich abstrakt. Aber seine Wurzeln waren jene unkomplizierten Filme aus der Vergangenheit, die Filme der alten Meister – Cherd Songsri, Vichit Kunawuddhi – in denen die Natur Handlungsort war und die von einem einzigen Thema wie etwa Liebe handelten.
Aber da gab es noch eine andere Art von Filmen, alberne Komödien, so wie jene, auf die ich mich mit „Iron Pussy“ beziehe. Ich mag den Gedanken, dass man in der Vergangenheit Filme gemacht hat, ohne eine Theorie gehabt zu haben oder zu analysieren. So entstand etwas wie Action Paintings mit dem Medium Film. Heute ist alles standardisiert und entspricht der Drei-Akt-Struktur. Deshalb, wenn ich mir alte thailändische Filme ansehe – die sind erstaunlich! So etwas haben wir nicht mehr. Deshalb habe ich diesen Film in gewissem Sinne nicht nur gemacht, um darin eine komische Pointe zu finden, sondern auch, um mich in eine Situation zu versetzen, die jener ähnlich war, als in der Vergangenheit Filmemacher – was weiß ich – zehn Filme in zwei Monaten machten. Deshalb war der Prozess des Filmmachens das eigentliche Konzept, es war wie eine Performance, und der Film ist ein späteres Produkt dieser Performance.
Was für Projekte hast du für die Zukunft?
Ich plane, einen Film über meine Eltern zu drehen, über ihr Leben vor 40 Jahren, bevor ich geboren wurde. Aber jetzt dienen sie mir möglicherweise nur als Inspiration für meine Figuren, die vielleicht in die Gegenwart versetzt werden. Ich weiß noch nicht, was es werden wird, weil ich noch beim Schreiben bin. Aber es wird ein sehr freier Film werden, frei und billig.
Ein utopisches Projekt von mir ist „Village TV“. In „Haunted Houses“ ließen wir die Leute sozusagen eine Seifenopernhandlung durchleben. Nun bin ich neugierig, was sie tun werden, wenn sie tatsächlich eigene Seifenopern machen. Deshalb habe ich einem Fernsehsender vorgeschlagen, dass der die Dorfbewohner mit dem benötigten Equipment unterstützt, das sie brauchen, um ihre eigenen Soaps zu schaffen.
Werden sie auch die Themen selbst entwickeln?
Ja, sie machen alles. Wir helfen nur mit technischen Dingen, falls sie Hilfe brauchen.
Das Gespräch führte Holger Römers auf dem Filmfestival Visions du Réel, Nyon 2005. Die unterstrichenen Passagen sind Zitate aus Interviews von Oana Stupariu (Isola Cinema) und Alissa Simon (Facets Multimedia) zurück. Vielen Dank!
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