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Jan Schmidt-Garre: Bilder abbilden

Wie zeigt man Kunst im Film? Es scheint leicht zu sein. Wann immer von einem Kunstwerk die Rede ist, in einem Gespräch oder sonst einer Szene, kann man es einschneiden, als Abbildung aus einem Katalog oder als abgefilmtes Original. Die einfachste Form dieses Umgangs mit Kunst im Film ist das Interview mit dem Künstler, das von Abbildungen unterbrochen wird. Unter der Filmebene entsteht eine Ebene zweiter Ordnung, zur Illustration der Hauptebene.

Warum verweigere ich mich in „This Not That“ und den anderen Filmen zu Themen der Kunst und Musik dieser so selbstverständlich nahelegenden Form und zeige Kunstwerke stattdessen in realen Situationen: an der Wand bei einem Sammler, bei dem eine Szene spielt, auf einem Messestand einer Galeristin, die interviewt wird, oder als Abbildung in einem Buch, das der Protagonist in diesem Moment durchblättert?

Zunächst, weil in einer idealen Filmsprache jedes Filmbild von gleichem Rang sein sollte. So wie zu Beginn der Moderne Mies van der Rohe eine Architektur forderte, bei der jedes Element von der Idee des Ganzen durchdrungen ist und es keine Trennung in funktionale und dekorative Bauteile mehr geben sollte, und so wie Wagner einen musikalischen Satz forderte, bei dem jeder Ton gleichwertig sein und es keine Unterscheidung von Melodie und Begleitung mehr geben sollte, wird ein seines Mediums bewusster Regisseur sich dagegen sträuben, ein Montage-Problem mit einem sogenannten Zwischenschnitt auf Hände, Blumenvasen oder Haustiere zu lösen. In einem geschlossenen Film-Kunstwerk gibt es keine Bilder zweiter Ordnung.

Aber noch schwerer als dieser dogmatische Einwand wiegt der rezeptionsästhetische: Das zwischengeschnittene Kunstwerk wird als Beleg dechiffriert. Es wird „gelesen“. Als Filmbild im szenischen Kontext dagegen wird es „erlebt“. Der Sammler spricht mit dem Künstler über seine Lieblingsarbeit und sieht sie an. Die Montage greift seinen Blick auf und schneidet auf das Bild. Mit diesem einfachen Schnitt vom Blickenden auf das Erblickte geschieht etwas Magisches: Durch das Auge – „Fenster der Seele“ – tritt der Zuschauer in das Bewusstsein des Protagonisten ein, er identifiziert sich mit ihm, indem „er“ sieht, was der Protagonist sieht, statt dass „ihm“ gezeigt würde, wovon die Rede ist. Das Kunstwerk ist somit integriert in einen Erzählfluss, es wird Teil der fiktionalen Welt des Films, statt als bloßes Dokument aus ihr herauszufallen.

Diese Technik macht es dem Regisseur schwerer, die Bilder zu zeigen, die er zeigen möchte. Manche These wird weniger anschaulich und der Informationsgehalt eines solchen Films vielleicht sogar geringer sein als der einer konventionellen Dokumentation. Der Künstler jedoch will, mit Lessing, „die sinnlichen Gegenstände ‚erlebbar‘ machen“, und dies sollte auch der Filmregisseur wollen. Gelingt es ihm, die Kunstwerke von ihrer Rolle als Belege zu befreien und ihnen im Kontext des Films ihr Eigenleben zurückzugeben, werden sie sich dem Zuschauer viel stärker einprägen und in ihm fortwirken – bis dahin, sein Leben zu verändern.

(Juni 2006)

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