Marie Vermillard
Lila Lili & Petites Révélations
Zwei Filme von Marie Vermillard
Lila Lili (Frankreich 1998, 105 min)
Ein Handballspiel. Micheline ist die beste Spielerin ihrer Mannschaft, doch sie sitzt auf der Bank. Sie ist schwanger, von dem Vater redet sie nicht. Ein Film über eine Heilige, die sehr laut brüllen kann.
Petites révélations (Frankreich 2006, 55 min)
Ein gescheitertes Wiedersehen, ein geteiltes Lachen, ein indiskreter Blick, Angst vor der Putzfrau – 19 Momente verstörender Intimität.
Kommentar der Regisseurin
Der Film ist von einem jungen Mädchen inspiriert, um das ich mich gekümmert habe, als ich vor ein paar Jahren in einem Frauenhaus arbeitete. Micheline war schwanger und ihre Fähigkeit, sich gängigen Verhaltensmustern zu entziehen, hat mich fasziniert. Sie war eigensinnig, aggressiv, grosszügig und geheimnisvoll – alles auf einmal.
Ich habe ihre Geschichte nie genau herausbekommen, aber sie strahlte eine besondere Kraft und Anmut aus. Für den Drehbuchautor Jacques Bablon und mich war das der Ausgangspunkt. Wir erzählen nicht Michelines ganze Geschichte, was vor und nach ihrer Schwangerschaft geschah, hat uns nicht interessiert. Die Zeit des Films entspricht der Wartezeit auf das Baby, und wir lernen sie durch all das kennen, was während dieser neun Monate auf sie einstürmt.
Sie ist eine widersprüchliche Person, die unterschiedlich denkt und fühlt; sie ist gleichzeitig schwach (der abwesende Vater, der mögliche Tod ihrer Großmutter) und stark (geschickt im Handball, non-konformistisch und sehr phantasievoll, weiß sich beliebt zu machen), reagiert sensibel auf Dinge, die andere nicht bemerken (in begnadeten Momenten, als das kleine Mädchen aus der Nase blutet, in der Szene, als die junge Chinesin heiratet, oder als sie die Vision eines Hirschen hat), sie kann verletzend sein und aufmerksam anderen gegenüber (…)
Wir wollten, dass der Film dem Leben ähnelt: eine Abfolge von Augenblicken in verschiedenen Kontexten. (…) Der Handlungsfaden verläuft impressionistisch, springt von Szene zu Szene und fällt von einer Stimmung in eine andere, er folgt einfach dem Verlauf der Schwangerschaft. (…) Der Film beobachtet die Dinge ohne sie zu bewerten. Die Welt ist durcheinander, und es ist schwer, sie zu verstehen, aber eine eigene Sicht auf die Dinge und unsere Beziehungen zu Anderen machen uns dennoch Lust zu leben und Leben zu schenken. Deshalb besteht der Titel des Films aus den letzten Worten seiner letzten Einstellung „Lila … Lili“: die letzten Vornamen, die Micheline schreit. Sie gibt ihrem Kind einen Namen und markiert gleichzeitig die Akzeptanz ihres eigenen In-die-Welt-Gesetztseins.
Ich habe Micheline lange gesucht. Alexia Monduit hat mich sofort überzeugt, und das bis zum Schluss des Abenteuers. Wir haben fast ohne Worte kommuniziert, und sie hat Micheline dargestellt, als hätte sie sie schon immer in sich getragen. (…) Ich wollte, wie in meinen früheren Filmen, auch mit Laien arbeiten. Marie de Laubier war die ideale Komplizin bei der Suche: Wir haben zusammen junge Mädchen in Frauenhäusern aufgesucht. Wir stellten fest, dass viele wundervolles schauspielerisches Potential haben. Wir haben sie mit professionellen Schauspielern konfrontiert, das war sehr spannend. Beide profitierten voneinander, die ein wenig in Bedrängnis geratenen Profis legten ihre Manierismen ab, und die in der Überzahl befindlichen Laien fühlten sich pudelwohl.
Marie Vermillard über Petites révélations
Die Auswahl dieser Fragmente ist persönlich, jedes ruft in mir ein besonderes Gefühl hervor und dieses Gefühl spricht von dem, was mich umgibt. Ich glaube jeder hat das schon erlebt. Schon lange wollte ich Bruchstücke des Lebens filmen, signifikante Augenblicke, fragile Dramaturgien inszenieren. Das ist die Versuchsanordnung
von „Petites révélations”. Ich glaube an die zarte Kraft dieser Miniaturen. „Die Welt zeigt sich in ihren Details“ sagt ich weiß nicht mehr wer, oder wie es Pessoa ausdrückt „ich bin so groß wie das, was ich sehe“ (oder vielmehr das, was ich fühle).
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