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Montage / Perspektive Filmkritik

drei reiter

Hochhäusler Ich habe die Sehnsucht nach einer anderen Filmkritik. Diese Sehnsucht wird nicht erfüllt. Ich sehe drei grosse Defizite der deutschen Filmkritik: 99 Prozent besteht aus Service, aus falscher Gnade und aus Impressionismus. Was meine ich mit Service? Zwei Daumen hoch, Sternchen, im weitesten Sinne jede Art von Eventberichterstattung und Infohäppchen, die sich auf die Frage zuspitzen: Soll ich in den Film gehen oder nicht? Diese Art von Service verachte ich. Sie hat nichts mit Kino und Filmkritik zu tun.

Was die falsche Gnade angeht: Ich habe mich vor einiger Zeit mit dem Filmkritiker Tobias Kniebe (Süddeutsche Zeitung) unterhalten. Der meinte: „Wir dürfen alle nicht schreiben, was wir denken, sonst gäbe es den deutschen Film nicht mehr.“ Diese falsche Gnade haben wir Filmemacher nicht verdient. Wenn wir uninteressante Filme machen, dann schreibt nicht darüber. Ich finde ganz wichtig, dass Kritiker aus Passion schreiben. Die kann im Verriss wie im Lob stecken, aber wenn man sie nicht hat, muss man nicht schreiben. Und dann muss man sich eben auch freikämpfen in diesem Medienzusammenhang und sagen: „Über den Film kann ich nicht schreiben“ oder: „Ich muss einen Verriss schreiben.“ Diese falsche Gnade hat auch deshalb keiner verdient, weil das Filmemachen zu anstrengend ist, um dann gesagt zu bekommen: „Ja, für ’nen deutschen Film ganz gut – und dafür, dass er billig war.“

Der dritte Punkt, der Impressionismus, ist etwas komplizierter. Mein Eindruck ist, dass die besseren Leute – eine Art Rollenmodell ist da ja anscheinend Michael Althen – zu sehr aus einer persönlichen Impression heraus schreiben. Das heisst, sie reflektieren über die Sandalen im Sand und wie es ihnen geht an diesem Tag und darüber, dass sie von einer Szene persönlich ganz betroffen sind und so weiter. Ihren Eindruck malen sie unter Umständen sprachlich brillant in schillernden Farben aus. Was ich daran schwierig finde, ist, dass daraus kein Zusammenhang entsteht und keine Herausforderung. Meine Idee von Filmkritik wäre aber Herausforderung. Herausforderung in alle Richtungen: An den Leser, an den Filmemacher, aber eben auch an andere Kritiker. Es müsste darum gehen, zu versuchen, grössere Perspektiven herzustellen, die dann auch ins Gesellschaftliche gehen. Zum Beispiel: Wir haben eine Filmwirtschaft, die eine Subventionswirtschaft ist. Es gibt offensichtlich einen Kulturbegriff, der dem zugrunde liegt, zumindest implizit. Und deshalb muss man die Frage diskutieren: Warum sollen wir fördern? Und was? Das ist sozusagen der filmpolitische Aspekt davon. Über diesen Kulturbegriff muss diskutiert werden. Und darüber kann man nur diskutieren im Streit.

Das sind alles Dinge, die ich vermisse. Woran das liegt, kann ich nicht genau beurteilen. Es fehlt zum Teil an Publikationen, zum Teil an der Hausmacht in gewissen Zeitungen. Aber klar ist auch, dass die Kritiker das längerfristig auch selbst ändern könnten.

Für mich war so ein Wendepunkt zum Schlechten, als Andreas Kilb damals in der ZEIT über „Das Piano“ geschrieben hat: „Im Kino gewesen, geweint.“ Also: Kafka, er selbst wird Kafka, seine Befindlichkeit ist wichtiger als eine Auseinandersetzung. Und das ist – auch wenn es anders klingt – letztlich ein Minderwertigkeitskomplex. Ich finde, eine Kritik, die eine gesellschaftliche Perspektive herstellt, ist selbstbewusster, als diejenige, die nur schreibt: „Ich hab mich da so und so gefühlt.“

Rüdiger Suchsland Zu der Frage des Impressionismus, der Frage, wie persönlich Filmkritik sein darf, habe ich ein paar Anmerkungen. Erstens: Es gibt schlechten Impressionismus. Es gibt zum Beispiel Festivalberichte, die mehr als die Hälfte des Textes damit verschwenden, dass über die Palmen von Cannes, nicht die goldenen, sondern die grünen, räsoniert wird und über die Frauen, die darunter flanieren. Oder das Hotel in Venedig, das einen Kritiker an eine Szene aus irgendeinem alten Film erinnert, und dann hangelt er sich an Assoziationen entlang, die irgendwie etwas mit Film zu tun haben, die ganz geistreich sind, aber nichts zu tun haben mit den Filmen, die wir auf diesem Festival gesehen haben, und nichts mit der Atmosphäre auf diesem Festival. Es gibt aber auch guten Impressionismus. Der hat dann was damit zu tun, wie es ist, auf dem Festival zu sein. Der interessiert sich primär für Phänomene und nicht primär für Empfindungen. Michael Althen, um ihn denn tatsächlich zu zitieren, ist vom Festival in Venedig aus mal zur Biennale gefahren und hat die Filme, die er gesehen hat, in Beziehung gesetzt zu den Kunstwerken der Biennale. Das finde ich legitim. Man könnte natürlich sagen: „Soll er doch über drei Filme schreiben. Von der Biennale berichtet der Kunstredakteur.“ Aber das, was einen starken Autor ausmacht, ist der persönliche Zugang. Es gibt einen legitimen Impressionismus! Gerade in Tageszeitungen. Tageszeitungsjournalismus ist etwas anderes, als der für Fachzeitungen und Magazine. Und Festivalberichte sind etwas anderes, als eine Filmkritik. Heute muss man von Festivals täglich berichten. Das ist völliger Unsinn! Wolfram Schütte hat früher maximal drei Berichte über ein zweiwöchiges Festival geschrieben. Trotzdem ist er die volle Zeit da gewesen, die Zeitung hat das finanziert, und keiner hat gefragt, warum er nicht Redaktionsdienst schiebt stattdessen. Vielleicht ist dieser tägliche Schreibzwang auch ein Grund für die Tendenz zum Impressionismus.

Ein zweiter Punkt: Wir alle – nicht nur die Filmkritik – leiden unter dem Problem, dass es so etwas wie gültige Weltanschauungen und Philosophien, einen Kanon, bestimmte feste Bewertungsmassstäbe, an denen wir einen Film objektiv messen könnten, nicht gibt. Oder wenigstens nicht zu geben scheint. Das heisst: Jeder Kritiker trägt seinen Kanon in sich. Er ist das Medium, durch das der Film zur Sprache kommt, und ich glaube, dass es besser ist, diese Tatsache mit einzubeziehen in die Filmkritik: Dass Filmkritik subjektiv ist, dass wir als Kritiker gar nicht anders können, als unsere eigenen Empfindungen, unsere persönlichen Vorlieben, die Tatsache, dass man einen Film vielleicht nur mag, weil man auf die Hauptdarstellerin steht, zum Thema zu machen. Weil man nur dann dem Leser die Möglichkeit zur Auseinandersetzung damit gibt.

Patalas In diesem Zusammenhang fehlt mir noch etwas bei den Schreibenden heute: Die Reflexion darauf, dass sie sich in einem fremden Medium artikulieren. Aus den Filmen wird ja immer Literatur. Wenn man Filmkritiken liest, dann könnten die genauso gut auch von einem Buch handeln. Was damit zu tun hat, dass die Schreiber selber gar nicht reflektieren, dass sie sich schreibend mit etwas auseinandersetzen, was eben nicht Sprache und Schrift ist.

brot und spiele

Hermes Ich glaube, wenn man über Filmkritik redet, muss man hauptsächlich über das mediale Umfeld reden, über die Möglichkeiten, die man hat, bzw. nicht hat, Texte abzusetzen oder überhaupt in eine Art konzeptueller Arbeit einzusteigen.

Josef Schnelle Es ist in der Tat so: Eine grosse, ausführliche Auseinandersetzung mit Film, eine anschmiegende Filmkritik, ist nur in einer idealen Welt möglich. Wenn man die Schablone der wirklichen Welt darüber legt, sieht man: Es gibt ein paar gute Zeitschriften, wo das möglich ist. Aber die haben dann kaum Geld. Das muss man also als Liebhaberei betreiben und mit seinen anderen Tätigkeiten so viel Geld verdienen, dass man denen das schenken kann. Hinter einem ausführlichen Artikel steckt ja eine gewisse Denk- und Recherchearbeit. Wenn also der „Filmdienst“ ein Themenheft über „Die Farbe Blau“ macht und ich einen Text über das Meer im Kino schreibe, dann sehe ich das als Mäzenatentum. Ich schenke dieser Zeitschrift ziemlich viel Geld. Und so wird das auch von allen anderen betrieben. Man knappst sich die Zeit ab von der Tätigkeit, für die man dann wirklich bezahlt wird. Das ist dann der Bereich, wo es kommerziell zugeht: Wenn man für Zeitungen schreibt und davon leben will, muss man ziemlich viel schreiben. Oder für ziemlich viele Zeitungen. Viele Zeitungen, gerade kleine Regionalzeitungen, leisten sich auch gar keine Filmkritiker mehr, sondern drucken direkt die Agenturtexte ab. Bleiben die ernstzunehmenden Regionalzeitungen. Das ist schlecht bezahlt, aber wenn man da einige beliefert, kann man einen schlecht bezahlten Beruf daraus machen. Und dann gibt es ein paar überregionale Zeitungen mit festen Redakteuren, die relativ gut bezahlen. Dann gibt es Radio, das sind andere Formen. Da muss man eine Stimme haben und O-Töne und ist daher abhängig von den Verleihern. Und dann gibt es das Fernsehen, da findet kaum etwas statt.

Rüdiger Suchsland Die allererste Vorgabe, die man hat, ist der Platz. Das ist ganz wichtig. Es ändert vollkommen das Schreibverhalten, wenn ich weiss: Ich habe gerade mal 60 Zeilen bei einer Zeitung wie dem „Münchner Merkur“, oder ich kann über den Film im „Filmdienst“ relativ gross schreiben. Oder ich habe bei „telepolis“ und „artechock“ im Internet sogar Platz, der völlig unbegrenzt ist. Das verändert meine Sprache, auch meine Art, überhaupt über den Film nachzudenken.

Dann ist es schon so, dass ich mich frage – und ich finde es ignorant, wenn man das nicht tut –, für wen ich schreibe. Ich glaube schon, dass man einen Leser vor Augen haben muss. Und wenn ich in einer bestimmten Zeitung schreibe, scheint es mir ein legitimes Anliegen, dass man sich auf die Leser dieser Zeitung einstellt. Bei den Lesern des „Münchner Merkur“ zum Beispiel – wo ich die Leserstruktur ungefähr kenne, sie mir auch immer wieder von den Redakteuren bewusst gemacht wird – scheint es mir nötig, bestimmte Dinge zu erklären, die der Leser der „Frankfurter Rundschau“ einfach weiss, weil er im Schnitt gebildeter ist. Oder der Leser des „Filmdienst“, weil er cineastischer ist. Beim „Merkur“ bediene ich mich auch einer Sprache, die einfacher ist: Kürzere Sätze, weniger Latinismen, weniger komplizierte Gedanken, weniger Subtext. Das Ergebnis ist natürlich ein anspruchsloserer Text. Es ist eine grosse Illusion, zu glauben, man könne alles immer „auch ganz einfach sagen“. Nein! Dafür muss ich bei der „Frankfurter Rundschau“ andere Dinge erklären: Da muss ich zum Beispiel meine Urteile viel genauer begründen, wofür ich beim „Merkur“ überhaupt nicht den Platz habe und das Urteil einfach hinhaue: Das ist jetzt so und so.

Patalas Ich habe das für mich immer abgelehnt, mir ein Publikum vorzustellen, für das ich schreibe. Entweder kommt das an, was ich schreibe, dann bildet sich ein Publikum, oder es kommt nicht an, dann hab’ ich halt kein Publikum. Zum Beispiel in der „Filmkritik“ früher waren die Leserbriefspalten oft voll von aggressiven Ge gen – äusserungen. Und das habe ich immer richtig gefunden.

Diederichsen Ich würde dem zwar zustimmen, aber ich denke, dass man schon immer eine ganz bestimmte Vorstellung im Kopf hat, wofür man schreibt. Die Abstraktion „der Leser“ ist das Schlimmste, was es gibt, und auf die kann man sich auf gar keinen Fall einlassen. Genauso schlimm ist die Abstraktion „der Künstler“. Das sind zwei abstrakte Figuren, mit denen man sich nicht einlassen sollte. Aber ich denke, man schreibt für konkrete Personen; man denkt an eine ganz bestimmte Person, denkt, die wird das lesen. Und genau an die wird das ein Brief. Man denkt allerdings, wenn man an konkrete Personen denkt, auch daran, wofür die stehen und für welche Welt die stehen. Das Briefeschreiben ist innerhalb eines Textschreibens ganz entscheidend. Das bedeutet natürlich sehr viel für die Verfassung von Kritik generell, weil wenn die potentiellen Briefempfänger, an die man so denkt, wenn man einen Text schreibt, alle auch aus der Branche sind, dann leidet natürlich auch die Kritik darunter.

triple agent

Patalas Ich finde es wichtig, dass man die Neigung hat, die Leser einer Zeitung auch zu überfordern. Die Texte von Frieda [Grafe], die heute am meisten zitiert werden, die wurden damals von bestimmten Filmredakteuren – Frieda hat immer Verteidiger gehabt unter den Filmredakteuren – überhaupt erst durchgesetzt. Die generelle Einstellung bei den Politikern und den Feuilletonchefs war: „Das wäre vielleicht gut für eine Fachzeitschrift, aber für eine Tageszeitung?“ Und wir haben dann immer gesagt, genau das muss in der Tageszeitung passieren.

Rolf-Rüdiger Hamacher Bei den meisten Zeitungen verstehen sich die Redakteure aber als Quotenrichter. Die wollen Quote haben. Und die frühere Verantwortung gegenüber dem deutschen Film ist auch bei denen, die noch eine funktionierende Filmseite haben, wie die „Süddeutsche“ und der „Kölner Stadtanzeiger“, heute nicht mehr da. Ich bin da immer ganz erschrocken. Vor zwei Wochen zum Beispiel schlage ich den „Kölner Stadtanzeiger“ auf, da sind dann zwei Filme, die völlig unwichtig sind, sehr negativ besprochen, aber sie nehmen die Hälfte der Seite ein. Und „Wolfsburg“ von Christian Petzold und „Sie haben Knut“ von Stefan Krohmer, die beide beachtenswert sind, werden in zwei Sätzen abgehandelt. In der „Süddeutschen“ lese ich dann Elogen über Schauspielerinnen, und ein kleiner deutscher Film ist einfach nicht vorhanden. Da ist man als Schreiber in Abhängigkeit von einem Redakteur – das finde ich schon eine Diktatur des Schreibens.

Josef Schnelle Ich muss das etwas verteidigen. Wenn in einer Woche 12 Filme starten, dann kann man nicht mehr eine Filmseite der alten Art machen, auf der alle Filme besprochen werden.

Hamacher Doch, man kann dann die schlechten Filme, die den Leser sowieso nicht interessieren, klein in zwei Zeilen besprechen. Erzähl mir nicht, dass die Leser des „Kölner Stadtanzeigers“ nur in amerikanische Komödien gehen.

gretchenfrage

Zoltan Paul Ich glaube, dass die Filmkritik eine Riesenverantwortung gegenüber dem heimischen Filmschaffen trägt.

Josef Schnelle Wenn es eine kleine Zeitung ist, dann bekommt der Kritiker 15 Euro. Und dafür soll er auch noch eine Riesenverantwortung tragen?

Rüdiger Suchsland Filmkritiker sind keine Landschaftspfleger. Schon gar keine patriotischen Landschaftspfleger. Und ich verstehe meine Aufgabe auch nicht so, dass ich dem deutschen Film anders verpflichtet wäre, als anderen national oder regional oder religiös unterschiedlichen Filmen. Ich bin dem Film verpflichtet.

Hermes Ich glaube, das Verhältnis zum deutschen Kino hat es so ganz stark nie gegeben. Der deutsche Film lief ja immer mehr oder weniger so mit. Er wurde, wenn überhaupt, wohlwollend mitgezogen, dann aber – so 82, 83 – sehr schnell abgesägt. Das überschneidet sich zufällig mit Fassbinders Tod. Dann gab es ganz schnell diese Bewegung des Autorenkino-Bashings und des Auflebens von kommerzielleren Systemen. Die Drehbuchförderung und so weiter.

Patalas Vorausgegangen war natürlich schon die Auseinandersetzung mit den Filmen meiner Generation und der etwas Jüngeren, also dem so genannten „Jungen deutschen Film“. In München hat man die natürlich alle gekannt, bevor die überhaupt den ersten Film gemacht hatten. Als sie dann anfingen, Filme zu machen, ging das zum Teil auseinander. Manche Freundschaften zerbrachen an der Kritik. Es bildeten sich allerdings auch neue. Und dann gab es ja bald schon eine Art etabliertes junges deutsches Kino, und dagegen kamen dann Leute wie Thome und Lemke. Das ist eigentlich was Ähnliches wie heute. Wenn jetzt von einer „Neuen Deutschen Welle“ die Rede ist, dann erinnert mich das daran, wie wir uns damals publizistisch eingesetzt haben für die ersten Kurzfilme oder dann Spielfilme dieser Gruppe – und zwar nicht nur in der „Filmkritik“, auch in der „Zeit“. Wir haben gesagt: Die „Neue Münchner Gruppe“. Zihlmann, Niklaus Schilling, Lemke, Thome und Straub, der natürlich ein Phänomen für sich war. Das musste schon sehr kräftig verteidigt werden, gerade auch die Anfänge von Straub. Das durchzusetzen, auch bei den Förderinstanzen … Wir haben ja richtig einen Verein gegründet zur Finanzierung von Straubs „Chronik der Anna Magdalena Bach“. Und das war wirklich der Start für die Finanzierung des Films, nachdem er von allen Instanzen abgelehnt worden war. Dieses Bashing, das kam dann hinterher. Das habe ich als Schreiber sowieso nicht mehr mitgekriegt und auch als Leser kaum mehr. Neben der Lust am Schreiben, am Publizieren, gab es für uns natürlich auch die Lust am Eingreifen. Wir wollten Einstellungen zu Filmen wirklich ändern.

gegenüber

Hochhäusler Mich treiben keine nostalgischen Gefühle, so sehr ich respektiere und zum Teil auch bewundere, was in den 60ern passieren konnte. Es ist einfach so: Ich mache Filme und versuche zu verstehen, was ich tue. Ich versuche mit dem, was ich in Filmen mache, auch zu kommunizieren. Und ich stelle fest, mein Angebot wird nicht angenommen. Okay, das kommt vielleicht, weil die Filme zu schlecht sind. Aber ich habe das Gefühl, es ist so eine Art von Gleichgültigkeit, von routinierter Begegnungskultur dem Film gegenüber. Die realen Angebote, die Filme in sich tragen, die ja relevant sein könnten, werden nicht angenommen. Und das bedaure ich sehr. Und ich glaube, dass sich das jederzeit wieder ändern kann. Und dafür streite ich.

Diederichsen Aber ich glaube, es lässt sich nicht dadurch ändern, dass man anders schreibt im Rahmen der gleichen Verhältnisse. Diese heroischen Momente der Kritik oder des Feuilletons haben damit zu tun gehabt, dass sie unmittelbar an politische Kämpfe angeschlossen waren, dass es zum Beispiel darum ging, bestimmte Dinge im Fernsehen durchzusetzen oder dass es Filmförderung gibt und so. Dass Film überhaupt noch das zentrale Element von Kulturindustrie war. Und diese Situation kann man ja nicht durch eine Veränderung des Schreibverhaltens ändern oder dadurch, dass man mal ein strenges Wort mit dem Chef des Feuilletons der Süddeutschen redet. Das liegt ja tiefer. Ich will damit nicht sagen, dass ich diese Anstrengung, die Filmkritik zur Diskussion zu stellen, für unsinnig halte. Das ist ja gut, sich da mal drüber zu unterhalten. Aber dieses Verhältnis wiederherzustellen …

Es gibt heute insgesamt mehr Filmkritiken und mehr Filmwissen in der Tagespresse. Insgesamt ist das Filmfeuilleton nicht nur breiter geworden, es ist so was wie eine Säule des Feuilletons selbst. Auseinandersetzungen müssten also weniger entlang der Positionen zu Film stattfinden, sondern auf der Feuilleton-, auf der Tageszeitungsebene, zwischen Positionen im Feuilleton. Und die wiederum finden nicht statt, weil es die aktuelle Strategie der Feuilletons ist, politisch unkenntlich zu werden. Jedes Feuilleton versucht ja, möglichst alles zu enthalten, um die Konfrontation sozusagen auch nach innen zu verlegen. Und schliesslich kommt noch dazu, dass die Filmautoren und Filmautorinnen selbst innerhalb der Redaktion jetzt nichts mehr durchzusetzen haben. Sie haben auch keine konfrontative Situation. Die sind ja fast gleichberechtigt mit den Theaterkritikern. Das ist, glaube ich, ein ganz wesentlicher Punkt, dass es da so eine Art Demarkation gibt. Und das ist nur da anders, wo noch etwas durchzusetzen ist, und wo dieser Durchsetzungskampf selber auch andere Konfrontationslinien freilegt.

Interessanterweise gibt es das noch woanders, in viel kleineren Kreisen: Diese Aufgeregtheit, ein ähnliches Gefühl, mit etwas Aktuellem verbunden zu sein und eine gewisse Eingriffschance zu haben. In einer Kultur der digitalen Künste, die auch sehr viel mit Film, vor allem mit der Medialität von Film zu tun hat, das auch thematisiert, aber nicht so direkt verbunden ist mit der Filmkritik wie sie im deutschen Feuilleton-Alltag zu sehen ist. Die haben wenigstens noch einen stärkeren Zugriff auf Gegenwartspolitik, wenn es um Formate, um Fassungen, um Copyright, um Elemente oder Probleme der digitalen Kultur geht.

Um noch mal auf die Frage zurückzukommen, die von filmschaffender Seite hier immer wieder gestellt wird, die Frage nach einer grösseren Komplizenschaft. Also: gemeinsam etwas durchsetzen wollen. Und zwar jetzt nicht etwas durchsetzen wollen im Sinne von: Diese Filme müssten mal ins Kino kommen oder über die müsste man sich mal ausführlich auseinandersetzen. Eine solche Komplizenschaft wäre nur dann möglich, wenn es dabei um etwas ginge, wovon Leute, die Texte verfassen – das sind Kritiker nämlich – ganz stark selber etwas haben. Das wäre zum Beispiel, um historisch zu werden, so etwas wie das, was Enno Patalas vorhin erzählte, dass er nämlich sozusagen die erste Person war, die [Walter] Benjamin in Deutschland rezipierte und den amerikanischen Western durchsetzte. Dann hat man sozusagen ein Ziel, das für Leute, die schreiben, viel grösser ist, als wenn man nur den Western durchsetzen wollte: Wenn damit zugleich eine kulturelle oder theoretische und kritische philosophische Position verbunden ist. Der Kritiker als Schreibender hat natürlich auch intellektuelle Interessen. Er muss sozusagen das Gefühl haben, dass seine intellektuellen Interessen eine Resonanz finden jenseits dieses ästhetisch rezensierenden Abnickens oder Tendenzen-Feststellens. Er muss das Gefühl haben, hier ist ein neues Medium, und da brauch ich auch gleich noch Walter Benjamin … Und ich will ja nicht kulturpessimistisch darüber reden, aber von den aktuellen Filmen, die es in Deutschland gibt, den neueren Spielfilmen, geht noch nicht so viel aus, dass es so einen Gründungsimpuls gäbe …

reflex

Publikum Aber glaubt ihr, wenn sich die deutschen Filmemacher stärker als Filmemacher artikulieren würden, dass dann auch der Reflex der Filmkritik stärker wäre?

Hermes Also ich finde schon sehr interessant, dass es überhaupt aus dem Bereich von Filmschaffenden den Wunsch gibt, eine Verbindung zu schreibenden Menschen herzustellen. Das ist insofern seltsam, als es dieses Interesse noch nicht mal innerhalb der Kritik gibt, über die wir da ja jetzt sprechen, bei den Kritikern selbst. Es gibt da eigentlich keinen Austausch. Es gibt vielleicht winzige Gruppen, aber eigentlich macht da jeder so vor sich hin. Und das merkt man ja auch, wenn man die Sachen liest.

Wackerbarth Leidet ihr unter dem Gefühl, dass ihr den Raum nicht habt, worin ihr gerne schreiben würdet?

Hermes Sagen wir mal so: Ich würde mir wünschen, der Raum würde sich in einer etwas massenmedialeren Weise gestalten lassen. Ich hab schon Räume, aber eher im marginalen Bereich, „Texte zur Kunst“ beispielsweise, da kannst du eigentlich schreiben, worüber du willst. (Gelächter)

Diederichsen Ja, aber das ist eben gerade kein Filmpublikum, sondern das ist ein Kunstpublikum, das sich auch für Kino interessiert. Da herrschen prinzipiell andere Grundsätze. Erstens ist es ein vierteljährlich erscheinendes Journal und zweitens eben ein Kunstpublikum, das eh einen anderen Zugang hat.

Wackerbarth Enno Patalas hat erzählt, dass es in der „Filmkritik“ Cliquen gab, die aneinander gewachsen sind. Mich interessiert, wie das in so einer medialen Struktur überhaupt noch möglich ist?

Diederichsen Ich denke, dass sich produktive Cliquen nicht auf das Arbeiten in einem Milieu oder mit einem Genre oder mit einem Medium beschränken. Ich glaube, alles, was irgendwie interessant in der Welt ist, hat auch damit zu tun, dass man auch in anderen Welten tätig ist.

Hermes Das ist aber gerade eine Frage, die man dem deutschen Film stellen muss. Wenn man sich die Filme so anschaut im Augenblick, dann muss man sagen, man sieht nicht, dass es eine Qualität des Films ist, eigentlich ein zusammengesetztes Medium zu sein, ein Medium, das sich aus vielen verschiedenen Elementen zusammensetzt, literarischen, musikalischen … Mein Eindruck beim deutschen Film ist, dass es irgendwie eine Art Implosion gibt in das Filmische, was zu eigenartigen Verstockungseffekten führt.

attac

Hochhäusler Ich beobachte das auch, diese Art von Monokultur, die wir züchten in den Hochschulen, also eine Monokultur, in der eine Erfahrung immer weiter wiederholt wird und nicht viele Erfahrungen oder ganz verschiedene Lebensweisen nebeneinander stehen. Daher wäre eine Kritik auch so notwendig, die in der grossen Öffentlichkeit stattfindet, eine, an der viele partizipieren, eben nicht nur Filminteressierte, sondern auch andere Milieus. Nur eine solche Kritik kann Kriterien herstellen, kann einen Horizont formulieren, kann herausfordern. Kann eine Streitkultur sein letztlich.

Diederichsen Zum Thema Streitkultur und Auseinandersetzung möchte ich noch etwas anmerken. Als ich in den mittleren Neunzigern wieder eingestiegen bin in die Filmkritik nach einer längeren Pause, hat mich eines überrascht: Ich hatte vorher sehr viel zur bildenden Kunst geschrieben, und in der bildenden Kunst ist es ja nicht viel besser; der Zustand der Kritik ist im Grunde genommen noch deskriptiver und noch affirmativer. Und wenn sie das nicht ist, wenn sie sozusagen was gegen ein Produkt hat, dann greift sie auf ganz ähnliche Dinge zurück, wie dieses Ressentiment gegen Cineasten, nämlich auf das Ressentiment gegen den modernen Künstler. Aber was in der bildenden Kunst sozusagen immer passiert in Rezensionen und Texten, ist, dass quasi jedes Werk legitimationsbedürftig ist. Jedes Werk muss sich die Frage stellen, warum gibt es das? Und darf es das geben? Und kann es das geben? Und daraus entsteht auch in den Tiefen der Kunstberichterstattung so eine grundsätzliche Geneigtheit, die Arbeit zu diskutieren und ihren Gegenstandsbereich nicht als gegeben hinzunehmen. Diese implizite, im kritischen Diskurs der bildenden Kunst mitschwingende Frage wird im Filmbereich nicht gestellt. Das hat mich sehr stark überrascht. Nicht so sehr, weil ich finde, dass man die Verwendung von Film noch neu begründen muss. Aber ich finde es schon entscheidend, dass es möglich sein muss, jedes Produkt neu zu begründen. Dies macht schliesslich einen konfrontativen Diskurs überhaupt erst möglich. Andernfalls hat man sozusagen die Grundfrage schon beantwortet, nämlich, dass es völlig legitim ist, soundsoviele Produkte rauszuhauen, die in Kinos gezeigt werden, die Leute zahlen Eintritt, alles klar. Natürlich, so kann man vorgehen. Und je mehr embedded journalist der Filmindustrie man ist, desto mehr ist es auch eine Normalität, von der man dann auch noch lebt. Insofern ist es klar, dass die Frage nicht gestellt wird. Trotzdem wundert es mich, dass dieser Impuls, diese Möglichkeit von der bildenden Kunst nicht rübergeschwappt ist. Es ist übrigens auch in anderen Bereichen so, auch das Theater muss sich oft sehr viel grundsätzlicher begründen. Kino hat von all den Kernbereichen, über die Feuilleton sich so äussert, den grössten Grad an Selbstverständlichkeit.

Und noch etwas: Zu einer Konfrontation gehören ja mindestens zwei. Es reicht ja nicht, dass da einer sitzt und von allen angewidert ist, wenn die anderen sich weigern, zurück-angewidert zu sein. (Gelächter) Das funktioniert nicht. Nun passiert es oft, dass die Leute sich gegenseitig zitieren. Unfreundlich gehen sie selten miteinander um. Natürlich wäre das wünschenswert, aber es setzt voraus, glaube ich, dass für Kritiker die Texte viel mehr sind, als was sie jetzt meistens sind. Es setzt eben voraus, dass jemand etwas durchsetzen will zum Beispiel. Und nur jemand, der etwas durchsetzen will, macht sich so angreifbar, dass man ihn lieben oder hassen kann. Aber wer will das schon? Es ist nicht sehr weit verbreitet. Und wenn es passiert, dann ist der Versuch, das durchzusetzen, auch selten ein konfrontationsfähiger Versuch, einer, der zum Beispiel auf politischen Gründen basiert. Meist geht es um eine ästhetische Diskussion, dass zum Beispiel jemand Interesse für irgendein Filmland in Fernost wecken will, in dem es auch eine interessante Tradition gibt, mit der man sich auch mal beschäftigen und ein paar DVDs besorgen könnte. Auch da ist es relativ schwierig, zu sagen: Du Knallkopf! Warum interessierst du dich dafür? Das ist ja meistens ganz berechtigt. Und ein weiterer Punkt ist natürlich der, dass Rezensionen meist am selben Tag publiziert werden, an dem auch alle anderen publizieren. Das heisst, man kann nicht über einen anderen Text schreiben: „Was schreibt der darüber für einen Scheiss?“ Denn man schreibt am selben Tag wie der, der den Scheiss schreibt. Es gibt nicht die Institution in der Tagespresse – und das ist etwas, was ich sehr bedaure – am Ende der Laufzeit eines Films noch mal über die Rezeption zu sprechen. Das wäre der Ort, an dem genau das, was du einforderst, stattfinden könnte. Dann kann man sich eine Rezeptionsgeschichte ansehen. Das passiert jetzt sehr selten mal. Und meistens geht das dann auch mit der grossen Kulturdiagnose einher. Da geht es dann nicht um den Film, sondern um Zeitdiagnose. Die Feuilletons haben sowieso tendenziell zuwenig Platz. Ich kann’s ja mal versuchen und sagen: „Leute, führt mal eine neue Rubrik ein: Ein Film läuft nicht mehr.“ (Gelächter) Das machen die nicht. Dabei hätte so eine Rubrik ja nicht nur die Möglichkeit, einen Rückblick auf die Rezeption zu machen, sondern sie könnte auch sehr viel darüber sagen, wie lange eigentlich ein Film läuft, wie lange er gesehen werden kann. Es gibt ja immer das Problem, wie skandalös kurz die Filme, die man eigentlich sehen will, überhaupt zu sehen sind.

Wackerbarth Was ich stark vermisse: dass nie ein filmhistorischer Kontext aufgemacht wird. Es gibt in den Kritiken kein Gedächtnis, das mir als Leser transparent gemacht wird. Zu häufig wird ein sehr allgemein gehaltener soziologischer Diskurs, der auch noch alle Künste miteinbeziehen will, eröffnet. Es wird überhaupt nicht mehr filmimmanent diskutiert, ob es sich zum Beispiel um einen handwerklich bewusst gemachten Film handelt oder eben nicht. Lieber bezieht man sich auf alles Mögliche … den Song, der da verwendet wurde, die Analyse des Marketing. Da ja oft über belanglose Filme geschrieben werden muss, die sich der Kritiker auch selbst gar nicht aussuchen kann, erscheint mir das immer wie eine Strategie: ein Versuch des Kritikers, sich selbst zu retten. Dieser Ansatz birgt jedoch die Gefahr einer öden Harmonisierung und führt zu seitenlangen Besprechungen, die gar nicht mehr den Film zum Thema haben.

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Publikum Da klingt doch viel Ratlosigkeit bei euch durch.

Diederichsen Ich denke, die Probleme, die hier benannt worden sind, sind strukturelle Probleme und institutionelle Probleme des Feuilletons. Die haben was mit der Politik von Grossverlagen zu tun, überhaupt mit der Politik von Verlagen und natürlich mit der Politik von Kulturindustrie. Und ich denke, da sind das nur die kleineren Ekelnummern – so Schaumkronen auf dem Problem. Ratlosigkeit ist nicht unbedingt das Problem. Das Problem ist Nostalgie nach Situationen, in denen kulturelle Konfrontationen relativ parallel mit politischen Konfrontationen gelaufen sind und deswegen besonders heiß waren. Zum einen sind die politischen Konfrontationen und deren Handhabbarkeit durch eine kulturelle Elite etwas ausser Sichtweite geraten, und zum anderen ist die Verbindung zwischen den kulturellen Aufgeregtheiten und politischen Handlungsmöglichkeiten weit ausser Sichtweite geraten, und dann wird man natürlich nostalgisch. Das ist das viel grössere Problem als die Tatsache, dass man in der Filmkritik nicht mehr ganz so prickelnde Debatten hat wie früher mal. Die könnte man woanders haben, aber da hat man sie auch nicht. (Gelächter)

Patalas Vom Feuilleton und von den Leuten, die da schreiben, würde ich nichts erwarten. Und zwar nicht wegen der Leute, die etwa nicht anders könnten. Das Schreiben über die Filme reflektiert auch die ganze Umgebung; die Filmseite in ihren Neigungen oder Rubriken spiegelt sich wieder in der Einzelkritik. Da würde ich gar nichts erwarten. Ich frage mich nur: Gibt es denn nur Leute, die in der Tageszeitung schreiben oder die da rein möchten und dann auch genauso funktionieren wie die anderen? Oder gibt es Leute, denen es zunächst mal überhaupt nur Lust bereiten würde, über einen Film zu schreiben? …

Diederichsen In Antwort darauf muss ich mal wieder auf die strukturellen Probleme verweisen, in diesem Fall auf einen ganz speziellen Strukturwandel der Öffentlichkeit. Ich glaube, die Einheitlichkeit, mit der hier von Filmkritik gesprochen wird, ist das Problem. Sie wurde definiert als ein Gegenüber, andere reden von einer anderen Perspektive aus auch darüber … Tatsächlich zerfällt das in völlig verschiedene Disziplinen, die fast so wenig miteinander zu tun haben wie das Arbeiten in verschiedenen Medien. Denn es gibt sehr scharfe, sehr genaue, sehr präzise Reaktionen in der Welt der Blogs auf alles Mögliche, was im Film passiert. Teilweise wirklich hervorragende Texte. Die sind manchmal ein bisschen formlos, oder man muss erst 27 Mal einzeilige Bemerkungen lesen, bis wieder etwas Interessantes kommt. Das ist sozusagen die Welt, in die das, was früher mal new journalism war, so persönliches Reden über kulturelle Erlebnisse, jetzt hingewandert ist. Dann gibt es mit ganz wenig Dissens operierende, wenig konfrontative, aber eben sehr kenntnisreiche und auch lebendige akademische Diskurse. Und dann gibt es halt dieses Feuilleton, auf das wir uns hier die ganze Zeit so mehr oder weniger einschiessen. Das ist aber eigentlich der trübste industrielle Kompromiss zwischen all diesen verschiedenen Welten. Natürlich ist es absolut beklagenswert, rein schon aus diskurspragmatischen Gründen, dass das alles so verschiedene Welten sind. Auf der anderen Seite ist das die Struktur der Öffentlichkeit. Und wenn da Verbesserungen gefordert werden, dann ist das eigentlich nicht richtig einsichtig, dass man jetzt auf diese Tageszeitungen guckt, in denen am wenigsten Bewegung ist, ausser, dass sie unter Druck stehen.

Hochhäusler Ich muss dir absolut recht geben, dass es gerade im Netz eine Explosion gegeben hat von Nachdenken über Film. Es gibt new filmkritik, jump-cut.de, nachdemfilm.de, missingimage.com, filmtext.com, es gibt eine ganze Fülle von Plattformen, Foren und so weiter, wo das stattfindet. Und du hast völlig recht: Das ist das Bewegliche, und da findet Schärfe statt. Warum wir trotzdem immer auf die Tageszeitung kommen – und das ist vielleicht nostalgisch –, ist die Sehnsucht nach einer Öffentlichkeit, die universell sichtbar ist …

Diederichsen Die hab ich auch. Lass uns zusammen auf die Agora gehen! (Gelächter)

Hochhäusler Abschliessende Frage: Was würde sich ändern, wenn man ab morgen keine Filmkritiken mehr drucken würde?

Diederichsen Es würde sich einiges ändern. Man würde in die Zeitungen gucken und sich fragen: Wo sind eigentlich die Filmkritiken, is’ doch Donnerstag? (Gelächter)

Montage aus den Diskussionen „Perspektive Filmkritik“ mit Diedrich Diederichsen, Manfred Hermes, Enno Patalas, Nicolas Wackerbarth und Christoph Hochhäusler (Revolver Live! vom 17.06.2005 im Prater der Volksbühne, Berlin) sowie „Journalismus zwischen Kritik und Kommerz“, u.a. mit Josef Schnelle, Rüdiger Suchsland, Rolf-Rüdiger Hamacher und Christoph Hochhäusler (organisiert vom „Verband der deutschen Filmkritik“ (VdFk) im November 2003 in Mannheim). Transkript: Rüdiger Suchsland (Diskussion Mannheim), Tamara Danicic (Diskussion Berlin). Montage: Jens Börner.

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