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Bilder

Das Ende der Schrift und die Rückkehr zu einer Kommunikation mit Bildern halten viele Denker als zu erlebende Folge der digitalen Medien und der uns umgebenden Masseninformation. Tatsächlich nimmt die Zahl der auf uns eindringenden Bilder immer weiter zu, proportional zu ihrer Anzahl verlieren sie jedoch mehr und mehr von ihrer einstigen Macht.

Die Bilder nähern sich also einzeln gesehen der Bedeutungslosigkeit etwa eines einzelnen Buchstabens. Hätten wir für unsere Buchstaben und ihre Sortierung nicht eine allgemeine Regelung, würde ihre Aneinanderreihung sinnlos bleiben und die beabsichtigte Vermittlung von Inhalten gar nicht erst zulassen. Was dann an Texten so vermittelt wird ist ein ganz anderes Thema, zu Anfang steht aber das Erlernen von Ordnungen, damit das Geschriebene kommunizieren kann und von anderen verstanden wird. Weil wir alle Texte die uns umgeben entziffern können, haben wir überhaupt erst die Möglichkeit der Wahl und Bewertung der Inhalte, so wird eine Sortierung in Themen, Qualitäten oder subjektive Interessen erst ermöglicht. Was jedoch die Bilder betrifft, scheinen wir gesamtgesellschaftlich schon mitten in allgemeiner Redundanz zu stecken. Da wir noch keinerlei Ordnungssystem oder Entzifferungsraster für Bilder entwickelt haben, werden sie vollkommen analphabetisch benutzt und konsumiert.

Nachdem das richtige Lesen von Bildern an keiner Schule vermittelt wird, ist ihre Entschlüsselung rein chaotisch, ein sich zurechtfinden in Bildermassen wird nicht erlernt, deshalb ist ihre Rezeption nur oberflächlich flüchtig und die Sortierung nach Inhalten und Qualitäten wird zum hilflosen Unterfangen. Obwohl wir also rundherum von Bildern umgeben sind, werden sie gar nicht erst richtig wahrgenommen, sie sind für die meisten von uns immer noch bloßes Beiwerk des Textes, Illustration zum schnellen Erfassen, wie eine Inhaltsangabe des Textes, dabei kann man auch in vielen Bildern lesen wie in einem Buch. Hierzu benötigt man allerdings genausoviel Erziehung wie beim Lesen von Schrift, oder man muß zumindest gelernt haben beim Bilderbetrachten wieder so viel Ruhe und Phantasie aufzubringen, wie sie jedes Kind hat, wenn es ein Bilderbuch betrachtet und auf jeder Seite immer neue Einzelheiten und Inhalte entdeckt. Sicherlich sind die auf uns einwirkenden Bilder keine Zeichen wie die, ehemals aus Bildern entwickelten, Buchstaben, da Bilder sich nicht ähnlich systematisch aneinanderreihen lassen und das auch gar nicht ihre Qualität als Kommunikationsmedium ist. Deshalb ist hier mit einer Sehschule und einer Art Bilderalphabetismus keine direkte Übersetzung in ein Hyroglyphensystem angedacht, sondern die Notwendigkeit, das emotionale Lesen und Aufspüren der Bildinhalte, das gedankliche Weiterverarbeiten und die Sensibilität im Umgang mit Bildern zu vermitteln. Nur dann könnte eine neue Qualität in der Benutzung und Sortierung von Bildern unsere derzeitige Kommunikation wirklich erweitern, mit dem Vorteil eines raschen Erfassens der emotionalen Inhalte und dem direkten Weg in unsere Gedanklichkeit.

Der momentane diskursive Umgang mit Bildern, der eine telematische Gesellschaft im Flusserschen Sinn nach wie vor utopisch erscheinen läßt, ist mit dem Stand der typografischen Zeit der Schriftgelehrten zu vergleichen. Die Fähigkeit, Bilder senden und lesen zu können, ist noch höchst elitär. Bis nicht breite Bevölkerungsschichten gelernt haben, dialogisch mit Bildern umgehen zu können, wird dieses Wissen ein manipulatives Machtinstrument dieser Eliten bleiben. Auch wenn nicht jeder, der Schreiben kann, ein Schriftsteller ist, so kann er, zumindest hypothetisch, an allem Geschriebenen teilhaben und auswählen. Er kann, auch wenn es mit noch so primitiven Ausdrucksformen geschieht, öffentlich reagieren oder zu ihn betreffenden Angelegenheiten präzise Stellung beziehen.

Der Mensch, der Schreiben und Lesen kann, hat die Freiheit, allem Geschriebenen und Gelesenem gegenüber mißtrauisch zu sein und nicht mehr wie der Analphabet auf die Vermittlung anderer angewiesen zu sein. Natürlich kann jeder von uns Bilder anschauen und mit der heutigen Technik wie am Fließband produzieren. Diese vermeintliche Potenz ist aber gerade das Gemeine an den Bildern, denn im Grunde genommen werden sie nur oberflächlich rezipiert und blind imitierend produziert.

Bilderrecycling:

Vilém Flusser beschreibt den Kampf des heutigen Menschen gegen den vitösen Zirkel “Natur – Kultur – Abfall – Natur”, als Suche nach dauerhaften Informationsunterlagen, bei der dieser Zirkel leider noch im Bereich des Abfalls gestaut wird, beim “Vergessen”. Man beginnt nun seit ein paar Jahren damit, diese Reste aus dem “Abfall” wieder in die “Kultur” zu retten. Warum sollte sich dieses Rückerobern von Informationen nur auf Glasflaschen, Plastik- und Papierabfälle beschränken, warum nur auf die “Hardware” und nicht auch auf die “Software”?

Manchmal ist es wirklich nicht mehr zu verstehen, warum bestimmte Informationen immer wieder neu erstellt werden müssen, nur um den geltenden Autorenschutz zu gewährleisten. Im Bereich der Bildherstellung und Verarbeitung haben sich durch die technischen Entwicklungen imense Veränderungen ergeben, die zumindest große Teile des heutigen “Copyrights” weitgehend in Frage stellen. Die direkte Verfügbarkeit auf nahezu unerschöpfliches Bildmaterial und die auf ihm gespeicherten Informationen eröffnet ein vollkommen neuartiges Spiel mit Inhalten, so daß sowohl der Begriff der Autorenschaft, als auch die Vorstellung einer Collage vollkommen neu interpretiert werden sollten. Eigentlich müßte der Autorenschutz vielmehr eine Art Ideenschutz darstellen, denn die wirkliche Potenz eines Bildes liegt in der ihm zugrunde gelegten Gedanklichkeit, die, und das ist im Grund genommen die wesentliche Autorenschaft, auf den Punkt des Auszusagenden, formal bis ins Detail präzisiert, dargeboten wird. Bei jeder Änderung, Sinnverkehrung, sei sie nun formal oder inhaltlich, erlischt die ursprüngliche Autorenschaft, denn das Ausgedrückte meint nun etwas Anderes. So ist dieses vermeintliche Plagiat genau betrachtet eine neue Form des Zitats und je nach Grad der Verfremdung, der Reduzierung der inhaltlichen oder formalen Elemente, meist nicht einmal mehr das.

Das einmal vom Autoren publizierte Bildmaterial erfüllt nun doppelte Funktionen, zum einen transportiert es die eigentliche Bildidee, zum anderen steht es allen übrigen Autoren als Grundmaterial der Weiterverarbeitung zur Verfügung. Wenn beispielsweise auf dem Bild einer Illustrierten mehrere Kardinäle in ihrer roten Tracht kreuzbehangen abgebildet sind und ein Autor nun für einen bestimmten Zweck ein Kreuz vor rotem Grund benötigt, zufällig auf diese Abbildung stößt, Farbe, Winkelung etc. genau seiner Absicht entsprechen, wäre es unsinnig, dieses Detail nicht zu verwenden, sondern es in mühevoller Arbeit nachzustellen und neuzuproduzieren. Da die Häufigkeit eines solchen Austausches voraussichtlich immer weiter zunehmen wird, die Übergänge vom Bildproduzenten und Materialbenutzer fließend werden, wird in Zukunft das Aufspüren und Entlohnen des Erstautors schon rein vom Aufwand her eigentlich nicht mehr zu gewährleisten sein. Spielt es denn, bis auf den eigentlich Abgebildeten und sein Umfeld, eine Rolle, wenn der Kommunizierende, der z.B. das Gesicht eines Trauernden benötigt, diese Szene nicht in seinem Studio inszeniert, sondern ein bereits publiziertes verwendet. Einst vielleicht als Illustration eines Artikels über Sterbehilfe veröffentlicht und nun für die Werbekampagne eines Bestattungsinstituts benutzt oder vielleicht für ein Plakat benötigt das für Spenden zu Gunsten der Hinterbliebenen irgendwelcher Katastrophen werben soll. Wie sollte man aber der abgebildeten Person erklären, daß sein Abbild nun nicht mehr ihn als Person meint, sondern als allgemeingültiges Zeichen für Trauer zu verstehen ist? Was, wenn sein Konterfei für Zwecke verwandt wird, die seinen innersten Überzeugungen wiedersprechen oder für rein finanzielle Zwecke werben? Hat er mit der Erstveröffentlichung all diesen Weiterverarbeitungen zugestimmt oder bleibt der Schutz seiner Person allein der Sensibilität und Verantwortlichkeit der jeweils Weiterverarbeitenden überlassen?

Vielleicht stellt diese Form des Benützens von Bildmaterial doch die einzige Möglichkeit eines dialogen Umgangs mit Bildern im Flusserschen Sinn dar, auch auf die Gefahr hin, daß die “Antwort” auf ein Bild, mein Bild, nicht mehr meint, was zunächst beabsichtigt war?

Es wird bald neue Filme mit Marylin Monroe und Humphrey Bogart geben, Dank der neuen Techniken werden bestimmte “Vorstellungen” wieder zum Leben erweckt. Diese Vorstellung betrifft allerdings nicht die Person Marylin Monroe, sondern ein abstraktes Image, ein reines Medienkonstrukt. Dieses Image hat längst die Form einer neuzeitlichen Ikone angenommen, deren Bedeutung allgemein verständlich und für jeden Zeichenhaft ersichtlich ist. Was bei so bekannten Zeichen und Figuren noch leicht zu akzeptieren ist, bedeutet allerdings für die realistische Wiederverwertung von Zeichen, Bildern und Informationen, das sich zurechtfinden bzw. in Kauf nehmen einer gigantischen Ikonenexplosion. Jedes öffentliche Bild eine Ikone für beliebig viele Bedeutende, eine Art griechische Theatermaske mit variabler Rolle.

Wenn in frühen Kriegsfilmen manchmal dokumentarisches Bildmaterial verwand wurde, geschah dies in der Absicht, Realität zu vermitteln und dem Dargestellten Authentizität zu verleihen, diese Gläubigkeit an die Wahrhaftigkeit der uns dargebotenen Bilder hat sich längst ins Gegenteil verkehrt, so daß die Leute selbst die realsten Bilder wie Fiktion betrachten. Die Nachrichten sind wie Kino, Gewalt ein Comic-Strip. Bilder wurden und werden manipuliert, öffentlich oder heimlich. Die Zeit, als sie noch neutraler Zeuge sein konnten, ist längst vorbei, so daß der Verlust ihrer Herkunft, authentisch oder inszeniert, zumindest für die dialogische Kommunikation keine Rolle mehr spielt.

Wie soll man nun aber mit dem jedem Bilderzeuger zueigenen Besitzerstolz und den oft verständlichen Muttergefühlen für seinen Werdegang umgehen? Angenommen, man hätte ein Bild gegen Rechtsradikale veröffentlicht, und nun würde irgendein Faschist mit einer kleinen Änderung die Bedeutung des Abgebildeten ins Gegenteil verkehren, so für seine Sache werben, auch wenn immer noch ein Großteil der Öffentlichkeit glauben würde, es entstamme dem eigentlichen Autoren. Wie soll man sich nur an diese Art des Recyclings und der sonst geschätzten Anarchie gewöhnen können? Mir erscheint jedoch der Versuch, diese Form der Weiterverarbeitung unmöglich zu machen und sie zu verfolgen fast ebenso aussichtslos, wie das Bemühen namhafter Bekleidungs- und Uhrenfabikanten, den Vertrieb fernöstlicher Billigplagiate ihrer Produkte zu unterbinden.

Es ist mir also bewußt, daß der Spagat vom Hersteller zum Wiederverwerter und zurück, von etlichen Gefühlsverwirrungen begleitet sein wird, denn der einzige Schutz des Bildermachers ist bald nur noch der Stolz des Erstveröffentlichers, der zumindest durch das Erstveröffentlichungsdatum belegt ist.

Gerwin Schmidt

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