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Fast Forward: Politik und Kino

Von Hito Steyerl

Kaum ein Begriff ist derzeit im Nachdenken über Kino so diskreditiert, wie der des Politischen. Er beschwört die Vorstellung endloser didaktischer Agitationsfilme herauf, die sich unter der Last eines tendenziösen Kommentars biegen. Eine Aura verstaubter 68er Dogmatik also, in der ästhetische Momente mitsamt jeglichem Kinovergnügen negiert werden.

Kaum ein Begriff ist derzeit im Nachdenken über Kino so dringlich wie der des Politischen. In einer Zeit, in der sich die traditionelle Sphäre der Politik zunehmend mit ihrer populistischen Mediatisierung verschränkt, werden Bilder zunehmend zum besinnungslosen Sprachrohr des Politischen. Interessanterweise haben nämlich die realpolitisch agierenden Zeitgenossen der ästhetisch so diskreditierten Studentenbewegung ihre Ziele erheblich erfolgreicher umgesetzt. Sie nannten ihr Projekt bekanntlich “den langen Marsch durch die Institutionen” und haben diese nunmehr unter Kontrolle gebracht. Als sogenanntes “Kriegskabinett” der Neuen Mitte nutzen Politiker wie Schröder, Scharping und Fischer die klassischen Fernsehformen ebenso wie Homevideos und komplizierte Computersimulationen, um die Notwendigkeit des von ihnen propagierten Angriffskrieges zu legitimieren.

Es ergibt sich also ein sonderbares Wechselverhältnis zwischen der Sphäre realer Politik und der Formenwelt des Kinos: während diejenigen, die nach ’68 die Politik in den Dienst des Kinos stellen wollten, im Abseits der Geschichte landeten, verwirklichen ihre Weggefährten ihre Vorstellung deutscher Außenpolitik gegenwärtig durch den geballten Einsatz kinematographischer Formen.

Das Kino als Waffe?

Bilder als Werkzeuge des revolutionären Kampfes verwenden: eine ästhetische Losung aus dem Umfeld der Studentenbewegung. Läßt man das mit der Revolution beiseite, scheint auch dieses Projekt derzeit aufzugehen. Deutsche Fluggeräte kreisen beispielsweise über dem Kosovo. Man nennt sie auch Aufklärungsflugzeuge, die entsprechend aufklärende Bilder liefern sollen. Zum Beispiel sollen sie Aufschluß über das Schicksal vermißter Flüchtlinge geben. In diesem Fall sollen avantgardistische Waffensysteme für die sogenannte Aufklärung sorgen. In den 70er Jahren verhielt es sich allerdings genau andersherum: die Aufklärung selbst sollte als Waffe funktionieren. Die Idee war in etwa die, daß die Massen, von der Waffengewalt avantgardistischer Aufklärung überrumpelt, schockartig zu einem Bewußtsein ihrer eigenen Situation gelangen sollten. Sodann sollten sie gegen die ihnen nunmehr einleuchtende Unterdrückung aufbegehren. Soweit der Plan, der bekanntlich in dieser Form nicht aufgegangen ist. Die gegenseitige Bestimmung von Kamera, Waffe und Aufklärung verwirklichte sich zwar, jedoch in einem ganz anderem Sinne und an einem ganz anderen Ort. Die Aufklärung verließ gewissermaßen das Kino und zog in den Krieg.

Eine paradoxe Situation entsteht: Während gleichzeitig Bilder hinterrücks von politischen Inhalten und Artikulationen durchtränkt sind, und dazu dienen, aktive Politik zu betreiben, bildet das offen artikulierte politische Moment im deutschen Kino derzeit sein letztes Tabu. Es ist ein Punkt erreicht, an dem die Politik audiovisuelle Inszenierungen auf geschicktere Weise verwendet, als umgekehrt das Kino sich am politischen Element zu bedienen und darauf Einfluß zu nehmen versteht. Anstatt seine traditionelle Funktion als utopisch-eskapistische Traumanstalt des Gesellschaftlichen wahrzunehmen, und einen Ort bereitzustellen, an dem das Bestehende durch bessere, interessantere und erfreulichere Versionen davon desavouiert wird, funktioniert es derzeit als Instrument der Verdrängung des Gesellschaftlichen. Seine Kritik bildet die fußlahme Nachhut der Realpolitik und erbaut sich an gründerzeitlichen Schwänken aus der Berliner Republik. Diese muffige Stagnation ereignet sich wiederum erstaunlicherweise in einem Moment, an dem nach jahrelangen Bemühungen jedes noch so irrelevante Tabu auf der Leinwand abgehandelt wurde. Mittlerweile erscheint jedoch die hölzernste Verlautbarung eines verbeamteten Regierungssprechers relevanter als die kleinliche Hemmungslosigkeit der gegenwärtigen Filmproduktion. Wenn sogar ChargendarstellerInnen wie Ron Sommer (Vorstandsvorsitzender Deutsche Telekom) oder Angelika Beer (Vorsitzende des Verteidigungsausschusses des Deutschen Bundestages) auf der politischen Bühne dramatischer wirken, als Dennis Hopper in einem deutschen Thriller, ist mit dem Kino definitiv etwas faul. Eine mißliche Lage für Leute, die es dennoch lieben.

Pädagogische Modelle

Wie kam es also soweit, daß die Politik das Kino in genau den Sparten abzuhängen vermochte, die die Attraktivität des Kinos von jeher begründen, nämlich Starkult, Dramatik und Special Effects? Und wie ist diese ungünstige Entwicklung dahingehend zu beheben, daß Kameras, Waffen und Aufklärung allesamt wieder im Kino landen, wo sie hingehören, anstatt die Liveausstrahlung neokolonialer Docusoaps vom Balkan zu befördern? Und wieso entpuppen sich ausgerechnet die als dröge und uncool verschrienen 68er als kompetente Inszenatoren propagandistischer Polit-Fiktionen? Die Wurzel des Problems liegt wiederum in den ästhetischen und politischen Vorstellungen dieser wandelbaren Generation.

Was gegenwärtig als Paradigma politischer Filme fungiert, und deren allgemeine Unattraktivität begründen soll, sind Vorstellungen von Filmen aus den 70er Jahren. Im Sog der Studentenbewegung entstanden diverse Vorstellungen der Verschränkung zwischen Politik und Kino. Das Kino wurde als revolutionäres Mittel bestimmt. Selbstredend stützten sich solche Theorien auf Vorbilder, wie etwa klassische Agit-Propfilme der 20er und 30er Jahre. Auf der anderen Seite schloß die Reflexion über die formalen Mittel an Überlegungen aus dem Umkreis der Frankfurter Schule an, welche die neuen Medientechnologien im Rahmen sogenannter “Modelle” zur politischen Aufklärung des Publikums einzusetzen versuchten. Das Ergebnis waren Filme, die gesellschaftliche Mißstände mit den Mitteln der Verfremdung oder ihrer schematischen Darstellung offenlegen wollten. Das schematische Element nahm allerdings im Laufe der Zeit zuungunsten des Darstellerischen unaufhaltsam zu. Flankiert wurde das Unternehmen auf theoretischer Seite durch einen polit-ökonomischen Determinismus, der über einige Jahre hinweg tatsächlich ein ebenso dominantes wie dogmatisches Weltbild darbot. Das überaus Ermüdende an diesen Veranstaltungen war die Rückführung jeglichen ästhetischen Moments auf bestimmte wirtschaftliche und politische Voraussetzungen, ein Unterfangen, dem es auf Dauer an Glaubwürdigkeit und vor allem an Verführungskraft gebrach. Das Kino bemächtigte sich also der Politik und zog sie als hauptsächlichen Fundus seiner Legitimation heran. Auch hier ist allerdings ein Phänomen zu beobachten, das in veränderter Form immer wieder aufscheint: Die ästhetischen Formen, die aus der politischen Bewegung von 1968 hervorgingen, setzten sich erst in einem Moment als tonangebend durch, an dem ihre politische Energie schon längst in diverse Flügel zersplittert war. Das Kino funktionierte also keineswegs als Avantgarde, sondern eher als Retrogarde der politischen Stimmungen. Diese zeitliche Verschiebung scheint sich allerdings immer mehr auszudehnen.

Das Recht auf Regreß

Mit dem Anfang der 80er Jahre entstanden neue oppositionelle Bewegungen, deren Hauptanliegen in einer totalitären Verweigerung lag. Die endlosen Diskussionen und idyllischen Stile der Subkultur der 68er wurden zugunsten eines allumfassenden Rechtes auf Regression abgelehnt. Politik war das kaum zu nennen, eher vielleicht stilisierter Politik-Ersatz. Die Punkbewegung kokettierte mit zutiefst verpönten Emblemen, wie Hakenkreuzen, Strapsen, militärischen Utensilien und anderen Insignien der Unterdrückung. Vom Kino wurde in dieser Zeit verlangt, nihilistische Heroen mit irrationalem Gewaltpotential aufzubieten, welche ein Höchstmaß an verkultbarem Stumpfsinn zu vermitteln hatten. Das neue ästhetische Paradigma des Tabubruchs trat sodann seinen Weg in den kulturellen Mainstream an, und sorgte dort dafür, daß verschrobene Obsessionen und markig vorgetragene Privatismen gesellschaftsfähig wurden. Im deutschen Kino kamen solche Umtriebe nach einem guten Jahrzehnt an: Serienmörder im Spielfilm sowie Nazibuben im Dokumentarfilm erfüllten mit erheblicher Verspätung die ästhetischen Forderungen der Punkgeneration und sorgten dafür, daß sich nun auch ein breiteres Publikum an der offensiven Präsentation gewalttätiger Blödheit weiden konnte. Wo die politischen Aktionen der 68er ziemlich wortlastige und meinungsfreudige Formen des Filmischen hervorgebracht hatten, stach jetzt die absolute Absenz eines kommentierenden Moments hervor: auf der Tonspur durfte nicht ein Hauch einer Stellungnahme zu spüren sein. Die Reflexion wurde durch die Abfeierung vorgeblicher Unmittelbarkeit ersetzt, die sich offensichtlich bevorzugt in unartikulierten Vertretern des Pöbels zu verkörpern schien.

Bornierung aufs Eigene

Die Abwehr des politischen Moments im Kino hat ihre Wurzeln in dieser oppositionellen Glorifikation des Schunds, die in Abgrenzung zur verstaubten Ästhetik betulicher Konsenskulturdebatten affirmiert wurde. Anfangs der 80er Jahre mag dies unter Umständen noch als Gegengift zu den kulturellen Auswüchsen der Reagan und Thatcher-Ära gewirkt haben, sowie als Alternative zu deren proper geföhnten Raubritterstars eines ungezügelten Kapitalismus. In ihrem Altern allerdings erwies sich diese ästhetische Strategie als Bornierung aufs Eigene: Die Transgressivität, die zunächst noch auf den eigenen Körper und dem Wunsch nach der Überschreitung seiner Grenzen fixiert war, dehnte sich zusehends in den öffentlichen Raum aus, um dort Phänomene vorgeblich irrationaler Gewalt als gelungene Revolte gegen Konventionen zu fetischisieren. Egal, ob Kinderschänder, Skinheads oder kleinbürgerliche Ausschweifungen des Pornographischen: wo auch immer “das Böse” hervorzulugen schien, wurde es vom Kino flugs erfaßt und der verklemmten Anteilnahme eines Publikums anheimgestellt, das sich selbst nichts mehr anzustellen traute. Dabei erschien es sich selbst dennoch als äußerst avantgardistisch, ganz im Gegensatz zu den Protagonisten der anderen sozialen Bewegungen, welche unter handgemalten Sonnenblumentransparenten an ihrer parlamentarischen Institutionalisierung werkelten. Es scheint im Nachhinein, als hätten die 68er bei ihrer Verwandlung in Politiker ergeben in Kauf genommen, daß ihre Formen nunmehr für über eine Dekade als hoffnungslos retardiert angesehen werden würden. Obgleich sich ihre Ökoästhetik in eine Massenbewegung gelebter Subkultur umsetzte, war davon im Kino rein gar nichts zu sehen. Das politische Moment wurde dort komplett entrümpelt, die politische Legitimation umstandslos durch Rentabilitätskalkulationen ersetzt, der Durchbrechung formaler Konventionen mit der Durchbrechung regressiver Tabus gekontert, die reflexive Anordnung von Handlungssträngen durch dramaturgische Stromlinienförmigkeit ersetzt. Katharsis on demand: Ein Dogma ersetzte also einfach das andere.

Back to politics

Mit dem Epochenbruch von 1989 kehrte die Politik unversehens zurück. Das Kino hat bislang freilich kaum darauf reagiert, sondern beschränkte sich in der ersten Hälfte der 90er Jahre noch fleißig darauf, durch verspießte Beziehungskomödien die geistig-moralische Wende zu vollenden, die von der Regierung Kohl schon 1982 ausgerufen worden war. Während jedoch die durchschnittliche Filmproduktion sich vergebens darum bemühte, durch die Verschlankung ihrer Dramaturgien, die Konstruktion sogenannter Stars und den Verzicht auf die Beschäftigung mit sozialen Aspekten, halbwegs globalisierungstaugliche Produkte zu entwerfen, wurde sie plötzlich von der Seite der Politik her überholt. Genau dies war nämlich die Strategie, mit der die Sozialdemokratie in Europa ihr Image gründlich reformiert hatte: Und plötzlich sah sich das Kino der unangenehmen Lage ausgesetzt, daß die modernen Heldenfiguren, die es so krampfhaft zu erzeugen versucht hatte, einen vergleichsweise glamourösen Einzug auf der politischen Bühne hielten. Im Gegensatz zur herrschenden Kino-Ideologie, laut derer die Beschäftigung mit politischen Inhalten unbedingt zum Mißerfolg führen müsse, kannte die neue Generation von Politikern wie Clinton, Schröder und Blair umgekehrt keinerlei Berührungsängste, sich dramatisch-medialer Formen zu bedienen, und zwar mitsamt aller Aspekte des klassischen Starwesens. Die kuriose Situation entstand, daß das Liebesleben von Politikern einen größeren medialen Stellenwert erhielt, als die libidinösen Umtriebe einschlägiger LeinwandheldInnen. Die Neue Mitte entwarf sich weiterhin ein mit Versatzstücken aus der Popkultur garniertes neues Outfit, das ebenso neusachlich wie pompös daherkam.

Auch die Strategien der Legitimation kehrten sich geradewegs um: Mußte sich das Kino der 70er Jahre noch durch seine politische Nutzbarkeit rechtfertigen, bezieht sich nun umgekehrt die Politik auf bewegte Bilder von Militäroperationen und (höchst selektiv präsentiertem) menschlichen Leid, um sich der Unterstützung ihrer Strategien zu versichern.

Der Rückzug des Kinos aus der Politik führte also dazu, daß die Politik sich umgekehrt der klassischen Formen des Kinos bemächtigte, um durch die Produktion von Anteilnahme, Spannung und Ergriffenheit für entsprechende Gefolgschaft zu sorgen. So ist gegenwärtig das Kino im Abseits der Geschichte gelandet. Seine selbstherrliche Beschränkung auf das, was es für sein eigenes Territorium hielt, führte dazu, daß es sich vom Puls der Zeit abgekoppelt hat. Selbst dort, wo es ihn wieder eingeholt zu haben meint, wie etwa mit der Comicburleske “Lola rennt”, ist schon ein abgehalfterter CDU-Politiker auf dem Sprung, der deren Wiedererkennungswert mit entsprechenden Wahlplakaten für sich abzuschöpfen trachtet. Und umgekehrt?

Soweit, so schlecht.

Dies ist kein Plädoyer dafür, daß jetzt Landserkomödien über die Besatzung von Tornadojets verfertigt werden. Und auch sensible Psychoromanzen über die Nöte älterer Männer beim Umstieg von der dritten zur vierten Ehefrau sollten tunlichst unterlassen werden. Es kann für das Kino jetzt nicht darum gehen, nur die Oberfläche der neuen politischen Situation nachzubilden. So, wie auch die gegenwärtigen Entscheidungsträger in den Kern des Phänomens der Medialisierung, der Spektralisierung des Gesellschaftlichen eingedrungen sind und deren Funktionsweisen für sich zu nutzen gelernt haben, muß auch der Weg aus dem Dilemma des Kinos notwendig dazu führen, daß Wesen und Form des Politischen wieder in Betracht gezogen werden. Eine Beschränkung auf deren Phänomene allein greift zu kurz und führt dazu, daß das Kino im Range eines bewußtlosen Erfüllungsgehilfen des Politischen verbleibt.

Das serbische Fernsehen wird gegenwärtig bombardiert. Ein bitterer Beleg für das unhinterfragte Primat einer Politik, die mit den Mitteln des audiovisuellen Krieges betrieben wird, einer Politik, die es gelernt hat, sich auf allen Ebenen der Mittel des Kinos zu bedienen. Ein Nachdenken über Kino, eine Produktion von Bildern und Tönen, die deren unentrinnbare und brutale Verstrickung in die Zeitläufte selbstherrlich negiert, koppelt sich notwendig ab von der Welt und versteinert in kindischer Harmlosigkeit. Somit stellt sich das Politische derzeit wieder als Aufgabe und als größte Herausforderung des Kinos.

Hito Steyerl

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