Überspringen zu Hauptinhalt

Interview: Sören Voigt

Franz Müller: Hast du Ambitionen, nach Hollywood zu gehen?

Sören Voigt: Hollywood rocken, das ist natürlich der Traum… Wenn es ein interessantes Projekt gäbe, warum nicht? Aber eben nicht, wenn es heisst, das Publikum geht nur in deinen Film, weil da drei Frauen in Bikinis vom Wolkenkratzer hopsen. So ein Film interessiert mich nur in seiner subversiven Parodie à la Andy Warhol.

Aber das ist eben auch Hollywood: subversive Filme machen. Es finden sich ja erstaunlicherweise dann doch immer wieder Leute, die abseitige Filme produzieren, weil sie den Laden satt haben. Zum Beispiel Schauspieler, die Geld locker haben. Hast du das mal probiert in Deutschland, Schauspieler anzusprechen, was die Finanzierung eines Films angeht?

Ja.

Und hat’s geklappt?

Nein. Wir haben nie gedreht. Ich habe zwar das Geld bekommen, und es wurde auch alles ausgegeben. Aber zum Dreh kam es nicht, weil der Schauspieler so viel Einfluss genommen hat, dass ich nach einer Probe nicht mehr sagen durfte, wenn mir etwas nicht gefallen hat oder so. Der Schauspieler war also per se gut. Sympathisch, aber unpraktisch.

Der Film ist nie zustande gekommen?

Doch. Das war „Identity Kills”, als der Hauptdarsteller noch ein Mann war.

Wo hast du denn dann für „Identity Kills” das Geld her bekommen?

Ich habe ihn mit meiner Frau zusammen finanziert. Es war ja nicht wie bei einem normalen Film, dass da auf einmal ein Batzen Geld da gewesen wäre, den wir dann innerhalb von drei Monaten hätten durchschleusen können. Wir haben im September 2000 den ersten Versuch gemacht, 2001 gedreht, 2002 nachgedreht, das ging über eine lange Zeit. Und dadurch waren es immer so Stotterbeträge, die genau wie eine Stromrechnung oder Einkaufen anfielen – aber letztlich ist die Arbeitszeit und Mühe von all den Leuten natürlich unbezahlbar.

Das lief alles über Rückstellungsverträge – bezahlt wurde keiner im Vorfeld?

Doch es gibt einen. Der Herr Sanchez, der im Film den Ressortleiter des dominikanischen Hotels spielt, der wollte unbedingt hundert Mark für den Drehtag haben. Aber im Februar, als der Film fertig war, und Berlinale und ganz toll und so, da kam er dann an und wollte eine Kassette. Da hat er dann für das Tape auch hundert Mark bezahlt. (Lachen)

Hast du Förderung beantragt für das Projekt?

Nein. Ich hatte ja kein Drehbuch. Es ist müssig, mit mir darüber zu reden, ob ich nun Förderung beantragen wollte oder nicht. Es gab einfach kein Drehbuch. Es gab kein Selbstvertrauen für dieses Projekt. Es gab einfach nur den Willen, diese Idee zu einem Film werden zu lassen und das haben wir durchgezogen.

Hattest du ein Exposé?

Eine Szenenfolge. Ein rein technisches Arbeitspapier. Da steht dann drin: Bild 1: Autoladen. Sven und Karen kaufen ein Auto. Bild 2 etc. …

Und so bist du auch in den Dreh gegangen?

Ja, so sind wir in den Dreh gegangen, nach einer langen Phase des Kennenlernens. Ich habe Brigitte Hobmeier vier Monate vorher immer wieder mit Filmen zugeschüttet. Die musste alles sehen, was mich interessiert. So konnte ich ihr vermitteln, was für mich wichtig ist.

Was hast du ihr gegeben?

Na, die üblichen Verdächtigen bei mir. Das sind frühe Fassbinder-Filme, Cassavetes-Filme, „Oublie-moi” von…

Noémie Lvovsky.

Ja, dieser Lebenskampf…

Und wie fand Brigitte die Filme?

Na, gewöhnungsbedürftig. Man merkt eben einen Unterschied. Sie sieht normalerweise ganz normale Filme und steht auch auf Madonna und so, zumindest war das so vor meinem Film.

Sind das denn die Filme, über die du auch zum Film gekommen bist: Cassavetes, Fassbinder…?

Ich habe irgendwann mal Wim Wenders für mich entdeckt als Oberstufler, „Der Himmel über Berlin”. Ich habe direkt danach mit meiner Freundin Schluss gemacht. Das war in Hamburg irgendwo, mitten in der Nacht. Ich fand diese kleinbürgerliche Enge plötzlich erdrückend und dachte: „Mann! Berlin ist grossartig, und da laufen so viele tolle Künstler rum.” Auf jeden Fall fühlte ich mich mitten in der Nacht beflügelt und musste mit meiner Freundin Schluss machen, mit der ich damals schon drei Jahre zusammen war und auch wirklich schon auf dem Weg in den Ehehafen. Dann habe ich angefangen, mich mit Shakespeare und solchem Kram zu beschäftigen und mir auch den einen oder anderen Film angesehen.

Gab es produktionell Vorbilder für dich? Also ohne Buch loszuziehen…?

Ich kenne keinen Film, der ohne Buch finanziert wurde. Ausser „Halbe Treppe” vielleicht. Aber da gab es ja die Referenzmittel von Dresens „Polizistin”.

Klaus Lemke arbeitet oft so. Bei „Never Go to Goa” gab es kein Drehbuch zum Beispiel. Der hatte noch nicht mal einen Plot und fliegt mit einem Team aus drei Leuten nach Indien. Der produziert ja auch sehr schnell.

Zwischen Schnellproduzieren und Qualität kann man nicht hin- und herschalten. Abgesehen davon, dass „Identity Kills” nicht besonders schnell produziert wurde. Es kommt darauf an, was du dann in der Zeit veranstaltest. Das Drehbuch ist für den Redakteur und den Geldgeber zumindest die Garantie, dass die Idee schon mal ein bisschen vorverdaut ist.

Ich halte das Drehbuch für eine Erfindung der Filmindustrie, eine Sache, die mal erfunden wurde in den zwanziger Jahren, um einen Film vorzuplanen, das heisst Drehplan usw. Dann ist das chronologische Drehen auch aufgegeben worden. Hast du „Identity Kills” chronologisch gedreht?

Nein, konnte ich nicht.

Ich habe mir bei meinem Film „Science Fiction” eingebildet, dass das chronologische Drehen enorm viel ausmacht, und es war auch für den Dreh sehr angenehm. Ich konnte die Leute ja nicht bezahlen, und so konnte zumindest jeder den Film voll, von vorne bis hinten, mitgehen.

Bei den Drehorten habe ich eigentlich gute Erfahrungen gemacht, nach dem Motto: „Können wir mal bei dir drehen? Wir machen keinen Riesenkinofilm hier mit alles mal absperren, alles wegräumen und neu streichen, sondern kommen mal einen Vormittag vorbei, und deine Kinder dürfen auch mitspielen.” Das war echt super. Die Leute haben es auch mit Humor genommen, waren grosszügig, haben auch alle verstanden, dass sich das bei unserem Unternehmen um was anderes handelt.

Inwieweit waren diese Leute in die Geschichte eingeweiht? Hast du denen vorher das Drehbuch gegeben, ich meine die Szenenfolge?

Die Laien, die auch nur für eine Szene auftauchten, denen war das ja eh egal…

Die haben einfach reagiert?

Ja. Die haben das gemacht, was sie immer machen.

Wie hast du das gemacht, dass die nicht ganz verunsichert waren durch deine Hauptdarsteller?

Ich glaube, die Hauptdarsteller waren viel verunsicherter als die.

Es kommt ja vor, dass die Mischung aus Laien und Schauspielern für die Schauspieler zum Problem wird, wenn die Laien gut sind.

Ich meine, ein guter Schauspieler ist ja ein guter Laie.

Und deinem Kameramann hast du gesagt, lauf hinterher und sieh zu, dass du das Wesentliche mitkriegst?

Nee, dem hab ich schon gesagt, dass die Kamera, also Handkamera, möglichst unbewegt und konzentriert sein sollte, eine Art Gegenkonzept zu dem, was wir in „Tolle Lage” hatten. Bei dieser Art Film stellt sich ja sowieso immer die Frage, was hat der Kameramann für eine Chance? Dazu kam, dass Markus, der Kameramann, schon mal einen Film mit Brigitte Hobmeier gemacht hat. Sie hat ihm sehr vertraut. Der Kameramann ist ein ganz wesentlicher Punkt bei den Dreharbeiten. Er hat unheimlich viel getragen, auch was eigentlich nicht seine Aufgabe war.

Ist das für dich klar, dass deine Filme in Städten spielen, oder kannst du dir vorstellen, auch mal einen Film auf dem Land zu machen?

Absolut, ja. „Tolle Lage” spielt ja auch auf dem Land. Campingplatz.

Stimmt. Aber Berlin ist für dich in Deutschland…

Berlin ist der springende Punkt, ja.

Zum Filmemachen?

Absolut.

Ich habe ja so das Gefühl, dass man in Köln, wo man so ein unbeschriebenes Blatt ist, diesem Druck nicht so extrem ausgesetzt ist. Man steht da nicht so unter Beobachtung, und das Leben in Köln verläuft insgesamt ein bisschen ruhiger und freundlicher. Ich glaube, das hilft einem so ein bisschen, auch beim Produzieren.

Also diese Freundlichkeit in Köln-Ossendorf im Supermarkt, die finde ich auch echt bedrohlich, muss ich sagen…

Was hat dein Film gekostet? Mit Rückstellungen?

Ich würde mal sagen, er hört nicht auf, Geld zu kosten… Aber so um die 200.000 Euro.

Ich bin bei mir auf 240.000 gekommen. Wenn man diese Filme jetzt zu einem normalen Preis in Deutschland ans Fernsehen verkaufen würde und noch ein paar Auslandsverkäufe hinbekäme, dann hättest du deinen Film refinanziert. Das musst du mit einem grösseren Film erst mal schaffen.

Ja, sie sollten Leute, die unter den widrigsten und härtesten Bedingungen noch Filme machen, wie wir das tun, die sollten sie aufhören zu quälen. Das wär schon mal viel.

Und ich finde als Filmemacher sollte man es sich auch mal leisten können, einen Film komplett in den Sand zu setzen und zwar nicht nur in finanzieller Hinsicht.

Rein marktwirtschaftlich kann man das sicherlich nicht… Aber es geht noch um etwas anderes: Und zwar die Schaffung von neuen Sichtweisen und Herangehensweisen an ein System und die Wertetabelle. Ich habe das Gefühl, dass eine unheimliche Erosion stattfindet und die Leute nicht mehr so genau wissen, was und wofür eigentlich Filmförderung gemacht wird. Wahrscheinlich ist es unsere Aufgabe, die Leute, die die Förderung gemacht haben, davon zu überzeugen, dass sie ausnahmsweise mal was Gutes gemacht haben. Und wahrscheinlich ist es deshalb auch notwendig, dass irgendwelche Heinis wie wir sich hinsetzen und anfangen, ihre Filme wieder auf die eigene Kappe zu machen, weil wir eben in dem System keinen Platz mehr haben oder noch keinen Platz haben. Das sind alles Prozesse, die was mit Kommunikationsverhalten und mit Sozialverhalten überhaupt zu tun haben. Gerade die La-Ola-Akademie ist auch aus diesem Grund für Leute wie uns einfach indiskutabel. Die Abgeschiedenheit, das Einzelkämpfertum und so, das kann ich nicht so negativ sehen, wie es immer gemacht wird. Wenn das alles in so eine Pseudodemokratisierung einer Akademie mündet, wo dann alle Smoking tragen, und sich ganz toll austauschen und leidenschaftlich über die Filme debattieren, muss man das erst mal wollen. Da wird schon wieder so eine Art Zurichtungsstelle geschaffen für nettes Händeschütteln, und eine Hand wäscht die andere, und “Es ist doch alles ein Geben und ein Nehmen”-Kommunikation. Die kultivierte Form der La-Ola-Welle. Das kann ja letztendlich wirklich nicht der Kontext sein, in dem Kultur heutzutage steht und gemacht wird.

Wie siehst du deine Perspektive?

Ich glaube, dass man sich sehr gut auskennen muss mit sich selbst beim Film, so wie wir es machen, wenn wir das ganze Risiko des Films tragen. Für Eichinger ist es lächerlich – Portokasse. Für uns ist es Geld genug, um, sagen wir mal, unsere Familien zu zerrütten. Es ist gut, sich Gedanken über die eigene Situation zu machen und sich Verbündete zu suchen, die in einer ähnlichen Situation sind. Danach muss man dann für das Unternehmen strukturelle Lösungen suchen und die Territorien neu zurückzuerobern. Das gibt’s ja alles schon. Was wir machen, ist ja nichts anderes, als was die Leute, die gegen Opis Kino waren, früher auch gemacht haben. Aber genau die, die das damals für sich beansprucht haben, die ihre Karrieren darauf aufgebaut haben, die ohne Ende Filme aus irgendeinem Kulturgrund gemacht haben, die stehen jetzt da und sagen: „Na ja, hm, das war alles nicht so gut, Entschuldigung, ich hätte halt dreissig Filme weniger machen sollen.” Das ist so unglaublich verlogen, oder? Fünfunddreissig Filme gemacht, um dann zu sagen, die letzten dreissig hätte ich mir doch sparen können. Das stimmt eben nicht, weil man eben ein paar machen muss, um dann vielleicht einen wirklich relevanten zu machen, der dann auch nach Cannes geht und …gewinnt.

Hast du denn Wim Wenders mal kennengelernt, nachdem das dein Start ins Kino war?

Nein. Ich sehe mir den Wenders gerne im Kino an und habe so meine geheimen Altare aufgebaut. Ich habe auch immer so ’n bisschen Angst vor der Verflüchtigung von…

Geheimnis?

Von Geheimnis. Aus der Nähe ist es dann oft banal oder so.

Wenders und Konsorten haben jetzt eine Liste von fünfunddreissig Filmen rausgebracht, die in Schulen auf den Lehrplan kommen soll.

Also Filme zu zeigen und hinterher darüber zu reden, das finde ich ganz schön, aber Film und Kino hat immer das Problem, dass die Leute da so etwas Unantastbares sehen, anstatt es als ein Medium zu betrachten, durch das ein Autor kommuniziert. Ich glaube es ist notwendig, ein gesellschaftliches Bewusstsein dafür zu erhalten, dass es vielfältige Möglichkeiten gibt zu kommunizieren. Ganz besonders in der bildenden Kunst. Film wird immer mehr als ein Produkt gesehen. Es geht kaum mehr um die Inhalte, die vermittelt werden, oder darum, dass etwas angestossen werden kann und Prozesse ihren Ursprung nehmen, die uns selbst und unser Leben verändern. Ich glaube, dieser Kern wird nicht ausgeprägt, sondern eher zerstört, oder er implodiert. Filme sollen nicht mehr wirklich wirken.

Wie siehst du denn überhaupt die Zukunft von Film?

Weiss ich nicht. Das Medium ist heute was ganz anderes, als zu Zeiten von „La dolce vita“. Es ist schon bemerkenswert, dass wir die Lieblingsfilme unserer Eltern auch noch mögen. Unsere Eltern haben damals für oder mit diesen Filmen gelebt.

Das war das grosse Kino damals.

Fassbinder fand man unsympathisch und ein bisschen eklig, aber trotzdem war er als Phänomen da, und seitdem kommt ja auch nicht mehr viel. Die Frage ist halt, ob auch meine Tochter noch „La Strada“ gut findet. Da würde ich meine Zweifel haben.

An der Filmschule war das System Filmkunst ganz stark, und es ging immer unheimlich viel um Gesellschaftliches und so weiter. Aber jetzt muss man feststellen, dass es nur noch um die Kasse geht. Die meisten, die damals ganz besonders auf „Bad Lieutenant“, „Reservoir Dogs“ und „Fargo“ standen, machen heute vollkommen weichgespülte Filme ohne Ecken und Kanten. Ich finde das bedenkenswert. Nicht, weil ich glaube, dass die oben genannten Filme besonders wichtig wären, aber sie sind wenigstens eigenartig.

Ja, aber richtest du dich denn danach?

Ja. Ich suche noch und mache mir darüber Gedanken, wie ich mein Leben auf möglichst interessante Art und Weise mit dem Film verbinde. Wie mache ich aus meinem Leben Film? Wie schaffe ich es, aus dem täglichen Einerlei Geschichten abzuleiten, die erzählenswert sind? Das ist, denke ich mal, ein recht künstlerischer Ansatz. Es gibt Leute, die sich für einen solchen Ansatz schämen und so was auch möglichst vermeiden wollen. Das ist ja überhaupt nicht en vogue bei den Kulturkaufmännern und gilt neuerdings auch als egoistisch oder verklemmt oder therapiebedürftig. Der hat’s nötig, sozusagen. Das wird dazu führen, oder hat schon dazu geführt, dass es eine unheimliche Sinnentleerung und auch grosse Ohnmacht gibt. Der tiefe Hunger nach Sinn breitet sich immer weiter aus und ist nicht mehr zu befriedigen, weil der Bezug des künstlerischen Werkes auf den Körper, auf die Realität, nicht mehr stattfindet.

Du hast vorhin gesagt, dass du das Leben als Regisseur in Deutschland erniedrigend findest. Hast du dir mal überlegt „Ich hab die Schnauze voll, ich gehe woanders hin. Da gefällt’s mir besser.“?

Ja, aber nur verbunden mit einem interessanten Projekt. Ich bin oft im Ausland. Ich meine, ich habe ja in Polen studiert und einen Kurzfilm in New York gedreht, aber Ausland an sich ist für mich nicht die Heilserwartung. Es ist da sicherlich meistens noch beschissener als hier.

Was meiner Meinung nach in Deutschland fehlt, ist, dass man in der Öffentlichkeit über Film redet und auch mal öffentlich Stellung bezieht.

Ja, aber du hast das Problem, wenn du z.B. einen Film nicht magst, der an der Kasse ganz gut läuft, dann wird dir Kritik von der Branche sofort als Beschädigung des Produktes angekreidet. Es ist durch die Subventionierung in Deutschland sowieso schwierig zu polarisieren. Selbst wenn du sagst, ein schlechter Film ist schlecht, oder wenn du überhaupt was bemäkelst, ist immer die Frage, wie viele Leute denken: „Mann, der soll doch das Maul halten. Die kriegen hier ihr Geld, können Filme machen und so, und sollen doch mal ein bisschen besser drauf sein. Jetzt freut euch doch mal, ja?“ Das höre ich echt überall.

Eine Sache, die von Filmemachern in Deutschland vergessen wird, ist, dass man sich ein Publikum auch erarbeiten muss.

Filmemachen ist ja ’ne Lebensweise, zumindest in den Bereichen, wo es für mich interessant ist. Der Normalfall sind Leute, die alle drei Jahre ihr Drehbuch abgeben, was alle ganz toll finden, und dann wird es eben möglichst glatt gemacht. Irgend jemand hat sich letztens Mal darüber gefreut, das es bei „Good Bye Lenin“ keinen Widerspruch bei der Preisverleihung gab. Ich finde das grausig. Widerspruch ist doch das, was lebendig macht, wo Diskussion entsteht. Wenn wir natürlich so weit sind, dass der Widerspruch alles lähmt, dann stimmt etwas nicht. Da hilft dann wieder nur massiver Widerspruch.

Würdest du dir denn eher eine zentralistische Filmförderung wünschen?

Bin ich mir manchmal überhaupt nicht sicher. Zentralistisch kann dann ja auch heissen, dass dann nur noch Megafilme gemacht werden mit ausgewählten Persönlichkeiten, die dann auch aussehen müssen wie ein Supermodel und so, wo dann wieder viele Sachen mit reinspielen, die mit meinem Ansatz nichts zu tun haben. Insofern ist mir das alles nicht so richtig klar. Aber die Bestrebungen gehen dahin, gerade auch in der EU.

Ich persönlich fände es erstrebenswert, weil es einfacher wird und die Chancen steigen, mit einer Förderung dann auch seinen Film machen zu können. Es klang vielleicht vorhin so, als sei ich ein grundsätzlicher Gegner von Förderung, aber mir ist das einfach nur zu kompliziert.

Noch unangenehmer als für den Regisseur ist es in Deutschland im Moment für den Produzenten – ich meine, ich bin Produzent, aber ich habe ohne Förderung gearbeitet – aber es ist meiner Meinung nach nicht die Aufgabe der Produktion, Anträge auf Anträge zu stellen und zu warten.

Nein. Das ist die Degeneration eines Produzenten und die Bürokratisierung eines künstlerischen Berufes. Dieses ständige Bettelngehen hat was von Kastration. Ich bin da vielleicht auch noch ein bisschen altmodisch, aber ich finde dieses ewige Warten, bevor man tätig werden kann, erniedrigend. Die Debatte über die La-Ola-Akademie wird auch die Förderung in ihrer Gesamtheit wieder ins Gespräch bringen, und das ist gefährlich, weil man damit schlafende Hunde weckt.

Die Alternative ist noch viel deprimierender, dann passiert nämlich gar nichts.

Stimmt.

Was gibt’s denn für deutsche Filme der letzten Jahre, die du magst, bzw. was für Regisseure?

Also ich fand den Film „L’amour” von Philip Gröning grossartig. Ich fand „Wolfsburg” von Christian Petzold, „Bungalow“ von Ulrich Köhler und „Sylvester Countdown” von Oskar Röhler gut, und „Absolute Giganten” von Sebastian Schipper fand ich okay.

Ich finde ja sehr wichtig, dass es Filme im eigenen Land gibt, die ich mag.

Ja. Richtig begeistert hat mich von all diesen Filmen auch nur „L’amour”. Den hab ich letztens wieder gesehen und fand es so unglaublich grossartig, wie dieser Film mit Zeit umgeht und was er sich für einen Raum nimmt. Da stellt sich auf einmal dieses Gefühl von Kino ein, das sich eben nicht an mein Gross- oder Kleinhirn wendet, sondern an mich als Menschen oder als Seele, wo Zeit dann auf einmal keine Rolle mehr zu spielen scheint und jede Welle, die vom Meer kommt, vom Ton oder vom Bild, oder jeder Blick auf einmal einfach toll ist, Gott ist und alles. Dann fühle ich mich auch als Zuschauer ernstgenommen. Dann fühle ich mich glücklich. Eine Katharsis des Sehens schon an sich, Zuschauer überhaupt sein zu dürfen.

Du hast vorhin gesagt, Hollywood zu rocken, wäre durchaus ein Ziel von dir. Kannst du dir einen richtig grossen Film vorstellen, den du unter den Bedingungen machst, die du deinem Film abverlangst? Ein Film, der hier in unserer Zeit verankert ist, der heute knallt. Geht so was deiner Meinung nach?

Absolut.

Gibt es einen Film aus den letzten Jahren, von dem du sagen würdest, das ist so ein Ding?

Nein, fällt mir jetzt keiner ein.

Ich wüsste keinen…

Das Gespräch führte Franz Müller am 22.7.03 in Berlin. Bearbeitung: Franz Müller, Sören Voigt, Benjamin Heisenberg.

zurück