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Interview: Vibeke Windeløw

Revolver: Wie kam es, daß du Produzentin wurdest?

Windeløw: Begonnen habe ich als Freundin eines Regisseurs. Und ich wollte nicht immer nur die Freundin sein, die zusieht und nichts macht. Aber ich war gerne dabei, also wurde ich Continuity-girl und suchte Komparsen. Nachdem ich 600 Komparsen unbezahlt ausfindig gemacht hatte, bekam ich ein Angebot als Produktionsassistentin. Ein Jahr später, mit 24, wurde ich dann Produktionsleiterin.

Wie ging es dann weiter?

Damals waren die Unterschiede zwischen einem Produktionsleiter und einem Produzenten fließend. Der Produzent kümmerte sich darum, Geld zu organisieren. Aber manchmal entschieden der Regisseur und ich, welchen Produzenten wir wollten. Ich glaube, die Idee vom Produzenten gibt es erst, seit die Filmschulen Produzenten “produzieren”. Ich war ganz offensichtlich Produzent, auch wenn ich mich nicht so nannte. Ich habe mich ‚production-manager‘ genannt, weil ich nicht angeben wollte. Außerdem sah ich mich eher als Medium, das dem Regisseur bei der Verwirklichung seiner Ideen hilft. Ich habe das nie so gesehen, daß ich jetzt diesen Film machen oder dieses Bild haben wollte. Vielmehr habe ich geholfen, Projekte zu verwirklichen, von denen ich dachte, daß sie Sinn machen – wobei ich auch viele Projekte gemacht habe, die ich für unsinnig hielt. Am Anfang gab es in Dänemark vier Geldquellen: das Filminstitut, Kredit von Kopierwerk oder Verleih und das eigene Gehalt. Eine sehr einfache Struktur – besondere Verhandlungsfähigkeiten für große Verträge waren nicht nötig. Der erste Film, an dem weitere Partner beteiligt waren, war ‚Gabriel‘, der in ganz Europa gedreht wurde. Diese Erfahrung war sehr wichtig, um Kontakte zu knüpfen und Geld aufzutreiben. Aber seither hat sich viel getan. Als wir zum ersten Mal in Cannes waren, standen wir im Schatten des Filminstituts. Wir fühlten uns unsichtbar ohne eigene Kontakte. Jetzt haben wir die Kontakte und brauchen den Schutz staatlicher Institutionen nicht mehr. Inzwischen haben wir wirklich ein gut funktionierendes Network.

Was für eine Firma ist Zentropa?

Zentropa sind viele Firmen. Im wesentlichen gehören sie Lars von Trier und Peter Albæck Jensen. Wir haben eine Tochterfirma in Frankreich, Liberator Productions, und in Nordrhein-Westfalen, Pain Unlimited. Es gibt auch noch andere Aktivitäten, aber hauptsächlich produzieren wir Filme – sehr unterschiedliche Filme. Zum einen solche mit sehr kleinem Budget, zum anderen die Filme von Lars (von Trier), für die ich verantwortlich bin. Ich arbeite hauptsächlich mit ihm. Seit kurzem ist ‚Idiots‘ abgedreht, mit 2 Millionen Dollar Produktionsvolumen ein ausgesprochen billiger Film für Lars. Und jetzt haben wir mit der Preproduction für ein Musical begonnen. Der Arbeitstitel ist ‚Taps‘, aber der wird sich noch ändern. Der Film wird 10-15 Millionen Dollar kosten.

Hat der Film mit Steptanz zu tun?

Ja. Der Grund, warum wir den Film nicht so nennen werden, ist, daß es noch unklar ist, wieviel in dem Film letztlich gesteppt werden wird – und dann gibt es schon zwei Filme dieses Namens. Einer heißt ‚Tap‘ und der andere ‚Taps‘, beides amerikanische Filme. Das könnte Schwierigkeiten machen.

Stimmt es, daß der Film in den USA spielt, aber in Schweden gedreht werden soll?

Ja. Wir haben aber noch nicht endgültig entschieden, wo der Film gedreht werden wird. Einer der Gründe, eine Firma in Nordrhein-Westfalen zu gründen, war die Hoffnung, dort passende Landschaften zu finden. Der Film spielt 1956 in Washington State, also an der amerikanischen Westküste. Es ist eine sehr sentimentale Geschichte, Teil der Golden Heart-Trilogie.

Danach wird Lars wahrscheinlich Actionfilme machen oder irgend etwas Schreckliches, wovon ich nichts weiß.(Lacht) An einem Punkt stand Lars vor der Wahl, ein Musical oder einen Actionfilm zu machen. Ich bin über seine Entscheidung sehr glücklich, denn ich sehe mich doch eher als Produzentin eines Musicals als eines Actionfilms.

Werdet ihr für ‚Taps’ mit europäischen Schauspielern arbeiten?

Bei ‚Idiots‘ haben nur dänische Schauspieler mitgewirkt. ‚Taps‘ wird eine Mischung werden. Einige Rollen dürfen einen Akzent haben, weil das in der Natur der Geschichte liegt. Sie sind Emigranten. Aber die Anderen müssen amerikanisch sprechen. In ‚Breaking the Waves‘ spielten wir mit dem Gedanken, schwedische Schauspieler zu verwenden, aber letztlich haben wir nur schottische und englische Schauspieler verpflichtet. Ich denke, das war wichtig, um nicht die Intensität zu verlieren. Ich bin sehr zufrieden mit der Besetzung. Nur wenn ein Akzent Sinn machte, haben wir nichtenglische bzw. nichtschottische Schauspieler eingesetzt. Ich hasse es, wenn das nicht glaubwürdig ist. Natürlich hoffe ich, für kleinere Rollen Amerikaner in Europa zu finden – damit nicht soviel Geld für die Flugkosten ausgegeben werden muß.

Vielleicht können wir zeitlich noch einmal etwas zurückgehen. Deine erste Zusammenarbeit mit Lars war ‚The  Kingdom‘?

Nein, das stimmt nicht. Ich arbeitete gerade mit Susanne Bier, als er den ersten Teil von ‚The  Kingdom‘ drehte. Unsere Zusammenarbeit begann mit ‚Breaking the Waves‘. Zentropa wurde gegründet, um ‚Breaking the Waves‘ zu produzieren. Das hatte die erste Priorität. Peter (Albæck Jensen) war damit beschäftigt, die Firma aufzubauen und zu strukturieren. Es war sehr schwierig. Lars hatte ‚Europa‘ gemacht – und plötzlich wollte er etwas mit Emotion machen. Ich glaube, es wäre einfach gewesen, Geldgeber für den Film zu finden, wenn er so ausgesehen hätte, wie der vorangegangene – aber die Leute hatten Schwierigkeiten, sich Lars als einen Regisseur der großen Gefühle vorzustellen. Zu dieser Zeit bin ich dazugestoßen und habe mich vollkommen auf ‚Breaking the Waves‘ konzentriert. Ich glaube, das war sehr wichtig. Saul Zaentz (der Produzent von ‚Amadeus‘, ‚The English Patient‘ u.v.m.) hat das ähnlich formuliert: Wenn man ein Projekt hat, braucht man jemanden, der sich einhundert Prozent darum kümmert und nichts anderes macht. Ich glaube, das trifft auch auf ‚Breaking the Waves‘ zu. Erst die Tatsache, daß ich all meine Energie da reingesteckt habe, hat das Projekt zum Laufen gebracht.

Gleichzeitig war der Erfolg von ‚The Kingdom‘ eine enorme Hilfe. Plötzlich sahen die Leute, daß Lars auch witzig sein und Schauspieler führen konnte. Und dann habe ich mit ‚Kingdom II‘ weiter gemacht – bei dem ersten Teil war ich also nicht dabei.

Wie darf man sich deine Arbeitsbeziehung mit Lars von Trier vorstellen?

Lars ist sehr unabhängig. Ich meine, als er ‚Idiots‘ geschrieben hat, da hat er sich vier Tage hingesetzt und geschrieben. Ich finde nicht, daß man sich bei ihm viel einmischen kann. Wenn ich den fertigen Film sehe, und da ist etwas, was mir sehr mißfällt, gehe ich hin und sage: das gefällt mir nicht. Aber während des Drehs ist es sehr schwierig, ans Set zu kommen und eine Meinung zu haben. Als ich die fertigen Ergebnisse von ‚Breaking the Waves‘ sah – irgendwie war der Film vom ersten Drehtag an in Lars` Kopf – gab es Dinge und Szenen, die zu anderen Szenen führten, alles paßte zusammen. Wenn man nur das wahrgenommen hätte, was ich gesehen habe, was alle anderen gesehen haben, hätte man nicht sagen können, warum es notwendig war, gerade diese Dinge so zu behandeln, wie sie behandelt wurden. Und ich weiß nicht, ob man Lars hätte fragen können. Ich bin nicht sicher, ob er hätte sagen können, warum es wichtig ist, es so zu machen, und nicht anders.

Also war der fertige Film eine Überraschung für dich?

Ja. Es gibt Dinge im fertigen Film, die man im Drehbuch oder auch in den Mustern nicht erkennen konnte. Obwohl die Muster phantastisch waren, weil wir jede Szene in einem Take gedreht haben, nicht in kleinen Stücken. Trotzdem gab es Verbindungen, die nicht offensichtlich waren. Man sollte bedenken, daß man natürlich eine Meinung darüber haben kann, wie eine Bewegung aussieht oder die Kostüme, das Set und anderes mehr. Bei jüngeren Regisseuren hätte ich wahrscheinlich eine Meinung, aber Lars hat bewiesen, daß er wirklich weiß, was er tut – und ich will nicht so tun, als wüßte ich es besser.

Wir hatten drei verschiedene Casting-Agenten, mit den ersten beiden klappte es nicht. Ich bin diejenige, die entscheidet, daß es nicht funktioniert. Ich bin diejenige, die diese Leute feuert, einen neuen Agenten mit der notwendigen Sensibilität findet – das ist mein Beitrag bei der Auswahl der Schauspieler. Aber ich entscheide nicht, wer besetzt wird. Ich mache Vorschläge. Ich habe auch Verträge gekündigt, wenn ich das Gefühl hatte, daß Lars sie nur aus Höflichkeit abgeschlossen hatte, weil er nicht nein sagen konnte.

Das klingt nach echter Harmonie zwischen euch.

Ja, es funktioniert gut. Aber ich weiß auch, daß er mich die nächsten drei Tage oder die nächste Woche mit meinen Fehlern verfolgen wird, wenn ich ihn einmal kritisiere. Es ist also nicht ganz einfach, ihm etwas zu sagen.

War es schwierig, im Budget zu bleiben?

Nein, das war kein Problem. Es war schwierig, das Budget aufzutreiben, aber nicht, im Budget zu bleiben. Lars ist ein sehr kontrollierter Typ. Ich meine, er kämpft für bestimmte Dinge. Normalerweise komme ich zu ihm, wenn es ein Problem gibt. Zum Beispiel hatten wir in Schottland ein Produktionsteam, das behauptete, sie hätten ein System, alle Autos für eine bestimmte Szene zu entfernen – ich hatte Zweifel. Ich sagte, seid ihr sicher, daß da keine Autos sein werden, wenn wir drehen? Und sie sagten ja, so machen wir es immer. Natürlich war der Drehort dann voller Autos am betreffenden Tag, obwohl unser Film ja neunzehnhundertsonstwas spielt. Wir hatten also nicht die richtige Stimmung. Ich bin es dann, die zu Lars gehen muß und sagt: Es tut mir leid. Und dann sagt er, na ja, wir stellen diesen Bus davor, so daß wir das nicht sehen können … natürlich beschwert er sich, daß er so nur die Hälfte von dem bekommt, was er wollte, aber er macht es. Er würde nicht sagen, daß wir nicht drehen können. Manchmal muß man Grenzen setzen und ihm klar machen, daß er es nicht so machen kann, wie er wollte, weil es zu teuer oder aus anderen Gründen unmöglich ist – aber er wird nie wirklich ärgerlich. Er sagt nur: O.K., was können wir tun – und formt das Ganze um – und manchmal ist eine solche Einschränkung dann im Nachhinein sogar willkommen. Ich denke, das kommt daher, weil er wirklich genau weiß, was er will und deshalb flexibel sein kann. Man kann also sehr gut mit ihm arbeiten.

Es hat fünf Jahre gedauert, ‚Breaking the Waves‘ zu finanzieren.

Als ich dazu kam, hat es nicht mehr ganz so lange gedauert. Es gab aber auch eine ganze Menge privater Dinge, die das Projekt verzögert haben. Es war hart. Am Anfang sah ich mich nicht als diejenige, die die Finanzierung auf die Beine stellt, weil ich so wenig Erfahrung damit hatte. Doch dann kümmerte sich niemand wirklich darum. Und die Verträge, die ich für meinen Mann (der dänische Künstler Per Kerkeby) gemacht hatte, waren letztlich nichts anderes gewesen. Also ging ich zu den Leuten und erzählte ihnen, Lars wäre ein Genie und sie sollten auf jeden Fall Geld in das Projekt stecken – und das funktionierte.

Für einen Sender ist es vermutlich sehr hart, ein Konzept wie ‚The  Kingdom‘ zu akzeptieren. Wie hast du argumentiert?

Ich glaube, sie haben Lars diese Freiheit gegeben. Das dänische Fernsehen war ziemlich großzügig – Ich glaube, sie haben akzeptiert, was sie bekommen sollten, aber sie hatten auch Angst. Ich glaube nicht, daß sie dachten, daß es so gut werden würde, wie es am Schluß dann war. Niemand von uns hätte gedacht, daß es sich in die ganze Welt verkaufen würde. Ich meine, das war Zufall, weil das Filmfestival Venedig den Film einlud, und er deshalb aufgeblasen werden mußte. Er wurde auf die trashigste Art und Weise aufgeblasen und dort gezeigt. Dann lief er in Berlin, und plötzlich gab es ein internationales Interesse. Obwohl der Film so trashig und kompliziert ist, stieß er auf so viel Resonanz.

Es ist schwer vorstellbar, daß Filme wie ‚The  Kingdom‘ oder ‚Breaking the Waves‘ in Deutschland oder anderswo gesendet werden.

Aber vor allem in Deutschland. Ich habe aus Deutschland Reaktionen bekommen – ich glaube, es war ein Verleih, der die Kopie geprüft hatte und uns ein Fax sandte, wonach es ein Vermögen kosten würde, den ganzen Ton des Filmes zu erneuern, weil wir so ein schreckliches Material geliefert hätten. Es gab einen langen Bericht darüber, in dem festgestellt wurde, daß der ganze Dialog in Mono, die Musik jedoch in Stereo, und nur die Glocken in Dolby Surround waren. Und jetzt müßten wir den ganzen Film in Stereo umwandeln. Und ich dachte mir, wie dumm kann man sein, wenn man sogar ein System erkennt, und nicht begreift, daß das Absicht ist. Ich habe dann einen ziemlich sarkastischen Brief geschrieben, daß sie es wirklich kapiert hätten, weil wir genau das gemacht haben: Mono, Stereo, und die Sache mit dem Ende.

Interessierst du dich überhaupt für kommerziellen Erfolg?

(seufzt) Ich interessiere mich definitiv für kommerzielle Aspekte, weil ich denke, daß das nicht nur eine Frage des Geldes, sondern auch eine Frage des Publikums ist. Natürlich weiß ich, daß es Filme gibt, die kein großes Potential haben und trotzdem sehr interessant sind. Aber für mich ist der Hintergrund von Bedeutung. In Dänemark haben Regisseure nämlich viele Jahre lang gemacht, was sie wollten, das wichtigste war die künstlerische Freiheit und niemand durfte sich einmischen. Aus dieser Haltung heraus entstanden oft sehr langweilige, absolut uninteressante Filme, die sich an niemanden wendeten. Ich meine, die hatten keine Ahnung, für wen diese Filme eigentlich waren. Und in diesem Sinne bin ich an kommerziellen Aspekten interessiert. Und ich glaube, Lars ist es auch. Ich glaube, er möchte auch ein großes Publikum erreichen. Aber er macht seine Filme so lang wie er will. Er würde einen Film niemals aus rein kommerziellen Gesichtspunkten heraus kürzen – Auf der anderen Seite hat es ihn fast umgebracht, als ‚Breaking the Waves‘ in New York nicht so gut lief. Ich hab ihn angerufen, und er fragte mich, wie es in Amerika läuft, und ich sagte, nicht sehr gut, ein ziemlich großes Problem wäre die Länge des Films. Und er sagte, warum haben wir keine halbe Stunde herausgeschnitten. Und ich dachte, ja, warum nicht. Wir haben keine halbe Stunde herausgeschnitten, weil du dachtest, daß der Film genau die Länge hätte, die du haben wolltest (Lacht). Aber man konnte nicht einfach eine halbe Stunde herausschneiden. Ich glaube, wenn einer von uns genau gewußt hätte, wo man die halbe Stunde hätte herauskürzen können, hätten wir es getan.

Er ist ungeheuer dicht.

Er ist gut, wie er ist. Ich glaube, Lars hat sich wirklich Mühe gegeben, etwas zu kürzen, aber immer wenn er so etwas gemacht hatte, fiel der Film auseinander, so daß wir bei der jetzigen Länge blieben. An einem Punkt haben wir die Herstellung einer kürzeren ‚Produzentenversion‘ diskutiert, aber das wäre zu teuer gewesen – wenn es billiger zu machen gewesen wäre, hätten wir das vielleicht erwogen.

Wenn du deine Erfahrungen von ‚Idiots‘ mit denen von ‚Breaking the Waves‘ vergleichst – was war interessanter?

Ich denke, es ist viel herausfordernder, einen großen Film zu machen. Der Weg, den wir mit ‚Idiots‘ eingeschlagen haben – Lars an der Kamera, mit einem Haufen dänischer Schauspieler in einem Haus – das war in keiner Hinsicht schwierig. ‚Idiots‘ war ein sehr leichter Film. Ich hatte einmal einen Job, da war ich Produktionsleiterin, Assistentin, Taxifahrer und Koch gleichzeitig, eine ziemlich große Produktion – und dann bin ich zu einer großen Firma gegangen, um als Locationmanagerin für eine sehr populäre dänische Fernsehshow namens ‚Matador‘ zu arbeiten. Das war schrecklich, denn als ich tausend Entscheidungen pro Tag zu treffen hatte, habe ich zehn Fehler gemacht, und dann waren es nur noch fünfzig – und ich habe immer noch zehn Fehler gemacht. Ich mag es eigentlich sehr gerne, wenn es hart und schwierig und groß ist…

Also wird ‚Taps‘ groß werden?

Oh ja. Hoffentlich wird es das. Vielleicht bereue ich noch, was ich hier sage.

Hat die Finanzierung bereits begonnen?

Ja, zuallererst habe ich eine Million für die Preproduction aufgetrieben. Es gibt noch keine Verträge, aber ich denke, wir werden auf mindestens zehn Millionen Dollar kommen.

Ist es jetzt einfacher geworden, Geld aufzutreiben?

Viel einfacher, vor allem wegen Lars. Eigentlich nur wegen ihm, obwohl wir jetzt so viel mehr wissen. Ich meine, bei ‚Breaking the Waves‘ habe ich die Leute bei Arte zum ersten Mal gesehen, und eine Menge anderer getroffen. Inzwischen sind wir einem Netzwerk viel näher gekommen, wir kennen die Leute, wissen, wen wir mögen und wer uns mag – wir haben ziemlich klare Beziehungen. Die wissen, wir liefern – und die meisten unserer Partner haben mit ‚Breaking the Waves‘ Geld verdient. Es ist also definitiv einfacher geworden.

Und was macht ihr, um ein Projekt vorzustellen?

Ich rede.

Ausschließlich?

Ich rede. Peter und ich haben ‚Idiots‘ letztes Jahr in Cannes verkauft, und wir hatten so ein lächerliches Blatt Papier, das besagte, daß es um einen Haufen Idioten gehe. Das war eine unglaublich dumme Synopsis, aber Peter ist ein sehr guter Lügner. Ich glaube, wir hätten ein großes Problem, wenn er aufhört zu lügen, weil dann immer noch jeder denken wird, daß er lügt. Er ist also sehr gut darin, Geschichten zu erfinden, und niemand glaubt, was er sagt, und ich versuche dann, sehr geradeaus und ehrlich zugleich zu sein. Und das ist unser Weg, so machen wir es.

Siehst du in Video eine Alternative zu Film?

Ja. Die letzten Resultate, die wir haben, zeigen, daß Video sehr gut aussehen kann, wenn man es aufbläst, durch den Transfer. Lars ist da jetzt wirklich dran.

Also wird der nächste Film definitiv auf Video gedreht?

Möglicherweise ja. Ich meine, dieser wurde auf DV gedreht, mit einer 10.000 Kronen-Kamera – vielleicht solltet ihr das besser nicht schreiben, um den deutschen Verleih nicht zu verschrecken – aber ich denke, daß wir für größere Projekte viel bessere Videokameras verwenden werden. Einige dieser Tests, die wir mit einer guten Videokamera gemacht und dann auf Scope aufgeblasen haben, sahen wirklich erstaunlich aus.

Bedeutet die Entscheidung für Video auch, kein Licht zu setzen?

Nein, nein. Für ‚Taps‘ würden wir Licht setzen. Ich meine, Lars möchte, daß ‚Taps‘ phantastisch aussieht. Es wird voraussichtlich keine Handkamera geben. Ich glaube, die Idee ist, ihn gewissermaßen konventionell zu machen, aber ich weiß es nicht. Wir wissen das in diesem Stadium nie. Wir haben die Möglichkeit diskutiert, auf Video zu drehen, aber gegenwärtig gehen wir von 35 mm aus. Und nur, wenn es wirklich paßt, wenn es wirklich gut aussieht, werden wir es auf Video machen.

Variety hat geschrieben “Zentropa goes Porno”.

Oh, das – das stimmt mehr oder weniger. Es hat angefangen mit einer guten Frau, die bei uns arbeitet, Lene Borglum, die schon seit langem eine eigene Firma gründen will … Ihr solltet sie selbst fragen. Ich habe sie nie darüber reden hören, aber ich glaube, es stimmt, wenn sie sagt, daß Pornographie schrecklich, unerträglich ist, und daß sie das besser machen kann. Ich glaube Zentropa ist mit fünfzig Prozent dabei. Es stimmt also beinahe.

Aber Lars von Trier bereitet keinen Porno vor?*

Nein, das hat absolut nichts mit Lars zu tun.

Habt ihr ein gutes Verhältnis zum britischen Kino – es gibt ja eine gewisse thematische Nähe …

Das Problem mit der britischen Insel ist, daß sie so isoliert ist. ‚Breaking the Waves‘ und ‚Secrets and Lies‘ haben zusammen Preise bekommen, wir waren auf den selben Feierlichkeiten in Amerika – und so haben wir mit Mike Leigh viel Zeit verbracht, aber das ist auch alles. Großbritannien war das letzte Territorium, in dem ‚Breaking the Waves‘ verkauft wurde. Das scheint eine sehr geschlossene Gesellschaft, Filmwelt zu sein – es gibt überhaupt keine Zusammenarbeit.

Ich erinnere mich, daß du und Peter in Cannes 96 darüber geklagt habt, daß die Engländer kein Geld in ‚Breaking the Waves‘ stecken wollten.

Ich saß im November in Melborne in einem Podiumsgespräch neben David Awkin von Channel 4 – und er erzählte mir, daß Channel 4 wirklich frühzeitig in Projekte involviert werden möchte. Ich sagte, sie kennen ‚Breaking the Waves‘, wir haben lange versucht, sie früh in das Projekt einzubinden. Erst wollten sie die Besetzung wissen, dann dies, dann das – alles mögliche. Und er sagte: wenn wir sagen, wir wollen die Besetzung wissen, gefällt uns das Projekt in aller Regel nicht. Wenn wir sagen, wir brauchen Stars, bedeutet das, daß wir es gar nicht mögen. Ich bin so wütend geworden – braucht man denn ein Wörterbuch, um mit den Engländern zu reden? Wovon reden die eigentlich, verdammt! Wenn ihnen das Projekt nicht gefällt, sollen sie es sagen. Aber uns ein Jahr lang hinzuhalten und so zu tun, als ob! Dieses Mal werden wir vermutlich die Amerikaner an Bord haben, für ‚Taps‘ habe ich eine Vereinbarung mit Goodmachine (Ang Lee’s Produktion) in New York getroffen. Nach dem Start von ‚Breaking‘ war ich in Hollywood und hatte das Gefühl, daß es ungeheuer schwierig ist, von Dänemark aus den Überblick zu behalten über all die Gerüchte und Intrigen, wer gerade Macht hat und wer nicht mehr. Ich habe überlegt, ob wir einen Agenten engagieren sollten, aber ich hatte das Gefühl, daß die Agenten Lars nicht wirklich verstehen. Wir hatten jemanden – das war nicht wirklich Lars’ Agent – der uns geholfen hat und für uns arbeiten wollte. Er hat mich zu verschiedenen Studios begleitet und als er mich vom Flughafen abgeholt hatte, sagte er: Zwei Dinge: Sage nicht, daß Lars seine Bücher selbst schreiben will – und sage nicht, daß er den final cut haben will. Und ich habe gesagt: Das kann ich unmöglich sagen. Ich kann unmöglich auf zwölf Meetings gehen und so tun, als wollte Lars seine Sachen nicht selbst schreiben, als suchten wir Stoffe – und ich werde nicht sagen, daß er den final cut nicht will, weil er ihn natürlich haben will. Das einzige, was mich interessiert, ist, ob auch dann Interesse besteht,  wenn bekannt ist, daß er den final cut haben will. Sonst verschwende ich meine Zeit. Ich bin also in all diese Meetings gegangen und habe gesagt, daß er den final cut haben will, daß er seine Sachen selbst schreiben möchte und daß wir nicht nach Stoffen suchen.

Warum dreht ihr ‚Taps‘ nicht in den USA?

Weil Lars nicht reisen kann. Das ist ein gewichtiger Grund – und ich bin froh darüber, weil er sonst längst in Hollywood wäre.

In welcher Weise sollte sich ein Produzent mit seiner Geschichte identifizieren?

Niemand von uns weiß, was sich verkauft und was nicht. Sogar die kommerziellsten Projekte floppen. Man sollte deshalb versuchen, Filme zu machen, an die man wirklich glaubt – daher meine Bedenken gegenüber “Action” – ich bin in dieser Hinsicht ein bißchen naiv, ich kann nur meinen Gefühlen folgen. Wenn mich etwas bewegt, ist es richtig. Ich will etwas fühlen. Ich bin kein Drehbuchautor, aber ein guter Ratgeber. Ich kann sagen, wenn du dieses Element dorthin schiebst, funktioniert es viel besser. Oder ich sage, es berührt mich nicht, es läßt mich kalt. Und wenn mein Gefühl stark genug ist, dann kämpfe ich dafür. Aber ich muß an die Geschichten glauben. Manchmal ist es die Kombination aus Story und Regisseur, aber das ist sehr gefährlich. Man macht leicht den Fehler, in einer Szene mehr zu sehen, weil man denkt, der Regisseur kann das noch herumreißen. Mir ging es kürzlich so bei einem norwegischem Film. Das war ein Autor, von dem man dachte, er hätte wirklich bewiesen, daß er Dinge verwandeln kann. Aber das ändert nichts an der Tatsache, daß eine gute Geschichte eine gute Geschichte ist. Natürlich gibt es Filme, die … schön sind, ohne wirklich eine Geschichte zu haben – aber solche Filme interessieren mich nicht. Wenn Lars einen solchen Film machen wollte, würde ich aber wahrscheinlich trotzdem mitmachen, weil ich mit ihm arbeiten will. Allgemein sollte man sich aber um wirklich gute Drehbücher bemühen. Die Filme von Paul Morrissey (Regisseur der Warhol-filme ‚Flesh‘, ‚Trash‘, ‚Dracula‘, ‚Frankenstein‘ u.a.) andererseits sind so … absurd. Ich bin nicht sicher, ob ich nach der Lektüre seines ‚Dracula‘-scripts gesagt hätte: das ist das tollste Drehbuch, das ich je gelesen habe. Es gibt also kein Rezept. Aber um Erfolg zu haben, braucht man ein Buch, das funktioniert. In Dänemark haben wir das Problem, das wir es uns nicht leisten können, ein (entwickeltes) Projekt fallen zu lassen. Das ist ein großes Problem. Wenn man erst mal in ein Projekt investiert hat, möchte man damit Erfolg haben, auch wenn man nicht mehr das Gefühl hat, daß das Buch jemals gut genug sein wird. Das ist tückisch, irgendwie will man das erkämpfte Entwicklungsgeld auch verlieren dürfen. Gleichzeitig weiß ich, daß es zu viele Leute im Geschäft gibt, die so eine niedrige Moral haben und ohne wirkliches Ziel vor Augen von Entwicklungsgeldern leben und nirgendwo ankommen.

Du hast in Köln eine Firma gegründet, die den schönen Namen ‚Pain Unlimited‘ trägt. Ist das eine selbständige Tochter oder eine Dependence von Zentropa?

Beide Firmen – also auch die französische Tochter (Liberator Films) wollen Filme vor Ort machen. Möglicherweise wird das erste Projekt, mit dem wir in Deutschland durchkommen, Morrisseys Film sein. Außer Morrissey und einer weiteren Person wird das eine deutsche Crew sein, und (der Film) spielt auch in Köln. Morrissey ist zwar Amerikaner, aber es ist eine deutsche Geschichte. Das Problem in Frankreich ist, daß wir dort so stark mit der Organisation von Co-Produktionen beschäftigt waren, daß kaum Zeit blieb, um Projekte zu entwickeln. Ich würde aber definitiv gerne französische Filme dort machen.

Ihr seid offen für alles?

Ja, alles. Es könnte wirklich alles mögliche sein. Ich glaube, die Form als solche ist unwichtig.

Eine solche Unbefangenheit gegenüber Stilfragen ist neu.

Ja, aber ich glaube, es ist auch eine Frage der Technologie, die uns daserst seit kurzem ermöglicht. Der Transfer von Video auf Film war vor drei Jahren bei ‚The Kingdom‘ noch so schlecht, es war beinahe unerträglich anzuschauen. Und nur weil es so interessant war, haben es sich die Leute angesehen. Aber das alles verändert sich so schnell, Videokameras sind besser und interessanter geworden, Blow-ups sind viel besser … Ich glaube also, daß es die Technologie ist, die den Leuten die Freiheit gibt. Ich glaube, daß wir (bald) in der Lage sein werden, wunderbare Sachen mit Video zu machen, die sich mit 35 vergleichen können. Die Leute müssen aber zu dem Punkt kommen, wo sie akzeptieren, daß es da etwas gibt, das nicht perfekt ist, aber mehr enthält, als nur die formale Seite. Ich finde es sehr lustig, wenn man auf Lars’ Filme schaut: niemand hat sich mehr für technische Perfektion interessiert als er in ‚Europa‘, und dann gibt es jetzt diese andere Seite mit der Konzentration auf die Menschen und nicht auf die Technik.

Hast du Lieblingsfilme, die dich zu deinem Beruf inspirierten?

Ich bin wirklich von der anderen Seite dazu gekommen (lacht) es wäre prätentiös, etwas anderes zu behaupten. Ich glaube, wenn man mich nach meinem Lieblingsfilm fragen würde, würde ich sagen – ich kann mich an den Titel nicht erinnern –  er ist von Tarkowski, mit diesem Mönch …

‚Andrej Rubljov‘ – über diesen Maler, der durch Rußland reist … und mit dieser Glocke ...

Ja, die Glocke! Das ist wirklich einer meiner absoluten Lieblingsfilme …  Ein Film, der in eine völlig andere Richtung geht, den ich aber auch sehr mag, ist der mit Nicolas Cage … Moonstruck (von Norman Jewison, USA 1987). Auch wenn es ein kommerzieller Film ist – es gibt so viele lustige Szenen, er ist so menschlich, so humorvoll, wirklich süß. Wenn ich etwas sehr kommerzielles machen wollte, dann wäre das mein Ding. Die  Liebesszenen haben mich zum Heulen gebracht, andere zum Lachen – ich glaube, das sind die zwei Filme, die ich gerne produziert hätte.

Gibt es irgendeinen deutschen Regisseur, mit dem du gerne arbeiten würdest?

Ich habe zwei deutsche Filme gesehen, die hier wegen des Oscars waren, der eine war … ‚Stille‘

‚Jenseits der Stille?‘

(Flüstert) Den ich nicht sehr interessant fand, nein.
Und dann habe ich noch einen gesehen mit einem phantastischen Titel, wie war der noch?

‚Das Leben ist eine Baustelle‘?

Ja, das ist ein fabelhafter Titel. Nicht daß ich dachte, das ist ein schlechter Film, aber er war nicht umwerfend. Es war nicht so, daß man sich zurücklehnt und sagt, das ist wirklich phantastisch.

Die Leute sind alleine, haben keinen Zusammenhalt in Deutschland. Das Klima ist sehr unfreundlich, sehr kommerziell.

Ja, natürlich, sie kämpfen für sich. Ich glaube, man braucht das Gefühl von Gemeinsamkeit, und dafür war Zentropa sehr wichtig. Der Grund, warum ich jetzt so viel über mich rede, ist, daß Peter (Albaek Jensen) so viel über das redet, was er macht, und mich dabei nie erwähnt (lacht). Einmal dachte ich, Peter wäre mit einem Flugzeug abgestürzt, er war es nicht, aber ich hatte wirklich große Angst, weil ich begriffen habe, daß ich zwar Lars’ Filme weiter finanzieren könnte, aber – Peter hat diesen Sogeffekt, er ist verrückt, geht herum, sagt dumme Sachen, greift Frauen an den Hintern und so weiter, aber er ist wirklich sehr geschickt darin, eine Perspektive zu entwickeln. Ich bin in jedes einzelne Projekt sehr stark involviert, aber man braucht jemanden mit Überblick, der mit den Leuten sprechen kann, die von Außen kommen. Man könnte sagen, das schlimmste – und ich dachte, daß es uns ruinieren würde – war die Tatsache, daß wir mit ‚Breaking‘ Geld verdient haben. Weil bis dahin hatten wir keine Angst – es konnte nur schief gehen. Ich meine, schlimmer konnte es nicht kommen, weil wir kein Geld hatten. Ich wurde zwei Jahre lang nicht bezahlt, schlechter geht’s nicht, aber ich hatte die Angst, daß wir in dem Moment, indem abzusehen wäre, daß wir mit ‚Breaking‘ Geld machen können, etwas wichtiges verlieren würden. Aber ich glaube, wir haben es geschafft, jeden einzelnen Dollar auszugeben (lacht). Es gibt also wieder nichts zu verlieren. Wir benützen das Geld, das wir verdienen wirklich dazu, die Organisation in Bewegung zu halten, verschiedene Dinge zu unterstützen und viele verschiedene Chancen zu nützen. Das hat viel damit zu tun, daß ich viele Risiken eingehe, daß ich nein sage zu Dingen, die auf der sicheren Seite sind. Ich habe immer die volle Unterstützung von Peter. Wenn ich nach Hause komme und sage: ich habe diesen 800 000 Dollar Deal abgelehnt, weil ich nicht glaube (haut auf den Tisch) daß das genug ist! Dann sagt er O.K., ich bin sicher, du weißt, was du tust, ich könnte morgen ein bißchen Geld brauchen … (lacht) Peter ist sehr gut darin, die Firma zu führen, weil er denen die Freiheit gibt, die sie haben wollen und denen er vertraut – natürlich nicht jedem. Er gibt dir einhundert Prozent  Freiheit, zu machen, was du machen willst. Ich habe keine kommerziellen Interessen an meinen Projekten, es ist natürlich sehr schön, wenn man am Schluß Geld damit macht, aber während ich an einem Projekt arbeite, denke ich nicht daran. Aber die Tatsache, daß du weißt, er steht hinter dir und du kannst jede Entscheidung so treffen, wie du es in deiner eigenen Firma tun würdest – das macht den Unterschied. Ich glaube, die Produzenten hier arbeiten (deshalb) viel besser – man kann Leute sowieso nie kontrollieren.

Vielen Dank für das Gespräch!
(Das Gespräch führten Benjamin Heisenberg,
Christoph Hochhäusler, Peer Klehmet, am 16.03.98)

* ‚Idiots‘ enthält “Hardcoreszenen”, die man nach Einschätzung
von Tobias Kniebe (Süddeutsche Zeitung) “in Deutschland mit
Sicherheit nicht mehr sehen wird”.

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