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Vor fast 10 Jahren, im Juni 2005, haben wir der deutschen Filmkritik eine Ausgabe gewidmet (Revolver Heft 14 kann man hier gratis herunterladen), weil wir das Gefühl von einer tiefen Krise hatten. Im Vorwort hatte ich damals geschrieben „…Von einer Blüte deutscher Filmkritik ist nicht die Rede. Ein freier, vielstimmiger Diskurs über das Kino scheint kaum stattzufinden. Der Explosion filmbezogener Texte steht eine immer aggressivere Einmischung des Marketings
gegenüber – und zugleich scheint der „Markt“ immun gegen Gift und Feuer des Feuilletons. Film ist eine soziale Kunst und entsteht in einem
dynamischen Zusammenhang. Der Zustand der Kritik geht also alle an; er beschreibt sein Gegenüber.” 

Seitdem ist viel und wenig passiert. Die Krise des Geschäftsmodells Tageszeitung hat die alten Konflikte weiter verschärft. Die Frankfurter Rundschau, die einmal Modell für eine andere Filmkritik gewesen war, existiert nach der Pleite nur mehr dem Namen nach. Die Netzwelt hat sich ausdifferenziert. Aggregatoren sind wichtiger geworden, allen voran der Perlentaucher. Das Kino findet (fast nur noch) digital statt. Michael Althen ist gestorben. Mit der Filmzeitschrift CARGO, die es seit 5 Jahren gibt, hat sich zumindest ein souveräner Spieler etabliert. Und mit dem Flugblatt „für eine aktivistische Filmkritik”, das vor zwei Wochen auf den Kurzfilmtagen Oberhausen präsentiert worden ist, gibt es zum ersten Mal seit langem wieder so etwas wie eine selbstbewusste Kampfansage – nicht der deutschen Filmkritik, aber doch einer relevanten Fraktion, die nicht zufällig eng verbunden ist mit der Netzcinephilie, von der wir damals nur eine erste Ahnung hatten.

Wir haben deshalb beschlossen, die Initiatoren des Flugblatts einzuladen, um mehr darüber zu erfahren, wie eine „aktivistische” Filmkritik aussehen könnte und wie es weiter gehen soll mit den angedeuteten großen Plänen. Am 24. Oktober wird es dazu im Roten Salon der Berliner Volksbühne eine Revolver-Veranstaltung geben, genaueres demnächst. Vorab aber schon mal drei lesenswerte Texte der „Aktivistizisten” Dunja Bialas („Ein anderes Kino ist möglich”),  Frédéric Jaeger („Inspiration zum Widerstand”) und Dennis Vetter („Die Filmkritik meint es gut mit dem Kino”). Vetter schreibt in seinem gestern veröffentlichtem Essay:

„… Freizeit heißt Freiheit. Und die kann auch durch Arbeit passieren, gedankliche Arbeit, die wir uns selbst aussuchen. Weil es Spaß macht und erfüllend ist, wenn wir herausgefordert werden ohne es zu müssen. Frei denken heißt, sich mit der Welt beschäftigen, nach eigenen Maßstäben. Gutes Kino tut genau das: sich mit der Welt beschäftigen. Das heißt nicht nur, aber unbedingt auch, kritisch zu sein und sich ein wenig Gedanken zu machen über Dinge. Worüber man sich nämlich keine Gedanken macht, das ist einem egal. Und die Welt, die Gesellschaft, sollte nicht egal sein. Nachzudenken bedeutet auch, schätzen zu lernen was man hat; das Leben bewusst auszukosten, feinsinnig, reichhaltig, euphorisch und gerne auch geschmackvoll. Bilder zeigen uns endlos viele Perspektiven, um genauer hinzusehen und den Dingen, auch uns selbst, nachzuspüren. Wenn man sie lässt. (…)”

Ich bin gespannt,

Christoph