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Heute wurde auf der Seite des Verbands der Deutschen Filmkritik das folgende Flugblatt „für aktivistische Filmkritik” veröffentlicht:

 

Wir blicken mit Sorge auf Film und Kritik.
Filmverleiher und Kinobetreiber haben in den letzten Jahrzehnten das Programmkino aufgegeben und es durch Arthouse ersetzt. Ein alternatives Programm zum Mainstream gibt es fast nirgends mehr. Mit dem Arthouse hat sich ein konventionelles und formelhaftes Kino durchgesetzt – unter dem Vorzeichen des angeblich guten Geschmacks. Abseits der Angebote der Verleiher bleibt der Kunst nur das Festival.
Festivals übernehmen punktuell die Aufgabe von Programmkinos. Gleichzeitig wachsen ihre Legitimationszwänge gegenüber Sponsoren, Verleihern und Förderern. Auch hier droht die Unterwerfung unter Marktlogik, Zielgruppenrelevanz und politische Interessen.
Freiräume müssen permanent erkämpft werden.
Parallel ist die Kritik in einer drastischen Zwangslage. Um zu reüssieren, muss sie das Denken an vorherrschende Normen und Marktgegebenheiten anpassen. Dabei büßt sie ihren unabhängigen Geist ein und wird zur Dienstleistung. Eigenständiges Denken wird von Reflexen abgelöst.
Wer das Denken abgibt, verliert die Fähigkeit, Bestehendes in Frage zu stellen. Rahmenbedingungen werden zum Alternativlosen erklärt. Visionen werden aufgegeben. Die finanzielle Perspektivlosigkeit darf nicht weiter in eine ideelle Anpassung münden.
Wer das Denken abgibt, lässt sich von Konsens und Kompromiss vereinnahmen. Eine produktive Streitkultur wird unmöglich. Kontroversen und Debatten sind jedoch die Grundlage für die Entfaltung von lebendigen Diskursen. Ohne Diskurs keine Kultur. Ohne Diskurs kein Wissen. Tatsächlich wird Unwissenheit gefördert.
Die Kritik ist am Zug. In ihr schlummert auch heute noch das Potenzial, wagemutige Positionen zu erforschen. Sie muss ihren passiven Pragmatismus überwinden und den Aktivismus für sich wiederentdecken.
Wir sind bereit, individuell und gemeinsam, eine aktivistische Kritik zu verfolgen.
Wir sind bereit, wirtschaftliche Risiken für sie zu tragen.
Aktivistische Kritik reflektiert ästhetische Programmatiken selbst dort, wo keiner danach fragt. Sie untersucht die gesellschaftlichen Dimensionen von Werken auch dann, wenn sie nicht thematisch werden. Sie blickt neugierig auf das vermeintlich Profane, verteidigt das Lustvolle, verdammt das Abgeklärte. Sie negiert den Begriff einer „bloßen Unterhaltung“. Film und Kritik dürfen Spaß machen.
Aktivistische Kritik kommentiert kulturpolitische Zustände, deren Voraussetzungen und Limitierungen – auch dann, wenn dies keiner bestellt hat. Sie kontextualisiert Film in seinen Markt-, Produktions- und Fördergegebenheiten, um das Bewusstsein für sie zu schärfen und aufzuzeigen, welche Perspektiven verstellt sind.
Aktivistische Kritik ist subversiv. Sie unterwandert das auf den Lügen des Pragmatismus errichtete Gebäude. Sie setzt die Automatismen von Gefälligkeiten und Gefälligem außer Kraft.
Aktivistische Kritik beschränkt sich nicht auf Verlautbarungen, sie begibt sich aufs Terrain. Sie gestaltet und stachelt an.
Als erste Maßnahme aktivistischer Kritik begründen wir eine Woche der Kritik bei der Berlinale.
Den Missbrauch der Filmkritik als Dienstleistung nehmen wir nicht länger hin.
Dunja Bialas
Jennifer Borrmann
Frédéric Jaeger
Claus Löser
Dennis Vetter
Oberhausen, 04.05.2014
Wer das Flugblatt mit unterzeichnen möchte, wende sich bitte an web@vdfk.de.