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(Schatten von Peter Liechti bei den Solothurner Filmtagen 2014)

Am Freitag ist der Schweizer Filmemacher PETER LIECHTI im Alter von 63 Jahren gestorben. Noch vor wenigen Wochen sprachen Hannes Brühwiler und Benjamin Heisenberg auf den Solothurner Filmtagen in einem langen Interview vor Publikum mit ihm. Ein kleines Stück aus diesem Gespräch veröffentlichen wir hier als Andenken an einen der spannendsten Filmemacher Europas und an einen wunderbar vitalen, kreativen und humorvollen Mann der leider viel zu früh, mitten in der Blüte seines Schaffens von uns geht.

(B.Heisenberg)

REVOLVER: In „Hans im Glück“ gibt es einen ganz tollem Moment, da interviewst du eine alte Dame, und wenn ich es richtig in Erinnerung habe, macht sie sich Sorgen, ob sie auch schön genug für die Kamera aussieht  und dann sagst du „jaja… das läuft gar nicht mehr“ und dabei läuft die Kamera noch. Und als Zuschauer ist man verärgert, man hat dieses Gefühl, dass dies ganz schön gemein ist gegenüber dieser alten Dame. Ein  paar Minuten später im Film sagst du „ich muss wieder zurück zu dieser Dame, die war so interessant und ich hab sie eigentlich schlecht behandelt und ich habe ein schlechtes Gewissen ihr gegenüber“. Das fand ich fantastisch, weil das eine Reflektion der eigenen Moral beim Filmemachen ist.

LIECHTI: Ich glaube das ist ein sehr zentraler Punkt beim so genannt Dokumentarischen, bei der Arbeit, nicht? Wie geht man mit Protagonisten um? Ich mag das nicht, immer dieses Gesülze darum, wie man sorgfältig sein muss, wie man freundlich sein muss und so weiter und so weiter. Es gibt das Wort Verantwortung, und das ist das einzige was zählt. Kein einziger Protagonist weiß wirklich, was entsteht wenn er Ja sagt zu einer Aufnahme. Niemand. Ich habe nachher dieses Material, ich kann alles machen damit. Ich kann die größte Gemeinheit anstellen, ich kann einen wunderbaren Propagandafilm daraus herstellen für diese Person, ich kann alles machen. Und das wissen die Leute nicht, sie sind sich dessen nicht bewusst. Das heißt ich bin als Autor immer verantwortlich dafür. Um zurück zu kommen auf die Frage. Die beschriebene Szene fängt so an: „Bitte filmen Sie doch, ich möchte Ihnen etwas zeigen“, und ich filme sie, und dann lächelt sie so unmöglich komisch, so ein verzerrtes Lächeln in die Kamera. Dann sagt sie: „So und jetzt möchte ich Ihnen was Wirkliches sagen und stellen Sie bitte die Kamera ab.“ In diesem Augenblick ist sie dann aber eigentlich so viel schöner. Ich hab dann die Kamera einfach laufen lassen, was ihr natürlich nicht bewusst war, und habe ihr gesagt „ich hab jetzt abgestellt“ und da war sie so wunderschön, die Frau. Plötzlich hat sie sich gezeigt in ihrer ganzen Feinheit, in ihrer wunderbaren Art die sie hat, in ihrer unglaublichen Haltung auch dem Leben gegenüber und dem Tod gegenüber und es wäre einfach schade gewesen, das nicht zu haben, das Material. Ich habe dieses Vorgehen dann auch nicht versteckt stattdessen formuliere ich das im Film und zeige, was passiert eigentlich mit dem Protagonisten in so einem Moment? Und was ist meine Haltung dazu? Ich habe mir einfach gesagt ich kann das jetzt verantworten. Ihr müsst aber wissen wie das entstanden ist, oder? Und oft ist dann erst einmal ein Ärger da beim Publikum und das ist ganz interessant. Diese moralische Haltung, nicht? Als ob nicht alles so entstehen würde, schlussendlich, was wir machen. Es ist alles Lug und Trug was wir machen. Wir formulieren eigentlich einfach das was wir wollen, und nicht das was sie wollen, oder? Überhaupt nie.

Zitate:

„Mein Grundgefühl auf diesem Planeten:
Ich wundere mich.
Ich wundere mich vor allem über meine eigene Existenz,
wie es mich hierher verschlagen hat,
und wozu.”

„Wenn man dem anderen so nahe kommt,
dass der Graben zwischen dem Du und dem Ich kaum noch wahrzunehmen ist
und man sich endlich dort wiederfindet, wo wir alle schon immer hinwollten:
bei sich selbst.”

„…Da bleiben wir doch noch etwas sitzen in unserer Ecke,
wo uns schon gar keiner mehr sieht,
und lassen mal die nächsten zehn Züge vorbeifahren.”

Peter Liechti
(„Lauftext”)





Artikel zum Tod von Peter Liechti:

Und ein Portrait bei Swissfilms