Überspringen zu Hauptinhalt

Nachdem Birte Carolin Sebastian bereits ihr Interview mit Mia Hansen-Løve hier im Blog veröffentlichte, folgt nun ein umfangreiches  Gespräch mit dem Regisseur Olivier Assayas über seine Arbeitsweise, über „Personal Shopper“ und über sein neues Projekt mit Roman Polanski. Wir freuen uns sehr das Interview hier auf dem Blog veröffentlichen zu dürfen!
Die Redaktion

Olivier Assays: ‚Ich denke nicht in Bildern’

Von Birte Carolin Sebastian

In Italien.

Arbeits-Rhythmus

Revolver möchte ganz genau wissen, wie Sie arbeiten: wie ist es möglich, dass Sie seit Ihrem Debut etwa 24 Filme gedreht haben? Können Sie Ihren Arbeits-Rhythmus beschreiben?

Ich hab irgendwann aufgehört zu zählen. Aber seit einiger Zeit drehe ich in etwa alle zwei Jahre einen Film. So schnell ist das dann auch wieder nicht. Ich habe auch nicht das Gefühl, einem speziellen Rhythmus zu folgen. Ich hatte Glück, dass ich recht regelmäßig filmen konnte. Zunächst mag ich es, schnell zu schreiben…

Haben Sie immer die Idee für den Film vorher im Kopf oder fangen Sie manchmal einfach mit einem Dialog an und die größere Idee entsteht daraus? Wie kann man sich das vorstellen?

Das ist von Mal zu Mal verschieden. Oft fange ich mit einer Person an oder mit einer Situation, aber eher mit einem Charakter, um den herum sich dann die Dinge entwickeln. Die Geschichte entwickelt sich in Etappen sozusagen schichtweise. Ich fange schnell an zu schreiben, aber manchmal fehlen mir Puzzleteile, irgendetwas ist meist noch nicht reif oder ich weiß nicht, wie es weitergehen soll. Dann kann es passieren, dass ich das angefangene Szenario erst einmal sechs Monate zur Seite lege. Daraus sind auch schon ein oder zwei Jahre geworden. Wenn ich eine Idee habe, wie es weitergehen muss, setze ich mich wieder daran und schreibe dann oft alles in einem Zug zu Ende. In anderen Fällen setzte ich mich hin und schreibe beinahe ohne große Unterbrechung ein ganzes Skript. Es gibt dafür keine Regeln, ich habe zumindest keine. Das einzige, was ich immer ganz sicher weiß, ist – sagen wir, um einen Film zu drehen braucht man in etwa ein Jahr, wobei sich das in unterschiedliche Zyklen einteilt, vom Schreiben über das Drehen bis hin zum Schneiden und zur Fertigstellung oder sagen wir: neun Monate!

Wie ein Embryo….

Ganz genau. Bei Personal Shopper habe ich im September angefangen, den Dreh vorzubereiten und der Film ist im Mai in Cannes gelaufen.

Das ist schnell.

Das ist tatsächlich relativ schnell, was auch daran liegt, dass ich zügig drehe. Meine letzten Filme habe ich in etwa sechs Wochen gedreht, also in 30 Tagen. Ich arbeite mit sehr knappen Budgets, weil ich meist eher schwierige, also kommerziell wenig an den Markt angepasste Filme drehe. Meine Filme sind immer etwas bizarr. Es kommt beinahe nicht vor, dass der Markt sich dafür begeistert, deshalb muss ich bei allen Filmen stark auf die Kosten achten. In diesen ‚leichten Strukturen’ zu arbeiten, erleichtert mir die Arbeit auch wieder. Ich arbeite gerne schnell, entscheide schnell, ohne zu viele Menschen einbeziehen zu müssen. Ich fange an zu drehen und beende die Filme zielstrebig. Wenn ich einen Film beendet habe, geht es mir wahrscheinlich wie allen anderen: ich brauche dann etwas Erholung, fahre weg, nach drei Wochen wird mir langweilig und ich sitze wieder am Schreibtisch mit der nächsten Drehbuch Idee. Bei all dem habe ich selbst nicht das Gefühl, dass ich einen frenetischen Rhythmus verfolge.

Und innerhalb des Schreibens, haben Sie da einen Arbeits-Rhythmus? 

Auch nicht, zumindest keinen zuverlässigen. Ich schreibe lieber morgens. Ich weiß, dass viele Menschen gerne abends schreiben. Ich komme mir morgens klarer und kreativer vor. Ich stehe recht früh auf und setze mich dann gleich hin.

Sie haben lange für die Cahiers de Cinema geschrieben. Inwiefern kann Schreiben helfen ein guter Regisseur zu werden?

Ich habe fünf Jahre für die Cahiers de Cinema über das Kino geschrieben, von 1980-1985. Das waren für mich Lehrjahre. Ich hatte das Gefühl, an einer Filmschule zu sein..

Sie haben keine Filmhochschule besucht?

Nein, auf einer Filmhochschule war ich tatsächlich nie. Deshalb waren diese fünf Jahre für mich umso entscheidender. Ich habe mich sehr privilegiert gefühlt: ich war jung, ich habe geschrieben, ich wurde in einer angesehen Zeitschrift veröffentlicht, ich mochte die Redaktion und habe es sehr genossen, mit Menschen zusammenzuarbeiten, die eine ebenso große Leidenschaft für das Kino hatten wie ich. Menschen wie Serge Daney, Serge Toubiana und andere. Beim Schreiben, das für mich wie eine Ausbildung funktioniert hat, habe ich verstanden, wie entscheidend die Funktion des Kinos, die Reflexion, das Schreiben über das Kino und die Theorie über das Kino, sind und wie eng das alles mit der Praxis zusammenhängt. Ich hatte immer den Eindruck, dass mich das nicht nur sehr geprägt, sondern mir auch künstlerisch geholfen hat, weiter über das Kino nachzudenken. Diese Zeit ist für mich immer ein Anhaltspunkt dafür geblieben, warum ich dies und jenes machen wollte und anderes nicht. Es gibt viele Filmemacher, die der Theorie und dem Nachdenken darüber sehr kritisch gegenüberstehen. Für mich ist das Gegenteil der Fall. Für mich war und ist es bis heute immer etwas sehr Wertvolles.

Und für den Schreibprozess selber? Das Schreiben von Texten für die Cahiers du Cinéma gleicht eher Prosa, das Drehbuchschreiben hingegen erfordert Dialoge, zwei vollkommen unterschiedliche Arten zu schreiben.

Das stimmt natürlich. Ich muss dazusagen, dass ich von Anfang an beides ‚geübt’ und erprobt habe. Schon bevor ich für die Cahiers du Cinéma geschrieben habe, habe ich Drehbücher geschrieben. Damit habe ich sehr jung angefangen, weil mein Vater Drehbuchautor war und am Ende seines Lebens, als er krank war, meine Hilfe brauchte. Ich habe also im Alter von zwanzig Jahren gelernt, Drehbücher zu schreiben. In den fünf Jahren, in denen ich für die Cahiers du Cinéma geschrieben habe, habe ich meinen Lebensunterhalt als Drehbuchautor verdient. Ich habe Drehbücher für Freunde geschrieben, auch für mich selbst, für Kurzfilme, die ich in dieser Zeit gedreht habe.

Das Schreiben in Dialogen ist schon beinahe eine Kunstform für sich. Dinge zu sagen, ohne sie zu beschreiben, nicht zu viel zu sagen, geschickt wegzulassen…

Das ging mir auch so. Man muss es einfach machen, um damit vertraut zu werden. Je mehr man sich darin übt, desto natürlicher wird es. Ich erinnere mich genau daran, wie viel Mühe mich diese Dialoge ganz am Anfang gekostet haben, aber irgendwann hat es ‚klick’ gemacht und seitdem schreibe ich sehr gerne Dialoge.

Dann denken Sie dabei bestimmt auch gleich in Bildern…

Nein gar nicht. Wenn ich schreibe, schreibe ich. Dann habe ich nicht die geringste Idee, wie ich das umsetzen werde. Beim Schreiben geht es mir eher um einen Rhythmus als um die Bilder. Durch den Rhythmus der Sprache kann ich eine erste Idee hinsichtlich einer möglichen Auflösung bekommen, aber nie in konkreten Bildern. Nicht zu diesem Zeitpunkt. Dann hängt es natürlich auch immer vom Film ab. Manchmal gibt es schon Orientierungspunkte, aber das ist eher nicht die Regel.

(Foto: Copyright Carole Bethuel / Les Films Du Losange)

Schauspielerinnen

Sie arbeiten oft mit den gleichen Schauspieler/-innen zusammen…

Das kommt darauf an. Es entstehen manchmal solche Verbindungen…das hat auch damit zu tun, dass ich am liebsten mit Menschen zusammenarbeite, die ich gut kenne und die sich teilweise auch untereinander kennen, mit Freunden. Manchmal passiert es auch, dass ich ein Casting für meinen Film mache, jemanden besetze, den/die ich noch nicht kenne und wir danach befreundet sind. Mit Lars Eidinger und Nora von Waldstätten bin ich gerne zusammen, auch außerhalb des Drehs, persönlich. Aber die Beziehungen und das Kennenlernen passiert schon über das gemeinsame Drehen, dazu dienen die Filme dann auch, menschliche Beziehungen zu begründen. Wenn ich zwei Filme mit Kirsten Stewart oder Virginie Ledoyen drehe, dann steckt da auch jedes Mal die Idee oder der Wunsch dahinter, beim nächsten Mal noch etwas weiter zu gehen, was die Zusammenarbeit betrifft. Oft gab es dann in einem ersten Film etwas, was mich sehr inspiriert und interessiert hat und dann versuche ich das in einem weiteren Film wiederaufzunehmen, es auszuweiten sozusagen. Manchmal ist es als sei die Arbeit auf halber Strecke stehengeblieben, nach einem ersten Film und man möchte da tiefer gehen und darauf in neuer Form zurückkommen.

Schreiben Sie dann auch die Rollen speziell für diese Schauspielerinnen, für Kirsten Stewart – zum Beispiel?

Nein, so einfach ist es auch wieder nicht, es ist komplizierter. Im Fall von Kirsten Stewart ist es nicht so, dass ich Die Wolken von Sils Maria für sie geschrieben habe und auch bei Personal Shopper habe ich, als ich angefangen habe, zu schreiben nicht gewusst, dass sie es spielen würde…

Nein?

Nein, ich glaube, sie hat es dennoch auf gewisse Weise inspiriert. So glaube ich auch, dass ich Personal Shopper nicht geschrieben hätte, wenn ich nicht mit ihr zuvor gedreht hätte. Es hängt also letztlich alles miteinander zusammen.

Und wie sah dann der Entscheidungsmoment aus?

Sie war in Paris, wir haben über das Drehbuch gesprochen, das war alles ganz natürlich. In dem Moment, in dem wir darüber gesprochen haben, wurde es plötzlich ganz offensichtlich und klar, dass das Sinn machen würde.

Warum haben Ihre weiblichen Protagonistinnen eine eher asexuelle Tendenz?

Das gilt eher für meine letzten Filme, nicht für meine früheren. Mich interessiert die Androgynität, die Kirsten Stewart ausstrahlt.

Wie arbeiten Sie mit den Schauspielern?

Zunächst einmal probe ich nie, weder davor noch während des Drehs. Wir drehen immer auf Anhieb. Ich beschreibe die Idee, die Idee der Szene und wir drehen los. Das ist nicht leicht für das technische Team. Mein Kamera-Assistent, der Tonangler, das Licht, sie brauchen ihre Abmessungen und die gewähre ich, aber die Spontanität der Schauspieler ist mir am allerwichtigsten. Und die ist beim ersten Spiel erfahrungsgemäß am stärksten und am lebendigsten. Die Wiederholungen nutzen diese Spontanität schnell ab.

Sehr ungewöhnlich….

Deshalb versuche ich auch, die Drehsituation so einfach wie möglich zu halten und zu gestalten, damit die Technik möglichst wenig ins Gewicht fällt und die Schauspieler nicht stört. Ich mag es auch nicht, wenn meine Schauspieler am Set warten müssen. Sie kommen in die Maske und brauchen da die Zeit, die sie brauchen, aber auch da habe ich es gerne schnell. Danach kommen sie ans Set und wir fangen sofort an zu drehen.

Warum ist Ihnen das so wichtig?

Ich möchte, dass sie sich gar nicht erst bewusst werden, am Set zu sein. Ich möchte, dass sie sich voll in die Situation ihrer Figuren hineinversetzen können. Das ist natürlich ein wenig illusorisch, weil sie genau wissen, dass sie am Set sind, aber je schneller sie in ihre Rolle gleiten, desto schneller gelingt der Übergang von der realen Welt in die imaginäre, dargestellte Welt.

Findet denn mit den Schauspielern vor dem Dreh oder zu einem späteren Zeitpunkt ein gemeinsames Lesen (cold reading) des Textes statt?

Nein. Also, ich treffe sie natürlich vorher, um sie kennenzulernen und mir eine Vorstellung zu verschaffen, was das für Menschen sind und was sie von mir erwarten, aber bei einem solchen Treffen geht es nicht sehr um das Skript. Ich habe mit Jugendlichen auch schon mal geprobt, aber in einem solchen Fall schreibe ich spezielle Szenen, die nur der Probe dienen. Ich würde niemals eine konkrete Filmszene (aus dem zu drehenden Film) dazu benutzen.

Heißt das, dass Sie Ihre Schauspieler auch improvisieren lassen?

Absolut. Ich lasse sie sich der Szene bemächtigen und lasse ihnen dann viel Raum für alles, was sie hinzufügen und geben wollen. Innerhalb dieser Improvisation füge ich natürlich auch Kommentare oder Ideen hinzu oder schlage vor, dass man es auch mal so und so versuchen könnte. Manchmal ändere ich noch Szenen, sogar während des Drehs.

Gilt das auch für die Dialoge?

Für alles. Im Grunde kann man es so zusammenfassen, dass ich meine Schauspieler nicht anleite, es ist eher ein Austausch, ein Dialog, aber ich bestimme nicht, was und wie etwas gemacht werden soll. Nur wenn es mal ein vollkommenes Missverständnis hinsichtlich einer Szene gibt, aber das kommt beinahe nie vor.

Und welche Methode die Schauspieler verwenden, überlassen Sie ihnen auch vollkommen selbst…

Ob Strasberg oder nicht ist mir egal. Ich bin dafür zuständig, dass sie sich am Set wohl fühlen. Wie sie arbeiten, und auch wenn es ganz anders sein sollte als es meiner gewohnten Arbeitsweise entspricht, dann schaue ich immer noch, dass sie sich wohl fühlen. Manchmal braucht es eine Angleichung oder einen Kompromiss, aber ich werde ihnen nichts aufzwingen.

Sie haben mal gesagt, dass eine emanzipierte Version unserer Selbst schon irgendwo in uns und in der Zukunft existiert und dass wir uns dafür entscheiden können, diesen Weg einzuschlagen oder eben nicht…

Da antworte ich mit einem Satz, den man den unterschiedlichsten Philosophen zuschreibt: man muss sich hüten vor dem, was man sich wünscht, am Ende bekommt man es noch (lacht). Ich glaube, welche Kunst man auch ausübt, man muss einen gewissen Glauben, ein Vertrauen in den Weg haben, sonst kann man ihn nicht gehen. Damit meine ich, man fängt irgendwo an und hat eine Orientierung, einen inneren Kompass, der irgendwo den Horizont markiert. Man weiß, dass man als Mensch diese Kraft in sich trägt und jeder versucht, einen Teil seines Weges zu gehen, ob er jetzt weit führt oder versandet. Ich glaube, es kann keine Kunst, in welcher Form auch immer, geben, ohne einen sehr großen Glauben an die Potenzialität dieser Kunst, ohne einen inneren Glauben an das, was man tut. Auf diese Weise erlaubt die Kunst es uns auch, uns auf gewisse Weise manchmal selbst zu übertreffen. Für mich habe ich genau das Gefühl, dass ich mich von Film zu Film nicht nur weiterentwickle, sondern mich auch künstlerisch selbst übertreffe. Dass ich mit jedem Film ein kleines Stück weiter gehe, auch in unvorhergesehene Richtungen, oder in andere Richtungen als die, die ich mir vorher vorgestellt habe. Es gibt da etwas in uns, was sich uns selbst offenbart durch das Ausüben einer Kunst.

…gegen alle Widerstände…

(lacht auf)…gegen alle erdenklichen Widerstände, absolut. Ich habe vor jedem neuen Film das Gefühl, dass er nicht machbar ist, dass ich es nicht kann…

So extrem?

Ja und das wird nicht besser mit der Zeit. Ich denke immer wieder, das wird mir nie gelingen, den Film so zu drehen wie ich ihn mir vorstelle, dass er nicht so gut werden kann wie der letzte. Da schwingt eine ständige latente Angst mit, immer. Aber diese Bedrohung, die man dabei empfindet, macht einen auch aufmerksam und hellwach.

Ermutigend, wenn jemand wie Sie das sagt….

Man kann sich dem nur jedes mal erneut stellen….

(Foto: Copyright Carole Bethuel / Les Films Du Losange)

Die Musik 

Welche Rolle spielt die Musik in Ihren Filmen? 

Ich habe ein etwas komplizierteres Verhältnis zu Filmmusik. In meinen ersten beiden Filmen habe ich speziell für diese Filme komponierte Filmmusik verwendet, die ich dann überhaupt nicht mochte. Das gab den Filmen eher etwas Künstliches für mein Empfinden. Ich mag keine Filmmusik, weil sie immer gleich ‚Kino’ assoziiert. Jetzt gehe ich sehr dosiert mit der Musik in meinen Filmen um. Ich benutze keine extra für den Film komponierte Musik mehr, nur mit Sonic Youth habe ich eine Ausnahme gemacht. Da waren aber Geräusche in die Musik eingemischt, was sich gut in den kreativen Prozess des Films eingefügt hat. Die Musik ist in einem Dialog entstanden, den wir anhand des Drehbuchs geführt haben. Seitdem benutze ich im Grunde nur noch Teile aus bereits existierenden Stücken, was es mir erlaubt, selbst daraus eine Art Kollage zu erstellen. Ich finde es sehr schwer, die passende Musik zu einer Szene zu finden. Wenn ich mich beispielsweise dafür entscheide, mit einem Komponisten zu arbeiten, fühle ich mich sehr schnell in die Enge gedrängt. Manchmal klingt die Musik dann vielleicht wie auf die Szene aufgeklebt oder ergibt einen Effekt, den ich nicht intendiert habe. So etwas ärgert mich, da es sehr teuer ist und viel Zeit kostet. Das ist der Grund, warum ich es bevorzuge, meine eigenen Zusammenschnitte zu gestalten. Ich probiere verschiedene Möglichkeiten für eine präzise Szene aus und entscheide mich unter Umständen für etwas, was zu der Stimmung der Szene vollkommen konträr verläuft. Etwas ganz anderes, als man erwarten würde. Ich suche bis ich etwas in meinen Augen passendes gefunden habe. Das ist Recherche-Arbeit. Seit meinen letzten zwei, drei Filmen übernehme ich gerne Stücke aus i-tunes in meine eigene Musik-Mediathek, die mich inspirieren und die ich dann auch tatsächlich verwende oder auch nicht.

Und wie sind Sie auf Anna von Hauswolff aufmerksam geworden?

Ich höre einfach Musik und lasse mich von spotify oder itunes leiten bis ich etwas finde, was mich interessiert. Außerdem habe ich mir angewöhnt, die musikalische Presse zu verfolgen, das heißt ich lese englische oder amerikanische Musik-Magazine, höre, was die vorschlagen. Über Anna von Hauswolff habe ich in Mojo oder Uncut gelesen und hatte sofort das Gefühl, dass das etwas ist, was mich interessieren könnte. Also habe ich angefangen, sie zu hören. Ihre Musik hat mir sofort sehr gefallen.

Mia Hansen-Love

Mia Hansen-Love hat mir bei unserem Interview auf den Färo Inseln erzählt, dass sie alles von Ihnen gelernt habe. Haben Sie auch etwas von ihr gelernt und wenn ja, was?

Na klar. Wenn man mit jemandem zusammenlebt, der selbst Künstler ist, wie Mia und viel Zeit miteinander verbringt, befindet man sich im schönsten Fall in einem konstanten Dialog. Mit Mia habe ich von Anfang an darüber gesprochen, was Kino ist, wohin es sich entwickelt und was es sein könnte – noch bevor sie angefangen hat, ihre eigenen Filme zu drehen. Auch jetzt tauschen wir uns ständig darüber aus. Darüber wie sie die Welt und die Menschen darin sieht. Manchmal habe ich das Gefühl, dass Mia – und das hat auch mit unserem großen Altersunterschied zu tun, wir sind eine andere Generation- mich durch all ihre Fragen, auch durch ihr in Frage stellen sehr vieles hat wiederentdecken lassen, was ich vergessen hatte, oder was ich nicht mehr bewusst gesehen habe, weil ich mich viel zu sehr daran gewöhnt hatte. Mir ist immer wieder an mir selbst aufgefallen, wie vieles ich als feststehend hingenommen hatte, was sie dann einfach hinterfragt hat. Die Diskussionen mit Mia haben mich geradezu dazu gezwungen, selbst elementare Dinge nochmal neu betrachten und damit auch neu zu formulieren. Das wiederum hat dazu geführt, dass ich mich selbst immer wieder Fragen neu gestellt habe. Das reicht von der Umsetzung eines Films bis hin zu kleinen Details. Weiter gedacht heißt das, dass die Filme, die ich drehe mehr oder weniger von Mia beeinflusst sind. Das ist mal deutlicher, mal weniger deutlich oder ‚sichtbar’. Ich habe also sehr viel von ihr gelernt.

Dreht Mia Hansen-Love vielleicht die Filme, die Sie nicht drehen, oder die sie selbst gerne drehen würden?

Nein, so kann man das nicht sagen. Denn sie hat eine ganz eigene Herangehensweise: sie spricht von autobiographischen Erfahrungen, sie spricht in der ersten Person, von intimen Erfahrungen. Sie hat eine ganz spezielle eigene Art, die Welt wahrzunehmen. Sie begreift Fiktion indem sie diese mit realen Elementen  mischt. Und wenn sie einen Film wie Eden dreht, ist ihr damit das Portrait einer Generation gelungen, das kein anderer so hätte fassen können. Sie bedient sich ihres eigenen Lebens, der Beobachtung ihres Bruders, sie beschäftigt sich mit einer Geschichte und spricht darüber, wie es nur eine junge Filmemacherin ihrer Generation auf diese Weise kann.

Ihre eigenen Filme sind weniger autobiographisch…

Sie sind es schon auch, das kommt auf den Film an, aber bestimmt weniger als Mia’s. Dennoch spricht man immer auch über sich selbst. Viele meiner früheren Filme waren recht autobiographisch. Für mich ist es eher wie eine Erinnerung an Autobiographisches, wie in L’Eau froide beispielsweise. Oder als ich einen Film wie Après mai gedreht habe, das ist ein Film, der sehr von meiner Autobiographie genährt ist. Manchmal beinahe ‚buchstäblich’. In Fin août, début septembre gibt es auch viele autobiographische Elemente, die in das Skript eingeflossen sind. Es ist Fiktion, aber es gibt darin zahlreiche Elemente, die von mir zu dieser Zeit erzählen. Von meinen Anfängen als Filmemacher, von der Verrücktheit, der Unordnung all das sind Dinge, über die ich in der ersten Person spreche zu dieser Zeit.

Für „Personal Shopper“ gilt das weniger…

Personal Shopper hat mehr mit dem Verlauf zwischen Bewusstsein und Unterbewusstsein, zwischen der materiellen Welt und der Imagination zu tun. Insofern schließt dieser Film eigentlich alle Menschen mit ein, auch mich.

(Foto: Copyright Carole Bethuel / Les Films Du Losange)

Das junge Deutsche Kino

Was denken Sie über das Deutsche Kino nach Fassbinder und Co.?

Glücklicherweise existiert es in erneuerter Form. Es gibt viele gute junge deutsche Filmemacher, gute Schauspieler. Ich finde sogar, dass das deutsche Kino in den letzten Jahren zu einer neuen Kraft und Lebendigkeit gefunden hat. Sehr stimulierend.

Wen würden Sie da besonders hervorheben wollen?

Da gibt es inzwischen wirklich viele: Petzold, den ich seit langem kenne und dessen Arbeit ich beinahe von Anfang an folge. Ich schätze ihn sehr. Maren Ade mag ich sehr. Ihren letzten Film Toni Erdmann fand ich sehr gelungen. Die Filme von Christoph Hochhäusler und Benjamin Heisenberg mag ich beide auch sehr. Den Räuber fand ich großartig. Mir fallen jetzt gar nicht alle ein. Ich denke ganz allgemein, dass es in Deutschland viele spannende junge Filmemacher gibt, die man unbedingt im Auge behalten muss.

Haben Sie jemals über Harun Farocki geschrieben?

Nein, leider nicht. Ich habe ihn auch nie kennengelernt. Aber ich habe viele seiner Filme gesehen und sie sehr gemocht. Das war aber auch eine Zeitfrage: in dem Sinne, dass ich mir gar nicht sicher bin, ob er überhaupt schon angefangen hat, Filme zu machen, als ich darüber geschrieben habe. Und wenn war er zu der Zeit in Frankreich vollkommen ‚unsichtbar’.

Polanski

Ihr nächstes Projekt ist ein Film mit Roman Polanski…

Ich habe letzten Sommer einen Film mit ihm zusammen geschrieben ja. Sie haben Mitte November 2016 anfangen zu drehen.

Dabei handelt es sich um die Romanadaption von Delphine de Vigan „Nach einer wahren Geschichte/Begebenheit“.

Ich mag Polanski und seine Filme sehr. Mit ihm zu arbeiten war ein Vergnügen.

Wie kann man sich das vorstellen? Haben Sie sich getroffen und gemeinsam geschrieben?

Nein, wir haben uns getroffen und darüber gesprochen. Und dann haben wir gemeinsam daran gearbeitet, indem wir viel ‚geskype-t’ haben. Er war in der Schweiz, ich hier in Italien. As diesen Gesprächen ist eine sehr freie erste Fassung geworden, die ich geschrieben habe, und die dem entsprach, was er machen wollte.

War das alles Ihre Idee oder Polanski’s?

Das ganze war eine Idee seines Produzenten.

War es Ihre Idee, gerade diesen Roman zu nehmen?

Nein, das stand schon alles fest. Es handelt sich um einen Besteller in Frankreich.

Waren Sie bei den Dreharbeiten dabei?

Nein, dafür gab es keinen Grund.

Und Ihr nächstes Projekt als Regisseur?

Im Moment arbeite ich an mehreren Möglichkeiten gleichzeitig. Es gibt ein Projekt, das ich in den USA drehen möchte, das schon vor Personal Shopper stattfinden sollte, sich dann aber nicht realisiert hat. Es kann sein, dass es jetzt wiederaufgenommen wird, die Möglichkeit besteht. Aber ich arbeite auch an etwas anderem.

Arbeiten Sie öfter an mehreren Projekten gleichzeitig?

Nein, aber in diesem Fall ist der eine Film bereits geschrieben, und das sogar schon seit drei Jahren. Dadurch dass die Dinge aber noch nicht drehfertig sind, dass der Film noch nicht in seinen Startlöchern steht, lässt mir das Zeit, an etwas Neuen zu schreiben. Das mache ich jetzt.

Und warum ist der andere Film so schwer in die Gänge zu bringen?

Einfach weil er sehr teuer ist. Es handelt sich um einen Epochenfilm. Er spielt in den siebziger Jahren. Man braucht also viele Orte, Ausstattung, die Schauspieler…das ist immer etwas komplizierter.

Worum wird es gehen?

Es wird ein Krimi sein, der auf einer wahren Geschichte beruht und im Chicago der 70 er Jahre spielt.

Welche Rolle spielt für Sie der ‚Zeitgeist’?

Filme sollen keine Geiseln der Zeit sein. ‚Zeitgeist’ ist für mich ein besserer Ausdruck für ‚Aktualität’. So wenig mich Aktualität interessiert, so sehr interessiert mich der ‚Zeitgeist’. Die Nuance ist entscheidend.

Und wie ließe sich dieser ‚Zeitgeist’ in einem Epochenfilm einfangen, wie Sie ihn in den USA planen?

Der ‚Zeitgeist’ wird auch in Epochenfilmen immer auf gewisse Weise spürbar sein, das ist keine Frage. Bei einem solchen Film fließt er wohl eher im Fertigungsprozess mit ein als bei einem Film wie Personal Shopper, in dem diese Idee viel direkter greifbar ist. Ich mache gerne beides.

(Foto: Copyright Carole Bethuel / Les Films Du Losange)

Ratschlag

Ihr Ratschlag an junge Filmemacher?

Ich glaube, dass es für die Ausübung einer Kunst nichts Wichtigeres gibt als die Freiheit. Insofern würde ich ihnen zurufen wollen: bewahrt und schützt eure Freiheit und eure Inspiration! Lasst euch nicht zu sehr davon beeinflussen von dem, was die anderen machen. Und nehmt euch in Acht vor zu viel Konsens. Konsens hat meist die Tendenz, uns in eher konventionelle und konformistische Richtungen zu führen. Es geht letztlich darum, immer etwas gegen den Strom zu schwimmen, ein Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten und Ideen und Visionen zu gewinnen. Man muss lernen der Originalität seiner eigenen Ideen zu trauen, damit man andere auch dafür begeistern kann und damit ein Werk schaffen kann, das sich lohnt, geschaffen zu werden. Ich komme also auf den Anfang zurück: das Wichtigste ist es, die Freiheit der eigenen Inspiration zu schützen in dem Wissen, dass im Kino alles erlaubt ist. Da gibt es keine Verbote.

Was sind überhaupt die Geschichten, die es in der heutigen Welt zu erzählen gilt?

Darauf kann ich keine gute Antwort geben, weil ich finde, jeder sollte die Geschichten erzählen, die er erzählen kann. Mir selbst kommen Ideen, die ich dann erst einmal darauf überprüfen muss, ob sie überhaupt filmtauglich sein. Ich glaube, ich kann gar nicht anders, als die Welt, die uns umgibt miteinfließen zu lassen.

 

(Bilder: Setphotos und Filmstills aus dem Pressematerial von  „Personal Shopper“, Copyright Carole Bethuel / Les Films Du Losange)