Unser Heft 50 ist gerade frisch aus der Druckerei eingetroffen. Darin auch das Interview mit Sohrab Shahid Saless von 1977 "Stilles Leben in der Fremde", wiederabgedruckt im dreibändigen Werk "Die langen Ferien des Sohrab Shahid Saless. Annäherungen an ein Leben und Werk" von Behrang Samsami. Am 28. Juni 2024 wäre Saless achtzig geworden. Ein Gastbeitrag zum Anlass.
Wenn es einen Ort gibt, an dem Kino als Volkskunst – oder
wem das zu deutsch ist – Folk Art existiert, dann ist das wohl zur Zeit Buenos
Aires.
Filme wie die von José Campusano habe ich noch nie
gesehen. Er dreht mit Freunden und Menschen, die er dann wiederum über seine
Freunde kennenlernt, in der Vorstadt, wo er lebt. An Orten, wo es hart zugeht,
wo Codes eine große Rolle spielen. Campusano setzt dem etwas entgegen. Es geht ihm vor allem darum, dass die Menschen gut miteinander umgehen im Leben und in der Arbeit.
Herausgekommen ist ein umwerfender Film: Fango.
Ich habe auch noch nie einen Menschen getroffen wie
Campusano. Ein blätterloser Baum eher. Ein Wurzelgesicht. Sein Film hat etwas
wunderbar animistisches. Brutal auch, aber ohne den Effekt: Cine Bruto.
Gleichzeitig so raffiniert wie ein Film von Rohmer. Wir werden versuchen,
diesen Film nach Berlin zu holen. Und vielleicht noch andere. Campusano &
Co drehen drei Filme im Jahr.
(ein weiteres Beispiel für Nics Reihe „Regisseure und ihre
Hauptdarsteller“)
El Pampero Cine – fast noch verblüffender, weil eigentlich
ein bürgerliches Kollektiv, bestehend aus Agustín Mendilaharzu, Laura
Citarella, Alejo Moguillansky und Mariano Llinás, die aber, und das habe ich
erst jetzt bei meinem Besuch begriffen, ebenfalls dem gängigen Kino (und damit
sind sowohl Mainstream als auch das sogenannte World Cinema gemeint)
widersprechen, wo sie nur können. Und nicht nur dem Kino, sondern auch dem
Theater, der Performance, dem Tanz, der Musik. Wenn etwas en vogue ist, dann
werden sie ganz sicher etwas machen, das sich darüber lustig macht. Dabei haben
diese Filme aber auch eine eigenartige Tiefe und – was sie mit der Arbeit von
Campusano verbindet – sie sind urargentinisch. Nur haben sie ihre Wurzeln bei
besser betuchten Freidenkern, bei Borges, bei argentinischen Surrealisten,
Dichtern und Musikern. Nichts belehrendes haben sie, sondern sind frech wie
Godard zu seinen besten Zeiten und melancholisch wie Truffaut. Einfach toll,
dabei zuzuschauen, wie dieses Kollektiv wächst und wächst und längst auch
jüngere Generationen mitnimmt, vormacht, wie man einen viereinhalbstündigen
„Historias Extraordinárias“ über vier Jahre an Wochenenden mit Freunden dreht.
Dass zu diesen Freunden auch berühmte argentinische Schauspieler und Tänzer und
Sänger gehören, ist klar. Denn wer würde nicht mitmachen wollen, bei so einem
wild verspielten Spaß.
ein bürgerliches Kollektiv, bestehend aus Agustín Mendilaharzu, Laura
Citarella, Alejo Moguillansky und Mariano Llinás, die aber, und das habe ich
erst jetzt bei meinem Besuch begriffen, ebenfalls dem gängigen Kino (und damit
sind sowohl Mainstream als auch das sogenannte World Cinema gemeint)
widersprechen, wo sie nur können. Und nicht nur dem Kino, sondern auch dem
Theater, der Performance, dem Tanz, der Musik. Wenn etwas en vogue ist, dann
werden sie ganz sicher etwas machen, das sich darüber lustig macht. Dabei haben
diese Filme aber auch eine eigenartige Tiefe und – was sie mit der Arbeit von
Campusano verbindet – sie sind urargentinisch. Nur haben sie ihre Wurzeln bei
besser betuchten Freidenkern, bei Borges, bei argentinischen Surrealisten,
Dichtern und Musikern. Nichts belehrendes haben sie, sondern sind frech wie
Godard zu seinen besten Zeiten und melancholisch wie Truffaut. Einfach toll,
dabei zuzuschauen, wie dieses Kollektiv wächst und wächst und längst auch
jüngere Generationen mitnimmt, vormacht, wie man einen viereinhalbstündigen
„Historias Extraordinárias“ über vier Jahre an Wochenenden mit Freunden dreht.
Dass zu diesen Freunden auch berühmte argentinische Schauspieler und Tänzer und
Sänger gehören, ist klar. Denn wer würde nicht mitmachen wollen, bei so einem
wild verspielten Spaß.
Dabei scheißen sie auf die üblichen Filmfinaziers (inklusive
des INCAA), wie sie sich ausdrücken, drehen ihre Filme für 2 oder 3 Tausend
Dollar. Das ist in Argentinien aber auch genau deshalb möglich, weil die
Filmförderung eben ganz anders funktioniert. Nämlich so ähnlich, wie die kleine
Förderung des Filmbüro NW, der man vor ein paar Jahren einen ähnlich schlimmen
Namen verpasst hat wie der Sozialhilfe, nämlich: Förderung Produktion II.
Entscheider sind in den argentinischen Fördergremien immer
auch Filmemacher. Es kommt häufig vor, dass Filmemacher ihren Film drehen
und danach erst Förderung beantragen. Es ist aber auch möglich, einen Antrag zu
stellen, der aus 10 Seiten Voice Over besteht. Der Film, der dabei
herausgekommen ist, heißt Balneários von Mariano Llinás. Sein erster Film. Dass
man in Argentinien keine Regionaleffekte erfüllen muss, versteht sich von
selbst. Alles Dinge, die für die Novellierung des Filmfördergesetzes interessant
wären. Denn die argentinische Filmlandschaft ist in alle Himmelsrichtungen
lebendig und vital und verkauft sich aus diesem Grund erstaunlich gut.
Einen wollte ich noch erwähnen, weil er zu den Leuten
gehört, die sich gut im „World Cinema“ zurecht finden und darin auch zu Recht ihren
Platz haben:
Die Begegnung mit Lisandro Alonso und seinem Film Fantasma.
In dem Film sucht der Hauptdarsteller seines zweiten Films („Los muertos“) in
dem modernistischen, aber heruntergekommenen und, abgesehen von ein paar
gespensterhaften Gestalten (Vorführer, Kinoleiter, ein anderer Schauspieler
(aus „La libertad“)), menschenleeren Teatro San Martin den Kinosaal, in dem
„Los Muertos“ aufgeführt wird, um dann dort zunächst als einziger Zuschauer
sich selbst auf der Leinwand zuzusehen. Fantasma wurde im Teatro San Martín
gedreht, dort, wo unsere deutsch-argentinische Reihe und damit auch Fantasma
gezeigt wurde! (Vielleicht kann der ein oder die andere sich vorstellen, wie
ich mich gefühlt habe, als ich in der spärlich besuchten Nachmittagsvorstellung
saß und dabei mir (und dem Protagonisten auf der Leinwand zusah, (der
seinerseits sich selbst auf der Leinwand zusah)): Kris Kelvin irrt über die
Raumstation Solaris und begegnet Flann O’Briens drittem Polizisten.) Nichts als
Erinnerungen. Das Ende einer Filmabspielform.
Und ganz am Schluss noch eine Vorankündigung, weil ich
Martín Rejtman auch kurz getroffen habe nach der Vorführung von „Der Wald vor
lauter Bäumen.“ Sein neuer Film „Dos Disparos“, über den ich viel gehört habe,
läuft auf dem Filmfest München, aber auch open air am 5. Juli im MAK in Köln
und am 8. Juli um 19.45 Uhr in Berlin fsk in Kreuzberg.
Abrazo de
Buenos Aires * Franz
Buenos Aires * Franz