Überspringen zu Hauptinhalt

Zum Kino gehört unbedingt das Danach, das Sprechen über den Film, sozusagen als Ernte einer stummen Geselligkeit, um jenen Dingen nachzuforschen, die ins eigene Leben ragen, die brauchbar sind. Ich war heute abend kurz entschlossen, Kelly Reichardts MEEK’S CUTOFF zu sehen, aber weil sich auf die Schnelle keine Begleitung fand, bin ich alleine gegangen, und das buchstäblich: ich war der einzige Besucher.

Grund genug, hiermit einen (vorerst) virtuellen Revolver Filmclub auszurufen, der den Austausch über Filme, die man gesehen hat, befördern soll. Es geht dabei nicht im engeren Sinn um „Filmkritik”, eher um ungekämmte Sätze, Für und Wider, Vielstimmigkeit, die sich aus frischen Eindrücken speist.

Jeder, der MEEK’S CUTOFF gesehen hat (und ich finde, jeder sollte ihn sehen), ist hiermit herzlich eingeladen, den Film zu kommentieren. Ich mache den Anfang (s.u.), in der Hoffnung auf Gesellschaft!

Christoph

(Eingestellt von Christoph)

Dieser Beitrag hat 17 Kommentare

  1. Hallo & danke erst einmal für das Eröffnen des Filmclubs, das finde ich eine schöne Idee!
    Zum Film selbst muss ich allerdings sagen, dass ich ihn für nicht gelungen halte, mit anderen und einfacheren Worten, ich fand ihn langweilig und insgesamt überbewertet.
    Frage an Lukas Foerster: Warum muss man einen Film noch mal sehen, obwohl er einen, beim ersten Sehen nicht ansprach? Stilblüten der Filmkritik. Da halte ich es mit Montaigne, der sinngemäß sagte, Literatur muss Freude bereiten, ansonsten würde er das Buch beiseite legen.
    Um zum Film zurück zu kommen, auf ästhetischer Ebene, sieht Filmkunst für mich anders aus. Die schauspielerische Präsenz der Hauptdarstellerin hielt ich für gelungen, die Geschichte doch sehr klischeehaft, böser weißer Mann, Indianer Opfer und potentieller möglicher Retter. Was soll ich sagen, nachdem ich aus dem Kino kam, viel mir erst auf, das ich nur an diesem Tag, die sieben Samurai in Originallänge im Filmmuseum hätte sehen können. Selbst Tournee, mein letzter Kinofilm, an dem es sicher auch Kritik zu äußern gäbe, ist mir immer noch in bester Erinnerung. Grüße, Raoul

  2. Ich bin mit dem Film erst gar nicht so weit mitgegangen, dass ich diese Frage beantworten könnte. (Was mir natürlich erst recht zeigt, dass ich ihn noch einmal sehen muss.) Meine Ablehnung des Films hat sich wirklich direkt an den Bildern festgemacht, sozusagen am "Zeigen". Ich hatte eben gerade nie den Eindruck, da einen "bazinianischen", neorealistischen Western zu sehen, kein "change mummified", sondern eher eine Serie von Dioramen ohne jeden Bezug zur (Film-)Geschichte (zumindest ohne jeden Bezug, der über Illustration hinausgehen würde). Vielleicht passt das zu dem mangelnden Interesse an den Tieren, über das Du schreibst. Schließlich lassen sich Tiere grundsätzlich vom Kino weniger perfekt "dressieren" als Menschen.

  3. Was mir auf die Nerven gegangen ist, war die unentschiedene Bevorzugung des Gesichts von Michelle Williams. Reichardt will keine „Star-Performance”, aber eine Nicht-Star-Performance will sie auch nicht. Williams / ihre Figur / Reichardt ist sich der Sympathien des modernen Publikums zu sicher. Immer wieder meinte ich die Zustimmung des Publikums (das in meinem Fall gar nicht im Kino sass) zu hören, es gab sozusagen imaginären Applaus vom Band. Ein Hauch von Populismus, der in der „Wüste” natürlich mehr auffällt.

    Und es gibt in diesem Kino einen schwelenden Konflikt zwischen Zeigen und Erzählen. Das Zeigen ist „heilig”, aber eben weil die auratischen Bilder für sich sprechen dürfen erscheint das Erzählen – das Verbinden und Hierarchisieren bestimmter Bilder – so profan. Michael Baute beschreibt das in Cargo am Beispiel des Wasserfasses: er nimmt Reichardt die erzählerische Betonung übel. Genauso könnte man natürlich umgekehrt mehr Erzählung fordern, statt Mystizismus / „Ontologie des fotographischen Bildes” jesuitische Tugenden (arm, ehelos, gehorsam). Reichardt geht diesbezüglich einen Mittelweg, scheint mir – vergleichbar vielleicht mit Valeska Grisebach, die sie einmal als Vorbild genannt hat. Hat das mit deinem Unbehagen zu tun, Lukas?

    Christoph

  4. Ich hatte den Film letztes Jahr in Wien gesehen und er hatte mich ziemlich abgestoßen, auf eine Art, über die ich mir selbst bis heute noch nicht so ganz klar geworden bin. Ich glaube, mich hat ausgerechnet das gestört, was fast alle anderen an dem Film lieben: die Bilder, die Farben, alles so aufdringlich, ausgestellt zerbrechlich, ich will kein museales Guckkastenkino, das ist für mich die falsche Alternative zum immer noch vitalen Hollywoodkino. Selbst die Überblendung, von der alle schwärmen, hat mich genervt. Die Figuren könnten mir gefallen, dachte ich manchmal, wenn Reichardt ihnen etwas mehr Zeit und Freiraum lassen würde, es gab da ein paar schöne Momente der Unentschlossenheit, die mich an die tolle Lagerfeuerszene in "Wendy & Lucy" erinnert hatten (den ich abgesehen von dieser einen Szene auch nicht sonderlich mag).
    Nachdem ich Michael Bautes Text in cargo (und zuletzt auch Thomas Groh im perlentaucher) gelesen hatte, wollte ich den Film eigentlich auf jeden Fall noch einmal sehen; irgendwie möchte ich mich diesen Bildern aber trotzdem nicht noch einmal aussetzen.

  5. @Christoph

    Eine sehr einfache Variante des Reitz'schen "mehrformatigen" Filmemachens konnte man dieses Jahr bei Alejandro Gonzalez Iñarritus "Biutiful" sehen; wo nach etwa zwei Dritteln des Films das Bildformat (zugegebenermaßen sehr elegant) von 1.85:1 zu 2.40:1 wechselt. Auch hier ist das dramaturgische Argument wohl entscheidend gewesen. Näheres erklärt der ASC Rodrigo Pietro im American Cinematographer:

    http://www.theasc.com/ac_magazine/January2011/Biutiful/page1.php

  6. auch Gus van Sants Elephant und Paranoid Park (Gerry kenne ich nicht, aber bestimmt auch) sind 1:1,37 – wurden wahrscheinlich aber oft im falschen Format vorgeführt.
    Zur Ehrenrettung unserer Zuschauer muss ich noch sagen, dass sich zur Früh- und Hauptschiene schon ein paar Leute einstellen.

  7. Danke für die Ford-Aufklärung. Ich hatte also unrecht.

    Was die Format-Freiheit betrifft, Tina: dieses Streamlining hat natürlich mit der Fernsehindustrie zu tun, dem Wunsch, die Geräte auszufüllen. Jede Abweichung von 16:9 habe ich selbst auch immer wieder als Konflikt erlebt. Ein Konflikt, den man aber mit dramaturgischen Argumenten führen muss.

    Übrigens musste (?) Gus van Sant von LAST DAYS auch eine 1:1,85-Version herstellen, meine DVD enthält beide Fassungen.

    Haneke wurde gezwungen, eine Farbversion von DAS WEISSE BAND herzustellen, für das französische Fernsehen (ist aber nie in Farbe ausgestrahlt worden, so weit ich weiss).

    Edgar Reitz hatte die Idee eines „mehrformatigen” Filmemachens – also dass man das Bildseitenverhältnis während des Filmes differenziert – von IMAX zu Scope zu Academy usw., nach dramaturgischen Massgaben.

    Luc Besson hat das – angeberisch, wie es seine Art ist – in THE DEEP BLUE gemacht, ich erinnere mich an den Aha-Effekt, als plötzlich der Vorhang breiter wurde, mitten im Film.

    Christoph

  8. Ford und Breitwand:
    Seven Women / Panavison (2,35:1),
    Cheyenne Autumn / 70mm (2,2:1),
    How the West Was Won (Bürgerkriegsepisode) / Cinerama (2,86:1)

  9. Nur zur Ergänzung zum Thema "Ford und Breitwand": er hat Cheyenne Autumn im 70mm Format (2,2:1) gedreht und die Bürgerkriegsepisode in How the West Was Won im Cinerama Format (2,86:1), 7 Women wiederum in Panavision (2,35:1), einige Filme ab Mitte/Ende der 50-er Jahre in die 60-er hinein in VistaVision.

  10. Eine kleine Anmerkung zum Format – und eine Frage: Ich war zugegebenermassen von 1: 1, 375 zunächst etwas irritiert, ertappte mich bei den eingeschlichenen Format -Sehgewohnheiten , was das Genre Western betrifft – und heutzutage ganz allgemein.
    Dabei ist das Format so richtig für diesen Film – so konsequent gewählt, wie ich finde. Ich kannte die Begründung von Reichardt a propos der Hüte nicht, ( macht Sinn und gefällt mir ), finde aber abgesehen davon, dass der Film durch die Wahl seines Formats einen Teil seiner Konzentration gewinnt. Format, Form und Inhalt spielen perfekt zusammen. Der Film konzentriert sich aus der Sicht der Personen auf das, was im Moment ist, was es zu tun gibt, was im Moment wichtig ist – und das ist kein Breitwandblick, kann kein Cinemascopeblick sein. (wie sowieso unser Auge nicht 'Breitwand sehen' kann, ohne sich zu bewegen).
    So schauen wir auch als Zuschauer immer auf das momentane Sein – Abschweifen in schwelgerisches Panorama bleibt uns verwehrt. Und dort, wo es eine horizontale Bewegung des Trucks durchs Bild gibt, ( und natürlich auch in anderen Szenen) unterstützt das Format, dass der Blick nicht nur in die Breite geht, sondern auch mal wieder ein Raum nach oben und/oder unten betont wird. Ist nicht auch eine Vorwärtsbewegung bildperspektivisch gedacht, eher eine Bewegung in die Tiefe – nach Vorne (oben)oder eben Zurück(unten) , und nicht in die Horizontale ?
    Nur sowenig zu Format und Inhalt für diesen Moment – jetzt zu meiner Frage: Haben wir als FilmemacherInnen eigentlich überhaupt noch eine Formatwahl? Irgendwo hab ich gelesen, dass manche Kinos sogar, auch wenn die Filme Academy Format haben, die gar nicht so zeigen , sondern oben und unten abschneiden, dass sie wieder '16:9' sind. Dieses omnipresente 16:9, das überall in allen Medien und Kanälen zum einzigen Format wird. ( Zum Teil ohne Sinn und Verstand und erheblichen perspektivischen Mängeln) Diese sich einstellende Irritation, schon bei einem selbst, wenn das Bild 'viereckig' wird, wie gross ist ist denn die Irritation, bzw. Ablehnung inzwischen schon allgemein? Der Begriff 'Einheitsformat' fällt mir ein – und gefällt mir überhaupt nicht. Für das Filmemachen war die Rahmenauswahl in Sachen Grösse schon immer sehr beschränkt – jetzt nur noch einer ?

    Tina

  11. „Affront gegenüber der Filmgeschichte”? Verstehe ich nicht recht. Breitwand („Cinemascope”) ist ja relativ jung, wurde erst in den 50ern eingesetzt und durchaus nicht bevorzugt für Western. John Ford hat nie einen Scope-Western gedreht — Stagecoach (1.37 : 1
    ), MY DARLING CLEMENTINE (1.37 : 1), THE SEARCHERS (1.75 : 1), Howard Hawks meines Wissens ebenfalls nicht. Ich weiss nicht, was der erste Breitwand-Western ist, vielleicht Anthony Manns THE MAN FROM LARAMIE (1955)? Dass Scope heute für viele synonym mit Western ist, liegt wahrscheinlich an Sergio Leone, also einem ganz und gar unklassischen Regisseur, dessen Western ja beinahe Travestien sind… Ist Reichardt also konservativ, wenn sie im alten Academy-Format dreht? Ich glaube, es war doch zuallererst eine dramaturgische Entscheidung — sie begründet das im Interview übrigens mit den sichtbeschränkenden Hauben der Frauen.

    Christoph

    P.S.: Auch Gus van Sants LAST DAYS war 4:3. Reichardt ist also nicht die erste Zeitgenossin, die zurück zum (Beinahe-) Quadrat geht.

  12. Als Größter Affront gegenüber der Filmgeschichte fällt mir das 4:3 Format auf. Da man seit geraumer Zeit Filme zu ähnlichen Sujets und in diesen Landschaften vor allem im Cinemascope Format sieht, ist das eine interessante Stellungnahme Reichardts zur Filmgeschichte. Leider spiegelt das Format in dieser Art der Betrachtung zwar ein wenig ihre Haltung gegenüber der Indywood Landschaft Amerikas wieder, zeigt aber auch, dass es außer ihr leider fast niemanden gibt, der so konsequentes Independent Kino in USA macht. Ich Habe den Film vor 6 Monaten in USA gesehen, ebenso wie du Christoph, in einem fast leeren Kino. Schade, toller Film.

  13. … vielleicht kommentiert das vermeintlich "unhistorische" Nichtverhältnis zu den Tieren auch mehr "unser" heutige Verhältnis zu ihnen… Und auch in Sachen "Indianer und Frau" ist es ähnlich. Das wird alles durch unsere Zeit und jene, die zwischen uns und damals liegt kommentiert. Geht nicht anders. Es sei denn, man nimmt "der alten Zeit" etwas weg, um "heute" mehr Zeit zu haben. Ich stimme Dir völlig zu: guter Film! Das Schönste sind die Farben und das Schweigen, das zum Geräusch dazugehört. Und offensichtlich wird er im fsk als 35mm-Kopie gezeigt, oder? Was ist nur los mit den Augen der Leute? Nicht nur Multiplex Spandau zeigt nur noch digital. Acud zeigt Godard digital, Tilsiter Kino "The Future" (sic!) auch – was dann auch wohl in der Regel "von DVD" heißt. Ich will weder esoterisch noch nostalgisch daher kommen. Aber: es tut weh, und ich befürchte: auch nicht gut.
    Ralf

  14. Das Schönste sind die Farben. Nicht, weil der Film darüber hinaus nichts zu bieten hätte, aber mir ist die Farbe, die Verletzlichkeit des Lichts, die zarte Färbung eines Bergrückens, das blau-bleiche Tuch, lange nicht mehr so eindrücklich, als Ereignis eigener Ordnung, nahe gegangen. Vielleicht sehe ich zu viele DVDs. Vielleicht sehen zu viele Filme so aus, als könnte man sie auf DVD ganz erfassen. Ein Film, der dem Kino gehört.

    Der Film ist sehr einfach, Menschen, Wagen und Tiere bewegen sich durch die Landschaft, für deren herbe Schönheit die Eroberer wenig Sinn zeigen. Sie haben andere Sorgen. Die Praxis ihres Alltags hätte ich gerne genauer gesehen. Reichardt zeigt kein einziges Mal das Tränken der Tiere, zeigt nicht, wie die Pferde gesattelt werden. Überhaupt entwickelt der Film kein Verhältnis zu den Tieren – was mir „unhistorisch” vorkommt. Dieses hochbeinige Wort, weil der Film über weite Strecken die Autorität der Recherche ausstrahlt. Die Strapaze der Dreharbeiten schreibt sich als eine Art Wahrheitssiegel ein.

    Das betrifft die Kostüme und Gegenstände, die Landschaften mehr als die Figurenzeichnung. In den Figuren regt sich immer wieder die Gegenwart, im Sinne von Absichten. Die Charaktere sind nicht voll entwickelt, man erlebt weniger Persönlichkeiten als Typen. Die politischen und auch feministischen Perspektivierungen sind interessant, aber „kleiner” als das Bild.

    Ich vermisse zu keinem Zeitpunkt „Action”, aber die Plastizität der Figuren bei Ford, John Wayne als Brittles in SHE WORE A YELLOW RIBBON, die vermisse ich schon.

    Vielleicht ist vermissen ein zu starkes Wort. Mir gefällt der Film. Ich habe ihn sehr gerne gesehen.

    „The past is a foreign country – they do things differently there” — dieser L.P. Hartley-Satz fällt mir immer ein, wenn es um Filme geht, die in der Vergangenheit spielen.

    In diesem Sinne ist Reichardts Personal vielleicht nicht fremd genug. Oder anders herum: am Meisten befriedigen mich Passagen, die die Menschen fremd zeigt.

    Aber der Indianer, der trügerische Führer, die hysterische Frau – darin ist mir schon zuviel Kommentar enthalten für einen Film, der bildästhetisch mit Rohpigmenten arbeitet, sozusagen.

    Die Musik von Jeff Grace ist schön. Gerade weil sie keine Gefühle individualisiert. Sie funktioniert dramaturgisch wie Geräusch. Sie beschreibt die Atmosphäre.

    Christoph

Kommentare sind geschlossen.