Unser Heft 50 ist gerade frisch aus der Druckerei eingetroffen. Darin auch das Interview mit Sohrab Shahid Saless von 1977 "Stilles Leben in der Fremde", wiederabgedruckt im dreibändigen Werk "Die langen Ferien des Sohrab Shahid Saless. Annäherungen an ein Leben und Werk" von Behrang Samsami. Am 28. Juni 2024 wäre Saless achtzig geworden. Ein Gastbeitrag zum Anlass.

Denken mit Sound oder Erinnerungen an die Zukunft
Notizen vom Internationalen Frauen Film Fest Dortmund+Köln. Von Katrin Eißing.
Das Internationale Frauen Film Fest Dortmund Köln gibt es seit 42 Jahren. Ein dichtes Festival voller Information, in dem alle Filme sich ineinander verschränken. Zwingend jeden Morgen einen Text zu/ über das, was im Dunkeln sichtbar oder fühlbar wurde zu versuchen. Erinnerung du bist mein neues Lieblingswort. Von wo aus? Wo bin ich? Hier, auf der dünnen Betonkruste Dortmunds. Auf einer der vielen Schichten von Renovierungen, die nur lose auf den Ruinen liegen. Poesie und Queeres Sein wächst in Zwischenräume hinein. Eine Tür quietscht, ein Zug am Kino. Oder ist es das Rumpeln der Planeten, deren Bewegungen wir Menschen mit unseren Revolutionen, nur nachstellen?
Die Filmsektionen heißen „Andauernd”, „Begehrt”, „Decolonize Film”, „Kino to go”, Vorträge zum Beispiel „Queer Future Perfect: Invisible Desires, Archival Poetry and Utopian In-Betweenness”.
Erinnerte Gesichter und erzählte Geschichten sind „… in der Lage uns über Jahrhunderte hinweg miteinander zu verbinden.“: sagt Betty Schiel. Sie führt damit ihren Fokus: Sehen lernen und verlernen- Film Dekolonisieren ein. Ein Blick in die Zukunft aus Archiven heraus. Wie ist es möglich Unterschiede zu benennen, also auch zu erschaffen ohne zu mobben oder zu beleidigen? „Welche Bilder erzählen über Verbrechen des Kolonialismus, ohne sie zu reproduzieren?“: fragen die Kuratorinnen Betty Schiel und Johanna-Vasirra Kluhs im Katalog.
Der erste lange Film den ich hier sehe: Sambizanga (1972) ist auch einer der ersten langen Spielfilme von einer schwarzen Frau aus Afrika: Sie heißt Sarah Maldoror. Angola im Freiheitskampf. Ein Film unter Freunden gemacht. Von Menschen und ihren Körpern sichtbar hergestellt. Erst sehen wir den reißenden Fluss, dann die Körper der Männer im Steinbruch. Später die weichen Bewegungen der spielenden Kinder, der Familien, des Liebespaares mit Baby. In den betörenden Farben der restaurierten 35 mm Fassung und dem Leuchten der sich bewegenden Kleider der Frauen, fließt immer noch der Rhythmus der Gegenwart. Gesichter echter Menschen die spielen, was sie selbst erlebt haben. Und nicht spielen, dass sie etwas erlebt haben! Großaufnahmen. Emotion ist an der Filmkörnung entlang fühlbar. Wärme fließt mit der Zeit in unsere dunklen Kinokörper. Wie unangenehm ein Leben lang soviel blasse Haut in Filmen auf der Filmhaut: Pelicula gesehen zu haben. Kommt mir vor wie eine Vergiftung. Dann ist es auch ein Film, in dem eigene Strukturen klar werden: In Szenen, in denen die alten Frauen Junge, Verzweifelte trösten und umringen. Wenn der weinenden jungen Mutter die Sorge für ihr Kind abgenommen wird. Eine andere Frau stillt es jedes Mal sofort. Das wird bewusst wiederholt. Wie sehr haben wir hier, wenn wir in Trauer wie blind waren, verletzlich mit Kindern im Arm, mehr Verbindung der vielen anderen Frauen gewünscht. Wir weinten nebeneinander einzeln in renovierten Steinwohnungen. Wiederaufbau. Der Blick in Vergangenheit wird eine Sehnsucht, die in die Zukunft reicht.
In der „Begehrt”-Reihe läuft der Gedichtfilm (ja das kann mensch sagen und es sollte ein Genre sein) Meanwhile von Chaterine Gund / Aubin Pictures. Sie erlebt das Überleben und mit Überbleibseln leben, von Freunden und Netzwerken in Nordamerika. Der Film wurde zur Zeit der Corona Pandemie und der Black Lives Matters Bewegung gedreht. Auf den Demonstrationen werden noch Masken getragen. Während der Kapitalismus sie auf dem Weg in die offene Gewaltherrschaft schon abgeworfen hat. Zärtlichkeit und Poesie, Blicke und Ansichten. Im Rhythmus des menschlichen Atems. Ein menschlicher Gesang im Angesicht der Vernichtung.
Der Abend kommt. Menschen lernen in den Brüchen? Sie werden immer schmerzhafter (die Brüche und die Menschen) Schmerzen und Verwirrung fordern: Kommunikation Aushalten Sprechen. Im Panorama mit dem schlichten Titel „Andauernd-Enduring”, das von Vivien Buchhorn (verantw.) und Bernadette Kolonko kuratiert wird, entsteht Poesie als Haltung, als Handlung, als Hauptperson. Dazu der Raum den wir brauchen, damit unsere Gedanken Hall haben.
Die Liebe zur Sache ist Sabine Herprichs schöne, ruhige, neue Arbeit mit Babara Morgenstern. Sie zeigt die Arbeit selbst als Kunst, die Arbeit daran als Handwerk. Das Handwerk als Kunst und Kunst als Arbeit.
We are inside von Farrah Kassem aus dem Libanon, der mit 180 Minute keine zu lang ist. Das, was wir nicht sagen, was wir nicht sehen. Vor den Fenstern brüten Tauben. Aufstand, Rauch und Panzer erschüttern die Strassen von Tripolis. „Inside“ wird der Dichtkunst, Schönheit und dem Dazwischen gehuldigt. Der Film hatte Premiere im letzten Wettbewerb von Visions Du Réel Nyon und ist jetzt hier.
Eine weitere Deutschlandpremiere. Der einfach nur fantastische Sudan Remember Us von Hind Meddeb wurde schon in Venedig und der ganzen Welt gefeiert. Hind ist da. Sie hat diesen Film komplett allein auf den Massenkundgebungen 2019-2024 im Sudan gedreht. Voller Hoffnung auf Freiheit feiern die Menschen im Sudan 2019. Die Straßen Khartums sind besetzt. Das Volk hat nach langjähriger Diktatur endlich die Macht. Massaker, Tod filmen die Mörder sich selbst. Hind bleibt bei den Gesichtern der Freundinnen. Die Poesie bleibt ewig“ singen die Mädchen. Sie gehen wieder neu auf die Straße und dichten weiter. Wir sitzen im Sessel und sind voller Sorge um sie. Hind Meddeb bekommt den Publikumspreis.