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Schlechte Nachrichten: Wie Desistfilm berichtet, ist der japanische Regisseur Koji Wakamatsu bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Andere Quellen sprachen zwischenzeitlich von einem nicht-tödlichen Ausgang. Leider falsch.

Mit Filmen wie UNITED RED ARMY (Forum 2008) und CATERPILLAR (Wettbewerb 2010, Silberner Bär für die Beste Darstellerin: Shinobu Terajima) hat er zuletzt in Berlin für Gesprächsstoff gesorgt. Ich bin seinen Filmen im Rahmen einer kleinen Werkschau auf der Berlinale 2008 zum ersten Mal begegnet. Der Eindruck war bleibend, auch wenn ich nur einen Splitter seines über 100 Filme reichen und wilden Werkes kenne (Auf Youtube gibt es den einen oder anderen Film von ihm). Über zwei Filme habe ich damals (für das ZEIT-Berlinale-Blog) geschrieben, kleine Texte, die ich hiermit aus dem traurigen Anlass noch einmal poste.

Christoph Hochhäusler

SIEGEN LERNEN
Stellen Sie sich folgende Situation vor: Die Spitzen eines Unternehmens sind in einer Berghütte zusammengekommen, um in der Abgeschiedenheit eine radikale Strategie zu beschliessen, die den Markt aufmischen und vor einer feindlichen Übernahme schützen soll. Die Klausur wird flankiert von einer Art paramilitärischem Training, um die Teilnehmer auch körperlich auf den erwarteten „totalen Krieg” vorzubereiten. Solcherart konditioniert wird aus der Fehlersuche – eine Reihe von Zielvorgaben sind im letzten Quartal unterschritten worden – eine mörderische Angelegenheit. Vermeintliche „Versager” werden psychologisch demontiert und schliesslich körperlich attackiert. Nach und nach kommen so 14 junge Führungskräfte zu Tode.
Der Film JITSUROKU: RENGO SEKIGUN ASAMA SANSO E NO MICHI (United Red Army, Regie: Wakamatsu Koij; Forum) handelt natürlich nicht vom Wirtschaftskrieg, sondern von einer radikalen linken Gruppierung in Japan, die sich im Februar 1972 einer mörderischen „Selbstkritik” unterzogen hat, bevor sie von der Polizei entdeckt und in einer zehn Tage dauernden Belagerung überwältigt wurde. Aber die Parallelen zur Rhetorik von Effizienz und Aggression, die uns heute täglich serviert wird, sind unübersehbar.
Zur Erinnerung: „Die Angestellten des Technocentre von Renault bei Paris stehen unter Schock. Sie erfuhren am Dienstag, dass sich einer ihrer Kollegen, ein 38-jähriger Ingenieur, am Freitag in seiner Wohnung erhängt hat. Er arbeitete an dem neuen Modell Laguna, das im nächsten Jahr auf den Markt kommen soll. Dies ist bereits der dritte Angestellte des Technocentres, der sich innerhalb der letzten vier Monate umgebracht hat.” (zitiert nach einem Artikel auf heise.de)
In einer Szene wird eine junge Frau, die auffällig geworden war, weil sie sich an den paramilitärischen Übungen nur halbherzig beteiligt hat, über ihre Motive befragt. „Warum hast du dich heute geschminkt?” „Warum hast du die Kleidung gewechselt?” „Warum bist du hier?” heisst es wieder und wieder – und das Verrückte ist, dass durch die inquisitorische Insistenz nach einer Weile wirklich jede Handlung und jede Antwort verdächtig erscheint.
Die stalinistische (oder maoistische?) Praxis der „Selbstkritik” ist der dunkle Strom, der das vermeintlich so rationale Gebäude der kommunistischen Revolution, von der so viel die Rede ist, unterspült und zum Einsturz bringt. Während die jungen Aktivisten in Phillippe Garrels LES AMANTS RÉGULIERS (F 2005) zum Beispiel selbstdarstellerisch von der Liebe sprechen / das Sprechen lieben, wird die Kommunikation hier zu einer Art ritueller Autoaggression, die alles Individuelle ausmerzen soll.
Von den (wenigen) Filmen, die ich bisher auf der Berlinale gesehen habe, zweifellos der beste, nachdrücklichste Film mit einem fantastischem Ensemble junger Schauspieler.
JAPANISCHES GEHEIMNIS
Die Fruchtfliegenforschung lehrt uns, dass Erinnerungen, die im Gehirn vom Kurzzeit- in den Langzeitspeicher verschoben werden, unterwegs ihre chemische Struktur verändern und kompakter werden. In der Filmkritik gibt es verwandte Vorgänge. Und es kommt vor, dass auf dem Weg von der Vorführung zum Schreibtisch jeder Bezug zur „Wirklichkeit” (des Filmes) verlorengeht. Das sei nur vorausgeschickt, falls …
Ich komme gerade aus KABE NO NAKA NO HIMEGOTO („Secrets Behind the Wall”, Japan 1965; Forum) von Wakamatsu Koji. Ein Film der Kollisionen. Ich kann nicht beurteilen, welchen Platz KABE innerhalb des Genres ‘pink eiga’ einnimmt (eine spezifisch japanische Form des ’sexploitation films’), aber im Bett der Erwartungen, die ich an Filme zu stellen gewohnt bin, ist dieser Film ein wirklicher Querschläger. Wenn ich versuche zu beschreiben, was KABE ausmacht, ergibt sich ein Gegeneinander von Eindrücken und Absichten, die unüberbrückbar scheinen.
Zum Beispiel: Eine verheiratete Frau, die unter der Ikone Josef Stalins mit ihrem Liebhaber schläft, dessen großflächige Narben, Hiroshima-Spätfolgen, Ausgangspunkt ihrer Zärtlichkeit und Bezugspunkt ihrer Gedanken sind. Wir sehen immerfort Zeichen, die gelesen werden wollen (Stalin, Hiroshima, Sex), aber keinen „verständlichen” Text ergeben. Das im doppelten Wortsinn aufregende an dieser „Skandal-Montage”, die weder nur Effekt, noch je ganz zielführend ist, liegt in einer Art Handel. Für jeden nackten Busen, den wir sehen „dürfen” (ein Tauschwert, für den die Produzenten wohl bezahlt haben), müssen wir den Hautkrebs des Liebhabers ertragen, bis sich beides „sinnlos”, aber hochemotional verbindet.
Wenn ich schreibe „sinnlos”, will ich nicht sagen, dass die Filmemacher zufällig vorgegangen sind. Im Gegenteil: sie verweigern mutwillig die Formschlüssigkeit und markieren so die Bedingungen ihrer Arbeit, statt sie zu verschleiern. Der politische Diskurs wirkt dabei oft so äusserlich wie die Erotik, um im nächsten Augenblick eine geradezu handgreifliche Sinnlichkeit zu entwickeln. Und umgekehrt. In anderen Passagen wähnt man sich in einem soziologisch unterfütterten Problemfilm, und auch dort verbindet sich der Sex oder das Begehren auf eine unangenehme Weise mit dem „Problem”. Gerade weil der Film also „unausgegoren” ist, muss er in uns weitergären – und sei deshalb herzlich empfohlen.
(Eingestellt von Christoph)