Der Filmkritiker und Kulturwissenschaftler Ekkehard Knörer (Cargo) verantwortet das Oktober-Programm im Revolverkino.
Christoph Hochhäusler: Du hast dein Programm „Gruppenfilme” genannt (Revolverkino + Cargo im Gropius Bau 24. + 25. + 26.10.2018) – Filme von und über Gruppen. Was interessiert dich daran?
Ekkehard Knörer: Man könnte am ehesten wohl sagen: Fragen der Organisation. Wie organisiert man Geschichten, die nicht einen, sondern mehrere, oder gar viele, Protagonist*innen haben? Wie organisiert man einen Film, der nicht einen, sondern mehrere Autor*innen hat? Fragen der Dramaturgie, der Ordnung, der Abfolge, der internen Bezüge. Wie stellt man Übersicht her, oder: Welche interessanten Wirkungen ergeben sich aus Unübersichtlichkeit? Natürlich ist Kino als Kunst fast immer eine Kunst, die nur unter den Bedingungen der Zusammenarbeit mehrerer oder vieler bis sehr vieler Beteiligter funktioniert. Dieser Aspekt wird bei den Gruppenfilmen beinahe notwendig aber auch Thema. In allen der von mir ausgesuchten Fälle kompliziert sich das auf erfreuliche Art jeweils weiter, etwa weil noch eine lange historische Folge miterzählt werden muss (56 up), weil nicht alle dieselbe Haltung zum Gegenstand haben, der aber eine Haltung einfordert (Loin du Viêt-nam), weil nicht klar ist, wie man zu Entscheidungen kommt, wenn die Gruppe tatsächlich als Kollektiv organisiert ist (Material Beton).
CH: In der kanonischen Filmgeschichte geht es spätestens seit der politique des auteurs um Köpfe, fast immer: Männer, die ihre Handschrift selbst in industriellen Zusammenhängen durchsetzen können. Wenn wir einmal davon ausgehen, dass dieses alte Bild korrekturbedürftig ist – welche Rolle spielen Gruppen in der Filmgeschichte? Und wie soll man sie beschreiben?
EK: Jede*r weiß, dass die Zurechnung filmischer Leistungen auf die eine Person, das Auteur-Genie dahinter, eine fahrlässige Vereinfachung ist. Durchaus eine, die in vielen Zusammenhängen – von der Filmförderung bis zur Filmwissenschaft – nicht alternativlos ist, aber doch seit Jahr und Tag gut funktioniert. Eine Vereinfachung bleibt es doch. Die Gruppenfilme blockieren diese Vereinfachung, wenigstens ein bisschen, wenigstens in manchen Aspekten. Ensemble von Eva Könnemann und Material Beton, den Könnemann iniitiert hat, um sich dann ins Kollektiv der Filmer/Darsteller*innen einzufügen, dekonstruieren auf denkbar gründliche und auch schmerzhafte Weise die Idee des Künstlers als Auteur und Genie. Sie nutzen dazu das Theater und die Bildende Kunst sozusagen als Reflexionsmittel für das Kino: Man kann nur staunen, wie das Kjno so über einige seiner zentralen Aporien nachdenken kann.
CH: Was definiert eine Gruppe in deinen Augen? Was hält sie zusammen? Denn in gewisser weise gibt es ja beinahe ausschliesslich Gruppenfilme, da die meisten Filme in Teams und mit multiplen Autorenschaften gedreht werden. Wo verläuft die Grenze vom kreativen Team zum Kollektiv- oder Gruppenfilm? (oder ist Kollektivfilm etwas drittes?)
EK: Das habe ich oben schon teilweise beantwortet: Ja, ganz klar, Kino ist fast immer nur möglich durch Zusammenarbeit. Interessant, dass der Aspekt beim Thema Fernsehserien stärker beachtet wird, die Rolle der Showrunner steht in einem nicht ganz einfachen Verhältnis zu der des Regisseurs, der Regisseurin beim Film. Die Grenze ist ganz sicher nicht klar zu benennen, spannend scheint es mir da zu werden, wo man über seine konventionellen Vorannahmen zu stolpern beginnt, weil sie nicht so richtig greifen. Die Filme des letzten Abends sind mir wichtig, weil sie die Frage nach dem Kollektiv auf mehreren Ebenen selbst ins Zentrum rücken. Wenn man „Kollektivfilme” abgrenzen will, dann geht das sicher am ehesten über politische Absichten, also den Willen der Macher*innen, das Einzelkämpferdasein selbst aufzubrechen und sich für gleichberechtigte Zusammenarbeit in einem Projekt, das man als gemeinsames begreift, zu öffnen. In einem emphatischen (anders als einem soziologischen) Sinn ist es vermutlich am ehesten dieser Wille, der eine Gruppe (ob sie sich institutionell verfestigt oder lose organisiert) zusammenhält (oder auch auseinandertreibt. Zur Gruppe, erst recht zum Kollektiv, gehört essentiell der Konflikt).
Die aktuelle Ausgabe der Film/Medien/Kultur-Zeitschrift Cargo, die Ekkehard Knörer mitherausgibt.
CH: Welches Verhältnis hast du persönlich zu Gruppen? Welchen fühlst du dich zugehörig? Ist Cargo eine Gruppe?
EK: Sachen zusammen machen finde ich gut. Texte schreibe ich trotzdem meistens als alleiniger Autor, im Genre der Kritik wäre alles andere tatsächlich eine große Herausforderung, bzw. man landet dann schnell bei der Form des Gesprächs. Uns drei Gründer und Herausgeber von Cargo würde ich tatsächlich als Kollektiv beschreiben. Zwar sind die Rollen (und auch die Arbeitslasten, sage ich eher schuldbewusst) unterschiedlich verteilt, aber es regiert auf jeden Fall die Idee der völligen Gleichberechtigung. Es kommt dabei sehr selten zu inhaltlichen Konflikten, das hat wohl mit dem totalen Respekt zu tun, den wir dem sturen Eigensinn und nicht zuletzt den Idiosynkrasien der anderen gegenüber haben. Eigentlich gehört aber auch Erik Stein, zuständig für Layout, Netz etc., eher kollektivförmig dazu, als Angestellter zu sein. Und auch Cargo insgesamt, also die Autor*innen und Autoren inbegriffen, ist mehr als nur eine lose Ansammlung von Individualitäten. Es gibt da ein – wenn auch kaum konsensuell auf einen klaren Begriff zu bringendes – gemeinsames Projekt.
CH: Das Programm ist ja nur ein kleines Fenster in ein großes Thema hinein. Warum hast du gerade diese Filme gewählt? Welche anderen Filme standen auf deiner Liste?
EK: In der Tat. Von der längeren Liste, die ich hatte, wäre Emile de Antonios In the King of Prussia der Film gewesen, den ich am dringendsten noch hätte dabei haben wollen – weil hier das Politische und die Reflexion (es geht um das Reenactment eines Prozesses gegen ein Kollektiv von Terroristen) so schlagend zusammenkommen. Das war aber aus verschiedenen Gründen dann doch nicht gut machbar. Das politische Moment ist mir aber wichtig, weil es für mich zur emphatischen Idee der Gruppe dazugehört, darum jetzt immerhin Loin du Viêt-nam. Zugleich wollte ich gerne eine Langzeitbeobachtung dabei haben – da wären auch Filme von Volker Koepp oder Gerd Kroske in Frage gekommen. Aber ich mag die Up-Serie sehr, gerade weil sie keine sonderlichen formalen Ansprüche hat, sondern nur diese Leben und ihre Entwicklungen irgendwie in eine Erzählung organisiert zu bekommen versucht. Und die Filme von Eva Könnemann (bzw. Material Beton vom Kollektiv, man muss aufpassen, dann nicht wieder aufs singuläre Autorensubjekt zurückzuadressieren) sind einfach das Klügste und Peinvollste und Lustigste, das es zu diesen Fragen nach Autorschaft, Gruppenarbeit und gleichberechtigter Verteilung aller Rollen im Kollektiv überhaupt gibt.
Das Interview wurde per E-Mail geführt.