Unser Heft 50 ist gerade frisch aus der Druckerei eingetroffen. Darin auch das Interview mit Sohrab Shahid Saless von 1977 "Stilles Leben in der Fremde", wiederabgedruckt im dreibändigen Werk "Die langen Ferien des Sohrab Shahid Saless. Annäherungen an ein Leben und Werk" von Behrang Samsami. Am 28. Juni 2024 wäre Saless achtzig geworden. Ein Gastbeitrag zum Anlass.
Zu Beginn des kosovarischen Dokumentarfilms Me dasht‘, me dasht‘, me dasht‘ (to want, to love, to need, 2017) stellt sich eine Gruppe junger Künstlerinnen und Künstler die Frage: What do you believe in? Antworten versuchen sie in verschiedenen Kunst-Performances zu finden, die sie in Pristina, Belgrad und schließlich Zürich aufführen. Die Antworten bleiben erwartungsgemäß flüchtig, am Ende hat man diese Ausgangsfrage fast schon vergessen. Das macht den Film jedoch nicht uninteressant. Es geht um etwas anderes. Me dasht‘, me dasht‘, me dasht‘ mag (zumindest für uns Zuschauer) als eine dokumentarische Begleitung des Kunstprojektes beginnen – die ersten Gespräche, die Zusammenstellung des Teams, das Reisen, die Aufführungen -, mutiert dann jedoch relativ schnell in einen impressionistischen Videofilm, in dessen Zentrum einerseits die 18-jährige Künstlerin Edona und Arbër stehen (die beide gerade dabei sind sich zu trennen) und andererseits Genc, der Bruder des Regisseurs Ilir Hasanaj, der eigentlich lieber zu Hause beim Gamen geblieben wäre und sich nur widerwillig überreden lässt, sich der Truppe anzuschließen. Der Film erinnert in gewisser Weise an ein Polaroid-Bild, intim und sinnlich zugleich, aus dem sich ungemein bewegende Szenen herauskristallisieren. Die schmerzhafte Trennung von Edona und Arbër etwa oder Genc, der selbst mit einfachen Aufgaben wie dem Küchendienst in seiner Lethargie schon fast überfordert scheint. Hasanaj steht mitten drin, Me dasht‘, me dasht‘, me dasht‘ wirkt wie aus der Hüfte geschossen, dabei feste verankert im Hier und Jetzt.
1995 übernahm Bruno Todeschini in À Cran (1995) seine erste Hauptrolle. Dass dieser Film heute so gut wie vergessen ist, ist ein Jammer. Eine Frau fährt zum Flughafen, um ihren Mann dort in Empfang zu nehmen. Zu Hause warten die Kinder. Doch der Mann kommt nicht an und als die Frau im Hotel anruft, erfährt sie per Zufall, dass ihr Mann nicht nur gar nicht abgereist ist, sondern mit einer fremden Frau dort die Zeit verbringt. Wütend und irritiert spricht die Frau einen jungen Mann an, ob er nicht Lust hätte mit ihr etwas trinken. Und so brechen Clémentine Célarié und Bruno Todeschini zu einer nächtlichen Fahrt durch Paris auf, in Cafés, Bars und schließlich ein Hotelzimmer. À Cran bemüht sich sehr, jeden überflüssigen erzählerischen Ballast abzuschütteln. Nur wenige Minuten dauert es etwa, bis der Film die beiden verlorenen Menschen zusammenführt. Eine Entscheidung aus dem Moment heraus, die keine weitere Erklärung bedarf. Es geht um das Zusammenspiel von Célarié und Todeschini und um die Menschen, die sie unterwegs begegnen. Dabei entstehen wunderschöne Szenen: Als die beiden endlich in einem billigen Hotelzimmer landen, sehen wir, während die beiden Sex haben, den Nachtportier, wie er sich einen Bollywood-Film anschaut. Als wir dann ins Zimmer zurückkehren, sitzen sich die beiden Liebenden gegenüber und zeigen sich gegenseitig Körperstellen, mit denen sie unzufrieden sind. Regie führte Solange Martin. Es war ihr erster und blieb ihr einziger Spielfilm. Das Festival versuchte sie zu kontaktieren, doch niemand konnte Auskunft darüber geben, wo sie heute lebt.
Beide Filme liefen auf den Solothurner Filmtagen in der Schweiz: Me dasht‘, me dasht‘, me dasht‘ im Panorama-Programm, das einen Überblick über aktuelle Schweizer Produktionen bietet und À Cran war Teil der Retrospektive, die Bruno Todeschini gewidmet war.
(Hannes Brühwiler)