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Das Internationale Tarkowskij Kinofestival Zerkalo in Iwanowo, Russland (14.-21.6.2019)

 

Ein Filmfestival das den Namen Spiegel (russisch Zerkalo), einem der Filme von Andrej Tarkowskij trägt, findet seit dreizehn Jahren in der Herkunftsregion des sowjetischen Regisseurs statt. Geleitet vom erfahrenen Filmkritiker Andrej Plachov versammelt es Jahr für Jahr internationale Filme, die in einer gewissen Tradition oder Weiterentwicklung von Tarkowskijs Kunst stehen. Zusätzlich gibt es eine ausführliche Schau des aktuellen russischen Filmschaffens und viele weitere Ausstellungen, Lesungen und Filmgespräche. Seit zwei Jahren findet das Festival in der unscheinbaren, aber überraschend abwechslungsreichen Stadt Iwanowo statt, dem „russischen Manchester“ einer ehemaligen Textilarbeiterinnenstadt, in der man angeblich gerne auf Brautschau ging und die nachdem sie die kirchenreichste Stadt des zaristischen Russlands war, die Stadt mit dem ersten Sowjet wurde und mit Haut und Haar kommunistisch wurde. Früher Konstruktivismus, viele alte Wandgemälde und neuerbaute Kirchen dominieren die Stadt heute und im imaginären Zentrum steht das alte Kino Lodz, in dem alle Filmaufführungen stattfinden. Die Wettbewerbsaufführungen sind für die Leute aus der Stadt umsonst. Das Publikum strömt in großer Zahl ins Kino.

Für Gäste gibt es zusätzlich Ausflüge in die Umgebung wie in das romantische Wolgadörfchen Pljos, wo Lewitan sein berühmtes Landschaftsbild malte und Medvedjev heute sein Landhaus hat. Im Dorf Jurejewez steht das Tarkowskij Museum, ein Holzhaus in dem das Kind Andrej mit seiner Familie in einem Zimmerchen lebte und nebenan in die Dorfschule ging, als die Familie von Moskau vor den Deutschen evakuiert worden war. Das Dorf Zavrashe, quasi gegenüber auf der anderen Seite des Flusses, in dem er geboren wurde und das er für seinen autobiographischen Film Spiegel an einem anderen Ort wiedererbaute, ist heute im Becken der aufgestauten Wolga verschwunden. In Jurevez findet die große feierliche Festivaleröffnung statt, ich erlebte das Dorf zusammen mit Rachit Safiullin, einem der vielen Freunde, Mitarbeiter und Kollegen Tarkowskijs, die das Festival regelmäßig besuchen. Dieses Jahr war es dem Film Stalker gewidmet, der nun 40 Jahre alt ist. Safiullin ist der Szenenbildner und Requisiteur des Films. Ihm ist auch eine Ausstellung gewidmet, in der man zu Fotografien der Dreharbeiten seinen Erzählungen vom Drehprozess lauschen kann. Allein das ist für jemanden aus dem Westen, der durch viele (Über-)Interpretationen gewohnt ist die Werke des weltberühmtem Regisseurs für quasi vom Himmel gefallene Ikonen zu halten, sehr spannend. Wie waren also die Mittel, wie die Absichten? Der handvoll Frauen aus Jurevez, wie dem großen internationalen Fachpublikum in Iwanowo erklärt Safiullin mit derselben einnehmenden Energie von seinen Dreharbeiten mit Tarkowskij. Dass er außerdem mit Tarkowskij und dessen zweiter Ehefrau jahrelang zusammenlebte, macht ihn zu einem spannenden Zeitzeugen.

Zusätzlich zum Filmbetrieb fand eine internationale wissenschaftliche Konferenz zum Thema „Imaginary Tarkowsky“ statt. Einige deutsche Gäste, wie ein Gruppe von Berliner Slawistik Studenten, konnten dank „Russian Season 2019“, einer russischen Kultveranstaltungsreihe eingeladen werden. Claus Löser, Publizist und Kinoleiter, der zuvor in Berlin an der Akademie der Künste eine Konferenz zu Stalker ausgerichtet hatte, sprach zur Rezeption des Films in Ost- und Westdeutschland. Der Chicagoer Slawist Robert Bird analysierte nachdrücklich Tarkowskijs Filme als an einem spezifischen Ort und zu spezifischer Zeit entstandene Kunstwerke und damit Tarkowskij zu einem eindeutig sowjetischen Regisseur, obwohl er oft als losgelöst von dieser Kultur beschrieben worden ist. Seine Filme seien gar zur Hauptquelle der Imagination der sowjetischen Geschichte selbst geworden. In zwei exzellenten Büchern (Andrei Tarkovsky: Elements of Cinema, 2008 und dem BFI Film Classics Buch zu Andrei Rublev, 2004) beleuchtet Bird die Hintergründe und Herstellungsweisen von Tarkowskijs Filmen. Seine Bücher speisen sich aus Quellenforschung, bei faszinierend genauer Beherrschung der russischen Sprache und der Geistes- und Kulturgeschichte der Sowjetunion und Russlands. „… Tarkovsky’s ‚poetic’ oeuvre is an investigation into the elements of cinema by means of which a merely visual world is displaced by an intensely palpable reality, the ceaseless flows of information crystallizing into concrete somatic experience.“

zerkalo.space/main2019en

Saskia Walker