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Was bleibt?
Short Stay & A Lullaby to the Sorrowful Mystery
Drei Kurzfilme drehte Ted Fendt in den vergangenen Jahren: über eine zerbrochene Brille (Broken Specs / 2012), den Versuch einer Reise (Travel Plans / 2013) und schließlich ein ziemlich verkorkstes Date (Going Out / 2015). Drei Komödien über junge Menschen, ausgedacht mit Freunden und gedreht auf 16mm in New Jersey. Short Stay ist nun sein erster Langfilm. Mike arbeitet in New Jersey. Die Aussicht, Wohnung und Job eines Freundes in Philadelphia über den Sommer zu übernehmen, verheisst Abwechslung. Der Freund kommt jedoch früher als geplant zurück und sorgt für Missmut. Mike versucht sich zu wehren, er prügelt sich und findet schließlich Unterschlupf bei zwei Frauen. Dort harrt Mike der Dinge. Short Stay erzählt keine Liebesgeschichte, zumindest nicht die von Mike. Es ist ein Film über Fußgänger. Mike ist stets bereits loszumarschieren. In einer schönen Szenen laden ihn seine beiden Mitbewohnerinnen ein, ihn zu einem Parkfest zu begleiten. Die Frauen nehmen das Fahrrad, denn der Park ist ein ganzes Stück entfernt. Mike geht zu Fuß. Es gibt jedoch kein Fest, man setzt sich ins Gras, eine der Frauen döst ein, die andere versucht ein Gespräch mit Mike zu führen. Mike läuft später noch viel mehr, am Ende des Films dann die Frage: In Philadelphia bleiben oder zurück nach New Jersey? Das ist alles sehr schön unprätentiös erzählt und ganz nebenbei wird mir in Short Stay bewusst, wie selten Filme über Fussgänger sind. Dieses cinema of walking war schon immer eine Ausnahme in der Filmgeschichte, so scheint es mir. Auf jeden Fall fühlen sich diese Filme gleich ganz anders an, in ihnen schwingt eine Dissonanz mit.

 

Short Stay

Short Stay dauert 61 Minuten, A Lullaby to the Sorrowful Mystery 485 Minuten. Es gibt vieles in Lav Diaz neuem Film zu bewundern, etwa wie große und kleinere Ideen zueinander finden. Da wäre also ein monumentales Werk über ein Ereignis, das Ende des 19. Jahrhunderts ein Land traumatisierte, eine filmische Darstellung des Seelenzustandes eines Landes. In dieser Erzählung finden sich dann unter anderem chinesische Dragqueens oder drei geisterhafte Figuren, die gerne Hunde imitieren und ihr Unwesen im Dschungel treiben. Am schönsten ist vielleicht die Episode, in der Diaz eine Brücke zwischen seiner Arbeit und der Geburtstunde des Kinos schlägt. Das staunende Publikum sitzt vor einer Leinwand, auf der jedoch Filme zu sehen sind, die in Form und Stil nicht unbedingt an die tatsächlichen Aufnahmen der Lumière Brüder erinnern (hat Diaz hier gar seine Version eines Lumière-Films gedreht?). Erst als der Schatten eines Monsters hinter der Leinwand auftaucht, verlassen die Zuschauer vor Schreck den Saal.
Immer wieder kehrt der Film aber in den Dschungel zurück. Der Urwald ist bei Diaz nicht einfach ein Hintergrund, ein Drehort, sondern ein lebendes Gebilde, in dem sich zufälligerweise einige verstreute Menschen befinden. Starke Windböen wirbeln die Bilder durcheinander, Nebelschwaden ziehen vorbei und oft muss man sich erst einmal orientieren. Was für ein Bild sehen wir? Können wir Menschen erkennen? Es sind nicht nur Bilder betörender Schönheit, die Irrnisse der historischen Ereignisse finden im Diaz’schen Dschungel ein fantastisches Abbild. Ich vermisse diesen Dschungel.

A Lullaby to the Sorrowful Mystery

Was bleibt sonst noch? Das verpixelte und fast zum Stillstand gebrachte Bild eines Flüchtlingsbootes in Philip Scheffners Havarie, und die plötzliche Erkenntnis, dass dieses Bild von einem Kreuzfahrtschiff gemacht worden ist; die letzte halbe Stunde in Wang Bings Ta’ang: irgendwo zwischen Myanmar und China sucht eine Familie Unterschlupf für die Nacht, auf der Tonspur hören wir permanente Bomben-Explosionen; die alternden Gesichter in Terrence Davis Emily Dickinson Biopic A Quiet Passion; die Wut Spike Lees in Chi-Raq; der Nachbar in Kiyoshi Kurosawas Creepy.

(HB)