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Die Filmkritikerin und -kuratorin Cristina Nord, die von 2002-2015 das taz-Filmfeuilleton verantwortet hat, im Gespräch über ihren Weg zur Filmkritik, die Möglichkeiten eines cinephilen Feuilletons und neue Herausforderungen. 

Revolver:
Wie bist du zur Filmkritik gekommen?
Cristina Nord:
Ich bin schon immer wahnsinnig gerne ins Kino gegangen. Schon als Kind. Das hat sich verstetigt, als ich Teenager war. Ich bin in einem Dorf in der Nähe von Kassel aufgewachsen, und ich hatte dann einen Gilde-Kinopass und bin immer nachmittags nach der Schule – ich bin in Kassel zur Schule gegangen – in die Gilde-Kinos gegangen, etwa ins Capitol. Ich habe relativ früh angefangen, Sachen zu sehen, die nicht regulär im Kino laufen. Ich hatte eine Freundin, deren Mutter Brasilianerin war, und die zeigte uns Filme von Glauber Rocha auf dem Videorekorder. Ich weiß nicht mehr genau, welcher es war, „Antonio das Mortes” vielleicht, aber ich weiß noch, wie beeindruckt ich war. Und ich weiß auch, wie beeindruckt ich war, als ich „Salò” zum ersten Mal sah, in einem Double Feature nachts. Das war eine Entdeckung, was alles möglich ist im Kino. Ich war sehr verstört, der Film hat mich überfordert. Er hat mich auch beim Wiedersehen überfordert. Aber das hat auf jeden Fall die Neugier und den Wissensdurst angestachelt.
Welche Rolle hat damals das Lesen gespielt?
Zwischen 15 und 19 noch keine große, das hat sich später ergeben. Während des Studiums fing ich an, begierig Filmrezensionen zu lesen. Ich erinnere mich zum Beispiel, dass ich sehr gerne die Texte von Mariam Niroumand las, der langjährigen taz-Filmredakteurin, die heute Mariam Lau heißt. Ich habe ziemlich schnell angefangen, möglichst viel ranzuziehen, autodidaktisch, ich habe ja Literaturwissenschaften studiert. Und dann kam irgendwann ein Seminar, „Ästhetik der visuellen Anthropologie“ nannte es sich etwas hochtrabend, und das war super. Es ging darum, wie ethnografische Dokumentarfilme gemacht sind und welche technischen Entwicklungen dafür sorgen, dass Filmemacher bestimmte ästhetische Entscheidungen treffen oder überhaupt erst in der Lage sind, bestimmte Entscheidungen zu treffen. Das war ein Schlüsselmoment. Es war ein Seminar, das in der Allgemeinen und Vergleichenden Literaturwissenschaft stattfand, und mehrere Leute nahmen teil, die heute alle mit Film zu tun haben, zum Beispiel Hannes Klug, der Drehbücher schreibt, Sandra Prechtel, die Dokumentarfilme macht, und David Bernet, der auch Dokumentarfilme macht. Ich sollte noch erwähnen, dass ich schon früh immer wieder im Ausland lebte und Kino einfach eine super Sache ist, wenn man allein in der Stadt ist und niemanden kennt.
Ja, es ist schon für Einsame gemacht… und hast du dann für dich schon geschrieben, vorher? Über Filme? 
Richtig angefangen, selbst Filmkritiken zu schreiben, habe ich, als ich Volontärin bei der Siegessäule war, dem schwul-lesbischen Stadtmagazin Berlins. Da gab es Bedarf, während meine Versuche, Filmtexte für die taz zu schreiben, zunächst nicht glückten. Ich kann mich erinnern, dass ich Mitte der 90er Jahre einmal etwas über brasilianische Filme im Haus der Kulturen der Welt schreiben durfte, aber damit war das begehrte Sujet auch schon wieder verriegelt. Und bei der Siegessäule ging’s dann los, bevor ich dann doch für die taz Filmkritiken schreiben konnte, mit Brigitte Werneburg als Redakteurin.
Wenn ich noch einmal zurück auf Frau Niroumand kommen darf. Was war daran gut?
Sie hatte eine erfrischende Perspektive und sie hatte keine Berührungsängste weder gegenüber dem High noch gegenüber dem Low, weder gegenüber dem Kommerziellen, noch gegenüber dem, was als Kunst galt. Und sie hatte – was ich damals ziemlich interessant fand – eine bestimmte Form von einem feministischen Blick, der nicht ideologisch war. Möglicherweise würde sie das eher abstreiten, dass das feministisch war. Aber es war auf jeden Fall sehr interessant. Sie hat sich auch politisch auf den Meinungsseiten geäußert, da war ich oft nicht d’accord, aber ihrem Blick auf Film konnte viel abgewinnen. Sie war nicht die Einzige, die ich wahrnahm. Ich habe internationalere Sachen gelesen, B. Ruby Rich zum Beispiel fand ich super damals, eine wichtige Inspiration gewesen. Du siehst schon, es geht stark um eine feministische Perspektive, die mir ja auch nach wie vor am Herzen liegt, immer unter der Prämisse, dass es nicht dogmatisch und nicht alles unter diesen Ideologiekritik-Vorbehalt gestellt wird. Eine Perspektive, die eine große Freude und eine große Lust am Kino hat. Und nicht so ein „Ah – Männerblick, böse Sache.” Diese Reduzierung hat mich nicht interessiert.
Wie ging das bei der taz dann weiter? Welches Jahr war das?
Freie Autorin seit Mitte der Neunziger Jahre, noch während des Studiums. Dann das Volontariat und eine erste Stelle in Köln als Redakteurin bei der Stadtrevue … da habe ich auch viel über Film geschrieben, für den Filmredakteur Sven von Reden, hatte aber selbst eher mit Lokalpolitik zu tun, das war inhaltlich nicht die allergrößte Herausforderung. Dann kam ich zurück nach Berlin und war im „Schwerpunktpool” der taz, wie das hieß damals, Reportageredakteurin und habe mich täglich um die Reportageseite gekümmert.
Gekümmert – oder auch selbst viele Reportagen geschrieben?
Ich habe selbst so gut wie nie Reportagen geschrieben, aber ich habe mir Themen ausgedacht und mit Autoren gesprochen und dann die Texte redigiert und die Seiten produziert, das war meine Aufgabe. Das war dann so taz-typisch. Man fängt an für einen Monat, am Ende des Monats wird’s verlängert um noch ’nen Monat, und nach einer gewissen Zeit war mir das dann einfach zu unsicher. Und ich hatte den Eindruck, dass mir das Selberschreiben fehlte und die Beschäftigung mit Kulturthemen. Also habe ich aufgehört, und ein paar Monate später ging Katja Nicodemus, die damalige Filmredakteurin, zur Zeit, und ich habe mich beworben. Das war der Einstieg.
Wann war das?

Das war Anfang 2002. Ich sollte im März anfangen, ich hatte davor eine Reise nach Bolivien geplant, eine Recherchereise auf Einladung des Goethe-Instituts, und wollte danach anfangen, so war es vereinbart. Aber Harald Fricke, der das interimsmässig übernommen hatte, hatte einen Unfall, und so fielen meine allerersten Arbeitstage mit der Berlinale 2002 zusammen. War etwas chaotisch.
Inwieweit gab es da eine Profilbeschreibung von deinem Arbeitgeber? Was wollten die von dir, wenn sie dich da ins Blatt holen für diesen Job? Gab es da eine konkrete Idee, oder erkämpft man sich das dann im Alltag?
Ich glaube, das liegt sehr an dem- oder derjenigen, der oder die das ausfüllt. Es gibt keine Vorgaben im Sinne von: „Mach’ jetzt so und so viele Hollywood-Produktionen.” Oder: „Du musst alles machen, was im Off-Bereich sich abspielt. Als ich anfing, hatte ich – wenn ich mich richtig erinnere – nicht wirklich inhaltliche Vorgaben. Ich konnte es so ausfüllen, wie ich es wollte.
Und in der Bewerbung hast du nicht deine Vorstellungen skizziert?
Wenn ich das richtig sehe, das ist ja schon eine Weile her, dann ging es bei dem Bewerbungsgespräch darum, wie ich die Arbeit der Vorgängerin – also von Katja Nicodemus – einschätze, was mir daran gefällt und was ich anders machen würde. Und ich weiß noch, dass es mir schwer fiel, zu sagen, was ich anders machen würde, weil mir das, was Katja damals in der taz gemacht hatte, sehr gut gefallen hatte. Zum Beispiel hat Katja damals viele in die Tiefe gehende Interviews gemacht, und die habe ich immer sehr gern gelesen.
Das kann sie wirklich gut, finde ich auch. Aber hast du dir etwas zurechtgelegt, was du machen willst? Gab es einen Geheimplan? Davon abgesehen, dass das Modell Katja dir zupass kam…
Ich weiß, dass ich auf keinen Fall nur das berücksichtigen wollte, was neu ins Kino kommt, sondern dass es mir ganz wichtig war, den Diskurs über das Kino in die Zeitung zu holen. Ich hatte damals die ehrgeizige Vorstellung, dass Buchneuerscheinungen berücksichtigt würden, dass man häufiger zu Konferenzen oder Symposien fahren würde oder dass man,allgemeiner, das, was sich in der Diskursproduktion über Kino tut, in der Zeitung abbildet. Das ist in der Praxis dann gar nicht so leicht gewesen. Konferenzberichte sind eine schwierige Gattung. Dafür Autoren zu finden, ist schwierig, weil jemand für drei Tage wohin fährt, Reisebudget: schwierige Frage, dann der Zeitaufwand, und dafür dann 180 Zeilen für ein nicht so erquickliches Zeilenhonorar … da stößt man rasch an Grenzen. Ähnlich ist es, wenn es darum geht, Filmbücher zu rezensieren. Oft habe ich eine Rezension in Auftrag gegeben, aber der Text kam nicht. Kann ich auch verstehen, das ist jetzt kein Vorwurf an niemanden. Es ist einfach immer das, was hinten runterfällt. Bei einem Neustart, da ist alles geklärt, da hat man einen Termin, und dann sind die Texte geschrieben. Ich habe es trotzdem immer wieder versucht, etwa wenn ich sah, dass im Filmmuseum Wien etwas Interessantes lief, das ist dann zwar nicht unbedingt von unmittelbaren Gebrauchswert für einen Berliner Leser oder eine Berliner Leserin, aber das heißt ja nicht, dass man sich nicht trotzdem darüber informieren könnte. Und auf diesem Wege habe ich versucht, das zu ergänzen, was als Neustarts in die Kinos kommt, und eine bestimmte Form von Mehrwert zu erzeugen.
Wie frei warst du denn? Jetzt mal abgesehen von der Willigkeit oder Unwilligkeit von Autoren und natürlich von bestimmten Terminen und dem Zeitbudget. Welche Gremien oder Strukturen gibt es bei der taz, wo man in Friktion gerät?
Es gibt natürlich die Resortleitung Kultur, und es gibt die Chefredaktion. Es ist jedoch zugleich so, dass in den Redaktionsstatuten der taz steht: Ein Redakteur kann nicht dazu gezwungen werden, etwas zu schreiben, was er nicht schreiben will. Man kann ihm eigentlich auch nicht direkt reinreden in die Arbeit. Es gibt dann natürlich immer mal wieder den einen oder anderen Versuch, da musste ich in der Vergangenheit immer wieder schauen, wie viel Lust auf Widerspruch ich hatte. Ich hatte den Eindruck, ich hatte ’ne sehr große Freiheit. Ich konnte sehr viel selbst gestalten, aber ich musste dafür manchmal ein bisschen tough sein. Das mit dem tough sein ist so eine Sache. Man kann tough sein, aber eben immer nur bis zu einem gewissen Punkt, glaube ich. Und danach wird es schwierig für einen selbst.
Was meinst du damit? Kannst du das ein bisschen ausführen? Was ist „tough”?
Wenn ich mich auf Konflikte einlasse, dann weiß ich, dass das Kraft kostet. Und wenn ich mich auf einen Konflikt einlasse und gerade vielleicht nicht so viel Kraft habe, dann weiß ich nach einer gewissen Lebenserfahrung, dass das keine gute Idee ist. Deswegen habe ich irgendwann angefangen, mich auf etwas weniger Konflikt einzulassen, als sagen wir vor zehn Jahren.
Oder man sucht sich dann die Konflikte aus, die einem besonders wichtig sind.
Ja.
Welche Konflikte waren das zum Beispiel? Kannst du da konkreter werden? Mir geht es jetzt nicht darum, Buhmänner zu identifizieren. 
Der erste Konflikt, den ich überhaupt nicht nachvollziehen konnte, das war, als ein Berliner Filmverleih fand, dass alle Filme, die er ins Kino bringt, von der taz verrissen werden. Und dass das nicht sein darf. Die haben dann einen Beschwerdebrief an den damaligen Ressortleiter verfasst. Fand ich irre. Es hat keine Konsequenzen für mich gehabt, aber ich weiß, dass ich das damals einfach erstaunlich fand und als einen großen Eingriff in meine Arbeit empfunden habe.
Von dem Verleiher?
Ja.
Und das hat das Verhältnis wahrscheinlich noch verkompliziert?
Verbessert nicht, auf keinen Fall. Eine andere Sache war – das war noch mit der alten Chefredaktion, noch vor Ines Pohl –, dass wir zu wenige Stars im Interview hätten. Das ist dann immer so ein Gespräch, und dann sage ich: Wenn man einen Star interviewen möchte, dann sitzt man mit 15 anderen Journalisten in einer Gruppe und stellt maximal ’ne halbe Frage. Und dementsprechend sind die Interviews. Wollen wir das wirklich drucken? Oder wollen wir uns davon abheben, indem wir Einzelinterviews machen, mit Leuten, die was zu sagen haben? Und das wird dann ein bisschen diskutiert. Und dann versandet es. Die konkrete Forderung der damaligen Chefredaktion, wir brauchen jetzt Interviews mit Hollywoodstars, koste es, was es wolle… egal, ob du mit 15 anderen in der Gruppe sitzt in Cannes… das ist nie passiert. So weit ist es nie gekommen.
In den 12, 13 Jahren hast du nie einen Hollywoodstar interviewt?
Ich habe Regisseure interviewt. Wenn ich überlege, wer war der Prominenteste? Das war vielleicht David Fincher? Wer war noch prominent?
Wenn dir so wenige Beispiele einfallen, spricht das ja für sich.
Es war so gut wie unmöglich, aus der Position, in der ich war, Einzelinterviews mit Leuten zu bekommen, die in Hollywood arbeiten. Das ging dann höchstens mal mit Leuten, die am Rand arbeiten. Mit jemandem wie Wes Anderson oder Greta Gerwig.
Wie entstand dieser Pool an Autoren? Weil wa ja dann doch eine ganze Reihe von Autoren gibt, die sich nur selten melden, aber stetig. 
Einen Teil habe ich übernommen. Andreas Busche, Barbara Schweizerhof, Claudia Lenssen. Andere sind hinzugekommen. Bert Rebhandl, der dann leider vor ungefähr anderthalb Jahren, wenn ich mich recht erinnere, ausschied, weil die FAZ das so wollte, sie verlangte: nur eine überregionale Tageszeitung. Ekkehard Knörer kam hinzu, er  war sehr wichtig und präsent, bevor er beim Merkur anfing. Er war bei uns in der Redaktion vertretungsweise für politisches Buch, Geisteswissenschaften und Theorie zuständig. Schon ’ne Weile her. Der letzte wichtige Neuzugang ist Carolin Weidner, eine junge Autorin, die ein breites Wissen hat und eine sehr schöne Art zu schreiben, finde ich. Was mir wichtig war: Es waren und sind ja ziemlich viele freie Autoren. Bei anderen Zeitungen ist es manchmal so: Es gibt die wichtigen Filme, und die wichtigen Filme bespricht der wichtige Redakteur. Davon wollte ich michfern halten, weil ich das für eine komische Platzhirschmentalität halte. Wenn ich den Eindruck hatte, dass Simon Rothöhler viel besser als ich über den Film XY schreiben könnte, dann möge das bitte Simon Rothöhler tun. Oder wenn Diedrich Diederichsen das viel besser kann als ich, bitte. Warum soll ich alles schreiben, mal davon abgesehen, dass ich die Kapazität dafür nicht hatte? Ich fand es schön, einen Raum zur Verfügung zu stellen für Leute, und dadurch auch eine bestimmte Kontinuität zu gewährleisten.
Aber wie fand dieses Konzertieren statt? Denkt man da in Wochen oder Monaten? Ist es sehr stark ein Tagesgeschäft?
In Wochen, würde ich sagen. Man hat einen Vorlauf von ein paar Wochen, weil man weiß, welche Filme ins Kino kommen oder was im Folgemonat ein großes Projekt im Arsenalkino ist oder wem die Viennale – oder ein anderes Filmfestival – die Retrospektive widmet. Ich schaue, was ansteht, und überlege, wer darauf Lust hätte.  Einiges passiert natürlich im Gespräch. Zum Beispiel der Text von Ekkehard zu den Youtube-Celebrities, der ging auf eine Anregung von einer Kollegin zurück, zu diesem deutschen Youtube-Star-Film, dessen Namen ich jetzt schon wieder vergessen habe, der so unglaublich schlecht gewesen sein soll.
Kartoffelsalat?
Genau. Marlene Halser, eine Kollegin, wies mich auf den Film hin, und mir fiel ein, ich hab’ da doch vor ein paar Monaten im New Yorker etwas gelesen zu Vine, also über diese Plattform für Kürzest-Videos. Dann haben wir ein bisschen herumgesponnen und gesagt „gut, machen wir“. Dann ging es darum, jemanden zu finden, und als ich das Ekkehard Knörer vorschlug, sagte er sofort ja, und dann waren alle glücklich. Das ist ein Idealfall von geglückter Themenfindung, so kommt ein guter Text ins Blatt.
Und wenn man jetzt einen Text in Auftrag gibt, eine Kritik zum Beispiel, meinetwegen Diedrich Diederichsen zu „Der Untergang” (das ist für mich eine Kritik, an die ich oft denke)…
Ja, ich auch. (lacht)
Hatte er den Film schon gesehen, bevor du ihn beauftragt hast …
Nein.
Du fragst ihn einfach, ob er sich das ansehen will?
Ja.
Und entscheidet er sich dann nach Sichtung oder vorher schon?
Ich glaube, wir haben das vor der Sichtung festgelegt, dass er das macht. Das war ja dann auch ein sehr glücklicher Griff. Wenn ich das geschrieben hätte, wäre ich sicherlich zu ähnlichen Schlussfolgerungen gekommen, aber ich hätte es nicht so lustig aufgeschrieben.
Wie weit haben diese Autoren miteinander auch zu tun gehabt? Hast du so etwas organisiert, gab es da eine Ebene?
Manchmal haben wir Partys gemacht, bei denen die Autoren, die für das Feuilleton der taz schreiben, zusammen kamen, und dann gibt es natürlich auch Zirkel, die jenseits der taz bestehen. Der Cargo-Zirkel zum Beispiel. Was es leider nicht gab, war ein regelmäßiges Zusammentreffen.
Das ist ja ein bisschen schade, weil unter den politischen Redakteuren gibt es ja sowas im weitesten Sinne, dass man zumindest zusammensitzt und bespricht, was machen wir. Ich weiß zum Beispiel vom Filmdienst und von epd Film, dass die Autoren sich alle nie sehen und mit der Redaktion im engeren Sinne nichts zu tun haben. Und das spürt man oft. Die sind vielleicht auch nicht für uns geschrieben, aber man das Gefühl eines zusammenhanglosen Diskurses. Das gibt es niemand, der daraus Zöpfe flicht.
Die Idee oder das Ideal ist natürlich schon, dass so etwas zumindest partiell glückt. In den täglichen Arbeitsabläufen ist es nicht so leicht, so etwas einzurichten. Ich glaube, das würde besser funktionieren, wenn man zu so einem älteren Konzept zurückkehrte, in dem es zwei, drei Filmredakteure gab in einer Zeitung, die haben keine Verpflichtung zu redaktionellen Diensten und schreiben dafür alle Rezensionen selber. Also diese Situation, wie es sie früher bei der Frankfurter Rundschau gab mit drei Leuten oder bei der ZEIT mit soundsovielen Leuten und bei der FAZ auch zwei, drei Leute. Bei der taz war das überhaupt nie so.
Es scheint eigentlich nirgendwo mehr so richtig so zu sein. Welche Rolle spielen denn andere Feuilletons? Inwiefern hast du das Gefühl gehabt, du orchestrierst eine Aufführung in einem größeren Konzerthaus deutscher Feuilletons?
Ich weiß nicht, ob es im Einzelnen immer geglückt ist oder aufging, aber ich hatte schon das Gefühl, etwas anderes zu machen … Es gab den Versuch, cinephil zu bleiben, also nicht immer dem jüngsten Blockbuster voraus- oder hinterherzuhecheln, sondern sich möglichst intensiv damit auseinanderzusetzen, was weltweit im Kino passiert, dabei darüber hinaus zu gehen, was in Deutschland im Kino startet, und gleichzeitig eine gewisse Sensibilität für gesellschaftliche Fragen zu haben. Damit meine ich nicht, dass man Filme auf eine politische Aussage hin abklopft oder sie gutheißt, wenn sie der Verbesserung der Welt dienen. Aber schon, einen Film zu berücksichtigen wie zum Beispiel den jüngsten von Miguel Gomes, „As mil e uma noites“, der sich mit Europa und den Sparmaßnahmen beschäftigt. Er tut das auf eine ganz irre und phantasievolle und explodierende Art. Dem nachgehen, der Frage: Wie kann man heute Filme politisch machen? Ich habe den Eindruck, dass das möglicherweise punktuell in der Jungle World oder im Freitag auftaucht als Fragestellung. Aber anderswo? Je bürgerlicher das Feuilleton, desto geringer die Rolle, die solche Fragen spielen. Ich hoffe, ich trete jetzt niemandem zu nahe, aber ich hatte den Eindruck, dass das etwas ist, was wir in der taz betrieben haben und was in den besten Fällen aufgegangen ist.
Wenn du jetzt zurückschaust, gibt es da eine Entwicklung für dich? Hast du das Gefühl, du bist besser oder schlechter geworden? Gibt es da ein Narrativ für dich?
Schwierige Frage. Es gibt sicher die Tendenz, realistischer und pragmatischer zu werden. Das bedeutet unter Umständen, mehr zuzulassen. Ich glaube, ich war, als ich anfing, dogmatischer und härter und hatte größere Schwierigkeiten, wenn jemand eine andere Position vertrat, als ich sie vertreten hätte. Ich glaube, das habe ich mir abgewöhnt.
Das zeigt sich dann auch in der Auswahl der Texte. Die Bandbreite ist größer geworden?
Ich glaube schon.
Die Frage ist, was so ein Feuilleton leisten kann. Für mich ist das eine Art Resonanzraum, in dem Dinge, die außerhalb passieren, in Expertenkreisen usw., in die gesellschaftliche Mitte kommen um da zum Schwingen gebracht zu werden. Und im Filmbereich erlebe ich eine große Verarmung. Ich will nicht sagen, alles wird schlechter, aber es gibt gerade einfach so wenig Zeitungsredaktionen in Deutschland, bei denen man das Gefühl hat, die produzieren diesen Resonanzraum zuverlässig.
Vieles von der wirklichen interessanten Diskussion darüber, was Film ist und soll, ist ins Netz gewandert. Es ist ja nicht so, dass man sich darüber beklagen könnte, dass es keine interessanten Filmtexte mehr gäbe, die sind nur unter Umständen nicht mehr da, wo sie früher mal waren.
Aber sie verbleiben doch eher in der Experto-sphäre.
Das ist das große Problem, dass man sich, wenn man im Netz publiziert, so toll die Texte im Einzelnen sein mögen, an bereits Eingeweihte richtet. Die Zeitung hat ja nach wie vor den Vorteil, sich potenziell an alle zu richten. Das mag de facto gar nicht mehr der Fall sein. Wenn man sich anschaut, wie Politikredakteure über das Feuilleton sprechen, hat man zum Beispiel den Eindruck, die lesen das eh nie. Also im Grunde genommen scheitert dieser Anspruch recht schnell, aber nichtsdestotrotz ist dieser Anspruch in der Welt, und es ist ein schöner Anspruch: dass man sich mit den Dingen der Welt beschäftigt und dass man sich auch mit den Dingen beschäftigt, die einem fern liegen. Während das Netz bei aller Vielfältigkeit eher dazu führt, dass man Seiten aufsucht, die von Dingen handeln, mit denen man sich ohnehin beschäftigt.
Für mich ist die klassische Zeitung, egal, wie man sie jetzt liest, so eine Art Schulklasse, in der sozusagen alle Schichten vertreten sind, und auch der Mann, der sich nur für den Wirtschaftsteil interessiert, stolpert mal über einen anderen Text. Habt ihr darüber eigentlich einmal Erhebungen gemacht, wie wird die taz gelesen?
Ja, es gab Erhebungen, das ist jetzt aber auch schon wieder eine Weile her, und ich erinnere mich jetzt nicht so ganz an das Resultat. Mit konkreten Beispielen muss ich passen. Woran ich mich erinnere, ist eine Diskussion beim Filmfestival in Ljubljana und später in Rotterdam, da habe ich mit unterschiedlichen Leuten – u. a. Chris Fujiwara, Gabe Klinger und Dana Linsen – über „Contrarianism” gesprochen, darüber, dass manche Kritiker sich in einer gegenläufigen Haltung gefallen und einkapseln. Ich habe damals das Konzept der Zeitungen und des Feuilletons verteidigt, gerade weil sie einen Ort schaffen für eine Diskussion, die spezifischer ist, aber gleichzeitig noch allgemein verständlich. Ich will mit den Texten, die ich geschrieben habe, und mit denen, die ich in Auftrag gegeben habe, nicht nur eine kleine eingeweihte Gemeinschaft von Cinephilen erreichen, das kann ich tatsächlich besser mit spezialisierten Publikationen. Ich wollte alle erreichen. Und diesen Anspruch zu haben, finde ich wichtig, ihn zu artikulieren und zu verteidigen, auch wenn einem viele kalte Winde ins Gesicht blasen. Und ich hatte den Eindruck, dass die taz ein Ort ist, wo das geht. Gegen Widerstände, aber letztlich geht es. Und ich bin mir sicher, dass es auch in Zukunft noch geht, das hoffe ich jedenfalls.
Ich meine, in dem Moment, in dem die physische Zeitung verschwindet, ist es schwerer, finde ich. Weil, wenn man digital eine Zeitung liest, abonniert man nur das oder folgt diesem Autor oder Feed… die Zwangsgegenwart verschiedener nicht vereinbarer Strömungen … die Schulklasse, die mich geprägt hat. In Berlin gibt es ja sehr stark die Tendenz der Differenzierung, auch in den Schulen… Und diese Art „Ihr seid jetzt hier zusammengewürfelt, so wie unser Staat eben ist…” das hat mir eigentlich immer ganz gut gefallen. 
Für mich selbst kann ich sagen: Mich interessiert ein gut recherchierter Text über die Situation in Eritrea, ein Text, der mir erklärt, was dort los ist und warum so viele Leute Eritrea verlassen, also, dieser Text interessiert mich genauso wie ein sehr smarter Text über einen Film. Ich glaube, es ist wichtig, ein breitgefächertes Interesse zu haben und sich der Gegenwart zu stellen. Nicht im Sinne eines Universalgelehrtentums, das ist nicht mehr möglich in dieser extrem ausdifferenzierten Wissenssphäre, die wir heute haben, aber dass man eben doch an gewissen Sachen dranbleibt. Ich lese oft lieber die New York Review of Books mit all ihren unglaublich tollen, ins Detail gehenden Texten über alle möglichen Themen als eine auf Film spezialisierte Seite im Netz, die aber doch letztlich nur die Rezensionen hat, die ich in der Zeitung auch lesen kann.
Die Review ist wirklich eine tolle Zeitschrift.
So eine bestimmte Form des Fachidiotentums, um es einmal negativ zu formulieren, fand ich nie attraktiv.
Bei Revolver – das hat sich ein bisschen verändert, wahrscheinlich ist das der Berliner Einfluss – aber wir haben ja fast schon anti-cinephil angefangen. Wir hatten das Gefühl, dass das Priestertum das Kino zerstört … Wahrscheinlich sind wir heute so cinephil wie noch nie … (lacht)
Die Sache ich ja nie so ganz einfach. Das sind ja immer Dialektiken in solchen Dingen. Ich finde das total nachvollziehbar, was du sagst mit dem Priestertum. Es gibt ja diese Leute. Bei denen ist immer ganz klar eingezirkelt, was wie zu werten ist und was gut ist und was schlecht ist, es ist im Grunde genommen sehr festgelegt. Und sie können sich durch diese Festlegungen selbst stilisieren, zum Hohepriester. Das ist eine Art und Weise zu diskutieren, die mir, je länger ich Filmredakteurin war, umso unsympathischer wurde. Gleichzeitig finde ich es wichtig, gegenüber einem Umfeld, für das das Kino der jüngste Film von und mit Til Schweiger, ist zu erklären: „Hey Leute, da gibt es noch eine ganz große Welt, die ist das daraußen, und sie ist toll und aufregend, schaut sie euch an. Denkt nicht, dass ‚Keinohrhasen’ schon alles ist!“
Hast du dir diese Filme eigentlich angekuckt?
Von Til Schweiger? Von den Superblockbustern anderthalb. Ich finde sie nicht leicht auszuhalten.
Du hast ja viel gesprochen darüber, dass du sichtbar machen wolltest, was an den Rändern passiert und was an Diskurs passiert, aber in wie weit hast du das Feuilleton auch als therapeutisch – sagen wir es einmal so – verstanden? Im Sinne von auf etwas wirken wollen, meinetwegen die Dummheit des deutschen kommerziellen Kinos zu durchleuchten. Das hat eigentlich keine so große Rolle gespielt, wenn ich mich richtig erinnere.
Ich glaube, es hat immer dann eine Rolle gespielt, wenn Positionen eine große Wirkmacht hatten, wenn klar war, dass sich die Zeitung mit diesen Positionen auseinandersetzen muss. Beispiel „Der Untergang”.
Klar, aber da geht es nur am Rande um den Film, sondern eher um eine Repräsentationspolitik. 
Na, in der Diskussion ging es schon auch um den Film, Diedrich Diederichsen hat sich ja ziemlich intensiv mit dem Film und wie der Film gemacht war auseinandergesetzt. Es gab darüber hinaus immer wieder Texte darüber, wie sich das deutsche Kino mit dem Nationalsozialismus auseinandersetzt. Welche Positionen deutsche Filmemacher einnehmen, wie wir darauf gucken und was sich da geändert hat im Lauf der letzten 30, 40 Jahre. Da hat sich ja wirklich sehr viel verändert. Da gab es unterschiedliche Autoren, die sich dazu geäußert haben, von Diedrich Diederichsen über Stefan Reinecke hin zu Georg Seeßlen, ich habe dazu auch geschrieben, es war etwas, was mir wichtig war. Aber das hieß jetzt nicht, dass man sich nur mit großen deutschen Produktionen wie „Anonyma“ oder „Der Untergang“ oder „Elser“ beschäftigt, das konnte auch anlässlich einer Reihe im Arsenal sein, „Asynchron“ zum Beispiel.
Ja, gut, aber sind dann eigentlich immer die klassischen politischen Referenzen … Was mir nie eingeleuchtet hat, war dass man bei „Kapò“ in Rivettes berühmten Text darüber sich aufregt, wie verkommen es ist, zu rekadrieren, wenn der KZ-Häftling sich im Stacheldraht verfängt und stirbt, aber nicht darüber schreibt, wie verkommen es ist zu rekadrieren, wenn es um eine Liebesszene geht. Weil die gleichen ethischen Fragen ja eigentlich da sind.
Das ist natürlich eine Schlüsselfrage. Da gibt es dieses unglaublich harte, scharfe Urteil von Rivette und das waren eben auch noch Zeiten, als man zu so klaren harschen Urteilen kommen konnte. Das mag im Einzelnen gar nicht immer so haltbar gewesen sein, das ist ja kein wasserdichtes, für immer gültiges Argument, aber diese Leidenschaftlichkeit war schon irre. Wenn sich dann vorstellt, was für Sachen man heute alles im Kino sieht … zum Beispiel „Der Junge im gestreiften Pyjama”, da gibt es eine Szene, da geht die Kamera rein in die Gaskammer. Claude Landmann würde sagen: „Niemals!“. Absoluter Tabubruch… Der Film lief als Eröffnungsfilm des Jüdischen Filmfestivals in Berlin. Es gab diese Diskussion nicht. Es gibt die ästhetische Debatte nicht mehr in dieser Vehemenz. Wobei … als in Cannes „Son of Saul” lief, gab es das schon noch einmal in Ansätzen. Aber sobald man bei „Der Vorleser” ist…
Ein Machwerk … da stimmt ja gar nichts. 
Es ist wirklich zum Haareraufen. Es gibt dann mal einen Verriss hier und dort, aber es wird nicht mehr als Skandalon begriffen. Nun kann man sich darüber aufregen, dass diese Dinge nach 30 Jahren niemanden mehr aufregen, aber der Diskurs hat sich einfach verändert. Und möglicherweise ist das ja auch in Ordnung, dass sich so ein Diskurs verschiebt. Selbst Claude Lanzmann, der ja jemand ist, der ganz viele Verbote hochgehalten hat – wer Archivmaterial benutzt, leugnet im Grunde den Holocaust (um das jetzt mal sehr zu verkürzen) –, selbst er hat in seinem jüngsten Film Archivmaterial benutzt.
Und er hat „Son of Saul” unterstützt offiziell…
Er hat auch Littells Buch zunächst unterstützt und diese Unterstützung dann wieder zurückgezogen.
Es gibt zum Beispiel so eine tolle Kritik von Jonathan Rosenbaum zu „Pretty Woman”, da gibt es die gleiche Rigorosität einer Kommerzromanze gegenüber, mit so einer Wut, die mir gefällt, die es eben nur mehr ganz selten gibt gegenüber dem kommerziellen Kino sonst. Diese Wut vermisse ich …
Das kann ich nachvollziehen. Man sieht einfach so viel, je länger man Kritiker ist. Und man sieht so viel Unerhebliches. Das ist schon ein bestimmter Abstumpfungsprozess. Und wenn ich mich immer wieder aufrege über etwas – bestes Beispiel ist der deutsche Filmpreis …
Man will sich eben auch an einem Feind abarbeiten, der es verdient.
Aber dann packt mich die Wut dann doch, selten zwar, aber es kommt vor. Jüngstes Beispiel: der Fassbinder-Film von Annekatrin Hendel, da war ich total wütend, schon nach fünf Minuten, während ich den guckte … die Wut hat natürlich damit zu tun, dass mir viel an Fassbinder liegt, das ist ein Regisseur, mit dem ich mich früh intensiv auseinandergesetzt habe und den ich auch als Figur extrem interessant finde. Und den dann so runterzubrechen auf privaten Murks – unerträglich. Also habe ich einen Text geschrieben, der wirklich wütend war. Erstens macht das Spaß, zweitens werden solche Texte gelesen und kommentiert …
Gibt es für dich Texte unter deinen eigenen Texten, wo du sagen würdest, das sind so Meilensteine? In deiner inneren Biografie? Wie sortierst du deine eigene Arbeit? Filmemacher haben ja einfach Filme, die dann jeweils auch relativ große Teile eines Lebens repräsentieren … wie ist das bei Kritikern?
Das ist relativ schwer, weil es dann eben doch relativ viele Texte sind. Für die taz habe ich im Jahr vielleicht 70 Texte geschrieben. Es gibt von Serge Daney eine Überlegung, wie es ist, wenn man für Tageszeitungen schreibt: Man gewöhnt sich an den Gedanken, dass von fünf Texten vier nicht so prickelnd sind. Und er vergleicht das mit der Zeit bei den Cahiers, wo alles immer ganz toll sein musste und ihn das immer so gelähmt hat … Was ich erinnere, ist zum Beispiel ein Interview mit Lars von Trier, das sehr interessant war, während es stattfand, gar nicht so einfach, und das schön war in der Lesefassung. Dann fällt mir noch ein ein Interview mit Claude Lanzmann ein, das auch nicht so einfach war, während ich es geführt habe, und dann als Text ziemlich interessant war. Und von den Stücken, die ich geschrieben habe, fällt mir spontan ein Text ein, den ich schrieb, nachdem Theo van Gogh ermordet worden war. Ich habe über Trickstertum geschrieben, über paradoxe Interventionen… wenn man Dinge tut, ohne sie ganz zu meinen, wie das etwa Christoph Schlingsensief immer wieder gemacht hat, und dadurch eine gesellschaftliche Debatte ermöglicht. Ich habe mir Gedanken darüber gemacht, inwieweit Theo van Gogh vielleicht auch jemand war, der in diese Richtung gearbeitet hat, und nicht der Rassist, als der er so schnell abgestempelt wurde. „Schlafkrankheit” von Ulrich Köhler ist ein Film, der mich sehr beeindruckt hat, und die Texte (1 und 2), die ich dazu geschrieben habe, waren wichtige Texte für mich. Ach so, dann fällt mir noch was ein … ich mag Tarantino eigentlich schon sehr gerne, „Django Unchained“ mochte ich nicht, aber die davor fand ich eigentlich alle super …
Du warst doch so ein „Death Proof”-Fan.
Genau … und ich habe mal länger über „Death Proof” geschrieben, und das war mir damals auch sehr wichtig. Aber ich vergesse wahrscheinlich 70 Sachen …
Warum gehst du jetzt weg?
Weil ich die Möglichkeit habe. Weil ich in den letzten Jahren schon Anstalten gemacht habe, in Richtung Veranstaltung tätig zu sein nebenher. Ich habe für die Filmwoche Duisburg gearbeitet in der Auswahlkommission und für das Haus der Kulturen der Welt eine Filmreihe kuratiert zu den Thementagen „Krieg erzählen”. Das hat mir riesigen Spaß gemacht. Die taz ist toll, und sie hat mir viel ermöglicht, und irgendwie ist sie auch eine Superzeitung, aber wenn ich mir überlege, als freie Autorin habe ich Mitte der Neunziger Jahre angefangen, dort zu schreiben – das sind zwanzig Jahre. Als Redakteurin war ich seit 2001 dort, mit Unterbrechungen. Das ist auch ziemlich viel. Ich mag einfach noch was anderes machen in meinem Leben. Und dann habe ich wie gesagt nebenher diese Veranstaltungserfahrung gewonnen, das hat mir großen Spaß gemacht. Ich hab im Herbst 2014 ein Buch geschrieben, „True Blood“, über die Fernsehserie, kam zurück in die taz und hatte das Gefühl, es könnte sich jetzt mal was ändern. Dann habe ich eine Reise nach Mexiko gemacht im März und bei dieser Reise habe ich gedacht, Berlin jetzt noch mal zu verlassen wäre doch auch eine gute Idee. Ich habe häufiger im Ausland gelebt, das ist alles schon länger her, vor dem Studium und während des Studiums, ich habe eine intensive, affektive Bindung an Lateinamerika. Als ich dann in Mexiko war im März, traf einen alten Freund aus Nicaragua wieder – ich habe mal in Nicaragua gelebt – und das hat dieses Fernweh angestachelt. Und dann wollte es der Zufall, dass das Goethe-Institut diese Stellen ausschrieb, es ist eine Laufbahn, auf die sich viele bewerben, und es werden mehrere genommen. Und da habe ich gedacht, da bewerbe ich mich jetzt mal. Das war ein längerer Prozess mit mehreren Stufen, und es lief einfach glücklich. Es war für mich klar, dass ich dazu, wenn sie mich nehmen, auf keinen Fall nein sagen würde. Es gibt nämlich auch von ganz früh herrührend eine Affinität zum Goethe-Institut. Nach dem Abitur war ich zwei Jahre in Barcelona, und das Goethe-Institut mit seiner Bibliothek und seinem Filmprogramm war für mich sehr wichtig. Dann war ich in Costa Rica und Nicaragua. In Costa Rica gab es damals noch ein Goethe-Institut, in Nicaragua nicht. ich war ständig bei den Kinoprogrammen des Goethe Instituts.
Das heißt, Du wirst dort auch dem Film treu bleiben?
Ja, auf jeden Fall.
Was wirst du da machen können?
Meine jetzige Tätigkeit in Brüssel wird daraus bestehen, dass ich Kulturprogramme entwickele für Belgien und Impulse gebe in die Region Südwesteuropa – das betrifft die Länder Frankreich, Spanien, Italien und Portugal, in Absprache und in Abstimmung mit den Institutsleitern und -leiterinnen in den verschiedenen Städten. Das sind insgesamt 22. Das ist aus verschiedenen Gründen eine Herausforderung. Das Budget zum Beispiel ist nicht so üppig, gleichzeitig ist es keine Region, in der man für wenig Geld Programme machen kann. Ich könnte mir zum Beispiel vorstellen, Filmemacher aus Deutschland, Portugal und Spanien zusammenzubringen, die auf die eine oder andere Art Krisenphänomene reflektieren, ohne deshalb in Richtung Sozialrealismus zu gehen. Das Goethe-Institut ist ja eine sehr große Institution mit eigenen Regeln und Gepflogenheiten und Konventionen, in die muss ich mich erst mal einarbeiten.
Das glaube ich auch. (lacht)
Und dann wird sehr langfristig geplant, ich glaube nicht, dass ich nach Brüssel komme und sofort Programm machen kann. In Brüssel sind drei Leute in der Programmabteilung und zwei sind super-filmaffin, das freut mich total. Einer war vorher zum Beispiel bei der Cinematek; ich habe den Eindruck, dass sich meine Vorlieben mit den Vorlieben des Teams ganz wunderbar treffen.
Ich wünsche dir viel Glück.
Das Gespräch führte Christoph Hochhäusler am 7.10.2015 in Berlin.Siehe auch meinen kleinen Abschiedstext.