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Vor ein paar Jahren war ich während der Berlinale zusammen mit einer befreundeten Schauspielerin und meiner Schwester in einem Film der sogenannten „Berliner Schule”. Der befreundeten Schauspielerin hatte der Film gut gefallen. Meine Schwester und ich waren etwas ratlos. Meine Schwester, die außer als Zuschauerin nichts mit Film zu tun hat, sagte dann den schönen Satz: Ich verstehe nicht, warum man Leere mit Leere erzählt.
Und da musste ich natürlich lachen. Diese  Leere, die sich durch die Verdoppelung emotional auslöscht – übrigens für mich auch in Antonioni oder Godard Filmen, ist das Gegenteil der für mich berührenden Form, wie man sie mit Marcello Mastroiani beispielsweise in „La Dolce Vita” erlebt oder mit Jean-Pierre Léaud in „Les 400 coups” oder mit Jess Hahn anfangs in „Le signe du lion” oder mit Paul Lyss in „Paul” oder mit Eva Löbau in „Der Wald vor lauter Bäumen”. Das ist wie bei Ozu: Traurige Geschichten vor einem hellen Hintergrund. Das Gefühl von Einsamkeit und Leere erzählt sich am berührendsten mitten in der Fülle, im Reichtum, im prallen Leben, inmitten einem Haufen tobender Schüler. Das macht auch die tolle Hochzeitsszene aus, die ich in meinem gestrigen Blogeintrag beschrieben habe.
Möglicherweise ist es das, was Dietrich Brüggemann meint mit dem nachvollziehbaren Teil seiner Grollflut auf die „Berliner Schule”. Der andere Teil verdient eine Erwiderung.

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Es gibt keine „Berliner Schule”. Vor sieben Jahren rief ein Filmkritiker aus Paris in der Revolver Redaktion an und fragte, ob man die Berliner Schule besichtigen könnte. Damit ist schon einiges gesagt. (Eine Revolverredaktion gibt es übrigens auch nicht. Da stand Bens Nummer)
Ein Teil des anderen: Um die Urheberschaft des Begriffs „Berliner Schule” zanken sich mehrere Filmkritiker. Uns kann es egal sein. Tatsache ist, dass unter dem Begriff in der ersten Generation Filmemacher wie Angela Schanelec, Christian Petzold und Thomas Arslan gesammelt wurden. Was die drei für mich als Außenstehenden verband, ist die – und ich hoffe, ich schreibe hier nichts falsches – Begeisterung für Filme bestimmter Regisseure. Allen gemeinsam damals wahrscheinlich Bresson, teilweise Melville und Antonioni, teilweise auch Ozu und sicher auch viele andere. Wichtiger war wahrscheinlich, dass die drei sich von einer Berliner Hochschule kannten und höchstwahrscheinlich über Film miteinander geredet haben!
Vor etwa zehn Jahren kam eine zweiter Jahrgang ins Spiel, darunter auch einige unserer Herausgeber, die sich sehr für den Begriff „Berliner Schule” stark gemacht haben, zum einen weil sie damals wahrscheinlich ebenfalls viel für einige der oben genannten Regisseure übrig hatten, zum anderen weil sie die Regisseure der ersten Generation interessant fanden. Außerdem bot das Label die Möglichkeit einer stärkeren Präsenz in der öffentlichen Wahrnehmung und damit auch anderer Vermarktungsmöglichkeiten (- auch wenn das Wort Markt irreführend ist). Dagegen gibt es nichts zu sagen. Der Staatskunstapparat der deutschen Kinofinanzierung hat ein begrenztes Volumen. Wer Filme machen will, muss sich darum streiten.
Inzwischen hat der Begriff „Berliner Schule” meiner Meinung nach ausgedient. Viele Filme, die nur sehr wenig mit dem Kern des Labels zu tun haben, wurden kurzerhand eingeschult. Auch ich selbst sollte auf einmal an dieser Schule gesehen worden sein. Da muss ich an dieser Stelle widersprechen. Ich bin weder Berliner noch bin ich gern zur Schule gegangen. Aber ganz ehrlich: Es ist mir egal, ob ich damit in Verbindung gebracht werde, denn Berührungspunkte gibt es durchaus. Ich habe oben geschrieben, von wem meiner Vermutung nach die sogenannten „Berliner Schule” Regisseure anfangs beeinflusst waren. Für meinen zweiten Film war Yasujiro Ozu ein großer Einfluss – insofern kompatibel mit einem Teil der ersten Generation -, aber eben auch Claude Sautet, und der war kein Lehrer an der „Berliner Schule”. Ein Schüler bin ich trotzdem in gewisser Weise, und möglicherweise ist es mir auch mit meinem zweiten Film nicht gelungen, die Schule hinter mir zu lassen. Die „Berliner Schule” war es aber eben nicht. Claire Denis war es wiederum, glaube ich, die die Filmgeschichte folgendermaßen beschrieben hat: Erst wurden Filme über das Leben gemacht, dann Filme über das Leben und andere Filme, dann Filme über Filme und Filmrezeption, dann Filme für Festivals. Von letzteren gibt es inzwischen Filme, bei denen ich – wenn ich es nicht besser wüsste – glauben würde, es handle sich um Parodien dessen, was man unter „World Cinema” oder in Deutschland „Berliner Schule” versteht.

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In regelmäßigen Abständen reiten Filmemacher Attacken gegen das „bestehende System”. Oft zur Berlinale.
Zu dieser Berlinale war es Dietrich Brüggemann. Vor ein paar Jahren war es Klaus Lemke. In einem Revolverheft zur „Berliner Schule” waren es ein paar Hiebe von Dominik Graf.
Während sich Klaus Lemkes Attacke gezielt gegen das von der Subvention seiner Meinung nach korrumpierte Filmbusiness, das keines ist, richtet, wirken Dominik Grafs Schläge ein wenig matt – weil „embedded” und Dietrich Brüggemanns impulsiv und ziellos.
Das Impulsive an Brüggemanns Kritik ist der mir sympathische Teil. Ich habe selbst an dieser Stelle letztes Jahr einen Blogeintrag überschrieben mit „20 Jahre Frauen ohne Gesicht”, weil ich es auch sehr bedauerlich finde, dass gerade Frauenfiguren hierzulande zu selten lebendig agieren. Man denke bei den Amerikanerinnen nur an Kristen Wiig, Tina Fey, Catherine Keener und wie sie alle heißen und was sie spielen dürfen. Oder im kleinen Österreich… Das kann einem die Schamesröte ins Gesicht treiben.
Aber dann gibt es einen Teil von Brüggemanns Kritik, den ich hier, weil es ein Blogeintrag ist, der nicht für die Ewigkeit gemacht ist, mal salopp als ADS bezeichnen will. Denn wo bitteschön ist die geforderte Lebendigkeit bei Brüggemann? Und wo ist sie bei Graf? Dominik Graf hat im Revolverheft 16 damals vor sieben Jahren der Berliner Schule vorgeworfen, dass ihre Filme bei ihm immer den Eindruck der „Todeszone Deutschland” hinterlassen würden. So geht es mir, wenn ich ehrlich bin, häufig auch, wenn ich Filme sehe, die unter diesem Label gehandelt werden. Aber bei den Filmen von Dominik Graf geht es mir genauso – „Der Felsen” ohne Rahmenhandlung mal ausgenommen. Es ist bezeichnend, dass Graf nach seinem Exkurs ins unsaubere Kino, ins gewagte Erzählen – und es war gewagt, Peter Lohmeyer als unsympathsichen Sozialpädagogen zu besetzen und Caroline Eichhorn als Frau auf Abwegen und dabei durchaus sexy – dass er nach der Presseschelte zur Berlinale sich erst mal wieder ins öffentlich rechtliche Fernsehen zurückzieht. Schade. Und da hilft es auch nichts, dass er auf Katja Nicodemus‘ lesenswerten Artikel in der Zeit zur Verantwortung des öffentlich-rechtlichen TVs für das Kino eine Gegendarstellung schreibt, die überschrieben ist mit (sinngemäß): Das deutsche Fernsehen ist das beste der Welt. Wir wissen alle, dass das nicht stimmt. Und er weiß es auch. Ich kann es ihm aber nicht verdenken, dass er das schreibt. Wer Filme auf Deutsch drehen will, ist früher oder später auf das Geld der deutschen Sender angewiesen.
Aber! Es gibt ja noch Klaus Lemke, der die These formuliert hat, dass die Förderung den europäischen Film kaputt gemacht hat. Das ist aber nicht larmoyant formuliert, sondern eben als These. Er lässt da die Sender aus, weil die ihm seine Filme mit niedrigen Budgets gottseidank finanzieren. Womit er sicher recht hat, ist die Tatsache, dass es in Deutschland fast unmöglich ist, sich seine produktionelle Vitalität zu erhalten, außer wenn man mit kleineren Budgets arbeitet. Es geht eben nicht mehr, dass man abends in der Disco einen Kiesgrubenbesitzer anhaut und fragt: Hast du mal ne Million, wie das Roger Fritz für „Mädchen mit Gewalt” getan hat, wenn ich das richtig erinnere. Man müsste diesen Menschen sagen, dass sie ihr Geld nie wiedersehen, weil der Film anschließend auf einem subventionierten Filmmarkt landet und jämmerlich baden geht. Das Fernsehen gibt für einen Film, den es nicht koproduziert, einen Bruchteil der Summe aus, die man als angemessen bezeichnen könnte. Und in dem Moment verliert jeder Investor das Interesse und sagt: Dann geh doch zur Filmförderung oder zum Sender. Dass das so ist, ist schlecht für genau den lebendigen, unsauberen Aspekt, der dem deutschen Kino so abgeht. Die aktuelle langwierige Filmfinanzierung, bei der man für einen 1 Mio Film im Schnitt 70 Leute inklusive Lektoren usw. für sein Projekt gewinnen muss, hat sicher nicht dazu beigetragen, dass unser Kino impulsiv ist, dass es Sex-Appeal im guten Sinne hat. Die Strukturen bei der Geldvergabe inklusive der Beschäftigungsverhältnisse, die die Strukturen verwalten, haben Ähnlichkeit mit dem Staatskunstapparat der DDR. Das wurde auch schon mehrfach ausgesprochen. Ich glaube, dass das Filmschaffen in der DDR neben den für mich gravierenden Nachteilen, auch gewisse Vorteile hatte gegenüber unserem aktuellen Apparat. Denn dort hatte, anders als Autoren und Regisseure bei uns, auch die kreative Seite eine gewisse Sicherheit. Die Geldverwalter waren verbeamtet, die Künstler auch. Das ist wahrscheinlich auch ein Grund, warum in der DDR doch sehr viele sehr schöne Filme entstanden sind mit übrigens oft sehr lebendigen Frauenfiguren, gespielt von Jutta Hoffmann usw. Die Filme, die ein Kiesgrubenbesitzer finanziert hätte, wurden allerdings nicht gemacht. Und viele von der Sorte gehören zu meinen Lieblingsfilmen. Die gab es im Westen in Italien und Deutschland und Frankreich, bis der Staat irgendwann die Filmfinanzierung übernommen hat. Paradoxerweise auf Wunsch einer großen Zahl von Filmemachern. Insofern ein demokratischer Prozess, gegen den man wenig einwenden kann, wenn man wie ich etwas für Demokratie übrig hat.
Die Menschen, die heute bei uns in der BRD einen Teil der Staatssicherheit genießen – es ist vielleicht kein Zufall, dass der schöne Film von Christian Petzold „Innere Sicherheit” heißt -, sind dann wieder zu einem Teil deckungsgleich mit den Menschen, denen Dietrich Brüggemann ihre Staatsförderung streitig machen will. Sein gutes Recht. Aber und das ist der unangenehme Nachgeschmack: Worum geht es dann? Ich anstelle von denen? Oder was?
Die einzigen, die ich in dieser ganzen Diskussion ernst nehmen kann und muss, sind die Menschen, die ihre Filme einfach machen. Mit oder ohne Förderung. Mit oder ohne Sender. Es ist zugegebenermaßen schwer, sich im deutschen Filmfinanzierungsgeflecht nicht korrumpieren zu lassen und das Gefühl des Einfach-machens aufrecht zu erhalten. Aber das Gejammer ist furchtbar. Wer mit dem Apparat nicht zufrieden ist, muss dafür kämpfen, dass sich der Apparat, der letztlich aus vielen einzelnen Menschen besteht, darunter auch einige aufgeschlossene, ändert, oder seine Filme außerhalb des Apparats machen. Das ist eine Frage von Charakter. Ansonsten kommt es zu solch unklugen Artikeln, wie einer davon heute im Tagesspiegel zu lesen war, die nichts aber auch gar nichts mit der schwierigen Gemengelage des deutschen Kinoschaffens zu tun haben.
Nein, die Qualität der Filme im Wettbewerb wird nicht schlechter, wenn Filme nachgespielt werden. Wer mehr Auswahl hat, kann die schöneren Sachen zeigen. Das beweisen die tollen Festivals in Wien, Vancouver, Buenos Aires, Denver usw., die alles nachspielen, was ihnen gefällt und oft ohne Wettbewerb auskommen.
Und nein, es sind in den letzten Jahren nicht die Filme von Dietrich Brüggemann gewesen, die in Cannes gelaufen sind, sondern unter anderen die von der kapitalen Lehreinrichtung, deren Existenz ich ab sofort bestreiten werde.
Und à propos Cannes: Das schönste, was mir persönlich zum Weltvertriebsfestival Cannes einfällt, ist die Vorstellung, wie der Filmemacher Michael Lentz dort immer mit seiner Stofftasche rumgelaufen ist in den 70er und 80er Jahren und dann natürlich der tolle Film von Henry Jaglom „Festival in Cannes“ mit Anouk Aimée und Zak Norman. Das ist der Typ, der jahrelang bei Variety inseriert hat: Besetzt mich – ich habe Geld. Keiner hat’s gemacht. Nur Jaglom. Und es ist toll, was da rausgekommen ist. Ich glaube, Rainer hat dazu einen schönen Artikel auf der new filmkritik Seite geschrieben.
Ich wünsche einen schönen Abend. Gehe mir jetzt noch den Film von Matt Porterfield – I used to be darker ansehen. Der Produzent hat mir erzählt, dass er seine Investoren so findet wie damals Roger Fritz. Sympathisch.
Ahoi
Franz

P.S.: Ich habe übrigens zwei deutsche Filme verpasst, die ich unbedingt noch sehen will: „Das merkwürdige Kätzchen“ von Ramon Zürcher und „Silvi“ von Nico Sommer. Wenn Ihr das lest, schickt mir eine DVD. Im Austausch Filme oder Revolverhefte zurück ;-)

Google Bildersuche: Berliner Schule:

Dieser Beitrag hat 13 Kommentare

  1. Lieber Dirk,
    wenn Du Dir meine Filme und meine Interviews für Revolver ansiehst und wenn Du den Text genau liest, wirst Du feststellen, dass das Unsinn ist. Anpassung sieht anders aus. Ich habe in Deinen Augen eine Form des Kinos beschmutzt, das Du gern rein halten würdest. Aber ohne Schmutz kein Kino. Ich bin interessiert an einer Debatte übers Filmemachen. Sicher habe ich teilweise in meinem Text, der ja ein sehr persönlicher ist, übers Ziel hinausgeschossen. Aber den Text angepasst zu nennen, ist absurd angesichts der Tatsache, dass ich ihn nicht in der Bild Zeitung oder dem Tagesspiegel, sondern auf dem Revolver Blog veröffentlich habe. Wenn Du damit meinst, dass ich mit Menschen, die nicht meiner Meinung sind, möglichweise einen trinken gehe, dann stehe ich zu dieser Form der Anpassung, würde es aber nicht so nennen.
    Grüße
    Franz

  2. Es schockiert mich, dass Du Dich mit D. Brüggemann und seinem Diskurs gemein machst. Ganz ganz düster. Und die Verbrüderung in den Kommentaren. Damit reihst du Dich unter den Heer dt. Filmemacher, die nicht verstanden haben, das eine Karriere nicht aus Anbiederung bestehen kann.

    Beste Grüße aus Stuttgart,
    DW

    Google Bildersuche zu Franz Müller
    http://www.spotfever.de/spots/070716_mueller_bauer.jpg

  3. Das ist das Zitat, das ich meinte, und auf das auch Claire Denis sich bezogen hat. Aber wer ist der italienische Regisseur? Das muss ich jetzt noch rausfinden.
    Ahoi und danke
    Franz

  4. Vielen dank Franz, dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen. Das von dir Claire Denis zugeordnete Zitat klingt diesem sehr ähnlich: "Es gibt eine Ausstellung "Correspondances" in Paris über Abbas Kiarostami und Victór Erice, kurartiert von Alain Bergala. Über dem Eingang stand der Satz eines italienischen Regisseurs, von wem weiß ich nicht mehr: "Die erste Generation hat das Leben beobachtet und Filme gemacht. Die zweite Generation hat das Leben beobachtet, Filme gesehen und Filme gemacht. Die dritte hat Filme gesehen und Filme gemacht. Die vierte schaut Kataloge und macht Filme." Stimmt natürlich nicht…" (Marie Vermillard bei Revolver-Live am 5.12.2011 (Erschienen in Revolver 27)

  5. Dieses salopp hingeworfene "her damit" meint natürlich: Ja zum Austausch. Bist du einer von den zahlreichen Franz Müllers auf Facebook? Ansonsten steht meine Email auf meiner Website.

  6. Oh ja, das französische Kino in Cannes! Historienschinken im Wettbewerb und nette Nachbarschaftsepisoden mit politischer Lackierung im certain regard, I've been there. Und was ist schon epochal? Das, was epochal sein will, schon mal auf keinen Fall. Epochale Filme will ich gern sehen, aber selber machen möchte ich Filme, die aus ihrer eigenen Epoche kommen und nicht aus der Sehnsucht nach einer anderen. Das ist in Zeiten von Instagram und oscarprämierten Stummfilmen eh schon genügend Herausforderung. Wenn du mit deinem ersten Film "Science Fiction" meinst, dann will ich den sehen, seit ich ihn vor 10 Jahren auf der Berlinale verpaßt habe. Also her damit. Alles weiteres dann bei einem Café an der Croisette.

  7. Und diese Berliner-Schule-Namensdiskussion geht mir nur noch auf den Keks. Sobald man sagt: Berliner Schule mag ich nicht, bekommt man zur Antwort: Die gibt es doch überhaupt nicht, das Wort ist eine Journalistenerfindung, schau doch mal bitte etwas genauer hin, du Banause. Als aber die französische Presse damals schrieb: Nouvelle vague allemande, da hat meines Wissens niemand protestiert: Dieses Wort ist eine Kritikererfindung, die Filme haben doch also bitteschön sowas von überhaupt nichts gemeinsam, differenzieren Sie gefälligst, Mademoiselle. Ich sage dazu: Bleichgesicht spricht mit gespaltener Zunge. Wir reden hier von einem Phänomen. Nennt es doch, wie ihr wollt, aber streitet nicht dauernd seine Existenz ab, sobald ihr Gegenwind bekommt.

    Und schließlich: Ich will niemandem seine Staatsförderung streitig machen. Ich will von all diesen Leuten nicht nichts mehr sehen, sondern bitte mal wieder Filme, in denen ein Feuer brennt. Wie zum Beispiel damals in „Die Innere Sicherheit“. War der toll. Dieser ganze Neid-Konkuurenz-Vorwurf ist sowieso Quatsch. Wenn man scheitert, dann nicht an den andern oder der bösen Welt, sondern an sich selber. Ich habe drei lange Filme gemacht, die letzten beiden haben ihre Spur gezogen, der erste ging leider so ziemlich unter, obwohl er vielleicht der beste von allen ist. Damals war ich ziemlich sauer, als irgendwelche Langweilerfilme an mir vorbeizogen, aber inzwischen habe ich festgestellt: Es ist auf lange Sicht fast egal, wo man läuft und wieviele Preise man gewinnt und so weiter. Wenn die Substanz stimmt, landet man am Ende doch irgendwo. Mir war immer am allerwichtigsten, mich ehrlich und konsequent mit Menschen zu befassen. Also Figuren und Publikum. Darum geht es nämlich. Man muß da nicht so ein Buchhaltersystem draus machen wie Zag/Maaß, aber die erste Tugend des Erzählers sollte dennoch sein, sich in andere hineinzuversetzen. Die Grenze niederzureißen zwischen den Individuen in ihrer Isolation. Insofern stimmt natürlich doch der Ratschlag: Mach doch einfach deine Filme. Da ich kein hauptberuflicher Blogger bin, mache ich da jetzt weiter. Laß uns alle weiter debattieren, aber lieber mündlich, von Angesicht zu Angesicht, in den Spelunken und Kaschemmen, wo solche Debatten seit jeher ihren Platz haben. Prost.

    1. Lieber Dietrich,
      das mit Cannes bezog sich auf Jan Schulze-Ojalas Artikel im Tagesspiegel und war an ihn und die Leser des Artikels gerichtet. Deine Filme tauchen da auf, weil er sie zu Anfang seines Artikels als Beispiel bemerkenswerter Filme aufführt im Zusammenhang mit dem von ihm als minderwertig befundenen Wettbewerbsprogramm der diesjährigen Berlinale im Vergleich zum epochalen Wettbewerb in Cannes. Jeder, der sich die Mühe macht, mal alle französischen Beiträge aus Cannes anzusehen, wird einsehen, dass da auch nicht alles epochal ist. Ich persönlich halte auch Melancholia nicht für epochal. Was soll denn der ganze Quatsch auch? Mein Ziel war es nie, epochale Filme zu machen. Es ging mir also nicht darum, Deine Filme schlecht zu machen. Ich meine, auch im Text recht eindeutig kundgetan zu haben, wie ich zum Festival in Cannes stehe. Eine Sache, die ich bei dieser Gelegenheit auch gern aufklären würde: Revolver ist kein geschlossener Block. Der Blog mit "G" am Ende wirkt zuweilen so, weil andere einfach fleißiger schreiben. Aber auch das ist wieder die Freiheit der Demokratie. Helmut Kohl war achtzehn Jahre Kanzler! (Und noch schlimmer: wahrscheinlich nicht der schlechteste. Der kam danach.) Vielleicht macht es Dir Freude, dass wir in der Reihe, die wir am Goethe Institut in Paris gezeigt haben unter dem Motto "eine andere deutsche Filmgeschichte" neben vielen anderen tollen Filmen den Film "Paul" von Klaus gezeigt haben. Und auf der Einladung haben wir das schöne SMS Zitat, das Dir und mir im übrigen auch so aus dem Herzen spricht, abgedruckt. Das, was Du zu Graf sagst, verstehe ich und finde es auch richtig, aber ich bleibe bei meiner Meinung. First things first.
      Deinen ersten Film würde ich übrigens gern sehen. Vielleicht können wir einen Austausch machen mit meinem ersten. Der ist nämlich tatsächlich unabhängig entstanden. Daher weiß ich auch, was einem ein Sender zahlt, wenn man einfach drauflos produziert. Wenn sie ihn überhaupt kaufen. Klaus habe ich kurz danach kennengelernt, und das war natürlich schön, jemanden aus dieser Generation zu treffen, dem das Erzählen einen solchen Spaß macht, der aus dem Überfluss arbeitet und nicht aus einem Defizit und deshalb für mich nie in diese "Todeszone" geraten ist. Man kann ihm vieles vorwerfen, das jedenfalls nicht.
      Alles weitere gern bei einem Kaffee oder Bier, wenn ich das nächste Mal in Berlin bin. Ich blogge nur alle vier Jahre mal 😉
      Bis bald
      Franz

  8. Und zum zweiten Argument, das da lautet: "Du machst doch selber mittelmäßige Filme, die nicht in Cannes laufen, ätsch" – nun ja. Ich habe noch nie einen Film in Cannes eingereicht. Keiner meiner Filme war dafür gemacht (oh ja, man macht Filme für gewisse Adressaten, und jedes Festival hat einen Stil, machen wir uns da nix vor). Mein letzter Film war einfach eine schnelle, tagebuchartige Notiz über das Leben, das wir selber hier führen, weil ich das im deutschen Kino vermißt habe, aber gern davon erzählen wollte. Das Publikum, an das wir uns richteten, haben wir erreicht, was schon einiges heißen will, denn im Arthouse sind die Zuschauer ja sonst eher so 50+, und über mangelnde Lebendigkeit hat sich zumindest bei mir keiner beschwert, was natürlich noch nichts beweist. Aber wie gesagt: Es ist nicht so wirklich signifikant. Wenn Dominik Graf einen Artikel in der "Zeit" schreibt, dann schreibt da ein Kopf, der klug über Filme nachdenken kann, der natürlich auf seiner Autorität als etablierter Regisseur fußt, aber trotzdem ist es für die Auseinandersetzung mit dem Text einfach mal egal, ob er er TV-Krimis dreht, die mal toll finde und mal nicht, oder Pornos oder Blockbuster oder Zigaretten nach Feierabend. Klaus Lemke mag fragwürdige Filme machen, aber die Formulierung "Unsere Filme sind wie Grabsteine. Brav. Begütigend. Goethe-Institut" bleibt eine brilliante Formulierung. Ich fand Grafs Text teils sehr gut, teils nicht so gut, aber er war mir sehr willkommen, denn ich konnte ihn wunderbar als Argumentationshilfe benutzen, als es darum ging, ein Projekt zu skizzieren, zu dem es hierzulande einfach keinen Referenzfilm gibt. Da konnte man ganz einfach sagen: Graf fordert hier folgendes, und das würde ich gern genauso machen. Und darin sehe ich auch den Wert solcher Texte. Sie sind eine Stimme im gemeinsamen Nachdenken über Film und im gemeinsamen Gestalten der filmischen Gegenwart. Oder, genau, wie du sagst: Dafür kämpfen, daß sich der Apparat, der aus einzelnen Menschen besteht, ändert.

  9. Ich danke sehr für die differenzierte Auseinandersetzung. Ein paar Argumente stecken aber drin, die ich immer wieder höre und die ich immer wieder zurückweisen muß. Dieses Argument "geh an die Arbeit und mach Filme" und das Argument "wie stehen denn deine Filme überhaupt im Vergleich da". Das erste schließt einander nicht aus, und das zweite ist nicht so richtig signifikant. Zum ersten: Ich bin eigentlich andauernd bei der Arbeit, aber zur Berlinale verwandle ich mich halt in jemanden, der sich am liebsten fünf Filme pro Tag anschaut und der es sehr gern hätte, wenn die alle umwerfend oder wenigstens interessant wären. So interessant, wie es mir immer wieder bei Filmen aus anderen Ländern und fast immer bei Streifzügen durch die Filmgeschichte ergeht. Aber stattdessen sehe ich von Jahr zu Jahr mehr Filme, die, wie du so treffend sagst, Leere mit Leere erzählen. Keineswegs nur, aber sehr viel aus Deutschland. Es scheint so ein Format geworden zu sein. Und ich wie ich schon auf der Diskussion bei Revolver/Facebook sagte: Ich würde diesem Verweigerungskino nie die Daseinsberechtigung absprechen, aber wenn es zur Masche wird, dann erzeugt es bei den Zuschauern nun mal Antipathie. Nicht bei allen, nicht immer, aber in der Summe und im Durchschnitt. Muß man sich nicht drüber freuen, aber es läßt sich schlecht wegleugnen. Weil wir alle eine gute Kinderstube haben, die Kunst und die Festivals respektieren, schimpfen wir nicht öffentlich, aber wenn es dann doch einer tut, bekommt er plötzlich massiv Zuspruch. Ich habe es nicht darauf angelegt, es hätte genausogut passieren können, daß mich Sender und Förderer ab sofort mit Mißachtung strafen, es kann immer noch pasieren. Ich wollte auch nie einen Lynchmob zusammenrufen, sondern einfach nur einem von mir wahrgenommenen Mißstand benennen. Und zwar aus einer sehr großen Liebe zum Kino. Ich lehne mich hiermit aus dem Fenster und behaupte: Emotional erkältete Filme angucken ist wie zurückgewiesene Liebe. Sowas diskutiert man nicht so emotionslos wie die Beschaffenheit einer Einbauküche. Nenn es also ADS, ich nenne es Liebe.
    (Uff, meine Antwort ist wahnsinnig lang, ich muß sie auf mehrere kommentare verteilen.)

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