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Jessica Krummacher (* 1978)

Nächste Woche startet wie erwähnt Jessica Krummachers erstaunlicher Debütfilm TOTEM in ausgewählten Kinos (hier erzählt sie von der Genese des Films). In dem folgenden „Gespräch”, das via Email stattfand, gibt sie Auskunft über ihr Verhältnis zum Kino.



Christoph Hochhäusler: Warum Kino?
Jessica Krummacher: Warum überhaupt Film? Oder warum Kino, nicht Fernsehen? 
– Warum Kino.
Kino ist Privat. Als Macher und als Zuschauer. Im Kino darf Alles – wenn ich es zulasse – ungefiltert bleiben, ohne Kommentar. Kino ist Leidenschaft, es ist alles oder nichts. 
– Fällt dir ein Beispiel ein für einen Film der „dein Leben verändert hat”?
Ein Film nicht, immer wieder andere: zum Beispiel LEKTIONEN IN FINSTERNIS (Werner Herzog, 1992), FUNNY GAMES (Michael Haneke, 1997), LAST DAYS (Gus van Sant, 2005) … 
– Dein Film wird oft als Horrorfilm beschrieben. Kannst du mit dieser Zuordnung etwas anfangen?
Die Beschreibung stammt aus dem Katalog der VIENNALE 2011. Ich mochte diese Idee, ob es wirklich zutrifft, weiß ich nicht. Ich glaube daran, dass der Zuschauer aus einem Film macht, was er braucht. Das ist beeinflusst von dem persönlichen Blickwinkel den jeder Einzelne mitbringt. Es gibt bestimmt Menschen, die TOTEM auch als Horror sehen. Meine Absicht war es nicht einen „Horrorfilm“ zu machen. Zuschauer die im klassischen Sinn der Genrebeschreibung einen Horrorfilm erwarten, werden enttäuscht.
– Was ist ein Horrorfilm?
„Der Horrorfilm ist ein Filmgenre, das beim Zuschauer Gefühle der Angst, des Schreckens und Verstörung auszulösen versucht.“ Außerdem wird bei den Merkmalen des Horrorfilms oftmals von „übernatürlichen oder nicht immer wissenschaftlich erklärbaren Bedrohungen der Protagonisten“ gesprochen. Unter diesen Gesichtspunkten gibt es in TOTEM Übereinstimmungen. Aber es gibt eben auch noch anderes: Skurrilität, Realität. Etwas, was nicht einzuordnen ist, in die Grenzen eines Genres, vielleicht des Kinos an sich.
– Interessiert dich Genre-Kino?
Im Moment nicht besonders.
– Du betonst im Presseheft deine Herkunft, der Film spielt an vertrauten Orten,
deine Erfahrung ist Kompass. Gleichzeitig sprichst du von Zeit- und Ortlosigkeit. Wie geht das zusammen?
Für mich gehört das unmittelbar zusammen. Die Herangehensweise an meine Filme ist eine sehr persönliche. Ich bin geprägt durch meine Herkunft. Dadurch habe ich eine bestimmte Art die Welt zu sehen erlernt. Erfahrungen mit ihr, prägen auch das, was ich in Zukunft in ihr sehen kann. Orte im Film (auch die Nicht-Orte) sind für mich ebenso wichtig wie Figuren. Ich gehe von ihnen aus, weniger von der Geschichte, oder einem Plot. TOTEM spielt an einem Nicht-Ort, in einer Un-Zeit. Auch das muss erzählt werden. Und ich glaube eben, dass es mir deshalb gut gelingt, weil ich mich hier auskenne.
– Du schreibst, in Deutschland wäre im Kino im Augenblick nicht viel los, es würde nicht viel passieren. Wie sähe ein Zustand aus, in dem „viel passiert”? 
Wie sieht das aus? Zugegebener Maßen müsste ich mich zuerst mehr mit Soziologie beschäftigen, um eine befriedigende Aussage treffen zu können. Das bestehende System kritisiere ich und ich glaube fest daran, dass man in der „Kunst“ Film viel mehr machen kann. Auch machen muss! Filmförderung in Deutschland muss sich verändern. Ich halte die Kopplung von Kinofilmproduktionen an die Gelder von Fernsehsendern für sehr problematisch. 

– Fühlst du dich einer neuen Generation zugehörig? Seid ihr zwei oder seid ihr viele?
Nein. – Wir sind Zwei. 
– Du hast Film studiert. Was hast du gelernt? Was möchtest du noch lernen? Was willst du nicht lernen? Was willst du wieder verlernen?
Komplexe Frage, zu der ich mir noch keine ausreichenden Gedanken gemacht habe. Ich habe nicht zu jeder Zeit gerne studiert, aber ich habe was gelernt. Allgemein glaube ich in der Kunst an das „Alterswerk“. Also gehe ich davon aus, noch eine lange Zeit zu haben, eine Menge zu lernen, nicht zu lernen und zu verlernen.
– Timo und du – ihr seid ein Paar in Film und Leben? Wer macht was? Wie prägt sich die Liebesgeschichte aufs „Geschäft” aus? Wo verläuft die kreative Grenze? Mögt ihr
Straub/Huillet? 
Wir sind beide Autoren unserer Geschichten und führen beide Regie. Wir haben bisher nicht zusammen Regie geführt wie Straub und Huillet. Ich bin nicht sicher, ob wir dass in naher Zukunft machen wollen. Vielleicht müssen wir dafür noch reifen, vielleicht steht uns aber auch nie der Sinn danach. Die Zusammenarbeit ist dennoch prägend für das jeweilige Werk und sehr intensiv. Das geht weit darüber hinaus den Film des jeweils anderen zu produzieren. Ohne Timo gäbe es TOTEM in dieser Form nicht! 
Ob wir Straub und Huillet mögen? Ich muss zugeben, dass mir bewusst nur ein Film einfällt, den ich von den beiden gesehen habe: die Verfilmung von Bölls „Billard um halbzehn“. Ich mag Straub und Huillet Arbeit mit den Schauspielern. Sie haben schon früh mit Laien gedreht. Das ist uns nah. Ich habe gelesen, dass man ihren Filmen Dilettantismus vorwirft, Unemotionalität. Vortrag sowie Gestik und Mimik der Schauspieler seien ausdruckslos, anti-dramatisch und absichtlich langweilig. Das interessiert mich sehr! Außerdem bin ich ein Anhänger von politischen Filmen und politisch motiviertem Leben / Filmschaffen…
– Gibt es ein deutsches Kino, auf dem ihr aufbaut?
Ich nicht bewusst, nein. Ich bin keine Cineastin und ich vergleiche nicht. Ich habe „nur“ das Bedürfnis zu erzählen. Von mir, von Beobachtungen, Phantasien und die sind nicht immer gut…
– Siehst du „Regie” als Beruf? 
Ja. Wobei ich bisher meinen „Beruf“ als Filmemacherin bezeichnen würde. Ich schreibe meine Filme selbst, ich habe sie selbst produziert, geschnitten. Ich habe sehr genaue Vorstellungen, auch von Details, die wichtig für das „Werk“ sind. Entscheidend. Das kann ein Motiv sein, ein Kostüm, eine kleine Requisite, ein Satz. Vielleicht ist es die Umgebung, die Bedingung in der wir eine Szene herstellen, proben, drehen. Das möchte und muss ich mitgestalten. Regie kommt aus dem französischen von „leiten“, oder? Ich muss leiten!
– Willst du davon leben?
Ja natürlich!
– Was macht das für einen Unterschied? / Welchen Unterschied macht es?
Kreativ macht es für mich keinen Unterschied. Davon bin ich überzeugt und widerspreche allen Unkenrufen, dass – wenn erst einmal im System (Kapitalismus) angekommen – die Idee, die Aussage sich anpasst. Dazu bin ich nicht bereit und auch nicht verführbar. Das ist nicht mein System. Was sicher ist, ist dass sich die Filmherstellung mit Geld unterscheidet vom Filmen ohne Geld. Dadurch wird sich etwas ändern, das stilistische Überkleid. Meine Ansichten der Welt bleiben, oder? Ich bin an dieser Stelle zu jung, um dass abschließend zu beantworten.
– Würdest du dich als Erzähler bezeichnen?
Erzählerin.
– Was ist eine gute Geschichte?
Das kann ich nicht beantworten. Ich habe auch schon in der Schule gelernt, dass meine Phantasien sich nicht unbedingt mit denen der Allgemeinheit decken.
– Was machst du als Nächstes?
Ich schreibe ein Drehbuch über den Ort und die Menschen in MORDOGAN (AT).
– Ausserhalb des Systems? (Kann man ausserhalb des Systems sein? Wie lange? Was
bedeutet Zustimmung?)
Ich habe den Anspruch, dass System zu ändern. So wie ich auch den Anspruch habe in einer Welt, ohne Kriege zu leben. Wenn wir uns das nicht vorstellen können, kann sich auch nichts ändern!
(Eingestellt von Christoph)

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