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Aus traurigem Anlass: am 7. Juli 2022 verstarb Klaus Lemke. Er war ein Aufreger bis zuletzt, ein Stachel im Fleisch der deutschen Förderbürokratie, provozierend unabhängig, voller Ideen, Sprüche, Posen, Maulheld & Cowboy mit dem SMS-Triggerfinger, poète maudit, rastlos, furchtlos, produktiv wie keiner. Aber vor allem war er ein toller, energetischer, zärtlicher, witziger filmischer Erzähler, ein immer noch sträflich unterschätzter Regisseur. Anbei das Interview, das Marco Abel 2014 mit Klaus Lemke geführt hat und das wir in gekürzter Fassung in Revolver Heft 40 veröffentlicht haben. Das Folgende ist die ungekürzte Version.

Marco Abel: Wie habt ihr die westdeutsche Filmszene wahrgenommen, in den frühen bis mittleren 60er Jahren?

Klaus Lemke: Die Wahrheit ist, man hat sich damals in Deutschland für diese Filme aus dem Ostblock interessiert, aus Polen und Tschechien. Diese Dissidentenfilme, die zum Teil sehr schön waren, politisch sehr korrekt, links. Aber wir waren damals so als rechts verschrien, weil für uns von Anfang an amerikanische Filme, das ganze Leben waren. Und ich finde, wir haben gewonnen. Aber wir waren die einzigen, die wussten, wer John Ford war. John Ford war damals ein Postfaschist. Hawks war gar nichts. Der hat so komische Filme gemacht für die Leute, den kannten aber auch alle anderen. Budd Boetticher und Walsh, das waren unsere Filme damals, als wir angefangen haben, Filme zu machen. Und das hat uns vor dieser Realität der 60er-Jahre in Deutschland gerettet. Sonst wären wir ja untergegangen und wohl Studienräte geworden, wenn nicht diese amerikanischen Filme gewesen wären. Und jetzt kommt das Ding überhaupt: wir waren ja sehr jung und wir wussten schon, wie Filme gemacht werden, aber wir haben diese großen Gangsterfilme für Realität gehalten. Ein Hawks-Film war für uns komplette Realität. Jetzt, Jahre später, sieht man die Strukturen und all das. Jetzt ist das alles Geschichte, damals war das die Revolution. Lange Zeit war es als „rechts“ verschrien, dass man amerikanische Filme für das Größte hielt. Wir hielten das alles für Dokumentarfilme. Und das hat uns dazu gebracht, dass wir eben keine Filme gemacht haben über Konzentrationslager oder über die Themen der Linken. Sondern wir haben unsere Freundinnen genommen, wir dachten, das wäre der einzige Weg an Hollywood ranzukommen. Ich meine, das ist so typisch in Kleine Front. Der geht damit los, dass drei so Wichser aus dem Kino kommen und da läuft Hatari! von Howard Hawks. Und was machen sie? Sie gehen auch auf Großwildjagd [sie fahren in den Wald um Forellen aus einem Teich zu stehlen] und sind natürlich völlig unfähig. Aber die Attitüde, mit der sie es machen, das war für uns eins zu eins, was wir im amerikanischen Kino gesehen haben. Auch wenn es total unerfolgreich war. Es gab keine Forellen, nichts. Und am Schluss, als das auch nicht klappt, entscheiden sie sich dafür, zu einem Asylantenheim zu gehen und dort vielleicht die jungen Mädchen abzugreifen. Sehr modernes Ende. Und da uns die ganze deutsche Welt nichts anging, haben wir halt gedreht, was am nächsten am amerikanischen Film dran war. Das waren wir und unsere höchstpersönliche Welt. Damals gehörte auch Handke dazu und Wim Wenders. Wir waren Kinder Amerikas hier, in diesem Land. Aber wirklich die einzigen.

MA: Sie sind ja damals in den frühen Zwanzigern gewesen? Was war der Grund, dass Sie sich als Gruppe so von Deutschland entfremdet haben?

KL: Heute ist auch ein großer Unterschied zwischen Amerika, Europa und Deutschland. Aber damals war er unendlich. Damals war Amerika vollkommen unerreichbar. Ein Ticket nach Amerika ist jenseits aller Vorstellungskraft gewesen. Das billigste war Icelandic, das hat damals 1800 Mark gekostet. Dafür hätten wir zwei, drei Filme gedreht. Also blieb nur das Kino als Flucht vor der Spießigkeit Deutschlands. Weil wir auch den Krieg nie so wahrgenommen und verstanden haben. Wir waren immer auf Seiten der Amerikaner in den Kriegsfilmen. Wenn die Amerikaner nicht gewesen wären, dann würde ich auch gar nicht mehr leben. Das war die Schokolade der amerikanischen Soldaten, die uns ernährt hat. Und dann kam diese Mentalität der Amerikaner durch den AFN hier rein, zu uns. AFN war das Größte für uns. In amerikanische Clubs reinkommen, war für uns mehr als in Cannes angenommen zu werden. Einmal da reindürfen, ins P1. Zumindest draußen zu stehen und zu gucken, wie die Leute rauskommen, das war für uns der Himmel, die Erlösung von der Umwelt, in der wir damals lebten. 

Baader-Meinhof kommt doch daher, dass diese KZ-Filme aus Frankreich kamen, wo uns plötzlich klar wurde, dass unsere Väter das waren. Damit sind wir klargekommen, indem wir die Amerikaner immer schon liebten. Die anderen, unsere Freunde, Baader und alle, die konnten nicht verstehen, dass die Eltern, protestantische Pfarrer, auf Seiten der Nazis waren. Über dieses Problem sind wir gut hinweggekommen. Das hat uns auch getrennt. Wir haben zusammengelebt, Baader und diese ganzen Jungs, als wir jung waren. Aber wir hatten immer die Rettung, wir gehen jetzt ins Kino und schauen Howard Hawks an, das hat für zwei Tage gereicht. Wir hatten damals auch nicht die geringste Chance, irgendwas zu werden. Das war vollkommen chancenlos. Enke war ein Nichts. Niemand hätte jemals Enke für einen Film engagiert. Den hat noch nicht mal die Bavaria als Statist genommen. Aber wir mussten unseren ersten Film zusammen machen, genau mit Enke.

Der deutsche Film war damals sehr erfolgreich mit so richtig vollen Spießerfilmen. Dagegen war selbst Doris Day ein Abenteuer. Das waren so richtige Kriegsbräute, Nachkriegsbräute, die Deutschen. Und es war eine Flucht nach Amerika, ohne natürlich Amerika je kennen gelernt zu haben.

MA: Sind Sie jemals dort gewesen dann?

KL: Oft. Ich habe auch Filme in Amerika gedreht. Zwei Stück und einen selbst produziert. 

MA: Aber das war dann später, nehme ich an?

KL: Das war natürlich alles später, klar. Am Anfang waren wir die einzigen und hielten uns wirklich für das Größte, weil wir so etwas mochten. Weil der Rest, die Filmkritik im Besonderen, für die waren das postfaschistische Blödsinnswerke, mit denen die Amerikaner uns verderben wollten. Aber bei uns war es genau umgekehrt.

MA: Galt das auch für die Nouvelle Vague?

KL: Die kam ja dann erst Mitte der 60er-Jahre richtig zu uns. Das war endlich eine Hoffnung. Was ja in Deutschland ganz verloren ging nach dem Krieg, war Virilität, Männlichkeit oder Waffen. Das war natürlich alles zu Recht nicht mehr da. Ich kann ja diese Leute sehr gut verstehen. Mein Vater war lange in Kriegsgefangenschaft, der hatte wirklich die Fresse voll. Aber wir, wir wollten da nicht mitmachen. Wir wollten nicht in dieses Postnaziding rein. Wir wollten gleich ins Auto und dann rüber, übers Meer nach Miami oder nach New York. Wir wussten auch noch nicht mal, dass Miami dort lag und Los Angeles am Atlantik. Als ich Acapulco drehte, dachten wir immer Acapulco wäre auf der Karibikseite. Da gab es Wetten darüber. Wir haben eingezeichnet, wo Acapulco ist und dann war Acapulco – damals noch eine kleinere Stadt – natürlich ganz woanders. Das war ganz überraschend, als wir dort ankamen.

MA: (lacht) Ein bisschen wie Christoph Columbus.

KL: Ja, weil ein zweiter Einfluss natürlich Jack Kerouac’s On the Road war. Nichts hat uns darin mehr fürs Leben geprägt, als dass die durch den Staat fahren und nur die Tankstellen kennen. Daraufhin bin ich jahrelang durch Europa getrampt und habe nie was von Paris gesehen. Es war nur wichtig, in Paris die Tankstelle zu wissen, wo man hinmuss, damit man weiter, immer weiter, immer weiter, kommt.

MA: Über On the Road hat ein Kritiker geschrieben, dass Kerouac gar nichts gesehen hätte.

KL: Das ist es, er fährt nur durch Amerika nur durch. Das war unser Ding. Auch von Wim und all diesen Leuten. Bei Kerouac haben wir wirklich nur verstanden, dass endlich mal jemand nicht beschreibt, wie die Hauptstraße aussieht und welche Museen es gibt. Noch nicht mal Kinos kommen bei ihm vor. Es kommt die Tankstelle vor, eine Bar, wo er jemanden trifft und da geht er durch und wieder raus. Das ist die Attitüde gegenüber einer Welt.

MA: Da geht es schon um Bewegung und Körperlichkeit

KL: Mit Kerouac ging das Actionding ja los. Durchfahren, einfach nur das Auto von da nach da durch Amerika bringen. Jetzt nachträglich gesehen, sind auch ganz andere Dinge in den Büchern, aber die haben wir überhaupt nicht gesehen. Genauso wie wir bei Hawks nie gesehen haben, dass das ein gemachter, geplanter Film ist. Wir fanden, das waren freie Menschen und wir waren in der Nachkriegskaputtheit. Wenn der AFN nicht gekommen wäre, wenn wir BFN hier gehabt hätten, dann wären wir nie was geworden. Das war der AFN und die Art, wie die Leute geredet haben. Heute reden alle DJ weltweit so, aber wir hatten noch nie gehört, dass ein DJ so redet. Wir waren immer noch in Nazideutschland. Die Synchronsprache ist heute ja noch so eine Befehlssprache. Das sind alles Doktorarbeiten. Fehler in einer Sendung, die der AFN produzierte, das war für uns die Erlösung. Dass einer von denen Unsinn redete war ganz ausgeschlossen in Deutschland. Es gab auch diese Gruppe 47, die für uns ja der reine Unsinn war. Zum Teil wohnten wir zur Untermiete bei bekannten Schriftstellern, weil wir überhaupt kein Geld hatten. Die fanden uns interessant und dort kriegten wir das deutsche Kulturleben mit, da waren wir ganz schlecht dran. Unsere Rettung war der Türkendolch, in der Türkenstraße. Da kannten wir die Platzanweiserin langsam. Wir hatten überhaupt kein Geld und das wenige was wir hatten, wurde für Bier und Kino ausgegeben. So haben wir gelebt. Immer mehr Filme, bis sich so langsam die DNA geändert hat und wir plötzlich den Mut hatten, Filme zu machen, über unsere eigenen Freunde und darüber was für einen Unsinn die reden. Das kam damals wirklich vom Mond. Wir wurden in Oberhausen immer abgelehnt… Aber macht nichts. Ich wäre heute nicht da, wenn das nicht so gewesen wäre.

MA: Die Oberhausener haben sich gegen einen gewissen Film aufgelehnt und die Münchener auch, aber auf fundamental andere Weise. Was hat den Oberhausenern an den Münchnern nicht gepasst?

KL: Also wir wurden da nicht wahrgenommen und wir haben die nur als alte Spießer gesehen, die irgendwie durch Kluge sehr schnell an Geld kamen und wie ihre Papis und Mamis ihr Haus in der Toskana gekauft haben. Das war das Ziel. Es gab nur eine Ausnahme und das war Rob Houwer. Er hat sich einen dicken, englischen Wagen geleistet. Das fanden wir ein bisschen amerikanisch. Sonst war alles so SPD-mäßig. Also damalige SPD.

MA: War das auch ein kleiner Generationenkonflikt? Die Oberhausener waren ja alle knapp zehn Jahre älter als die Münchener. 

KL: Ein bisschen älter, ja. Aber von den ganzen Oberhausenern bleibt nichts übrig. Außer Kluges Abschied von gestern. Die Jungs wollten nur ihren gebildeten Eltern zeigen, dass auch Film irgendeinen Anspruch von Bildung haben könnte. Und das war das. Die Eltern waren natürlich meistens links, oder jedenfalls nicht so rechts. Proll und all diese Filme wurden bewundert. Wir waren nicht in Opposition, sondern wir haben gar nichts mit denen zu tun gehabt und die haben uns auch nicht wahrgenommen.

MA: Wurde das dann später, durch die Debatte in der Filmkritik formuliert?

KL: So langsam. Helmut Färber war der Einzige, der es gesehen hat und in der Süddeutschen Zeitung darüber geschrieben hat. Der hat die aller erste Kritik zu uns geschrieben, auch vor Frieda Grafe noch. Er hat die Sache total erkannt, über die wir jetzt gerade reden. Das kommt alles in dieser ersten Kritik in der Süddeutschen schon vor. Aber entscheidend war Frieda Grafe. Frieda Grafes wirklich größter Satz zu Acapulco war: „die Wiedergeburt des amerikanischen Kinos aus dem Kopf eines 27jährigen Deutschen“. Das habe ich nie verstanden aber jetzt verstehe ich es. Das ist eine Wiedergeburt des amerikanischen Films durch einen – ja, ein N**** aus Samoa könnte das auch machen, dann sähe es aber anders aus.

Für uns war Frieda Grafe wirklich die Pauline Kael des deutschen Films. Deswegen ist auch Drei ihr gewidmet. Wir haben die Texte damals nicht verstanden. Heute verstehe ich die. Wenn es mir ganz schlecht geht, lese ich heute ein bisschen drin rum. Da ist der Geist des Kinos drin. Das ist eine so geniale Frau gewesen. Die sah auch so gut aus, war so schlank wie eine Französin und hatte wirklich so diese Art. Wir haben die behandelt wie eine Göttin. Und zum Dank dafür und weil wir diese Filme gemacht haben, hat sie uns praktisch gemacht. Das war wirklich sie. Und Enno [Patalas] hat noch ein bisschen mitgezogen.

MA: Es scheint mir als hätte die Filmkritik die neue Münchener Gruppe dann als ästhetische Linke gegen die politische Linke positioniert. Das ist interessant, weil andere sie ja in das Camp des Postfaschismus, rechts eingeordnet haben.

KL: Ja und als l‘art pour l‘art. Die Jungs hatten keine Ahnung von Film. Wir dagegen hatten eine Ahnung von Film, wir hatten eine Filmbildung, ohne es zu wissen, denn das waren ja alle films maudits, diese ganzen Gangsterfilme, die wir auswendig konnten. Und der Einzige von uns, der ein bisschen Kontakt zur Außenwelt hatte, war Straub. Der rief manchmal Godard an. Und dann kam dieses berühmte Außer Atem. Der europäische Film tut auf einmal das ganz amerikanische. Es ist ja unfassbar bei Außer Atem, dass ein Bengel aus Südfrankreich, der ein bisschen geboxt hat, eine Amerikanerin mit seiner amerikanischen Philosophie anturnen will. Das hat ja auch jahrelang niemand verstanden. Eine Amerikanerin, die sich zum Glück als erste Frau wehrte, vereinnahmt zu werden, aber nicht weil er Europäer ist, sondern einfach nach dem Motto: wie kann denn dieser Bengel hier irgendwie etwas über Amerika wissen? Aus dem Kino hat er es gewusst, aber sie war die Realität. Sie war Amerika. Und er macht alles nur, um am Schluss einmal zu gewinnen und zu sagen: „C’est vraiment dégueulasse”. „Das ist wirklich zum Kotzen!”. Dann übersetzt der Polizist, „Du bist zum Kotzen.“ Und das waren unsere Eindrücke. Wir waren genau auf dem drauf, warum diese amerikanischen Regisseure das gemacht haben. Wir haben uns einen Dreck für die politischen Implikationen dieser Filme interessiert. Aber die fanden es geil, dass Gangster mal machen, was sie wollen. Dass die träumen. Und es stimmt ja, dass Banditen dieses Ding haben. Banditen, Ganoven, Zuhälter, Rocker sind die einzigen, die was drauf haben, wenn man schon mal ehrlich mit Film ist.

Währenddessen dachten die Studienräte halt, je klüger man ist, umso besser sind die Filme. Wir waren eigentlich stolz drauf, dass man uns für ein bisschen doof hielt. Wir dachten ja auch nie, dass daraus was werden würde. Wir haben uns halt voll gesoffen mit billigem Bier und uns heimlich von hinten ins Türkendolch Kino rein geschlichen. Wir wussten ja, wann gereinigt wurde, da waren wir dann nicht im Kino. Wir haben uns unter den Sitzen versteckt und die nächste Vorstellung geschaut. Dasselbe Ding nochmal. Das hätten wir auch drei, fünf Tage lang machen können. Und immer, wenn in den amerikanischen Filmen mal wieder schnelle Autos vorkamen und Mädchen – kam nicht so oft vor – saß auch Baader immer hinten. Baader hat nur Filme gesehen, wo Leute im Cabrio saßen und ein Mädchen daneben. Er war nur auf BMW und offenen Cabrio gepolt. 

MA: Wie war denn die Dynamik damals zwischen diesen ganzen Jungs?

KL: Wir haben uns immer im Kino getroffen. Der Thome hatte immer schon aus, weil der von der Süddeutschen Zeitung kam, wo er geschrieben hat. Und mit dem Ausweis sind wir dann in die Kinos, also erst er rein, dann hat er jemanden gefunden, der wieder raus gegangen ist mit dem Ausweis. So sind wir auch in diese etwas teureren Filme gekommen in der Innenstadt. Aber in Wirklichkeit waren wir immer da vorne im Türkendolch, wo jetzt ein Café ist. Darüber stand auch das kleine Bungalow, in dem alles angefangen hat. Das war so eine Art Holzschuppen, wo die Amalienpassage jetzt ist. Ein Gründergrundstück und dort war diese berühmte Musikbox, wo zum allerersten Mal Elvis drin lief und auch frühe Rolling Stones. Da standen wir rum. Es gab auch das billigste Bier. Das war ganz wichtig. Und ein paar kleine Ganoven, so ein paar Falschspieler, waren da drin. Das war für uns die wirkliche Welt, 16 Quadratmeter Amerika.

MA: Ein Flipper war da auch drin?

KL: Alle Leute haben nur Flipper gedreht. Ich stand immer vorm Flipper, das war sinnlos aber das waren amerikanische Flipper. Und Sieger war der, der am besten Mitchum nachmachen konnte beziehungsweise noch ein paar Mitchumsätze im Original drauf hatte. So haben wir uns immer unterhalten und die Filme zitiert. Das haben die Franzosen auch gemacht.

Und dann kamen die Rolling Stones nach München. Plötzlich spielte da eine Band amerikanische Sachen nach, aber mit einer vollkommen anderen Attitude. Damals kannte die noch niemand. 30 Leute kamen ins Konzert. Die haben ja auch nur Amerika kopiert. Besser geht es nicht, wenn man jung ist. Soll man vielleicht Russland kopieren, oder was soll man denn kopieren? Wo China ist, wusste ich gar nicht. Wir hätten die Italiener kopieren können, die mochten wir und die Franzosen. Aber das war uns dann auch zu intellektuell. Wir waren nicht dumm. Ich habe bei Heidegger studiert. Thome hätte auch Professor werden können und Zihlmann war ein hochintelligenter Typ. Aber wir wollten weg von dieser Intelligenz. Wir dachten, Amerika würde uns davon befreien. Das entscheidende am amerikanischen Film war natürlich die Sprache. Das sage ich in jedem Interview, aber es gibt auch nichts Anderes zu sagen über uns. Wir haben uns ein Leben lang minderwertig gefühlt gegen das, was man auf Amerikanisch sagte. Wir waren immer nur auf dem Kasernenhof hier und das sind wir bis heute. Die anderen hatten eine Arbeitssprache. Rocker oder Zuhälter auf der Straße. Da wusste man, wie in amerikanischen Filmen, ist alles doppeldeutig. Nur der Subtext zählte und nicht das, was man sagte. Im Deutschen zählt natürlich nur Wort für Wort. Es war der Wahnsinn unserer Jugend und wenn es den nicht gegeben hätte, hätte keiner von uns Filme gemacht.

MA: Nur mal ganz kurz nachgehakt. Du hast in den frühen 60er Jahren bei Heidegger studiert. Ist das richtig?

KL: Ganz frühe 60er. Nein, ‘59, sage ich mal. Heidegger, „Was ist Philosophie?”. Proseminar. Es gab keine Karten offiziell, aber man bekam keinen Platz, wenn man sich nicht vorher formell bei einer Studentenbewegung angemeldet hatte. Dann war ich drin und stellte erst mal fest, dass ich kein Wort verstand, von dem, was er sagt. Um mich herum hat kein Mensch irgendwas verstanden. Die waren auch alle blau. Ich habe immer mehr das Gefühl gehabt, dass Heidegger keine Vorlesung hält, sondern dass er die Sprache sich selbst sprechen lässt. Dass er immer darauf wartet, dass sich seine Sprache weiterspricht. Der ganze Saal hat furchtbar gestunken, aber Heidegger hat in diesen Alkoholismus reingeredet. Man hatte das Gefühl das war ihm lieber, als wenn die Leute dort gesessen und was notiert hätten. 

Und so langsam über die Jahre wurde mir klar, dass das der entscheidende Eindruck meines Lebens war. Ich habe auch andere Professoren gehört, aber der war der Einzige, der in unsere Richtung passte, dass Sprache sich endlich selbst spricht. Wenn wir uns unterhalten, unterhält sich natürlich unser Intellekt, aber in Wirklichkeit unterhält sich nur die Sprache. Es unterhalten sich nur unsere Worte miteinander und wir sind die Pappkameraden dahinter. Das war die Botschaft von Heidegger.  

Das habe ich von ihm genommen. Und Jahre später stelle ich fest, dass das offensichtlich ein wirkliches Thema von ihm gewesen ist und er, wie wir, darum gerungen hat, dass Deutsch wieder irgendwas transportiert außer Meldungen von der Front. Die Deutschen waren ja total militarisiert seit dem Ersten Weltkrieg. Die sind ja totale Kasernenhofturnhalle. Die Filme sind ja immer noch so. Das Entscheidende ist doch, dass deutsche Filme von Anfang an etwas erklären wollten und das ist doch das Ende von allem. Dagegen steht diese geballte Irrationalität des Lebens, in dem wir sind und das Amerika so wunderbar vorlebt, denn Amerika wird vollkommen falsch gesehen von hier. Amerika macht jetzt die Konfrontation durch, in der wir in zehn Jahren auch sind. Während wir noch denken, wir sind eine so saubere Welt, die man noch durchschauen und regieren kann. Amerika wird nicht so regiert, wie wir uns das vorstellen. Das ist ein Kampf wie in der Serie „House of Cards“. Bei Richard III. war das auch so. Die Welt war immer so. Nur wir Deutschen haben all das Falsche zu komplett übernommen. Wir haben auch das Hippietum viel zu falsch übernommen. Das Hippietum war schwer kriminell in Amerika. Ich war dort zu der Zeit und war schockiert. Ich war damals Verkäufer, unten in Venice Beach. Wir haben damals schon etwas gesehen, von dem Tarantino heute noch lebt. Es ist doch der Wahnsinn in Rio Bravo, dass die Jungs unter Bedrängnis sich plötzlich zusammensetzen und ein bisschen singen. Das war doch der stärkste Bruch des Jahrhunderts, dass man sich überhaupt traut so ganz unterschiedliche Sachen zusammen zu bringen. Dafür kriegt man auch viel in die Fresse, für diese Meinung. Aber das ist die einzige Meinung, die Einzige, die mich wirklich am Leben hält. Das ist mehr als Geld. Ich war auch irrwitzig reich zwischendurch. Fast reich verheiratet. Aber das war nie was wert. Es war immer nur dieses Amerikanische. Ich weiß, dass Amerikaner ein viel kritischeres Verhältnis dazu haben, du wahrscheinlich auch. Aber so war es für uns.

MA: Ich bin 1969 geboren und ich kenne die Geschichten meines Vaters, der ist ‘39 geboren.

KL: Mein Alter.

MA: …und hat auch erzählt, als die GIs gekommen sind mit Kaugummi, Schokolade und all dem.

MA: Und er hat die 10 Pfennig Western gelesen und wurde Westernfan. Wenn ich meinen Vater fragte Warum, dann hat der gesagt, ja, für ihn war das die Weite. Ein bisschen auch Attitude aber auch das Unbegreifliche der Weite des Landes.

KL: Wir wussten nicht wo Los Angeles liegt, oder Miami. Das spielte auch gar keine Rolle. Das war Amerika. Wo New York ist, weiß man, aber wo der Rest ist, wussten wir nicht. Es ist ganz richtig, was dein Vater gesagt hat. Es war plötzlich die Öffnung. Es muss irgendwie eine Antwort geben auf das, was die Väter gemacht haben. Wir wollten uns natürlich ganz schnell von dieser Schuld befreien, die aufkam und die uns überall eingeredet wurde und die die Leute so gut zur Arbeit gebracht hat. Dieses calvinistische Denken, obwohl wir katholisch sind. Das war die Rettung in der Nachkriegszeit und dann für das ganze Leben. 

Ich habe jetzt gerade fünfzehn Mal Wolf of Wall Street gesehen. Ich kann es nicht glauben, wie gut das ist. So nehmen wir Amerika auf, wie Kinder. Ich kenne fast jede Serie. Aber auch in der übelsten Serie, sehe ich noch diese amerikanische Freiheit, diesen Traum und das Denken. Ich finde auch, in den Konflikten, die Amerika hat, sieht man, wo wir in 15 Jahren mit der Europäischen Union stehen werden. Es gibt keine Einheit mehr. Das ist kein Kreuzworträtsel und es muss alles zusammenpassen. Das ist nicht mehr Europa. Das sind die neuen Griechen, die Amerikaner, die mit höheren Risiken leben und sich schuldig machen. Die machen vor allem Fehler. Wir machen ja keine Fehler mehr in Europa. Wir sind ja vollkommen. Also wir erwarten, dass alle Leute so nett sind wie wir.

MA: Es ist auch fast etwas Anarchisches darin der Regulierung zu entkommen.

KL: Wie die Gangster in den Filmen.

MA: Ja, genau.

KL: Im Film haben sie es ja dann auch bezahlt mit Bomben und Tod. Aber im Leben wahrscheinlich auch. Das ist der Preis: Die young, live fast and leave a good looking corpse. Das war ja einer der berühmtesten Sätze aus einem der großen amerikanischen Filme. Das war unsere Droge und deswegen sind wir auch so easy auf Marihuana gekommen, als noch niemand hier wusste, was Marihuana ist. Als Robert Mitchum wegen Marihuana ins Gefängnis gekommen ist, wussten wir überhaupt gar nicht, was Marihuana ist. Wir haben gedacht, das wird aus Bananenschalen hergestellt. In Acapulco, der Hauptstadt des Marihuanas haben wir nichts bekommen, weil wir uns so doof angestellt haben als Deutsche. Und wir waren nur dem hinterher, wie kriegen wir Marihuana. 

MA: Acapulco habe ich mir heute morgen nochmal angesehen. 

KL: Ich sollte ja mit Enke Zur Sache Schätzchen machen, aber ich durfte plötzlich nach Amerika, mit Acapulco. Plötzlich hatten wir Geld für so was. Dann habe ich Zur Sache Schätzchen nicht gemacht, zum Glück. Ich meine, ich habe mir genug die Hände mit schlechten Komödien versaut. Ich habe so viel schlechte Filme gedreht, das ist unfassbar. 

MA: Danach kommt Negresco. Und bevor dann die Hamburg-Filme anfingen kommt ein RAF-Film, Brandstifter.

KL: Der wurde verschrien damals und jetzt ist es der einzige authentische RAF-Film. Ja, das waren Clowns, so wie ich jetzt auch gerade rede. Das waren Clowns wie wir. Auf diesem großen Foto auf der Anklagebank, machen die die Marx Brothers nach. Ich weiß es, weil ich mit denen gedreht habe. Die dachten wirklich, das geht so. Man macht die Marx Brothers nach und das wird schon irgendwie was bringen. Aber solche Sachen werden natürlich dann ganz schnell kriminell. Und das Kriminelle macht riesen Spaß. Und das hat denen so viel Spaß gemacht, wie im amerikanischen Film. Ende.

MA: Point of no return.

KL: Ja, irgendwann ist Schluss. Erst einen Polizisten wie auch in „Außer Atem“. Den erschießt er ja so nebenbei. So Kino – Kinoeinstellung. Dann kommt die Westerneinstellung, wie er über das Feld rennt. Dann kommt Paris mit der Musik und dann ist es aus. Da kriege ich jedes Mal eine Gänsehaut, wenn ich das sehe. Ich drehe durch.  Ich könnte jetzt 30 solche Stellen in Filmen nennen. Aber wenn ich in Wolf of Wall Street sehe, wie das Schiff in Seenot gerät und wie sie dann gerettet werden von dem italienischen Schiff und tanzen plötzlich. Er sagt, es wäre eine schöne Sache von Italienern gerettet zu werden, da gibt es Musik, Spaghetti und so weiter und im selben Moment sieht er durch die Luke, wie das Flugzeug, das ihn abholen sollte, explodiert weil VÖGEL da reinkommen. Dann sagt er: „jetzt hast du das göttliche Ding bekommen“, was ja auch nicht stimmt, aber das scheint mir realistischer über Menschen zu erzählen als jedes andere Ding. Ich finde, das ist der eigentliche Spirit. Ich sage immer, die Amerikaner sind die neuen Griechen. So war Griechenland als es jung war. Die Demokratie ist eine tolle Sache aber die gab es noch nicht. Da haben die Jungs im Gymnasium ein bisschen rumgeredet, dann haben sie Quatsch gemacht und die halbe Welt erobert – zum Spaß. Naja und dann war es wieder weg. Die Römer haben das einfach übernommen mit ihrer deutschen Art. Das entscheidende Ding unserer Kultur ist, dass die Germanen, die damals total individuelle Leute waren, nie auf diese Ideen der Römer gekommen wären. Zur Jagd ging man bei denen zu dritt aber zum Kampf geht man alleine. Die haben ja nichts von Römern gewusst. Da marschiert plötzlich so eine Kohorte von Gleichschritt-Römern durch den Wald, wie Engel, Richtung England. Die Germanen wussten ja auch gar nicht, wer England ist. Aber die Römer wussten das alles schon, die hatten die Straßen und wir wurden überrannt durch diese Römer, die die besten Deutschen waren.

Und jetzt spielen wir fabelhaften Fußball, bauen die schönsten Autos, haben mit die schönsten Mädchen und unsere Filme sind die Grabsteine, weil es Staatskino ist, gegen das wir uns immer gewehrt haben. Es ist unvorstellbar für einen Amerikaner, dass der Staat die Filme bezahlt. Das ist doch vollkommen irre und dann zu glauben, dass das keinen Einfluss hätte. Der Staat nimmt keinen Einfluss, aber die Köpfe der Leute richten sich danach, was dieses Gremium will, was es gefördert hat, was ein Erfolg war. Es wird nie etwas passieren in diesem Land, solange der Staat das denen bezahlt und jeden Spaß aus der Sache herausnimmt. Wenn du einmal andere Regisseure triffst, also etwas erfolgreichere, das sind alles Selbstmordkandidaten. Das sind Suicide Clowns. Da ist gar nichts mehr, das ist vorbei. Fuck it. Ist mir auch egal…

MA: Denkst du, dass es einen Grund gibt, dass diese Art von Kino, die die Münchner dann so Mitte der 60er gemacht haben, aus München, aus Schwabing kam?

KL: Wir hatten ja nichts Anderes. Wir hatten ja nur Schwabing und uns selbst. Wir wussten ja auch ganz genau, dass das nie rausgehen würde. Wir haben das wirklich für uns gemacht und das ist geblieben. Ich mache die Filme wirklich nur für mich und wenn sie nichts werden, werfe ich sie weg. Also das war damals nur für uns, ganz Beaux Art. Es gibt einen einzigen, der das kapiert hat und das war Schlöndorff. Wir sind wirklich falsch an verschiedene Sachen rangegangen aber Schlöndorff war damals schon Student der EDHEC und war bei Louis Malle Regieassistent. Das war für uns eine große andere Welt. Schlöndorff kam mal zum Drehen und er sagt in seinen Memoiren, dass er dort was ganz Neues erlebt hätte, wo er gern dabei gewesen wäre. Aber dazu war er schon viel zu gebildet. Wir drehen gerade irgendeine Szene bei Die Versöhnung, ahnungslos wie immer. Wir wussten noch nicht mal was von Schnitt-Gegenschnitt. Ich stehe also neben Schlöndorff, da steht Thome, da Zihlmann, wir haben uns gerade gestritten und Schlöndorff gibt uns den wirklich fabelhaften Tipp, dass man das doch viel einfacher machen könnte. Da fällt Schlöndorff plötzlich in der Sekunde ein, dass das alles kaputt machen würde, wenn wir es wüssten. Heidegger wieder. Wenn wir wüssten was er da plötzlich doch gesehen hatte und neu war, würde das alles kaputt machen. Und so behandle ich die neuen Leute auch. Ich zeige niemals etwas. Hauptsache, es tut mich ein bisschen berühren. Es gibt solche Leute in Deutschland. Aber kaum haben sie mal ein Ding gemacht, von dem was in der Süddeutschen Zeitung steht, gehen die sofort zur Förderung. Dann sind sie kaputt. Es gibt Ausnahmen.

MA: Es gab ja die frühen auch kurzen Filme, VersöhnungKleine FrontHenker Tom.

KL: Und die sehr guten Kurzfilme von Thome. Thome hat die besten Kurzfilme gemacht, also außer Kleine Front und Henker Tom

MA: Und es gab noch Zihlmanns Frühstück in Rom, den einzigen, den er gemacht hat.

KL: Da war was drin. Das war aber sehr Intellektuell. Aber die spätere Frau Fassbinder, Ingrid Caven spielt da mit

MA: Ja. Aber die Filme vor Ein Haus am Meer, der schon an der Côte d’Azur spielt, sind eher charakterisiert von Alltäglichkeit. In Kleine Front ist ja auch Kino Traum und Amerika drin, dadurch dass die im Wald ein bisschen Abenteuer spielen

KL: Ja, die spielen Räuber. So wie man Amerika verstanden hat damals.

MA: Aber wenn du darüber sprichst wie du mit den Schauspielern umgehst, ist für mich faszinierend, dass du denen anscheinend in indirekter Rede mitgibst, was sie sagen sollen, sodass sie es dann selber sagen, richtig?

KL: Das habe ich gemacht, während der teuren Filme, die ich damals noch mit Förderung gedreht habe. Immer in indirekter Rede. Er sagt ihr, dass sie doof ist. Jetzt kann er das, wie er es macht. Ich glaube heute passe ich nur auf, dass ich da ganz nah an Hawks und auch an Spielberg bin. Heute versuche ich nur die Situation so zwingend zu machen, dass die Leute das Richtige zu tun. Das ist manchmal ganz einfach, wenn ich sage, „Dann pass mal auf, entweder jetzt fickst du die und kriegst die, oder du bist raus aus dem Film, weil was soll ich denn mit Losern?“. Und „jetzt musst du das wirklich mal machen!“. Und dann sage ich, „Pass mal auf, wenn du es so machst, kannst du gehen.“. Und so kriege ich die manchmal zu Leistungen, die… Bei den Rockern war es ganz einfach. Die haben sich einen Dreck um mich gekümmert. Die haben einfach gemacht, was sie gemacht haben. Ich war immer halb besoffen und damals schon stoned natürlich. Ich konnte immer so ein bisschen meinen Film da reinbringen, wie ich mir das gedacht habe. Aber die Rocker konnten ja nichts falsch machen. Die Rocker waren die wirklichen Amerikaner. Wir waren keine richtigen Jungs, wir waren schon der Traum eines Traums des amerikanischen Films. Und plötzlich lernten wir Deutsche kennen, die uns das Herz gebrochen haben.

MA: Wie war das, die Erfahrung zu machen mit den Rockern, hat man Angst gehabt?

KL: Wir waren Verwöhnte. Aber selbstverständlich, das war die erste Realität in unserem Leben. Die andere war lediglich, dass wir kein Geld hatten, immer betrunken waren, Drogen wollten, die wir nicht bekamen und ins Kino gingen. Das war unsere Realität. Und plötzlich treffen wir ECHTE Leute, die nicht ins Kino gehen, die ein eigenes Leben hatten und uns noch nicht mal ran lassen an dieses Leben. Das ging ja nur mit reinem Glück, das war ein Geschenk Hamburgs an einen Münchener, der von nichts eine Ahnung hatte. Es ist total irrational, das ganze Ding. Ich finde, das ist noch heute so. Ich meine sind doch alle wahnsinnig gleich. Wir sind immer am Rande des Zusammenbruchs. Die Moderne ist doch nichts Anderes als ein Weg in die totale Katastrophe und das wird auch zum Glück in Zukunft so sein. Also ist es doch nicht ein in-eine-große-neue-Welt-gehen mit euch. Es ist die Katastrophe, die uns bevorsteht. Aber dagegen noch ein bisschen anzubrüllen, bevor man untergeht, das ist doch Griechenland. Die Griechen, das griechische Drama ist doch nicht, dass Ödipus irgendwie da untergeht, sondern dass Ödipus immer dagegen mault und dass Odysseus immer brüllt gegen die Götter. Das sind die neuen Amerikaner und das waren die alten Amerikaner. Es ist doch immer derselbe Film: John Wayne steht da und sagt, „Pass mal auf, erst mal kommen die Indianer und dann geht es runter, dann kommt das Eis und dann wird es ganz schlimm und wer dann noch rüberkommt, der ist dann da. Das ist es doch. So ist doch unser ganzes Leben, das ist doch eh immer Heidegger. Always the same fucking day. Wir lernen doch auch nichts dazu. Hoffentlich verlernen wir genug. Wir sind doch gar nicht in der Lage so was wie Homeland zu bringen. Dass man plötzlich wieder wach dafür wird, das da plötzlich noch eine andere Welt ist. Bei uns ist nie eine andere Welt. Aus Deutschland kommt bis auf die Autos immer derselbe homogene Unsinn. Dasselbe Kreuzworträtsel, was sich auflöst. Amerika löst sich die Sachen nicht mehr auf, das ist doch das ganze Geheimnis. Das ist doch das ganze Ding. Heidegger im Gegensatz zur Frankfurter Schule. Husserl mit diesem genialen Satz, der uns so beeinflusst hat, dass tatsächlich der Blick das Objekt beeinflusst. Das stimmt. Wenn ich den richtigen Blick, den richtigen Tag habe, dann ist das Mädchen schön und auch später auf der Leinwand schön. Es hat mit nichts Anderem zu tun. Es ist der Blick. Du ahnst die Dimension. Von uns.

MA: Es ist faszinierend.

KL: So bewusst dumm. 

MA: In den 60ern wurdet ihr von den Oberhausnern gar nicht wahrgenommen. Kluge war ja Adornoschüler, insofern ist es interessant, dass also eine Prägung durch die Frankfurter Schule auf der einen Seite gegenüber einer durch Heidegger steht. Adorno hat ja zwei Bücher gegen Heidegger geschrieben. „Der Jargon der Authentizität”…

KL: Schöner Titel übrigens.

MA: …und die „Die negative Dialektik”.

KL: So haben wir das auch gedacht.

MA: In der Filmszene…

KL: Ja, aber ohne, dass wir das wussten. Das ist ja eigentliche Kultur, wenn man es nicht weiß.

MA: Dieser philosophische Kampf manifestierte sich in den 60er-Jahren also unbewusst im deutschen Kino. Aber natürlich wurde da nur artikuliert, was real war.

KL: Die Anderen ja auch. Wir sind einem anderen Dogma hinterhergelaufen. Das ist mir schon klar. Aber dieses Dogma ist lebendiger geblieben in den Jahren und so langsam seit zehn Jahren entdecken die Zeitungen, dass plötzlich doch alles ganz fehl gelaufen ist und dass doch ein anderer Film möglich wäre bei uns. Was soll’s. Ich meine, das ändert nichts an meiner Sache, die ich mache.

Es ist schön, was du eben gesagt hast. Das ist wirklich wahr, das Gefühl habe ich auch sehr oft, wenn ich so schimpfe auf Kluge. Wir treffen uns auf der Straße und ich achte ihn durchaus. Er hat auch verlangt, dass Haus am Meer in Oberhausen läuft. Den Film hätten die nie genommen, in dem Film gibt es noch nicht mal eine Geschichte. Und die wird bewusst nicht erzählt. Er hat sofort gesehen wo dieser Bruch ist. NATÜRLICH wieder als Adorno-Schüler. Baudrillard würde das heute sofort auch sehen. Aber wir waren zum Glück nicht so klug bis auf Thome. Thome ist dann sehr dogmatisch geworden mit den Grünen und mit dieser Welterlösung durch anständiges Benehmen und bisschen nett sein. Da gingen unsere Wege dann auseinander. Bis dann Zihlmann tatsächlich ganz weggegangen ist.

MA: Ich habe vorgestern sowohl mit Zihlmann als auch mit Roger Fritz gesprochen und mir Negresco nochmal angeguckt. Da gibt es die männliche Hauptfigur, den Fotograf, der ja auch Roger heißt. 

KL: Ich habe mit Roger Fritz zusammengewohnt. Antonioni kam dann auch mit Blow up. Fotografen waren damals das Größte. Wir haben im Nebendeck gewohnt und Roger war DIE große Welt in Deutschland. Und das Drogenzentrum der Stadt, Digger. (beide lachen) Dealer waren damals die Helden. Zum Glück haben wir das gemacht. Die meisten Leuten machen das dann mit 40 und dann kommen sie damit nicht mehr klar. Ich habe damals schon Filme gedreht und Fassbinder hat gerade so seine ersten Kurzfilme gedreht. Und Martin Müller war mein Regieassistent. Mein Freund, überhaupt kein Regieassistent. Wir hatten ja gar keine Ahnung, was das ist. Und der hat bei Fassbinder auch so bisschen mitgeholfen. Fassbinder war nie wirklich schwul. Er wurde dann nur, weil die ganzen Leute von den Festivals schwul waren, diese ganze Welt, die damals bestimmt hat, was Kultur ist, die war selbstverständlich homosexuell. Das ist nicht weiter schlimm da ein bisschen mitzumachen. Das ist ein schöner Protest anstatt so drinzubleiben in dieser Spießerwelt, in der wir aufgewachsen sind. Fassbinder hatte nicht so sehr das amerikanische Ding drauf wie wir. Martin Müller hat mir von einem Fassbinderfilm erzählt, ein Kurzfilm, wo an der Wand plötzlich ein Plakat angezündet wird. Das versuche ich in jedem Film nachzumachen, das passt bisher nur nie rein. Wenn sich ein Plakat so langsam so aufrollt. Das kostet nichts und ist unendlich. Ich habe Fassbinder auf dem Flur getroffen, der war so hässlich aber hat dann eine Weltkarriere gemacht.

MA: Ein paar der Filme kannte ich, weil sie auf DVD erhältlich waren wie DetektiveNegresco, und Alcapulco, aber das meiste aus dieser Zeit ist nicht einfach erhältlich. Die Filme liegen in Filmarchiven rum.

KL: Ja, und werden nicht mehr rausgegeben weil sie zerfallen. Sie werden aber auch nicht digitalisiert, weil das glaube ich, gar nicht mehr geht. Und ich finde das auch sehr richtig so. Du nicht? Ich schon. Ich passe höllisch auf, dass ich meine Sachen vernichte. Ich habe nie eine Dokumentation über mich zugelassen. Die bieten mir mehr Geld für eine Dokumentation als ich für einen ganzen Film habe. Und ich mache auch kein Fernsehen. Ich will in keiner Weise, dass Regisseure so Wichser sind und für die Leute den Clown spielen. Das tu ich wirklich nicht. Das tun aber fast alle.

MA: Dabei sieht man in den Münchener Filmen, dass ein anderer deutscher Film durchaus existent war oder auch weiter möglich gewesen wäre.

KL: Aber es flog auseinander.

MA: Aber diese Zeit ist für mich aus der deutschen Filmgeschichtsschreibung mehr oder weniger rausgefallen.

KL: Jetzt kommt sie plötzlich ganz dick rein. Und das ist zum Teil auch mein Verdienst aber das liegt daran, dass ich eben kein Geld vom Staat nehme und die Fresse so weit aufmachen kann. Noch niemand hat irgendwas dagegen gesagt. Gegen all das, was ich beleidigend über die Leute sage. Noch nie hat irgendjemand angerufen oder gesagt

MA: „Jetzt ist mal gut.“

KL: Das hat sich noch keiner getraut. Weil die Leute natürlich alle gekauft sind. Die leben davon, haben Familie. Das kann ich mir natürlich nicht leisten. 

MA: Kanntest du eigentlich Samuel Fuller damals schon?

KL: Wir haben immer Fuller-Filme gesehen. Unser Held war erst Robert Mitchum und dann kam Brando. Brando war die absolute Revolution für uns. Dass jemand da so rumnuschelt und man nichts versteht und man ALLES versteht auf einmal. Nämlich den Subtext. Es geht nur um den Subtext, der in den deutschen Filmen fehlt und der auch ein wenig der Sprache fehlt. Worüber wir reden, kann man oft fast gar nicht in Worte bringen. Das kann man nur so spüren lassen. Selbst, während ich rede und hoffentlich jemand anderes es hört. Das waren unsere Filme. Es müssten wieder so Leute kommen, wie wir damals. Fassbinders und Thomes und Lemkes, die wirklich das ganze DING umdrehen, die plötzlich die Jugend sind, die das Neue Deutschland sind. Aber man kann fast nicht verlangen, wenn man einem Jugendlichen plötzlich 700000 Euro für einen Film gibt, dann macht der diese übliche Scheiße. Dann engagiert der Leute, die das machen und chartert Assistenten. Dabei verliert er den Film total aus den Händen. Mit 27 ist man total das Opfer dieser Profis und dann kann nur das rauskommen, deutsche Komödien, die auch niemand anguckt. „Fack ju Göhte“ war sehr gut. 

MA: Ja, und dann gibt es Einzelkämpfer wie Dominik Graf.

KL: Wunderbar. Graf ist für mich ein bösartiges Genie, den ich wirklich liebe. Der macht genau das Gegenteil von dem, was wir machen. Aber da ist derselbe Geist dahinter.

MA: Bei ihm geht es auch immer sehr um Sprache. Und er wettert auch immer gegen die heutige deutsche Sprache im Fernsehen oder im Kino.

KL: Man muss sich das vorstellen, seit 60 oder 70 Jahren hören wir dieselben 100 Sprecher. Für die gibt es keinen Unterschied zwischen Brando und noch fünf anderen Sprechern. Es ist immer dasselbe Brei. In der Werbung natürlich auch. Das hat uns total ruiniert. Das ist der Preis für den verlorenen Krieg. Ich weiß, das ist ein ganz blöder Satz, den man gar nicht sagen kann, aber es ist die Wahrheit. Es ist Adolf Hitler. Das ist dadurch entstanden, auch in anderen faschistischen Ländern, dass wir Verträge mit Amerika hatten. Weil wir noch nicht genug eigene Filme gemacht haben, mussten wir amerikanische Filme importieren. Die liefen am Anfang natürlich in Englisch. Und dann kam Adolf und die Jungs kamen auf die fabelhafte Idee, die Filme wären deutscher, wenn die Leute Deutsch reden. Das war die tödlichste Idee unserer Geschichte, unserer Kunstgeschichte, überhaupt Filmgeschichte. Gegen diese Erbsünde wird man nie wieder ankommen.

MA: Dabei verstehen die Leute Englisch mittlerweile ziemlich gut. Man bräuchte diese Synchronisierung nicht mehr.

KL: Und wir reden ja „Fack ju Göhte“. Wir sind ja zum Glück total englisch, amerikanisch geworden dank unserer verrückten Begeisterung für Englisch. Die Leute hätten auch Englisch gehabt ohne das. Aber unser Verhältnis zu Mädchen, zum Beispiel. Es war der amerikanische Film in dem Andy Dickinson mit einem kleinen Dessous den großen John Wayne in so grosse Unsicherheit stürzen konnte und er trotzdem noch ein geiler Typ blieb. Dieses anarchistische in Frauen haben wir sofort gesehen und wir waren die ersten, die damit angefangen haben, dass Frauen möglicherweise die besseren Jungs sind. Heute kann man das fast schon nicht mehr sagen. Aber die deutschen Mädchen haben die Jungs so weggebügelt, die sind schon fast nicht mehr da. Selbst dumme Mädchen, die gar nichts wissen, verhalten sich vollkommen so: „Was, Jungs? Das ist ein Witz!“. 

In Amerika kann man das nicht so denken, weil es dort so viele Hispanos gibt und andere Leute, Schwarze. Da sind die Jungs die Nummer eins und der Rest ist Sklavenarbeit. Also ich überziehe das jetzt alles ein bisschen. Diese Erfahrung haben wir durch die Femmes fatales. Das ist ein europäischer Ausdruck, aber wir hatten das aus den amerikanischen Filmen, wo wir damals ganz sicher waren, dass Angie Dickinson letztendlich stärker ist als John Wayne. Uns hat das getroffen. Die Mädchen haben sich natürlich ohne die amerikanischen Filme in die amerikanische Richtung entwickelt. 

Es ist ja Jean Seberg, die den Jungen interessant findet, diesen Franzosen, der so doofes Zeug daher redet und auch so wissenschaftlich tut, obwohl er es gar nicht ist. Die findet das ganz amüsant und ist im Film selbstverständlich mit einem französischen Schriftsteller befreundet. Das ist für sie ein Clown. Das war der Coup für Europa, weil, das Verhalten von Jean Seberg in „Außer Atem“ ein Break-through gewesen wäre. Da kann man als Junge nur glorreich untergehen. Das war die wirkliche Wirkung von „Außer Atem“ auf uns.

MA: Das hat ja ein bisschen mit deinem Kurzfilm Henker Tom zu tun.

KL: Ja, Henker Tom heißt der ja deswegen, weil Thome der schlechteste Autofahrer aller Zeiten war. Wir haben damals alles zusammen gemacht und der fuhr immer wie Henker Tom, deswegen heißt der Film so.

MA: Aber in einem Film, wird eine Frau angesprochen. Und dann geht es darum, wenn man winkt und die Frau auf der Straße reagiert, kann man sie ansprechen, ansonsten nicht. 

KL: Ja, in Flipper. Es ging uns immer nur darum. Ich nehme an, dass 99 Prozent aller Regisseure weltweit das nur machen, um auf Mädchen Eindruck zu machen. Das ist das letzte Motiv, das dahintersteht. Und dann erlebt man die eigene Niederlage UNWEIGERLICH. Auch bei Scorsese ist seine Queen stärker als er.

MA: In Wolf of Wallstreet.

KL: Ja. 

MA: Damals gab es ja ein Gruppengefühl unter euch. Aber Zihlmann hat gesagt: „Der Lemke, der war immer ein Macher.“ Ein Macher ist ja auch ein Einzelkämpfer, man muss sich durchsetzen und es selber machen.

KL: Wieder total aus dem amerikanischen Film. Einfach machen und dann riskieren, dass man mehr aufs Maul kriegt als Küsse im Dunkeln. Sicher eine meiner schönsten Erfindungen. Aber genau das ist es: sich nicht dieser europäischen Depression hinzugeben, sondern gucken, dass man da irgendwie herauskommt. Das war der amerikanischer Film für uns und ist es auch heute noch. Die Filme gehen immer nur um das eine Ding: wie werde ich mit dem ganzen Abgrund fertig, in dem ich bin? Indem ich mache und mache, aufs Maul kriege. Das ist immer noch besser, als drüber nachdenken. Für Liebe ist so schön wie Liebe, so ein kleiner, wunderschöner Hippie-Film, habe ich einmal einen Preis in Venedig bekommen. Fritz Lang, der dort auch war, sollte mir den Preis übergeben, aber der hat gesagt hat, für so einen Unsinn gibt er keinen Preis. Robert Siodmak hat ihn dann übergeben. Uns wäre natürlich lieber Fritz Lang gewesen, den wir so bewundert haben. 

MA: Was hat euch an den Filmen von Fritz Lang begeistert?

KL: Der war der erste, der den „deutschen“ Film gemacht hat, M. Da reden plötzlich alle Leute Kölsch. Das haut einen so um. Aus dieser ganzen Reihe von diesen Goethe-Deutsch-Filmen kommt plötzlich einer und lässt die Leute Kölsch reden. Das liegt ja so auf der Hand wie irgendwas, aber der hat es gemacht und das ging durch. Die Leute haben das sehr gemocht. Ich habe immer versucht, doch ein bisschen mehr Mainstream zu werden und meine eigenen Stars aufzubauen, was wunderbar geklappt hat. Aber wir waren nie zufrieden damit. Das war nie das, was ich wirklich wollte. Ich wollte nichts anderes, als das, was Scorsese die ganze Zeit macht: Momente plötzlicher Ekstase. Gelegentlich gibt es in Acapulco diese plötzlich Momente, die für die damalige Zeit ein unbeschreibliches Gefühl entstehen lassen, manchmal auch unverständlich. Der ganze Film ist total unverständlich. 

MA: Geht es um dieses Unverständnis und um die Brüche in diesen Filmen, die nicht kaschiert werden. Ich stelle mir vor, als deutscher Zuschauer in den späten 60ern, mit dem deutschen Kino und Heimatfilmen aufgewachsen, war das nicht ganz einfach.

KL: Die mussten das ablehnen. Wir hatten ja auch nie wirklich Erfolg mit den frühen Filmen. Das konnte gar niemand verstehen. Aber wir konnten nicht anders, als unsere Welt so darzustellen. Wir wussten, alle machen so glatte, schöne Sachen, die so gut gehen. Es ist nicht so, dass wir es nicht versucht hätten. In Rote Sonne hat Thome Uschi Obermaier im Alleingang synchronisiert, eine große Schandtat der Münchener Gruppe. Uschi Obermaier hat eine so wahnsinnige gut bayerische, geile Stimme und er hat sie total synchronisiert und letztendlich kaputt gemacht damit. „Rote Sonne“ ist aber ein schöner Film. Das waren unsere Freundinnen, außer Uschi. Uschi hatte damals schon ein bisschen andere Freunde.

MA: Kommune Eins.

KL: Ja, damit ging das los. Wir haben wirklich nicht an das Publikum gedacht. Denn das konnte die Filme ja kaum aufnehmen. Aber jetzt ändert sich das ein wenig. In zehn Jahren wird die ganze Filmgeschichte umgeschrieben. 

MA: Es ist jetzt ein Buch erschienen, das Freunde von mir in Amerika gemacht haben und das heißt A new history of German cinema. Und es versucht nicht die Standardstory zu erzählen, immer ganz kurze Artikel durch die Filmgeschichte. Und trotzdem kommt die Münchner Gruppe Null vor. Ich glaube, dein Name wird einmal erwähnt in irgendeinem Essay. Vieles ist wirklich interessant da drin. Aber es muss noch mehr entdeckt werden.

KL: In Deutschland, so bei Süddeutsche Zeitung, aber auch bei der Frankfurter Allgemeine Zeitung wird das wahrgenommen. Plötzlich sind Regisseure nicht unbedingt mehr Studienräte, die irgendwas verkaufen, was sie gerade gelernt haben.

MA: Diese Entdeckungen sagen uns ja auch oftmals etwas über die Zeit, in der sie entdeckt werden.

KL: Ganz genau. Das ist der Punkt. Es sagt sehr viel über die Zeit, in der wir gerade leben. Dass die Süddeutsche das jetzt entdeckt hängt alles mit diesem verfluchten Staatskino zusammen. Wir hatten in Wirklichkeit nie die Chance, dass ein deutscher Film wie die Fußball-Nationalmannschaft plötzlich die Leute mit seiner Coolness ansteckt. Das hätten wir natürlich auch im Kino haben können. Aber es gibt zum Glück Scorsese und den deutschen Sonderweg in Coolness, na ja. Fuck it.

MA: Die Münchener Gruppe der 60er hatte also die Schrägheit des Thomas Müllers der deutschen Nationalmannschaft.

KL: Sehr schön gesagt. Ist natürlich auch ein Riesenkompliment. Ich sehe das wirklich als Jugendsport, das ganze Ding. Im Prinzip arbeite ich zusammen mit Scorsese und diesen Leuten, das sind meine Filme. Und ich mache das zwar ohne jeden Pfennig Geld, aber ich versuche, dasselbe ungefähr zu machen wie die – das andere Ding rauszubringen. Und das geht, indem man kein Geld hat in Deutschland. Wenn man Geld hätte, ginge es nicht. Wenn man Geld hätte, wäre man abgehängt. Sofort.

MA: Gehst du noch viel ins Kino? Ich frage unter anderem, weil ich selbst nicht gerne mit anderen Leuten ins Kino gehe. Weil die dann immer gleich wieder wissen wollen, wie ich den Film fand?

KL: Ich gehe nur ganz allein nachmittags ins Kino. Es wäre sinnlos, eine Freundin neben mir zu haben, die sagt: „die ist aber hübsch“. Dann wäre ich schon fertig. Ich muss da alleine reingehen und hinterher nicht drüber reden. Der Punkt ist doch der, je besser einem ein Film gefällt, je besser gefällt man sich selbst. Man lebt noch ein bisschen drin in Robert Mitchum. Dann geht man nochmal eine halbe Stunde wie Robert Mitchum durch die Gegend, naja, und dann kommt man wieder bei sich selbst an. Das ist das ganze Abenteuer des Films. Antiintellektuell, das Wort gab es damals gar nicht. Aber wir wussten, was die Frankfurter Schule ist und konnten ein bisschen Heidegger auswendig zitieren, ohne zu verstehen, was er eigentlich sagen will. Ich habe das Intellektuelle erst mit Rocker abgelehnt und dann habe ich es gründlich abgelegt für alle Zeiten. Das sind die ANDEREN und es kommt nur darauf an, was man erlebt.

MA: Obwohl Adorno sagen würde, die anti-intellektuelle Position ist natürlich auch eine intellektuelle Position.

KL: Ganz genau. Deswegen gehe ich nie in Talkshows, weil man alles so leicht ins Lächerliche ziehen kann, was ich sage. Das ist auch nicht weiter schlimm, aber deswegen gehe ich da nicht hin. Ich will doch nicht intellektuell Baudrillard zitieren, den man immer zitiert, wenn es mal ernst wird. Damit kommt man immer wieder durch, aber ich will nicht dastehen als derjenige, der irgendwie klug ist. 

MA: Warum?

KL: Weil Klugheit definitiv keine guten Filme macht. Eher macht Dummheit gute Filme. Ich habe einen sofortigen Blick dafür, was jeder kann. Ich kann dich sofort vor der Kamera sehen. Ich wüsste gleich, was du machen müsstest, damit herauskommt, was du willst. Nicht, was ich will, sondern was du willst. Bei dir habe ich sofort gesehen – das war wirklich erstaunlich – wie du dich umdrehtest, da ging sofort ein ganzer Film durch. Das ist es ja. Film kann doch nur sein, dass die Logik sich eben aus den Leuten entwickelt und nicht meine Logik auf die Leute. Meine Logik ist genau so zerbrechlich wie die aller anderen – auch bei Adorno und Kluge. Keiner ist klüger von uns. Sondern ich versuche, das aus den Leuten herauszukriegen, mit einer fabelhaften, ganz kleinen Kamera. Ich habe nur einen Kameramann, der auch Ton macht. Es gibt wirklich niemanden außer uns beiden am Set und das seit 20 Jahren. Ich erlebe live, was die Leute mit mir machen und ich mit den Leuten mache. Es ist wie Voodoo. Das ist das Elixier, dass man den Leuten zu ihren Träumen verhilft. Da es ja um Film geht, muss man eine gewisse Dramaturgie haben, die kann darin bestehen, wie schwer das ist, den Traum durchzusetzen, wie man ihn verliert und wie man ihn wieder gewinnt. Das ist aber auch das Thema fast aller amerikanischen Filme.

MA: Wie reagieren deine jetzigen Schauspieler, wenn sie die fertigen Filme sehen? Das sind sie selber, aber die Kamera filtert sie ja und du manipulierst sie – böses Wort.

KL: Es ist alles Manipulation, vollkommen. Und zwar in dem Moment wo ich versuche, hinter deren Logik zu kommen, wie sie wirklich reagieren. Ich denke, das ist das Geheimnis von Mitchum und Brando. Sie reagieren anders auf Dinge und holen das aus sich heraus. Vielleicht ist es das, was dieses Actors‘-Studio-Ding eigentlich meint. Es wird uns immer beschrieben, dass man die Rolle in sich entdecken muss. Ich glaube nicht. Ich glaube, dass Brando nichts Anderes gemacht hat, als die Rolle zu vernichten und sich da reinzuträumen. Das ist das ganze Ding, in aller Nacktheit, durch reine Physis dahin zu kommen. Film verheißt das Jungsabenteuer, Karriere und Niedergang und wieder aufstehen und wieder aufs Maul kriegen. Und wenn man so ein ganzes Leben lang Film macht, ganz runter und wieder hoch, ist das für mich der beste Weg, das Leben zu sehen.

MA: Wo war denn bei dir ganz unten?

KL: Dauernd. Ich habe so viel schlechte Filme gedreht. Aber seit 20 Jahren nicht mehr, weil ich die schlechten Filme alle wegwerfe. Niemand sieht, wo ich total daneben liege. Man sieht nur die Filme, wo ich denke, dass die Logik aus den Leuten herauskommt und nicht aus mir. Wenn das meine Logik wäre, würde ich sie gar nicht sehen wollen. Es gibt bei mir ja selten eine Geschichte und auch kein Drehbuch. Ich fange einfach damit an – die hat einen schönen Busen, das wird schon klappen. Da kommt bestimmt jemand. Und dann kommt jemand und auf einmal entwickelt sich das Ding. Und dann reißt uns die Sache selbst mit.

MA: Würdest du sagen, dass deine frühen Filme schon etwas davon haben?

KL: ABSOLUT. Ich habe das ein bisschen verloren als meine Komödien sehr erfolgreich wurden. Mit Cleo Kretschmer und Wolfgang Fierek gingen die erfolgreichen Filme los. Die ersten Filme sind wunderschön und dann wurde das immer professioneller und immer wieder dasselbe. Dann kam der erste wirkliche Absturz, und auch die Drogen kamen extrem dazu. Aber es ist diese Sucht nach momentaner Ekstase, indem man dreht und plötzlich schenkt einem der liebe Gott etwas. Das entzieht sich der Sprache. Im Amerikanischen klingt das ganz anders. „Attitude for the unpredictable“, ist kaum zu übersetzen. Das Wort „attitude“ ist kaum zu übersetzen, „attirer“, heranziehen sagt es auch nicht. 

MA: Danke! Super, dass du dir so viel Zeit genommen hast.

KL: Das war eine Freude.

Das Interview mit Klaus Lemke führte Marco Abel am 20.7.2014. Transkription Marco Abel. Leicht gekürzt erschienen in Revolver Heft 40.