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Für TOTEM habe ich die Behauptung aufgestellt, dass es Menschen gibt, die unendlich traurig sind, die Angst haben und müde sind. Ihr Wunsch ist es zu sterben. Das ist ihre Hoffnung (und die des Films). Denn wer kann von ihnen verlangen, in einer Gesellschaft zu leben, der sie nicht angehören wollen? Ich glaube nicht daran, dass es dafür immer einen Grund geben muss. Die Traurigkeit ist einfach da – und so sollte auch mein Film sein: ohne Absicht. 

Wir hatten für die Dreharbeiten 25.000 Euro zur Verfügung. Förderung gab es keine. Ich wage zu behaupten, dass das auch damit zu tun hatte, wie ich den Film machen wollte. Auch und gerade in Fragen der Produktionsweise bin ich nicht bereit, Kompromisse einzugehen. Ich kann mir eine freie künstlerische Arbeit innerhalb des Fördersystems in Deutschland (in seiner Verschränkung von Film- und Fernsehlogik) nur schwer vorstellen. Auch das, was Nachwuchsförderung genannt wird, erlebe ich als unbeweglich, von wirtschaftlichen Interessen bestimmt. Fernsehen steckt fest (und damit auch das davon abhängige Kino). Ich glaube, es kann sich so gerade nicht viel in Deutschland entwickeln.
 

Der äußere Rahmen war also durchaus sehr eng. Da ich aber genau wusste, was ich wollte – ich war zu keinem Zeitpunkt des Schreibens unsicher darüber, was und wie ich erzählen möchte – habe ich die Bedingungen bewusst für mich und TOTEM nutzen können. Ich habe den Film mit meinem Partner Timo Müller und unserer Firma kLAPPbOXfILME u.a. co-produziert. Uns ist die Art und Weise, wie Filme entstehen ebenso wichtig, wie die Art der Filme. Unsere Art der Filme, eine sehr persönliche. 

Die Geschichte ist in meiner Heimat, dem Ruhrgebiet angesiedelt. Das war für mich zum Arbeiten und Schöpfen aus Erfahrungen wichtig. Hier kenne ich mich aus. Gleichzeitig glaube ich, nur so meinem Wunsch nahe gekommen zu sein, dass Ort und Zeit in TOTEM nicht eindeutig zuzuordnen sind.
Es spielt keine Rolle. Eine Un-Zeit. Ein Nicht-Ort. Orte im Film (auch die Nicht-Orte) sind für mich ebenso wichtig wie Figuren. Ich gehe von ihnen aus, weniger von der Geschichte, oder einem Plot.
Ich habe die Motive selbst gesucht, ich wusste, dass ich sie im Ruhrgebiet finden kann. Das Haus ist ein möbliertes Haus, das man so mieten kann. Die Requisiten waren zum Teil schon da, zum Teil habe sie auf meiner Recherche gefunden und mit in das Haus gebracht. Um das Haus zu verstehen, habe ich selbst – und während des Drehs mit mir auch einige Teammitglieder – in dem Haus gewohnt. 

Meine Darsteller habe ich überwiegend an regionalen Theatern gefunden. Ich mag die Künstlichkeit der Bühne und wollte sie für meinen Film zu einem gewissen Grad adaptieren. Ich hatte auch hier eine sehr genaue Vorstellung. Entscheidend war nicht das Alter oder das Aussehen der Darsteller. Wichtig war, dass da Menschen mit eigenen Erfahrungen kommen, die bereit sind diese Erfahrungen in die Arbeit einzubringen, sie mir zur Verfügung zu stellen – Erfahrungen, von denen ich mich und meine Arbeit „nähren“ kann. Eigenständige Künstler.

Das war auch deswegen wichtig, weil wir beim Drehen auch „improvisiert“ haben. Ich wollte nie nur mit dem Drehbuch arbeiten. Wir haben viel mit einem Prosatext gearbeitet, den ich als Grundlage für das Buch geschrieben hatte. Es fiel mir leichter, die Gefühle der Hautfigur in der Ich-Form auszudrücken. So konnte ich nachempfinden und besser verstehen. Auch die Arbeit mit meiner Hauptdarstellerin Marina Frenk an der Figur „Fiona“ wurde so greifbarer. Eine Figur, die sich nicht greifen lassen will. 

Einiges ist erst vor Ort entstanden, aber Nichts zufällig. Ich nenne das mal „provozierter Zufall“, der den Film, denke ich, sehr reich macht. 

TOTEM feierte auf der Biennale di Venezia 2011 in der Reihe 26. Settimana Internazionale della Critica Weltpremiere. Dazu schrieb Christina Peternó im Katalog der Biennale eine wunderbare Rezension, beginnend mit folgendem Vergleich: „Tiger und Löwen sind wilde Tiere, die im Wald leben. Menschen leben stattdessen in eingegrenzten Orten, so wie Kaninchen, die in einem Käfig im Garten eingesperrt sind und keine Möglichkeit haben, über den Garten hinaus die Pflanzen am Wegrand oder im Gleisbett der Schienen zu erblicken. Es gibt keinen Ort mehr, an dem Wörter wie »Natur« oder »Freiheit« eine Bedeutung haben, und der zeitgenössische Weggefährte landet in einem Garten, der von einem Wolf bewacht wird, der so unecht ist wie die Puppen – diese perfekten Imitate eines schlafenden Geschwisterpärchens – um die sich Fiona als Kindermädchen kümmern soll.” 

Vielleicht überlassen wir im Leben wie in der Kunst viel zu wenig dem Zufall. Wir vertrauen nicht mehr. 

Ich möchte auch in Zukunft so oder so ähnlich weiter arbeiten. Frei und offen für natürliche Begebenheiten. TOTEM ist erst der Anfang. Ich schreibe an einem Drehbuch über die Geschichte eines Deutschen, der in der Türkei leben möchte. Mein Hauptdarsteller aus TOTEM, Benno Ifland, wird auch die Hauptrolle in meinem neuen Kinofilm MORDOGAN (AT) übernehmen. Bis jetzt weiß Benno nicht im Detail, worum es gehen soll, trotzdem hat er sofort zugesagt. Benno ist als junger Mann viel durch die Türkei gereist. Ich kenne die Türkei und den Ort Mordogan, weil mein Vater seit über 15 Jahren dort ein Ferienhaus hat. Es geht um eigene Erfahrungen, Eindrücke, Menschen, Leben – davon möchte ich in meinen Filmen erzählen. Es geht mir nicht um das Gerüst, den Käfig 90 Minuten Film
Anfang – Mitte – Ende.

Jessica Krummacher, 30.03.2012