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ich habe eine Tendenz zur Abgeschlossenheit und Selbstbezogenheit erlebt, über die ich reden will. Vor allem im Sinne der gesellschaftlichen Klassen gibt es seit ein paar Jahren immer mehr mit sich selbst beschäftigte und anderen abgewandte Filme, und ich finde es schlicht schlimm, weil es abbildet, was mir ohnehin zu schaffen macht in einer Welt, die in immer mehr Erfahrungsbereichen von der kapitalistischen Software (mehr oder weniger sachte) gesteuert wird, die leider so gut auf unserer menschlichen Hardware läuft.

Kunst ist aber ein Weg, dem etwas entgegenzusetzen, Fragen zu stellen, in Frage zu stellen, und allem voran, sich selbst in Frage zu stellen.

Warum also so viele monoperspektivische Filme? Filme ohne starke Nebenfiguren (ohnehin kein schönes Wort), Schauspieler, die benutzt, funktionalisiert werden und kalkuliert agieren müssen.

Filme, die nicht offen sind gegenüber Zufällen, Menschen, Situationen.

Die Hauptfigur behält recht. Bis zum Ende. Es bleibt bei der einen Perspektive.

Oft bleibt sie damit auch allein.

Viele dieser Filme entstehen in den Kapitalen, an Orten, denen es vielleicht per se schwer fällt, von sich abzusehen. Von sich absehen ist aber die Voraussetzung für sich anderen zuwenden.

Es ist, glaube ich, ein strukturelles Problem. Weil Menschen, die oben (mächtig) sind, die Bedürfnisse der Menschen, die unten (ohnmächtig) sind, selten und manchmal auch gar nicht wahrnehmen. Ständige Aufmerksamkeit gibt es nur in eine Richtung. Nach oben. Einzelpersonen gegenüber Gruppen, Menschen ohne Kinder gegenüber Menschen mit Kindern, Frauen gegenüber Männern, Zugewanderte gegenüber Einheimischen, Arme gegenüber Reichen, Menschen ohne Zugang zu Bildung gegenüber Menschen mit Zugang zu Bildung.

Von den Menschen, die darüber entscheiden, wer bei uns öffentliche Gelder für Filme bekommt und damit langfristig Filme machen kann, haben fast alle ein akademisches Studium abgeschlossen. Ich schätze, es sind mehr als 95%.

So entstehen mehrheitlich Filme für die „oben“. Wenn Filme über die „unten“ entstehen, werden sie von wenigen Ausnahmen abgesehen aus der Perspektive von „oben“ erzählt. Wie sollte es auch anders sein?

Wer sitzt in den Gremien? Wer entscheidet darüber, wer Berlinale Talent wird und wer vom World Cinema Fund unterstützt wird und damit eigentlich auch schon einen Platz auf der Berlinale sicher hat? Ich glaube nicht, dass es Kinder armer Eltern sind, die durch solche Programme unterstützt werden.

Einer der besten Filme, die ich in den letzten Jahren gesehen habe, heißt Fango. Der Film wurde 2011 gedreht und nimmt alles vorweg, was uns westlichen Bildungsbürgern seit ein paar Jahren um die Ohren gehauen wird. Eine hoch komplexe Geschichte darüber, wie schwer es ist, Freiheit auszuhalten und wie schwer es ist, sie zu erhalten, wenn die anderen nicht teilhaben. Weil sie es nicht können oder wollen. Weil Überforderung und Ausgrenzung nah beieinander liegen. Verstörend einfach erzählt, und nicht zuletzt dadurch sehr berührend. José Campusano, der Regie gemacht hat und in einem Außenbezirk von Buenos Aires lebt, ist Filmenthusiast und Filmemacher durch und durch. Aber er spricht kein Englisch. Ich glaube nicht, dass man den Antrag beim World Cinema Fund auch auf Spanisch stellen kann.

Und so geben privilegierte Menschen privilegierten Menschen Geld für Filme.

Es entstehen dadurch ganz neue Genres:

Filme, die mit Tieren anfangen, in der Mitte ein Tier, und mit Tieren enden.

Filme, die mit dem geschrieenen Satz: Ich hasse dich! beginnen.

Filme von Filmemacherinnen und Filmemachern, die darunter leiden, dass sie zu Ende studiert haben.

Und die Quadratur: Filme, deren Autorinnen und Autoren unter der eigenen Selbstbezogenheit leiden und das zum Thema machen.

Oft sind es Filme, in denen das Drehbuch/der verschriftlichte Plan Priorität hat vor dem, was beim Drehen passiert.

Das sind alles keine schlechten Filme, und manche sind sogar sehr gut, aber die anderen Filme, die von den Anderen, die mit anderen Perspektiven, die mit mehr als einer Perspektive… die muss es doch auch geben!

Es hatte so gut angefangen im neuen Jahrtausend mit Mein Stern und Der Wald vor lauter Bäumen. Da erfahre ich etwas über jede Figur (auch kein schönes Wort – character im Englischen ist besser), jeden Menschen, der oder die mitspielt und über ihre oder seine Welt und Sicht der Dinge. Die agierenden Menschen und ihre Probleme sind keine Phänomene. Weil es zugewandte, an anderen interessierte, im besten Sinne neugierige Filme sind.

Was steht dieser Art zu erzählen im Weg?

Smartphone, Facebook, Instagram…? Auch, aber nicht unbedingt richtungsweisend, sondern eher verstärkend.

Die gesellschaftlichen Klassengrenzen sind auf jeden Fall seitdem undurchlässiger geworden. Es ist das entstanden, was seit ein paar Jahren „Blase“ genannt wird. Und das ist eigentlich gar kein schlechter Begriff für das, was damit gemeint ist: Ein kleines, geschlossenes, nach außen hin glänzendes System innerhalb eines größeren Raums, das keinen Austausch mit dem Außenraum hat.

Und das ist nicht gut. Weil es Gemeinschaft zerstört und sich damit in den Dienst der Quasi KI Kapitalismus stellt. Weil es anderen ihre Stimme verweigert. Weil es das Andere ignoriert. Und weil die drinnen keine frische Luft bekommen.

Ich glaube, was helfen würde, wäre eine Pro Quote für Nichtakademiker in Sendern, Filmhochschulen, Fördergremien, Festivalauswahlgremien, bei Nachwuchspreisen… (Es gibt – und das ist kein Witz – hoch dotierte Nachwuchspreise, die nur gewinnen kann, wer auf einer Filmhochschule studiert hat.)

Eine Quote für Studienabbrecherinnen, Menschen ohne Abitur und Autodidakten, für Menschen, die Filmemachen durch Filme machen lernen, gelernt haben oder lernen wollen.

Und keine Angst. Es muss dafür niemand entlassen werden – auch ich weiß aus eigener Erfahrung natürlich, dass viele Akademikerinnen und Akademiker tolle und begeisterte Filmmenschen sind. Ich war ja selbst auf einer Akademie. Aber die Anderen mit ihren Geschichten, die fehlen.

Es wäre doch einen Versuch wert, nach dem Vorbild von Pro Quote für Filmemacherinnen, die mittlerweile Wirkung zeigt und unsere Filmlandschaft belebt, noch eine zweite Quote bei der Neubesetzung von Stellen einzuführen: Bei gleicher Befähigung erhält die Bewerberin ohne Studien- oder Schulabschluss den Vorzug. Es ist nicht so kompliziert. Und würde uns allen gut tun. Weil es unsere Gesellschaft besser abbilden würde.

Ich wurde geboren, aber… Wer diesen Film einmal gesehen hat, weiß, wie schön es ist, einen Film zu sehen, der aus verschiedenen Perspektiven erzählt. Der Vater, seine Kinder und auch alle Nebenfiguren kommen da zu ihrem Recht, gehört zu werden. Man kann sie alle verstehen, und das tut weh. Und deshalb ist dieser Film so gut. Das ist aber das Andere. Nicht das Gleiche. Nicht ich.

Kunst hat für mich immer etwas mit Liebe und Komplexität zu tun gehabt. Und ich wüsste nicht, warum sich das heute geändert haben sollte. Zugewandtheit Landschaften, Dingen, Tieren aber vor allem anderen Menschen gegenüber. Auf der Berlinale hatte ich oft das Gefühl, dass es zwar den meisten noch gelingt, diese Liebe Dingen und Landschaften oder Tieren entgegen zu bringen, aber bei den Menschen scheint es schwierig zu werden. Es fehlt das Gefühl für die anderen, die sich richtig anfühlende Distanz, der Blick, der nicht symmetrisch und damit hierarchisch ist. Dabei ist es das, was im Kino so schön ist: Andere zu sehen, anderen zuzusehen, wie sie anders sind. Dafür braucht ein Film andere Menschen als die Hauptfigur, Menschen, die ein eigenes Leben in den Film mitbringen dürfen, die eine eigene Sensation sind. Wenn Jane Birkin in Le goût des autres sich am Bahnhof mit Jean-Pierre Bacri trifft, da geht ein ganzes Leben auf und die bis dahin unbekannte Geschichte des Paares, das vielleicht keines mehr ist, breitet sich aus. Innerhalb von drei Minuten. Das ist wie bei Anna Karenina. Weil mit Jane Birkin auf einmal ein neuer Raum aufgeht. Und das ist etwas wunderschönes. Oder was Alice Rohrwacher mit Le Meraviglie gelingt, dass der Vater, dem gegenüber wir als Zuschauer den Film über immer skeptischer und distanzierter werden, am Ende diesen überraschenden glamourösen Auftritt hinlegt. Dass ihm seine Würde wiedergegeben wird, das ist atemberaubend mitzuerleben.

Ich wünsche mir ein zugewandtes Kino, eines das jede einzelne auftretende Person liebt, das den Menschen Raum gibt, sich zu zeigen. Ich bin durch Truffaut, Seberg und Léaud, Mnouchkine und ihren Molière, Fellini, Lina Wertmüller, Die Marx Brothers, May Spils, Gena Rowlands, Seymour Cassell, Ben Gazarra und John Cassavetes, Dersu Uzala, New Hollywood, Lubitsch, Stummfilme von King Vidor und Ozus Banshun, Folk Filme von Les Blank, durch Mike Nichols und Elaine May, Woody Allen und Ingmar Bergman, und nicht zuletzt durch das Komödiantische in all diesen Filmen zum Filmemachen gekommen. Und der Punch in der Komödie geht „up“. Wie die Aufmerksamkeit. Immer.

Ahoi y abrazos

Franz