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Zunächst kommt eine sehr schöne Ansage zum Verschweigen von der Woche der Kritik selbst. Verfasst von einer/m der Macherinnen.

 

Der
ukrainische Regisseur Igor Minaev lässt im Film die alten Kopien
seiner in der Sowietunion nie gezeigten Filme unter dem Bett seiner toten Liebe… (hier sind sie wieder die toten Frauen… siehe oben…) wie den Teufel aus dem Kasten, auftauchen: Springlebendig. Die staubigen Blechdosen mit Rollen voller
Plastikbänder entpuppen zuerst wild lebendige
Tiergestalten, die einen verzweifelten Autor um Hilfe anflehen. Sein Zimmer immer voller wehenden Papiere. Hier: auf der Erzählebene, im Auto, in der Wohnung der toten Mutter/Liebe, in Paris,
wie dort: im Land das nicht mehr existiert in dem man aber anscheinend jede Menge Spass hatte, der Sovietunion, dem witzigen Film aus den frühen 80zigern,
hüpft ein unbewusstes, inneres, … Leben aus der
Erinnerung irgendwo anders hin über…ins Bewusstsein?

Das könnte eigentlich immer so weitergehen. Eine endlos-Matruschka-Geschichte.
Das Verschweigen: eine willkürliche Wand zum
Ausdruck hin, durch die es dann plötzlich, einfach so, dennoch heftig, hindurch ploppt. Deshalb ist auch die Hauptbeziehung als Erzählrahmen: der Sohn auf den Spuren der Vergangenheit seiner geliebten, geheimnisvollen Mutter, ziemlich bedeutungsvoll. Es geht schlicht um Liebe „an sich“. Also Kunst als handelndes Subjekt?: jedenfalls unaussprechlich. Ihr Verschweigen/nicht machen, an dem Menschen, wenn Sie es zu lange aushalten müssen, trotzdem sterben.
Die Realzeit: der Erzählstrang findet hauptsächlich
zwischen Plastikplanen, im Auto, hinter Vorhängen und Paravants
statt. Traurig, gedämpft, etwas langweilig. Die irreale Welt in den alten Filmen ist
wild und lustig, viel lebendiger. Natürlich, wie gern hätte man
schon früher das niedliche Nilpferd flehen gehört, oder diesen
ulkigen Krokodilmenschen beim Tanzen zugeguckt, vor Allem aber den
abgefahrenen Schauspielern in dem Theaterfilm und der Feier auf dem
Dorf beim Spielen. Zumindest hatte in der Sovietunion eine Riesencrew
Zeit um ein ganzes Dorf den halben Winter in ihre Geschichten zu
verwickeln und andersherum sich in Liebesgeschichten, Tänze,
Hochzeit verwickeln zu lassen. Wir können dieses schwindelnde Opus
voller Witz und Leben immerhin jetzt noch sehen, wenn es auch ein
halbes Jahrhunder fast unter einem Bett in der Schachtel verschwand. Im
Kapitalismus verschollene Filmdosen und Talente tauchen ja auch ab
und zu auf, aber längst nicht so handwerklich genial. Als wäre „idealistische Zensur” tatsächlich schlimmer als materielle. Oder als gäbe es da überhaupt einen so grossen
Unterschied. Inmitten der reichsten Staaten der Welt hungern Kinder
und vor Krankenhaustüren sterben Menschen ohne Versicherung im
Dreck. In Amerika werden auf der Strasse Leute erschossen weil sie schwarze Klamotten tragen. Gefägnisse und Anstalten sind privatwirtschaftlich organisiert und schon deshalb immer voll. Der Preis der Freiheit. Wir dürfen darüber Filme drehen, wenn sie nicht das System, das solche Zustände produziert, direkt angreifen.Kunst als Liebe, Kreation, Widerstand, Hoffnung.
Schöpfung heisst Liebe. Die Kunst muss frei sein.
(Ich würde auch die alten Filme von Igor Minaev gern mal für sich, also ohne die Erzählebene von „Blue Dress“ sehen.)
Noch mehr Ideen für Transparente? Aber…Ich will das gar nicht ironisieren.
Danke für den tollen Abend. Zum Schweigen gibt es noch viel zu sagen. Fortsetzung folgt!
Die
Woche der Kritik sagt:

 

„Debatte:
VERSCHWEIGEN – Wenn die Sprache scheitert, können Bilder
die Zunge lösen? Wann verschließen wir die Augen vor der
Geschichte? Auf der Suche nach einer “Ästhetik der Befreiung.”

Gäste: Ilona Jurkonyte, Gertrud Koch, Igor
Minaev, Karel Och.“

Ansage:

Der
ukrainische Filmemacher Oleg Senzow wird beschuldigt,
Terroranschläge geplant zu haben und ist zu 20 Jahren LagerHaft in
Sibirien verurteilt worden.

Katrin Eissing