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Neben mir ein mittelaltes Berliner Paar, das eigentlich: Bloß ins Kino wollte. 
„Is dit Berlinale? Dit sind Filmstudenten oder?“ Ich versuche die Woche der Kritik zu erklären. (!) Die beiden kennen sofort Kritikernamen aus der Berliner Zeitung. „Den eenen find ick herrlich. Doch wir lesen dit und gehen da nach denn los… Filme sehen, wenn man muss, muss ja och blöd sein. Ist wahrscheinlich wie jeder Job, man wird besser, dit bringt denn Spaß, denn ist man zu gut, um uffzuhören, und denn drücken sie die Preise… 
Die quatschen ja viel. Vastehen tu ick was, aber nich französisch. Naja, hörn wer mal zu. Hör mal Birgit: Weltpremiere!“

 

LE JOURNAL D’UN VIEIL HOMME (The Diary of an Old Man)
Der Text von Regisseur Bernard Égmond, den Frédéric
Jaeger und Dennis Vetter zu Beginn auf Französisch und Englisch verlesen ist
schön, und weil sie übersetzen und sich dabei abwechseln, lang. Ihre Stimmen
sind ruhig, die von Frédéric zittert etwas. Die Ruhe und das Bedürfnis nach
Widerstand, Resistance, breitet sich während des Vortrags im kleinen,
proppevollen Kino einfach so, langsam aus. Das ist ein eigentümliches Gefühl,
als gäbe es Widerstand ohne “Gegen”.
Der Film fängt an wie ein Spaziergang. Schöner Ton.
Toller Rhythmus. Baumkronen. Ein alter Mann erzählt von seinen Lieben, seiner
Schlaflosigkeit und seiner Angst vor dem Tod.
Hinter mir eine Gruppe Teenies. Als über die kulturlose Jugend ein Gespräch in langen auf den Gesichtern ruhenden Einstellungen geführt wird, kriegt ein Mädchen einen Lachanfall. Die anderen schaffen es mit Mühe, sie und sich wieder einzukriegen. Sie haben helle, süße Stimmen. Nervosität vor wichtigen, emotionalen Gesprächen. Mein Berliner Nachbar lächelt milde.
On Stage: „Viele intelligente Menschen halten es für einen Ausweg, zynisch zu werden… “
Der alte Mann im Film trifft geliebte und fremdgewordene Menschen. Er versucht, sich und sie zu schützen, es misslingt. Trotzdem bleibt etwas.
Auf dem Nachhauseweg setzt sich mir ein kleiner Junge in der Straßenbahn gegenüber und sagt: „Ich muss ja am Fenster sitzen! Wegen der Füchse!“ Der sehr junge, etwas angetrunkene Vater: „Ja deshalb sind wir so spät unterwegs: Um Füchse zu sehen.“ Der Kleine guckt durch das Glas in die schwarze Nacht.
Ich erzähle den beiden vom Fuchs auf der Danziger Straße:„Ich hab ihn drei Mal gesehen. Einmal im Morgengrauen… Ich saß ganz still an der Haltestelle. Er hat mich lange angekuckt mit seinem klugen Gesicht… Es gibt hier viele. Sie mögen Pommes.“ „Siehst du Noah … auch andere Leute sehen Füchse!“
Noah: „…auf den Hof, wo das Essen für die Katzen steht, vielleicht kommt er…“
Katrin Eissing