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Eigentlich sollte L.A. NOIRE ein filmisches Detektiv-Spiel werden, das durch „realistische” Gesichtsanimationen begeistert – doch woran man sich nach dem zwanzig-stündigen Durchspielen tatsächlich erinnert, ist das Erfahren des Los Angeles-Simulakrums in der „Gegenwart” von 1947. Das geschieht mit dem Auto, versteht sich, denn auch auf virtuellem Fuß kommt man in der Stadt der Engel nicht weit.

„A city on the verge of greatness. A new type of city, based not on the man but on the automobile… the car – symbol of freedom and vitality. Where every man can own his own home, and have room to breathe and not be overlooked by his neighbors… The city of dreams where Hollywood will shape the thoughts and desires of the entire planet… A city of undercurrents, where not everything is as it seems. A 20th Century City that should become a model for the world. A city that has no boundaries – that stretches as far as the eye can see.”

Der sonore Sprecher der “opening narration” bringt es fast schon etwas zu genau auf den Punkt, und so wäre der Stadt-Nachbau unbeseelt, wären da nicht Anomalien und Leerstellen, welche der Simulation eine Handschrift verleihen. Zum einen wurde schlicht der Ozean aus Los Angeles entfernt, nur die Hügel des „Hollywoodland” (so hieß es auf dem Schild 1947) schillern ab und zu am Horizont. Befreit von natürlicher Begrenzung, kann man minutenlang an den Groß-Baustellen eines unfertigen Suburbia entlangrasen. Tatsächlich deckt man als Detektiv später den Skandal auf, das ein gigantisches Reihenhaus-Projekt für zurückkehrende G.I.’s aus zerbrechlichem Billig-Holz für Hollywood-Kulissen gebaut worden ist.

Das berühmte Babylon-Set aus Griffiths INTOLERANCE findet sich inmitten der Stadt, dort stand es tatsächlich einmal, war aber im Jahre 1947 bereits abgerissen. Frei begehbar, funktioniert diese anachronistische Filmkulisse im Sinne der Erschaffung eines Unwirklichen zweiten Grades. Dadurch, dass man dieses halb zerfallene Kunst-Konstrukt vor Augen hat, das nur drei (filmbare) Seiten hat, gewinnt die dreidimensionale Kulissen-Stadt an Glaubwürdigkeit.

Der Hardware-getriebene Gottkomplex der Entwickler zur stetigen Steigerung des Photo-Realismus‘ führt zur Erschaffung physikalisch korrekter, jedoch „untoter” Welten. Je realistischer sich das Schattenspiel der geschäftigen Passanten aus L.A. NOIRE im Sonnenuntergang auf Plakatwänden abzeichnet, desto aufdringlicher wird der Gedanke, dass diese kein Zuhause haben, die Eingangstüren sämtlicher Häuser ins Nichts führen.

Im ASSASSIN’S CREED-Franchise werden die Unzulänglichkeiten der Simulation des Florenz der Renaissance gerechtfertigt, indem die Spielwelt selbst zur „Virtual Reality” erklärt wird. Die eigentliche Spielfigur wird im ersten Akt an eine Matrix-Apparatur angeschlossen.

In L.A. NOIRE geht es subtiler zu, durch die Gegenwärtigkeit des Kulissen-Themas, sei es in den Detektiv-Fällen oder durch die Präsenz des INTOLERANCE-Set, wird die Fassadenhaftigkeit der Spielwelt ästhetisiert. In Computer-Spielen ist das Film-Set ein Symbol des Realen, Authentizität bedeutet die Steigerung des Unwirklichen.

Georg Boch

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